Giroud rettet ziellos ballbesitzendes Arsenal
Am „Boxing Day“ kam es in der Premier League zum Aufeinandertreffen zweier Veteranen: Arsene Wengers Kanoniere trafen auf das von Tony Pulis trainierte West Bromwich Albion, welches mit klassisch englischem Fußball auf dem 8. Platz rangierte. Ein typisches Premier League-Spiel, aus dem man typische Arsenal-Defizite extrahieren kann. Wie können Lösungen aussehen?
Zunächst die Formalitäten: Bei den Gunners fehlten Cazorla und Mustafi verletzungsbedingt. Aaron Ramsey saß an seinem 26. Geburtstag nach überstandenen Oberschenkelproblemen immerhin auf der Bank. Im Tor begann Cech. Koscielny bildete einmal mehr das Ein-Mann-Gerüst in der Abwehr, in der außerdem Bellerin, Gabriel und Gibbs agierten. Xhaka und Coquelin kamen als Sechser zum Einsatz. Die vorderen Reihen wurden aus Iwobi, Özil, Sanchez und Giroud gebildet.
West Brom und die feine englische Art
Bei den Gästen fand sich neben den ehemaligen Manchester United-Spielern Evans und Fletcher beispielsweise auch der von Tottenham ausgeliehene belgische Nationalspieler Chadli wieder. Das Spiel drehte sich bei eigenem Ballbesitz aber vor allem um Zielspieler Rondon in vorderster Front. Dieser wurde in der Regel mit langen Bällen gesucht, welche gerne auch einmal etwas weiter nach rechts, in den Bereich um Brunt geschlagen wurden.
Die gesamte Ausrichtung der Baggies gestaltete sich dabei gewohnt direkt. In den wenigen klaren Aufbausituationen abseits von Standards gab es eine hohe Präsenz um die erste Aufbaulinie herum bei gleichzeitigem Fokus darauf, viele Spieler in die Spitze zu beordern.
Kurzum: Das zentrale Mittelfeld blieb nahezu unbesetzt. Gelangte die Mannschaft mit diesen Mitteln mal etwas weiter nach vorne, so waren Flanken das bevorzugte Mittel. Nach dem Gewinn zweiter Bälle spielten sie, ebenso wie bei Umschaltaktionen, vereinzelt einmal ordentlich aus dem Ballungsraum heraus, etwa in Person von Fletcher, und entwickelten so großräumig Tempo.
Gegen den Ball formierte sich West Brom ursprünglich in einem 4-1-4-1, das mannorientiert und passiv interpretiert wurde. Lediglich situativ gab es ein etwas höheres Attackieren, etwa bei Ballbesitz eines Außenverteidigers von Arsenal. Dass ich so etwas schon erwähne, zeigt vor allem: Was die Mannschaft von Tony Pulis spielte, war nur in Ausnahmefällen nicht als grauenhaft zu bezeichnen.
Die meiste Zeit verbarrikadierten sie im 6-3-1 den Strafraum, schafften es selbst dabei erschreckend unkompakt zu sein und hofften wohl einfach darauf, dass Arsenal schon nichts einfallen würde. Zumindest auf letzteres kann man in seinem Matchplan durchaus bauen.
Arsenal being Arsenal: Zwischen gelungener Improvisation und fehlender Abstimmung
Die Mannschaft von Arsene Wenger hat gegen Mannschaften wie West Brom schon zwangsläufig deutlich mehr Ballbesitz und muss sich mit der Frage auseinandersetzen, wie einem tief stehenden Gegner beizukommen ist. Der Franzose mag dabei durchaus ein Verfechter einer konstruktiven Spielweise sein. Zeitweise galt er gar als Vorreiter auf dem Gebiet des Ballbesitzfußballs.
Eine gleichsam bekannte wie wirksame Konzeptionalisierung desselben findet sich im Rahmen vom spanischen Juego de Posicion. Möchte man dieses auf wenige Heuristiken herunterbrechen landet man dabei, mit dem überaus kompetenten feyre9251 gesprochen, bei drei Grundprinzipien:
- Nicht zu nah an den Mitspieler herankommen, wenn dieser den Ball hat.
- Mit der eigenen Positionierung keine vertikalen Passoptionen versperren. Wenn doch: In eine andere Position bewegen.
- Wenn möglich, immer die am weitesten entfernte Option bedienen.
