Türchen 2: Real Madrid – Leverkusen 2002 – FN
Real Madrid gewinnt das Champions League Finale 2002 in Glasgow mit 1:2 gegen Leverkusen. Neben der individuellen Klasse von Spielern wie Zidane, Raul oder Roberto Carlos sind es vor allem Abstimmungsprobleme im Sichern der Tiefe, die maßgeblich für den Sieg Reals verantwortlich waren.
Leverkusen agierte unter Trainer Klaus Toppmöller aus einer 4-2-3-1 Grundordnung heraus. Vor Torhüter Butt bildeten Zivkovic und Lucio die Innenverteidigung. Flankiert wurden diese von Placente und Sebescen. Auf der Doppelsechs agierten Ramelow un
d der mit vielen Freiheiten ausgestattete Ballack. Die Flügel beackerten zunächst Brdaric links und Schneider rechts, während Bastürk den Zehner gab. Vor dieser Dreierreihe agierte Neuville als alleinige Spitze.
Auf der anderen Seite agierte der Favorit aus Madrid unter Trainer Vincente del Bosque typisch für die Zeit Anfang der 2000er aus einem 4-4-2 mit Raute heraus. Im Tor stand Julio Cesar. Die Viererkette vor diesem bildeten Carlos, Helguera, Hierro und Salgado. Makelele gab die alleinige Sechs in einer Abräumerrolle vor der Kette. Auf der linken Halbposition agierte Solari, die rechte übernahm Figo. Die Zehn spielte Spielgestalter Zidane. Dieser sollte von dort aus die Doppelspitze bestehend aus Morientes und Raul einsetzen.
Madrider Linkslastigkeit
Nach einer etwas hektischen Anfangsphase, geprägt von vielen langen Bällen und Fouls, kehrte eine gewisse Spielkontrolle auf Seiten von Real ein. Im hohen Aufbau agierten die Madrilenen recht positionsgetreu aus ihrer 4-Raute-2 Struktur heraus. Die Außenverteidiger starteten hierbei aus einer flachen Positionierung auf einer Höhe mit den Innenverteidigern heraus. Die offensive Breite wurde zunächst kaum besetzt. Leverkusen formierte sich in dieser Phase in einem auf Blocken ausgelegtem 4-2-3-1 Mittelfeldpressing. Stürmer Neuville agierte dabei mannorientiert gegen Sechser Makelele. Dahinter verschob Bastürk diagonal versetzt das Zentrum blockend.
Die Außenstürmer Schneider und Brdaric schoben aus einer ebenfalls zentrumsorientierten Positionierung im Halbraum ballorientiert bei Ballspiel auf die Madrider Außenverteidiger heraus.
Bereits früh in der Partie kristallisierte sich bei Real eine gewisse Linkslastigkeit heraus. Während Salgado in der Zirkulation eher konservativ agierte, suchte man stets den Ball in Richtung Carlos. Dieser agierte durch seine Fähigkeiten im Dribbling sowie seine starke Flankenqualität deutlich aktiver und dribbelte mit Ball diagonal auf den Leverkusener Block an. Vor allem Schneider tat sich in diesen Momenten im Verschieben schwer den Zentrumszugang zu blocken oder bei Andribbeln von Carlos direkten Druck auszuüben. Mehrfach erfolgte das horizontale Verschieben zu spät und dadurch auch zu flach, wodurch Carlos den diagonalen Pass in den linken Halbraum auf Zidane suchen konnte.
