Hannover 96 – Borussia M’Gladbach 2:3
In einer tollen Schlussphase drehten die Gladbacher noch das Spiel. Nachdem sie bereits 2:0 hinten lagen, sah es nicht gut für sie aus, doch sie schafften die Wende und gewannen auswärts mit 2:3. Die Hannoveraner setzen somit ihren Abwärtstrend weiter fort, während es für Gladbach wieder nach oben zu gehen scheint.
Wechselwirkungen der jeweiligen Formationen
Die Mannschaft von Mirko Slomka begann in einem Hybridsystem aus 4-2-3-1 und 4-4-2. Dies lag daran, dass Jan Schlaudraff seine Rolle als hängender Stürmer offensiv wie defensiv flexibel interpretierte. Im Pressing schaltete er sich manchmal als zweiter Stürmer mit ein und stellte die Gladbacher Innenverteidiger mit Mittelstürmer Mame Diouf zu, gelegentlich agierte er auch im Mittelfeld als Teil eines tieferen 4-2-3-1-Pressings.
Auf den Seiten begannen Szabolcs Huszti als Spielgestalter von links und Didier Ya Konan als verkappter Stürmer auf der rechten Außenbahn. Sie hatten unterschiedliche Rollen und tauschten auch deswegen öfters die Positionen, um Dysbalancen beim Gegner hineinzubringen. Es gab auch eine Präferenz von Ya Konan auf rechts, damit er die Löcher hinter dem offensiveren Filip Daems nutzen konnte, während Huszti die Distanz vom tieferen Martin Stranzl zur Spielgestaltung nutzen sollte. Vollends geklappt hat nichts davon.
Zentral begann Sergio Pinto mit Lars Stindl, also eine offensiv ausgerichtete Doppelsechs. Stindl übernahm den vertikalen Part, der spielstarke Pinto wurde stark zugestellt. Immer wieder kippte er im Spielaufbau hinter den aufrückenden Konstantin Rausch ab und schob diesen nach vorne, gleichzeitig bildete er mit den beiden Innenverteidigern eine Dreierkette. Daraus resultierte Stindls offensivere Rolle, das Helfen der Außenverteidiger im zweiten Spielfelddrittel sowie ein geringerer Zugriff von Pinto auf das offensive Kombinationsspiel.
Dies war auch das Ziel der Gladbacher, die sich an Pinto relativ aggressiv orientierten. Ohnehin gab es einen gewissen taktischen Bruch im Spiel der Elf von Lucien Favre zu beobachten, den wir näher beleuchten.
Favres Bruch mit der positionsorientierten Raumdeckung?
Ein wichtiger Aspekt in diesem Spiel war die veränderte Spielweise der defensiven und offensiven Flügel. Normalerweise positionieren sich die Fohlen in einem 4-4-2-Block, welcher sich primär an der Position innerhalb dieses Grundsystems orientiert, aus dieser Grundstellung kollektiv wie individuell attackiert und immer wieder in diese Anordnung zurückkehrt. Es gab und gibt Varianten mit einem 4-4-1-1 ab einer gewissen Höhe, doch die positionsorientierte Spielweise wurde im Normalfall durch alle Bänder und Positionen durchgezogen.
In dieser Partie gab es eine stärkere Mannorientierung auf den offensiven und defensiven Flügel. Sowohl Lukas Rupp als auch Juan Arango verfolgten die gegnerischen Außenverteidiger bei deren Aufrücken; falls diese nicht nach vorne gingen, halfen sie gegen die Außenmittelfeldspieler des Gegners aus. Diese Mannorientierung half Gladbach in der Defensive enorm, die Konter von Hannover mussten durch das aggressive Herausrücken von Filip Daems auf Didier Ya Konan unterbunden werden.