Vergleicht man dies mit der Spielweise der Gunners, so fällt auf, dass ihnen ein Bewusstsein für derartige Grundprinzipien oftmals fehlt. Immer wieder fallen Spieler aus ihren Grundräumen zurück und bewegen sich überaus aktiv und sehr direkt in Richtung Ball, statt sich in eine effektive Ausgangsposition zu bringen, um das Spielgerät tatsächlich auch erhalten zu können.
Dies betrifft vor allem Spielertypen wie Özil und Sanchez, die im letzten Drittel für nahezu unvergleichliche Durchschlagskraft sorgen können und dies auch immer wieder tun. Doch große Strategen sind die beiden beileibe nicht, vor allem, wenn sie durch ihre Positionierung selbst die nötige Dynamik aus dem Angriff nehmen.
Selbiges gilt für Alex Iwobi, einen durchaus vielversprechenden, jungen Flügelspieler, der vor allem in der ersten Halbzeit häufig übereifrig die Nähe des Balles suchte und dabei gleichzeitig bessere Passoptionen versperrte.
Die Prinzipien dürfen gleichwohl nicht dahingehend missverstanden werden, dass es keine Optionen in Ballnähe braucht – im Gegenteil: Diese sind zwingend notwendig, um den Gegner anzulocken und im Anschluss einen weiter entfernten Mitspieler zu bedienen.
Nur müssen sie eben aber darauf ausgerichtet sein und eine effektive Fortsetzung des Spiels ermöglichen. Ansonsten ist die Folge genau jene, die man bei den Gunners beobachten konnte: langsames Ballgeschiebe, unsaubere Zuspiele, zu wenig Präsenz in der gegnerischen Formation.
Dabei brachte auch dieses relativ ziellose Passspiel die Gäste zumindest in Bewegung und es wurden durchaus einmal Optionen geschaffen, die jedoch nur selten zielgerichtet bespielt wurden. Vielmehr wurde beispielsweise noch eine Zwischenstation gesucht, anstatt direkt von Halbraum zu Halbraum zu verlagern.
Oder das Umschauen nach Möglichkeiten der Spielfortsetzung erfolgte erst bei Erhalt des Balles und ein paar gemächlichen Schritten. Man hatte ja Zeit, West Brom machte ja nichts gegen den Ball – kontrollierte so aber paradoxerweise phasenweise das Geschehen. Was gibt es eigentlich zu tun, wenn der Gegner nichts tut?
Dribbeln ist beispielsweise eine ganz gute Möglichkeit. Dafür braucht man Raum und die richtigen Spieler an den richtigen Orten. Wie schafft man Raum gegen passive, aber gleichzeitig mannorientierte Verteidiger? Richtig: Man läuft zum Beispiel vom Ballführenden weg und zieht den Verfolger mit sich.
Coquelin, der die offensivere Sechserrolle einnahm und teilweise eher wie ein Achter agierte, wich beispielsweise diagonal nach rechts aus, wenn Bellerin den Ball erhielt und nach innen dribbelte. Dieses kontraintuitive Movement brachte ihm mehr Platz dafür.
Oder man tut so, als würde man auf den Ballführenden zugehen wollen und schleift den Verteidiger mit sich. So fiel Sanchez halblinks zurück, Dawson folgte, während Gibbs am Flügel nach vorne sprintete und aus dem Sechserraum den Ball hoch zugespielt bekam.
Derlei Bewegungen wirkten auch durchaus geplant und erzielten im ersten Moment die erhoffte Wirkung. Abgesehen von mangelnder Konstanz – West Brom hätte 90 Minuten lang mit Tiefenläufen gequält werden müssen – blieb die Anschlussaktion jedoch häufig unklar, beziehungsweise es fehlte allgemein an Bewusstsein beim Ausspielen.
Bellerin hätte zum Beispiel selbst bei der vorhandenen Struktur viel häufiger mittels einfacher Zuspiele in 1 gegen 1-Duelle gebracht werden können, in denen er mit seiner Schnelligkeit durchaus einen qualitativen Vorteil gehabt hätte.
Passte die Staffelung gerade zufällig ganz gut und wurde bespielt, so kam es dann dennoch auch zu schnellen und spektakulären Kombinationen. Ich erwähnte bereits: Wer will Özil, Sanchez und Co. dabei auch aufhalten? Anders formuliert: Diese Spieler müssen nur in die richtigen Situationen kommen, um zu zeigen, was sie sind: Maschinen.