Diese „Fehler“, sowie die mangelnde Intensität der Offensivspieler im individuellen Defensivverhalten war generell üblich Anfang der 2000er und ist deshalb nicht zu hoch zu bewerten. Dennoch gelang es Real dadurch vielversprechende Aktionen zu erzeugen und damit hatte er einen Einfluss auf die Partie. Die Leverkusener Sechser Ramelow und Ballack verfolgten Zidane in einer engen Manndeckung, wodurch dieser sich sichtlich schwer tat sich zu Beginn der Partie im Block aufzudrehen und das Dribbling zu suchen. Umso wichtiger waren daher die unterstützenden Bewegungen von Solari. Dieser interpretierte seine Rolle als linker Achter sehr intuitiv und reagierte mit ballnahen Bewegungen auf Kombinationsmöglichkeiten und diente so als Ablagespieler für Zidane. Ballack und Ramelow zeigten sich im Sechserraum jedoch kompromisslos und schlossen sehr gut die Verlagerungsmöglichkeiten auf die ballferne Seite und gelangten so unmittelbar in die direkten Duelle.
Real tat sich so relativ schwer Bindung zu Zidane zu bekommen. Trotzdem gingen sie früh nach einem weiten Einwurf von Carlos auf Raul in der 4. Minute in Führung. Nach dem Leverkusener Ausgleich nach einer Ecke durch Lucio in der 14. Minute suchte man deshalb nun vermehrt den Weg um den Block. Solari brach hierfür neben Carlos aus dem Block aus. Dies triggerte trotz des engen Abstands von Solari und Carlos und ohne unmittelbare Gefahr für die Kompaktheit des Blocks ein Rausspringen von Rechtsverteidiger Sebescen auf Solari. Das Heraurücken erfolgte sehr stürmisch, was aufgrund der zunächst statischen Ausgangsposition eher nicht notwendig gewesen wäre, da Schneider bereits aus dem Zentrum nach außen schob. Die Tiefensicherung in der Breite wurde dadurch ohne Not aufgegeben. Als ein Grund für das stürmische Herausspringen von Sebescen lässt sich das Fehlen eines direkten Gegenspielers auf der Außenbahn anführen. Die Tiefe hinter Sebescen entwickelte sich in der gesamten Partie zu dem Zielraum im Madrider Ballbesitzspiel.
Die Breite wurde dementsprechend dynamisch besetzt. Häufig war es Morientes der als linker Stürmer dahin auswich und die Tiefe so diagonal belief. Solari und Carlos fanden diesen mehrfach über longline Pässe um Sebescen herum. Dieser hatte durch seinen langen Pressingweg einen nicht zu unterschätzenden Zeitnachteil, welchen Solari und Carlos durch sauberes Aufdrehen nutzen.
Bei frühem Ausbrechen von Solari und dementsprechendem Rausspringen von Sebescen suchte auch Innenverteidger Helguera hin und wieder den langen Ball direkt auf Zielspieler Morientes mit dem Ziel diesen durch den Raum in der Breite festmachen zu können. Doch Morientes hatte sichtlich Probleme mit dem sehr aggressiven Deckungsverhalten der Leverkusener Innenverteidiger. In engem Mannbezug stiegen diese teils überhart gegen Morientes ein und vermieden ein Festmachen mit dem Rücken zum Tor. Die harte Zweikampfführung verursachte auch eine Reihe an Fouls, was zum einen den Spielrhythmus störte, auf der anderen Seite jedoch Real aussichtsreiche Möglichkeiten nach Freistoßflanken brachte.

Auch Zidane suchte bei Ballbesitz in der eigenen Kette mehrfach diagonal aus seiner Zehnerposition heraus die Tiefe hinter Sebescen. Auch dieser wurde eng von Ramelow verfolgt. Zidane gelang es allerdings durch seinen starken ersten Kontakt besser den Ball festzumachen und sich durch seine Druckresistenz von Ramelow zu lösen. Dadurch entstanden über die nachrückenden Solari und Carlos ansehnliche Kombinationen auf engem Raum. So konnte Carlos mehrfach freigespielt werden und die Stürmer mit Flanken in die Box suchen. Auch über Spiel und Geh Kombinationen gelang es Real mehrfach den Raum hinter Sebescen zu bespielen. Morientes orientierte sich hierbei ballnah im Halbraum und suchte den Doppelpass mit dem anschließend gegen die Pressingrichtung von Sebescen überlaufenden Carlos, was durch das Rausziehen von Zivkovic gleichzeitig die Tiefensicherung schwächte. Carlos konnte über dynamische Läufe die Tiefe in der linken Breite attackieren und für Gefahr durch Flanken sorgen. Dies geschah ebenso beim Tor zum 2:1 Siegtreffer von Zidane per Volley nach Flanke von Carlos.
