Katalanische Schnellangriffe gegen baskischen Pressingwahn
In Spanien trafen Basken auf Katalanen: Im Traditionsduell empfing das kriselnde Athletic Club den Titelaspiranten aus Barcelona.
Athletic im 4-4-1-1
Der Trainer der Hausherren, Ernesto Valverde, kündigte vor dem Spiel an, man möchte hoch und aggressiv pressen. Athletic nutzte hierbei eine 4-4-1-1-Grundformation. In dieser Formation wollten sie flexibel Druck erzeugen und den Katalanen schon im Spielaufbau Probleme bereiten. Unai Gomez schob immer wieder nach vorne und unterstützte den nimmermüden Aduriz beim Zustellen der beiden Innenverteidiger. Wurde Torwart Claudio Bravo eingebunden – was naturgemäß bei einem hohen Pressing und der Spielphilosophie Barcelonas häufig geschah –, dann wurde auch der Chilene von einem der beiden Stürmer unter Druck gesetzt. Angriffspressing pur also.
Interessant war ebenfalls, wie sich die Mittelfeldreihe Athletics dahinter bewegte. In der Initialpositionierung beim hohen Pressing stellte Unai meistens einen der zentralen Mittelfeldspieler Barcelonas – meist Busquets – zu und lief aus dieser Position den zweiten Innenverteidiger dynamisch an. Um den freigewordenen, tieferen Mittelfeldspieler Barcelonas aber nicht an den Ball kommen zu lassen, schob der ballnahe Sechser mannorientiert hinter her.
Gelegentlich übernahm auch der zweite Sechser eine Manndeckung, das wurde aber nur in einzelnen Situationen so praktiziert. Das Besondere an der Mittelfeldkette und diesen Mannorientierungen war allerdings die Einbindung der Flügelstürmer. Der ballnahe Flügelstürmer beteiligte sich aggressiv am Pressing und auch der ballnahe Außenverteidiger rückte weit aus der Position heraus, um mit Mannorientierungen Zugriff auf Passoptionen herzustellen oder gar mit dem Flügelstürmer gemeinsam einen der Gegenspieler zu doppeln.
Der ballferne Flügelstürmer blieb wiederum tiefer, rückte aber sehr weit ein und schob mit dem verbliebenen Sechser in die vakanten Räume der Mittelfeldlinie. Situativ verließen sie ihre Position aber sprintartig, um Querpässe Barcelonas im ersten Drittel – beispielsweise von den Außenverteidigern – in den Sechserraum abzufangen und dadurch rückten sie sehr häufig bei Verlagerungsversuchen Barcelonas heraus.
Teilweise presste Athletic aber auch schlichtweg in einer Art 4-1-3-2 mit situativ herausrückenden Innen- und Außenverteidigern. Soll heißen: Die pressten schlichtweg extrem aggressiv und konsequent. Gepaart mit der horizontalen Kompaktheit und dieser hohen Intensität vermochten sie es einige Zeit lang Barcelonas Ballzirkulation im zweiten Drittel sehr gering zu halten.
Die Katalanen hatten dadurch nach einer Stunde nur 77% Passgenauigkeit. Für Barcelona, ihre Spieler und Spielphilosophie ist das ein extrem geringer Wert. Die vielen Mannorientierungen, das flexible Übergeben, die enorme Laufbereitschaft und das hohe Pressing mit enormer Horizontalkompaktheit und Ballorientierung der Mittelfeldreihe machten es möglich. Doch das war zwar schön anzusehen und potenziell gefährlich, jedoch auch überaus instabil.
Barcelonas neue Struktur ideal für das Konterspiel?
In den letzten Analysen zum FC Barcelona habe ich gerne in der Einleitung zum Abschnitt über die Katalanen ihr verändertes System leicht Revue passieren lassen. Sie spielen nun wie schon mehrmals erklärt mit vorderlaufenden und situativ einrückenden Außenverteidigern, Messi meistens als rechtem Flügelstürmer, der (seit neuestem) ebenso wie Neymar oft aus einer sehr breiten Position ins Dribbling geht und dadurch versucht Vorteile zu erzeugen, die Mitte zu infiltrieren und aus den Halbräumen gefährliche Diagonalpässe zu spielen. Ergänzt wird dies durch ausweichende Achter, den pendelnden Suarez in der Spitze und ein verbessertes Gegenpressing.