Daraus folgten absurd wirkende 60% Ballbesitz für die Ballbesitzverweigerer und Vertikalfußballer von 96. Wirkliche Angriffe konnten sie jedoch nicht initiieren, Martin Stranzl spielte wie sein Gegenüber eine akzeptable Partie und im kollektiv bewegte sich der Gladbacher Defensivverbund stark. Sie wichen aus ihrer positionsorientierten Manndeckung in kurze Phasen der Bedrängung, wodurch Hannover kombinieren konnte. Pässe in die Spitze und Tiefe waren wegen der guten Anordnung der Gladbacher ebenso kaum möglich. Dies war wohl der spielgeschehensentscheidende Aspekt in der ersten Halbzeit.
Gladbach findet die Balance – und verliert sie
Die erste Spielhälfte war davon gekennzeichnet, dass die Gäste ungemein sicher standen, ohne in eine ultradefensive beziehungsweise übertrieben tiefe Stellung zu verfallen. Sie spielten nicht extrem tief wie es noch gegen Eintracht Frankfurt der Fall war, aber öffneten den Gegnern kaum Räume. In ihrem horizontal wie vertikal kompakten 4-4-Rechteck standen sie hervorragend gegen die Z-förmigen Spielzüge des Gastgebers, welche darum primär über die Seiten angreifen mussten.
Die meiste Gefahr strahlte noch Jan Schlaudrauff aus. Dies lag daran, dass er frei und zentral spielte, wo die meisten Räume offen waren, nämlich zwischen den Linien. Die vertikale Kompaktheit gegen den gegnerischen Spielaufbau entstand bei Gladbach nämlich durch eine höhere Doppelsechs im Pressing, was Hannover zu langen untypischen Ballzirkulationen am Anfang des zweiten Spielfelddrittels zwang.
Doch wie aus dem Nichts fiel dann der erste Treffer kurz nach dem Seitenwechsel. Das Tor war der zweite Torschuss von Hannover in dieser Partie, mehr als drei sollten es nicht werden.
Der Treffer fiel nach einem überraschend präzisen Befreiungsschlag. Gladbach hatte zuvor das Mittelfeld überbrückt und stand mit vier Spielern offensiv und gegenpresste, während das Mittelfeld nachschob. Das nachschiebende Mittelfeld wurde mit dem weiten Ball Hannovers überhoben, der Pass kam auf Mame Diouf, welcher auf Schlaudrauf prallen ließ. Die Gladbacher konnten nicht schnell genug rückwärtspressen, Schlaudrauff marschierte auf die zurückweichende Abwehr zu und zog von zwanzig Metern unbedrängt ab. Ein Marc-Andre ter Stegen in Topform hätte diesen Schuss wohl besser pariert, doch beim zweiten Tor hatte er kaum eine Chance.
Bei einem Standard deckten sieben Mann drei Hannoveraner, drei weitere Gladbacher standen in der Mauer, wodurch die gesamte Außenbahn offen blieb. Hannover bespielte diese mit einem Freistoßtrick, in welchem Konstantin Rausch zunächst Richtung Mauer und dann schnell auf die offene Seite ging. Von dort aus flankte er und es fiel der zweite Treffer, doch die Gladbacher schlugen zurück.
Defensivverhalten bei Hannover
Lucien Favre stellte seine Mannschaft auf eine stärkere Offensive um und schob den hängenden Stürmer Patrick Herrmann stärker nach links. Er sollte mit dem offensiveren Daems und dem spielstarken Arango den Raum hinter Ya Konan und dem bereits verwarnten Sakai bespielen. In der 69. Minute wechselte Favre letztlich. Peniel Mlapa und Mike Hanke bildeten ein neues Sturmduo, in welchem letzterer um den Prellbock Mlapa herum agierte.
Dieser Wechsel hatte jedoch relativ wenig direkte Auswirkung, denn alle drei Tore fielen für Gladbach nach ruhenden Bällen. Ausschlaggebend war ein schwaches Defensivverhalten der Hannoveraner, welche einige spielentscheidende Fehler produzierten.