Zidane mit Schlüsselrolle, Figo blass
Zidane nahm generell im Laufe der ersten Halbzeit eine Schlüsselrolle ein und riss das Spiel trotz vieler langer unkontrollierter langer Bälle etwas an sich. Zidane hatte zunächst mit der engen Manndeckung der Leverkusener Sechser zu kämpfen. So war dieser stets bemüht sich dieser Manndeckung zu entziehen. Neben den Tiefenläufen in der linken Breite, versuchte Zidane sich auf die blinde Seite des ballfernen Sechsers gegen die Spielrichtung zu bewegen. Durch die bereits thematisierten Verschiebeprobleme im Leverkusener Mittelfeldpressing war die Zirkulation bei Wechsel der Spielrichtung so im Vorteil und Zidane konnte sich bei vertikalem Anspiel in den Block durch Makelele aufdrehen. Dass Makelele diese Pässe spielen konnte lag an der zunehmenden Passivität von Neuville. Gerade in längeren Ballbesitzphasen Reals tat sich dieser schwer den Mannbezug eng genug zu halten, wodurch sich für Makelele Möglichkeiten ergaben sich aufzudrehen. Mittels seiner unwiderstehlichen Dribblings durch das Zentrum konnte Zidane anschließend für Dynamik und Torgefahr sorgen.

Hin und wieder holte sich Zidane den Ball jedoch auch in ähnlicher ausbrechender Position wie Solari neben Carlos, sowie zentral vor dem Pressingwall ab. Aufgrund des fehlenden Gegnerdrucks außerhalb des Blocks gelang es Zidane so durch seine technischen Fähigkeiten das Spiel zu beruhigen und eine Zirkulation zu kreieren, was das sonst von langen Bällen beeinflusste Spiel etwas verlangsamte.
Sein Mitspieler Figo blieb im Gegensatz über weite Teile des Spiels blass. Figo pendelte im Gegensatz zur zunächst unbesetzten Breite auf der linken Seite, auf rechts zwischen Breite und Achterrolle. Durch die fehlende Unterstützung aus dem Zentrum, sowie das konservative Spiel von Rechtsverteidiger Salgado tat sich Figo schwer Bindung zum Spiel herzustellen und agierte weitgehend isoliert, was auch für die hohe Linkslastigkeit sorgte. Folglich suchte dieser, um etwas am Spiel teilzuhaben vereinzelt weite Wege in den linken Halbraum, was jedoch keine großen Effekte auf das Madrider Offensivspiel hatte. Folglich musste Figo recht früh den Platz für McManaman räumen.
Leverkusen überdribbelt
Aufgrund der vielen langen unkontrollierten Bälle blieb das Spiel trotz Übergewicht Reals weiterhin offen und so kam auch Leverkusener zu längeren Ballbesitzphasen. Ein wesentliches Element des Ballbesitzspiels war das Überdribbeln der Innenverteidiger. Lucio und Zivkovic starteten mehrfach aus der Kette heraus dynamische Läufe mit Ball und trugen dabei den Ball bis weit in die gegnerische Hälfte. Dies war gegen die nahezu gar nicht an Defensivaufgaben interessierten Stürmer besonders effektiv. Bei Überdribbeln der ersten Linie musste so kein Rückwärtspressing gefürchtet werden. Die dadurch entstehenden großen vertikalen Abstände zwischen den Pressinglinien verringerten zudem das Risiko eines Konters bei Ballverlust in der gegnerischen Hälfte, auch wenn ein Ballverlust in der Vorwärtsbewegung bei Fehlen eines Innenverteidigers natürlich weiterhin eine große Gefahr darstellte.