In diesem Spiel zeigte sich auch, dass der strategische Rahmen sich etwas verändert hat. Schon zu Spielbeginn griff man häufig auf lange Bälle zurück, wobei diese gut eingebunden wurden. Sie kamen nicht direkt aus der ersten Abwehrlinie oder vom Torwart zu Beginn des Aufbauspiels, sondern nachdem der Ball nicht mehr stabil zirkuliert lassen werden konnte und der Gegner weit in Barcelonas Hälfte gelockt wurde. Desweiteren waren die langen Bälle keine gebolzten, hohen Pässe. Es waren meistens längere Vertikal- und Diagonalpässe, die flach und scharf in die offenen Räume von Athletics Formation kamen.
Dies wurde nicht nur im Aufbauspiel so gehandhabt. Direkt nach Ballverlusten schaltete Barcelona fast schon überraschend und spektakulär tororientiert mit schnellen, geradlinigen und weiträumigen Aktionen um. Hierbei sind die Wechselwirkungen mit den Aufgaben in dem neuen System durchaus interessant. Messis Freirolle von rechts wird auch gegen den Ball genutzt; häufig zockt er und steht nach Balleroberungen frei, um mit seinen tollen Engendribblings und seinen genialen Pässen die Angriffe sehr schnell und präzise nach vorne zu tragen.
Auf Neymar trifft ähnliches zu. Die verbesserte Absicherung und die erhöhte Bewegungsvariabilität der Außenverteidiger helfen ebenfalls. Bei einigen Kontern kombinierten sich Suarez, Neymar und Messi kurz durch eine Engstelle, während im Hintergrund einer der Außenverteidiger vorstoß, sie überlief und Räume damit öffnete oder besetzte.
Potenziell ist die Struktur Barcelonas also herausragend dafür geeignet, Schnellangriffe und Konter zu fahren. Sie haben Spieler, die sehr weiträumige, aber weiterhin flache Pässe spielen können, was von technisch starken, pressingresistenten und im Passspiel kreativen Akteuren unterstützt wird. Rakitic, Suarez und auch die Außenverteidiger sind perfekte Balancegeber für eine solche Spielweise.
Gegen Athletic gab es dadurch sehr viele gute Angriffe aus dem Spiel heraus, die nach gegnerischen Pressingversuchen oder im Konterspiel entstanden und wo in kurzer Zeit viel Raum überbrückt wurde. Dazu gesellten sich einmal mehr ein passables Pressing, ein verbessertes Gegenpressing und die natürliche Stärke in eigenem Ballbesitz.
Fazit
Ein unterhaltsames Spiel mit viel Hin und Her, wo Athletic Club Barcelona zwar vor Probleme stellte, die Katalanen diese aber schnell und effektiv lösen konnte. Einmal mehr waren es die flexiblen Bewegungen im Sturmzentrum, Messis Freirolle und die neue Struktur in der Rollenverteilung, welche für die enorme Torgefahr Barcelonas sorgte. Gegen Athletic fielen speziell die vielen Schnellangriffe, langen Flachpässe, situativ genutzten Diagonalbälle und die sehr tororientierten, schnellen Konter auf. Die Hausherren wiederum waren sehr bemüht und insbesondere in der Arbeit gegen den Ball interessant, jedoch konnten sie den Katalanen letztlich über neunzig Minuten kein konstantes Hindernis sein.
23 Kommentare Alle anzeigen
Mike 11. Februar 2015 um 11:36
Was mich noch interessieren würde: warum lässt er in solchen Spielen nicht TerStegen statt Bravo ran?
Der könnte mit seiner wirklich guten Technik mE besser in das Spiel gegen eine so massiv pressende Mannschaft eingebunden werden.
