Hertha BSC Berlin – 1. FC Nürnberg 0:1
Im Topspiel am Samstagabend empfing Aufsteiger Hertha BSC Berlin den 1. FC Nürnberg. Die Gäste siegten dank eines Treffers von Pekhart in der 80. Minute verdient mit 1:0.
Hecking überrascht bei der Startaufstellung
Hertha-Trainer Babbel schickte die erwartete Formation aufs Feld, mit Kraft, Ottl, Franz und Torun nominierte er gleich vier Neuzugänge für die Startelf. Taktisch formierte er seine Mannschaft in einem 4-4-2/4-2-3-1-System, Ramos bewegte sich immer wieder zwischen Mittelfeld und Sturm und war deswegen keiner genauen Position zuzuordnen.
Gästetrainer Hecking ordnete seine Mannschaft in einem fließenden 4-1-4-1 an. Die beiden zentralen Mittelfeldspieler ließen sich immer wieder auf die Höhe von Simons fallen, waren aber die meiste Zeit vor diesem postiert. Von den zwölf Neuzugängen durften drei in Berlin beginnen, nämlich Klose in der Innenverteidigung, Feulner im zentralen Mittelfeld und Pekhart als Sturmspitze. Hecking überraschte außerdem in seiner Startaufstellung mit der Nominierung von Mendler, Cohen und Eigler im Mittelfeld.
Nürnberg von Beginn an dominant
Im Vorhinein war der Aufsteiger leicht favorisiert worden, allerdings zeigten die Nürnberger von der ersten Minute an eine couragiertere Leistung und waren sofort das dominante Team. Vor allem Cohen setzte genau das um, was sich Hecking von seiner Aufstellung versprochen hatte: Laufstärke, aggressives Attackieren des Ballbesitzers und schnelles Umschalten. Das Match spielte sich zu großen Teilen in der Berliner Hälfte ab, bewegte sich anfangs jedoch auf einem sehr mäßigen Niveau. Berlin kam zu keinem konstruktiven Spielaufbau, stattdessen suchten die Innenverteidiger meistens Lasogga in der Sturmspitze, der aber Probleme hatte sich gegen Klose und vor allem gegen Wollscheid zu behaupten.
Ein flacher Aufbau über die Zentrale fand bei Berlin überhaupt nicht statt, die beiden defensiven Mittelfeldspieler Niemeyer und Ottl waren kaum ins Aufbauspiel eingebunden. Die langen Bälle waren schnell wieder beim Gegner, der sein Spiel schnell über Simons, Cohen und Feulner aufbaute. Von der Zentrale wanderte der Ball hinter der Mittellinie fast immer nach außen, bevorzugt auf die rechte Seite. Dort spielte der erst 18-Jährige Markus Mendler, der die Bälle immer wieder forderte und gut gegen Kobiashvili behauptete. Zusammen mit dem rechten Verteidiger Chandler initiierten sie mehr als 50% der Angriffe des FCN in der 1. Halbzeit.
In der Defensive sollte Mendler nicht in die Mittelfeldkette zurückrücken, stattdessen blieb er am rechten Flügel auf Höhe der Berliner Abwehrkette. Das barg für die Hertha die Gefahr, dass bei einem Vorstoß von Kobiashvili Räume für den schnellen Mendler entstanden. Mijatovic musste deswegen immer wieder nach außen rücken, wodurch zentral Räume entstanden, die jedoch ungenutzt blieben. Und so mussten sich die Gäste zur Pause mit einem 0:0 zufrieden geben, obwohl man dem Aufsteiger über die gesamten 45 Minuten klar überlegen gewesen war.
Babbel stellt um, die Probleme bleiben
Zum zweiten Durchgang brachte Babbel Spielmacher Raffael für Torun, Ramos wechselte auf den linken Flügel, sodass die Hertha nun in Raffael einen echten Spielmacher hatte. Die Umstellung hatte zu Folge, dass Berlin nun in einem klaren 4-2-3-1 spielte und so einen zusätzlichen Mittelfeldspieler für das Kombinationsspiel zur Verfügung hatte. Trotz dieser in der Theorie durchaus sinnvollen Umstellung änderte sich in der Praxis wenig im Spielaufbau. Die Innenverteidiger schlugen die Bälle weiterhin hoch und weit auf Lasogga, auch weil aus dem defensiven Mittelfeld die Anspielstationen fehlten und Raffael gut abgedeckt wurde. Auch über die Außen wurde nur selten konstruktiv gespielt, hin und wieder kombinierten Ebert und Lell recht ordentlich, Torgefahr entstand aber auch daraus nicht.
FCN-Trainer Hecking hatte von seinen Spielern wohl mehr Abschlüsse gefordert, das Bemühen war den Offensivleuten zu Beginn der zweiten Hälfte jedenfalls anzumerken. Und tatsächlich wurde der FCN immer zwingender, während die Hausherren weiterhin ohne nennenswerte Offensivaktion blieben. Wollte Berlin kombinieren, stand dem Passempfänger stets schon ein aggressiver Nürnberger auf den Füßen, häufig sah sich der Herthaner sogar zwei Spielern gegenüber. So verloren die Berliner auch im Mittelfeld viele Bälle, die Kontersituationen blieben allerdings harmlos.
Als sich alle scheinbar schon auf ein 0:0 eingestellt hatten, gelang den Nürnbergern doch noch der verdiente Siegtreffer. Der zuvor eingewechselte Hegeler hatte sich im Strafraum um Franz gedreht und den Ball von der Torauslinie auf Pekhart zurückgelegt, sodass dieser den Ball aus kurzer Distanz einschießen konnte. Eine Schlussoffensive der Hertha blieb aus und Nürnberg brachte die ersten drei Punkte der Saison souverän nach Hause.