Lucio verpasst in der Folge bei seinen Überdribblungen mehrfach den Moment des Abspiels, um einen der Zentrumsspieler einzusetzen. Stattdessen versuchte er stumpf den Weg Richtung Tor durchzuziehen und konnte so von Makelele nach außen gedrängt werden. Zivkovic hingegen gelang dies häufiger. Dieser konnte nach Überdribbeln der Stürmer und Andribbeln auf Makelele und Solari vor der Kette in die Breite auf Schneider verlagern und diesen in eine gute Ausgangslage für Dribblings nach innen bringen. Zivkovic hatte jedoch früh eine eklatanten Ballverlust in dieser Vorwärtsbewegung, der in einer guten Konterchance für Real mündete. Dadurch traute sich dieser im Laufe des Spiels immer seltener das Überdribbeln zu.
Leverkusen wird dominanter
Nachdem Leverkusen in der ersten Halbzeit noch etwas zu direkt agierte und die langen Bälle von Neuville nur selten festgemacht wurden, zeigte die Werkself in der zweiten Halbzeit einen deutlich dominanteren Auftritt, was sicher auch auf den Spielstand und den Zeitpunkt des Tores zum 2:1 kurz vor der Pause zurückzuführen ist. Auch der schon in der 39. Minute für Brdadric eingewechselte Berbatov belebte das Offensivspiel. Dieser agierte nun als Stürmer, während Neuville den linken Flügel besetzte.
Das belebende Element der zweiten Halbzeit war die veränderte Rolle von Schneider. Dieser agierte nun im eigenen Ballbesitz deutlich eingerückter. So kam dieser unter geringerem Gegnerdruck an den Ball und war in der Lage die Angriffe aus einer Art tiefen halbrechten Spielmacherrolle zu initiieren. Als Folge schob Sebescen höher und konnte durch gutes dynamisches Belaufen der Tiefe in der Breite hin und wieder flanken. Die Flanken blieben allerdings durch die starke Boxverteidigung Reals nicht von Erfolg gekrönt.

Durch Schneiders Fähigkeiten im Dribbling gelang es ihm mehrfach am hauptsächlich passiv verteidigenden Zidane in den Sechserraum einzudribbeln. Von dort aus boten sich über die entgegenkommenden Ballack und Bastürk wiederholt vertikale Passoptionen. Das Abkippen triggerte in diesem Fall ein Rausrücken von Solari und Makelele. Diese agierten durch die fehlende Vertikalstafflung meist sehr eng an der eigenen Viererkette und bildeten abhängig von der Rückwärtsbewegung von Zidane und Figo einen 4-2 respektive 4-4 Block. Das Rausziehen eines der beiden Sechser bespielten gerade Ballack und Schneider sehr gut mit Doppelpässen. Das fehlende Rückwärtspressing, sowie die Vorhersehbarkeit des aus der Statik heraus vertikalen Rausrückens erleichterten das Ausspielen dieser Situationen, um anschließend auf die Kette zuzudribbeln. Ballack suchte dabei im Anschluss wiederholt im Rückraum den Abschluss.
Fazit
Letztlich verhinderte ein starker eingewechselter Casillas in der Leverkusener Schlussoffensive den Ausgleich und bewahrte Real vor einer Verlängerung. Auch wenn Leverkusen zum Ende des Spiels noch einmal den Druck erhöhte und durch die angepasste Rolle von Schneider besser ins Spiel fand, geht der Sieg für Real aufgrund des Spielverlaufs in Ordnung. Auch wenn es bis in die Schlussphase an guten Abschlüssen mangelte, zeigte Real immer wieder gute Aktionen, um Zidane ins Spiel zu bringen und den Zielraum hinter Sebescen zu bespielen. Gerade die individuelle Qualität von Spielern wie Zidane und Carlos machte in diesen Momenten den Unterschied.


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