Kleine Anpassungen
Dafür, dass sie dieses Potential innerhalb einer Mannschaft entfalten, sorgt idealerweise der Trainer. Und auch Wenger passte zur zweiten Halbzeit etwas an. Arsenal visierte insgesamt vermehrt die Tiefe an. Vor allem Iwobi ließ sich nun nicht mehr derart häufig zurückfallen, Sanchez bewegte sich vermehrt in den Zwischenlinienraum und Özil tat irgendwo dazwischen sein Werk.
Giroud pendelte ohnehin gut zwischen den Innenverteidigern, konnte Zuspiele behaupten und sich ins Kombinationsspiel einschalten. Außerdem zeigte er sich mehrfach bemerkenswert aufmerksam und aggressiv im Rückwärtspressing, während viele seiner Mitspieler gegen den Ball abschalteten.
Dahingehend blieb Arsenal eine zerrissene Mannschaft. Das geordnete Pressing war nicht wirklich kompakt, wurde nur selten in Bezug auf seine Stabilität getestet, aber brachte auch viel zu wenig Intensität mit, um konstant vielversprechende Ballgewinne zu provozieren.
Nach Ballverlust attackierten die zentralen Mittelfeldspieler teilweise überaus forsch, wobei man Coquelin für einige Aktionen lobend hervorheben darf. Entweder beteiligten sich aber andere Akteure aus den vorderen Reihen nicht oder die hinteren Spieler, vor allem die Außenverteidiger, orientierten sich viel zu schnell zurück in Richtung des eigenen Tores und rissen so selbst ein großes Loch. Zur Absicherung hatte man allerdings noch Koscielny, der dabei seine gewohnte Klasse zeigte und die ein oder andere brenzlige Situation nicht zur Entfaltung kommen ließ.
Diese Probleme konnten die Einwechselungen nicht beheben, doch was die Offensivstruktur anging, ergaben sich mit Lucas Perez und vor allem Aaron Ramsey Verbesserungen. Ersterer spielte nominell auf dem rechten Flügel, zog jedoch recht früh ins Sturmzentrum und teilweise mit diagonalen Läufen bis ans andere Ende des Strafraums.
Bellerin konnte die Seitenlinie bearbeiten, Özil vom rechten Halbraum aus kreativ werden, während Sanchez und Ramsey selbiges aus Startpositionen halblinks taten. Xhaka agierte klarer als alleiniger Sechser und konnte seine bekannte Weiträumigkeit in der passenderen Ausrichtung etwas mehr zur Geltung bringen. Schließlich köpfte Giroud nach Vorlage von Özil noch das 1:0 und alles war gut.
Möglichkeiten grundsätzlicher Veränderung
Mit Ausnahme der bleibenden strukturellen Probleme, die durch individuelle Klasse noch ein wenig kaschiert werden konnten. Improvisation ist ein Teil Arsenals. Doch wäre ein etwas klarer festgelegter Rahmen hilfreich, um dahingehend eine höhere Effektivität zu erzeugen. Nehmen wir exemplarisch eine ordentliche Staffelung aus der ersten Halbzeit als Ausgangspunkt, um ein Beispiel für Handlungen innerhalb eines möglichen Rahmens zu illustrieren.
Die Außenverteidiger sind hochgeschoben und besetzen die Breite, sie drängen die gegnerischen Flügelspieler zurück. Bellerin agiert ballfern leicht eingerückt. Xhaka hat im Sechserraum den Ball am Fuß und Coquelin neben sich. Özil und Iwobi agieren davor zwischen den Linien, Sanchez schiebt im Gegenzug halblinks höher, Giroud bindet zur anderen Seite hin versetzt Verteidiger.
Nimmt man dieses Schema zur Grundlage und setzt gleichzeitig implizit in etwa den Grundsatz voraus, dass vertikale Linien höchstens doppelt, horizontale maximal dreifach zu besetzen sind, so lassen sich je nach Ausgangsbewegung unterschiedliche Abläufe durchführen.
Diese braucht man dabei nicht auswendig zu lernen, vielmehr funktionieren sie nach dem Muster: „Hey, da verlässt einer seine Position, jemand sollte sich dorthin orientieren und ein anderer wiederum darauf reagieren“. Im Grunde bleibt das im Einzelfall Improvisation, aber eben in bewussterer Art und Weise.