Fazit
Aufsteiger Hertha BSC blieb in seinem ersten Saisonspiel alles schuldig. Der Spielaufbau war katastrophal, lange Bälle auf Lasogga dürfen nicht das einzige Mittel eines Erstligisten sein, zumal für jeden Zuschauer nach spätestens einer halben Stunde ersichtlich war, dass Lasogga in der Luft gegen Wollscheid keine Chance hatte.
Defensiv konnte man zwar große Chancen und Gegentreffer über weite Strecken vermeiden, ließ jedoch auch im Spiel gegen den Ball einige Fragen offen. Schon die Stürmer störten den Nürnberger Spielaufbau kaum, das Nürnberger Mittelfeld wurde zu wenig unter Druck gesetzt und auch gegen Mendler fanden die Herthaner kein probates Mittel. Sollten sich solche Leistungen häufen, wird es für die Berliner ganz schwer, die Klasse zu halten.
Nürnberg wirkte von Beginn an bissiger und aggressiver als die Hausherren. Im Spiel gegen den Ball wusste man durchaus zu gefallen. Wollscheid hatte in der Defensive gegen Lasogga die absolute Lufthoheit, am Boden agierte das zentrale Mittelfelddreieck überzeugend in der Ballgewinnung. Auch das Spiel mit dem Ball war phasenweise ansehnlich, vor allem Mendler auf rechts zeigte sehr gute Ansätze, hatte aber wie alle anderen auch zu wenig Anspielstationen um gefährliche Angriffe einleiten zu können.
Trotz drückender Überlegenheit verpasste man es sich klare Torchancen herauszuspielen, das Tor fiel trotz aller Dominanz überraschend. Doch die Leistung der Nürnberger war alles in allem ordentlich, beim Herausspielen von Torchancen müssen sie allerdings noch kräftig zulegen.
Zum Schluss noch eine kleine Randbemerkung: Stefan Effenberg hob sich in seiner Rolle als Co-Kommentator wohltuend von der grauen Masse der sky-Experten ab und bereicherte den Kommentar mit seinem Fachwissen und seinen Kurzanalysen.
5 Kommentare Alle anzeigen
Enno, Sportblogger a.D. 9. August 2011 um 18:17
Tolle Analyse, tolles Projekt! Gleich mal in den Feedreader geschmissen. 🙂
Zu Raffael: Ja, er ist kein klassischer Spielmacher, sondern eine 9,5, wie Lucien Favre immer sagte. Das Problem mit ihm ist aber, dass er eigentlich nur in einem sehr ausgefeilten Offensivsystem mit klaren Laufwegen und Raumeroberungen gut funktioniert. Das gab es weder unter Funkel, noch gibt es diesen Offensivplan und Babbel. Das hat zur Folge, dass Raffael versucht, das Spiel alleine zu gestalten und zu entscheiden. Angesichts moderner Raumdeckung und individuellen Fähigkeiten der Verteidiger hat er mit dieser Strategie keine Chance. Symptomatisch war sein Festrennen an Simmons (?), was ihm lediglich eine Platzwunde eingebracht hat (und natürlich einen Ballverlust…). Weil er also ohne Offensivsystematik nicht funktioniert, sitzt Raffael auf der Bank.
Alexander | Clubfans United Fanmagazin 9. August 2011 um 10:56
Bei der Gelegenheit: Kompliment für die interessante Website und die Analyse. Werden wir gerne in den Radar aufnehmen.
Alexander | Clubfans United Fanmagazin 9. August 2011 um 10:53
Ich verstehe den verwöhnten Fußball-Konsumenten, für den das Spiel zu wenig Entertainment enthielt. Rein taktisch aber war das für eine junge Mannschaft, wie den FCN, die von allen Experten tief im Abstiegskampf angesiedelt wurden, einfach klasse. Oder mal Hans Meyer zu zitieren: „Wenn Nürnberg so weiterspielt, werden sie ganz schwer zu schlagen sein.“
ob 9. August 2011 um 05:56
Raffael ist kein Spielmacher, auch wenn ihn mehrere Trainer jetzt so einzusetzen versucht haben. Typisch die Szene gleich nach der Einwechslung, als er an der eigenen Strafraumgrenze ! losdribbelt und einige Meter weiter natürlich den Ball verliert.
Dem Mann fehlt die Spielübersicht um seine Mannschaft zu lenken. Gehobenes Bundesliganiveau hat er nur als Angreifer zwischen den Linien, weil er da seine überragende Ballan- und -mitnahme ausspielen kann. Der einzige auch nur halbwegs als Regisseur geeignete Spieler in Herthas Kader ist sein Bruder Ronny.
Hans-Peter Becker 8. August 2011 um 13:25
Es sollte das Topspiel am Samstagabend werden, es war einfach schlechter Fussball, schlecht gegen noch schlechter. Nürnberg mit leichten Vorteilen, ein Null zu Null wäre das richtige Ergebnis gewesen. Die Nürnberger haben auf mich nicht den Eindruck gemacht, unbedingt gewinnen zu wollen. Effenberg als Co Kommentator fand ich auch sehr gut, obwohl ich dachte, dass er mehr draufhaut, hatte sich wohl mit seinem Kumpel Markus Babbel zu einem Feierabendbierchen verabredet. Die Sky-Übertragung erinnerte mich an Football Sendungen auf ESPN, Expertentisch am Spielfeldrand, dazu Statistiken. Von beiden Teams muss entschieden mehr kommen, sonst gibt es diese Paarung im nächsten als Spitzenspiel der 2. Bundesliga