Wie im Artikel beschrieben, haut Bravo den Ball oft nach vorne, wohl auch, weil er sich einen genauen Pass nicht zutraut…TerStegen könnte das…oder?
Gh 11. Februar 2015 um 12:27
Bravo kanns auch, vielleicht nicht ganz so gut wie ter Stegen, aber es würde reichen, die angesprochenen Situationen anders zu spielen. Ergo: die Schläge sind vom Trainer so gefordert.
PNM 11. Februar 2015 um 13:57
Zustimmung, dass Bravo ebenfalls technisch gut ist, jedoch glaube ich nicht, dass die langen Schläge von Luis Enrique gefordert sind. Ter Stegen war in einigen (CL-) Spielen ebenfalls schon starkem Pressing ausgesetzt, und hat trotzdem alles spielerisch gelöst/lösen dürfen.
Er ist in dem Bereich einfach noch stärker als Bravo.
RM 11. Februar 2015 um 13:57
Ich denke, dass die Schläge sehr oft gewollt waren, da man durch die kurze, tiefe Zirkulation den Gegner sehr passend herausgelockt hat. Spezifische Anpassung an Athletic vielleicht? Trotzdem würde ich Ter Stegen aufstellen, weil er auch beim ‚Schlagen‘ besser ist als Bravo. Gegen Ajax hat er das sehr elegant gemacht.
Gh 11. Februar 2015 um 15:02
RM hat recht. Glaube ter Stegen soll etwas geschützt werden, da Zubizarettas Einkäufe unter einer wahnsinnigen Lupe betrachtet wurden. Also: Bravo als sichere Bank für diese Saison in der Liga, dem verzeiht man auch eher mal einen kleinen Fehler, ter Stegen für die Polalwettbewerbe zum Aufbau auf höchstem Niveau.
Isco 11. Februar 2015 um 18:49
Vielleicht hält er ihn im Gesamtpaket einfach für den besseren Torhüter (was ich auch tue)? Wenn es zu den „klassischen“ Torwart-Skills kommt, dann waren Bravos Leistungen diese Saison schon herausragend und sein Passspiel ist vielleicht eine Spur schlechter als das von ter Stegen, aber noch immer sehr gut.
Gh 11. Februar 2015 um 20:15
@Isco: oder so. Bei dem Altersunterschied denk ich, dass für eine Übergangszeit zweigleisig gefahren wird und ter Stegen der Mann für in 1-2 Jahren sein soll. Wenn man an die Startschwierigkeiten von Valdes und den anderen im Barca Tor denkt nicht verwunderlich, dass man nicht alles sofort auf ter Stegen setzt.
Gh 11. Februar 2015 um 20:18
Messi dixit: „Ter Stegen la toca mucho mejor que yo“
PNM 12. Februar 2015 um 01:37
Und davor: „A Messi le gusta meterla en la noche.“ Die spanische Sportpresse übertrifft sich mal wieder selbst. 😀
Gh 12. Februar 2015 um 08:10
Hahaha! Aber der Cortado schmeckt einfach besser mit einem Schuss Fußball-Gossip.
Markus 11. Februar 2015 um 05:54
Momentan ist Barca wieder die beste Mannschaft der Welt. Sie scheinen endlich einen Plan B gefunden zu haben und sind unglaublich varibabel in ihren taktischen Möglichkeiten. Dazu haben sie die stärksten Einzelspieler..
PNM 11. Februar 2015 um 14:00
Beste Einzelspieler denke ich auch, aber nicht beste Mannschaft.
Bayern würde in meinen Augen das nicht überragende Pressing umspielen können, und insgesamt zu zu vielen Torchancen kommen. Barça würde mit seinen Schnellangriffen wohl auch für Gefahr sorgen, aber wohl insgesamt weniger als Bayern, denke ich.