Rote Pfeile: Fällt Özil zurück, so muss sich Alexis in jedem Fall aus seiner Position bewegen, um ihm Raum zu geben. Entweder er weicht nach außen, woraufhin Gibbs dann zum Zentrum sprintet, beziehungsweise in eine offene Schnittstelle. Oder Alexis geht seinerseits etwas nach innen, woraufhin Gibbs seine Position hält.
Grüne Pfeile: Alexis lässt sich seinerseits zurückfallen, um anspielbar zu sein. Nun muss Özil reagieren: Entweder er bewegt sich explosiv zur Seitenlinie, woraufhin sich Gibbs in die Sturmspitze orientiert. Oder er geht seinerseits in die Tiefe, zwischen die Verteidiger. Ebenso ist ein Ausweichen nach rechts möglich, woraufhin Giroud an der letzten Linie weiter nach links kommt.
Blaue Pfeile: Koscielny stößt in den offenen Raum vor, Gabriel und Coquelin balancieren dies. Daraufhin kann auch Iwobi zurückfallen und sich anspielbar machen, entweder auf direktem Wege oder nach außen versetzt. Das kann wiederum das Zeichen für Özil sein, dass er sich etwas nach rechts absetzt. Bellerin sprintet diagonal nach innen, wenn Iwobi breiter kommt oder geht seinerseits den Flügel entlang, wenn Iwobi im Halbraum bleibt. Letzterer hat nach Erhalt des Balles in jedem Fall die Möglichkeit, in geöffneten Raum zu dribbeln. Erhält hingegen Koscielny auf der anderen Seite den Ball, so können sich die Spieler dort nach ähnlichen Mustern wie zuvor bewegen.
Schlussworte
Wie es vor dem Spiel geklungen haben muss, so schallt es noch jetzt.
Arsene Wengers Ansprache: „Let’s play football. Do whatever you want, but sometimes pass the ball to each other and have fun“.
Tony Pulis‘ Worte: „Don’t let them play football. Mark tightly. Kick it long. Don’t let them have fun“
5 Kommentare Alle anzeigen
DidiSunshine 30. Dezember 2016 um 21:49
Danke für die Analyse. Mir als Arsenalfan gefallen vor allem die Anmerkungen am Schluss. Leider kann ich nach den letzten Jahren kaum noch glauben das Wenger diese Mängel beheben kann. Hoffe er findet den richtigen Zeitpunkt zum aufhören und den richtigen Nachfolger, denn er hat da schon eine aus meiner Sicht feine Truppe zusammengestellt.
DrKlenk 28. Dezember 2016 um 18:16
Sehr schöne Analyse. Finde gut, dass du auch ein paar theoretische Aspekte rein nimmst und dazu eigene Ideen mit einbringst.
ES 28. Dezember 2016 um 13:10
Ein sehr schöner Beitrag, weil er unabhängig vom Spiel, aber am Beispiel des Spiels Grundprinzipien von Fussball sehr verständlich erklärt. Vielen Dank!
Marc 28. Dezember 2016 um 16:42
Der letzte Absatz ist wirklich sehr cool und hilfreich.
Der Kader Arsenals gibt ja wirklich einiges her von daher ist es schade, dass aus diesem Team (noch) nicht mehr gemacht wurde. Wenger ist zwar mit Sicherheit kein schlechter Trainer, meines Wissens läuft sein Vertrag allerdings im Sommer aus und er hat noch nicht verlängert. Könnte mir Arsenal auch gut als Umschaltteam vorstellen mit hohem Pressing etc.
Arsenal ist nicht umsonst regelmäßig früh aus der CL ausgeschieden, starke Teams können weder gut gepresst werden noch kann man sein eigenes Ballbesitzspiel gegen gute pressende Teams aufziehen. Gegen Bayern sehe ich da wieder schwarz.
Auf Anhieb fällt mir jetzt aber auch kein Trainer ein der auf dem Markt ist und das im Sommer übernehmen könnte…
Gregor 28. Dezember 2016 um 23:43
Habe heute gelesen, dass sich Allegri bei Juve nicht mehr wohl fühlt und ab Sommer gerne Wenger beerben möchte. Ob das so tatsächlich stimmt, kann man zur Zeit nicht sagen, denke aber, dass er bestimmt ein interessanter Kandidat für die Gunners wäre.