Beim ersten Treffer bekamen sie den Ball nach einer Ecke nicht ordentlich raus, bei einer weiteren Hereingabe macht Sakai einen Fehler: er bewahrt nicht kühlen Kopf, sondern hält den gleichen hin und köpft den Ball unnötig heraus. Arango zieht ab, der Ball landet dann nach einem Abstauber von Alvaro Dominguez im Tor. Beim zweiten Mal ist es dann wieder ein Innenverteidiger, nämlich Roel Brouwers am zweiten Pfosten, der frei zum Kopfball kommt.
Hier könnte man womöglich eine direkte Auswirkung von Hankes Einwechslung – mit viel Wohlwollen und ein bisschen Ironie – erkennen. Dieser deutete zuvor an, dass Arango den Ball kurz hereinbringen sollte und sämtliche Hannoveraner orientierten sich kurz. Es ist klar erkennbar, wie Brouwers‘ Gegenspieler bereits einen (bzw. mehrere) Schritt zu weit nach vorne gemacht hatte und dadurch nach hinten springen musste. Brouwers hingegen hatte den Ball besser antizipiert, stand richtig, sprang höher und traf den Ball.
Zu allem Übel patzte letztlich auch noch Ron-Robert Zieler. Er stellte sich zu weit Richtung Fünferrand bei dem Freistoß von Arango. Dieser konnte jedoch als Linksfuß den Ball in die offene Ecke so zirkeln, dass der Ball außerhalb von der Mauer und Richtung kurzen Pfosten einschlagen konnte. Zieler hatte wohl eher auf einen Rechtsfuß spekuliert und sich in Folge der aufgerückten Gegenspieler auf eine Flanke bereit gemacht.
Fazit
Ein Spiel von vielen interessanten Kleinigkeiten und einer engen Partie mit viel Spannung in der zweiten Hälfte. Hannover konnte ihre Spielweise nicht durchziehen und verspielte sogar eine 2:0-Führung vor heimischem Publikum. Gladbach hatte viele spannende Aspekte in ihrem Spiel: Mischung der Raumdeckungen, einige Spielverlagerungen und weite Bälle sowie den Mannfokus der Außenverteidiger sowie bei Luftduellen herausrückenden Innenverteidigern oder das Bespielen der Lücken durch das Zerreißen von Stindl und Pinto. Hannover konnte ihre gewohnten Spielzüge nicht umsetzen und verlor auch deswegen.
4 Kommentare Alle anzeigen
Voltai 31. Oktober 2012 um 19:04
Ich habe mir den Freistoss nochmal angeschaut und deswegen meine Frage:
Wär’s nicht logischer oder einfacher wenn Arango den Ball von links mit Links als Flanke bringt?
Mit Links links an der Mauer Vorbei am linken Pfosten find ich eher knifflig
Links natülich aus Sicht von Arango..
RM 31. Oktober 2012 um 19:50
Naja, war ja ein Tor, die Ausführung kann man ihm dann also nicht wirklich vorwerfen, oder?
Voltai 2. November 2012 um 19:23
Da bin ich wohl missverstanden worden:
Ich fand die Ausführung von Arango ausgezeichnet.
Meine Anmerkung bezieht sich auf den vermeintlichen Patzer von Zieler, der im Artikel konstatiert wird. Ich denke, es hat keiner mit einem direkten Versuch rechnet, sondern mit einer Flanke in den Sechzehner.
C.F.G. 31. Oktober 2012 um 16:11
Vielen Dank für die Analyse.
OT: Ich wollte einmal nachfragen, ob mal ein Trainerportrait zu Lucien Favre gemacht werden könnte? Sehr interessant fände ich in diesem Zusammenhang auch den Vergleich zwischen Gladbach unter ihm und unter Frontzeck – denn: Psyche der Spieler sowie Verletzungspech (unter Frontzeck) scheinen mir nicht die wesentlichen Faktoren für die Misere Anfang vorletzter Saison gewesen zu sein. Nur habe ich nicht das taktische Analysevermögen um die Unterschiede exakt aufzuzeichnen..