Chelsea ist auch sehr stark…
Bern 1989 10. Februar 2015 um 15:02
Äh, im ersten Satz ist irgendwie durcheinandergeraten, wer da wen empfangen hat…
Cali 10. Februar 2015 um 01:28
Hi Rene. Du hast vor ein paar Wochen gesagt, dass Özil einer oder der effektivste finale Passgeber im letzten Drittel sei (sorry, falls ich das falsch wiedergebe). Soll jetzt nicht besserwisserisch o.Ä. sein, aber hast du schon mal Suarez in Betracht gezogen? Ich bin seit knapp 20 Jahren Liverpool-Fan und mir ist noch nie so ein krasses Passspiel untergekommen wie jenes von Suarez. Kein Barnes, kein Gerrard und auch kein Alonso kann da mMn mithalten. Es grenzt in jeder Hinsicht (techn. Ausführung, Variation, Timing etc.) an der Perfektion. Ich halte den Uru allg. für einen unfassbar kompletten Spieler. Eine in-depth Analyse wäre toll.
spielverderber 10. Februar 2015 um 10:33
Dann scheinst du in den 20 Jahren Inselfussball nicht viel von Dennis Bergkamp gesehen zu haben 😉
PNM 10. Februar 2015 um 16:55
Zustimmung bei Spielverderber 😀
@Calli: Suarez ist das sehr stark, vor allem seine Direkpässe sind herausragend. Nicht nur, dass er immer schon vorher weiß, wo er hinspielen will, und ein ausgezeichnetes Blickfeld hat, auch die technische Ausführung ist klasse.
Die einzige Schwäche würde ich ihm in dem Punkt attestieren, dass er zu häufig in unnötige Dribblings geht und diese verliert, anstatt einen (einfachen) Pass zu spielen. Er will manchmal „zu viel“.
effau 9. Februar 2015 um 23:42
Das Pressing von Athletic war von der Idee her gut, Claudio Bravo ist im Vergleich zu ter Steegen nicht sehr ballgewandt und neigt zu unkontrollierten Abspielen. Jedoch kann dieses extrem laufintensive Pressing gegen eine so unglaublich technisch starke Mannschaft, wie Barca es ist, nur bei absolut konsequenter Durchführung Erfolg haben. Die Basken rannten viel und durchaus nicht planlos, aber letztendlich haben sie dem Gegner eben immer die halbe Sekunde Zeit gelassen, den Ball zu spielen. Was im Falle von Barca in dieser Saison eben zu Kontertoren führt. Die Katalanen ziehen immer mehr ein Spielsystem an sich, wie es Real Madrid zu Beginn der Saison erfolgreich exerzierte. Ballgewinn, extrem schnelles flaches Umschalten und mit 5 Mann vor dem gegnerischen Tor. Es wird wesentlich weniger Wert auf das früher noch erfolgreiche Tiki-Taka gelegt, Ballbesitz wird in Schnelligkeit umgesetzt, v. a. über Neymar.
JoeFertig 10. Februar 2015 um 16:10
Dem stimme ich zu, allerdings bin ich mal gespannt wie lange es dauert bis jemand den Begriff „Tiki Taka“ richtig verwendet 🙂
Gh 10. Februar 2015 um 16:24
Es kommt auf die Betonung an, nicht auf die Semantik:
https://www.youtube.com/watch?v=wtRvofQccOY (00:10)
effau 10. Februar 2015 um 22:57
Hier in Spanien wird Tiki-Taka (vom linken Fuss – zum rechten Fuss) v. a. für 1-Kontakt-Passspiel verwendet 😉
Gh 11. Februar 2015 um 12:31
… und war zunächst bewundern gemeint (im Montesschen Sinne). Erst später dann etwas abwertend, um an Guardiolas Barca rummäkeln zu können. Deshalb vielleicht Peps Allergie gegen den Begriff.
Gh 9. Februar 2015 um 11:54
Inwieweit erinnert euch das jetzige Barca eigentlich an Rijkards Zeit? Messi jetzt in der Freirolle Ronaldinhos (mit etwas mehr Eifer beim Pressing)?
Mike 11. Februar 2015 um 11:32
Hm…interessante Feststellung…ist mir gar nicht so aufgefallen, aber wo dus erwähnst…
würd ich beipflichten..u Neymar bissl was von Eto…nur technisch stärker…sehr viel stärker sogar…
Spannende Analyse eines sehr guten Spiels, Merci…