Erst zäh, dann Kelly – MX
In einem zunächst etwas zähen, dann völlig wahnsinnigen Auftaktspiel in der Champions League trennen sich Juventus Turin und Borussia Dortmund am Ende 4:4. Am Ende entscheiden Kleinigkeiten.
Nach dem 2:0-Erfolg in der Bundesliga gegen den FC Heidenheim traf die Elf von Niko Kovac am Dienstagabend auf die Alte Dame in Turin. Dabei rückte Sabitzer für den erkrankten Groß als rechter Achter in die 3-4-2-1-Grundformation von Borussia Dortmund. Juventus Turin unter Coach Tudor agierte ebenfalls aus einer 3-4-2-1-Grundordnung heraus: Di Gregorio stand zwischen den Pfosten, davor bildeten Kalulu, Bremer und Kelly die Dreierkette. Auf den Achterpositionen liefen Koopmeiners und Thuram auf, McKennie und Cambiaso besetzten die Schienenspieler-Positionen, während David und Yildiz als Halbraumzehner agierten. Openda startete in der Sturmspitze.
Juve im 5-2-3-Mittelfeldpressing
Die Heimelf agierte in den ersten Minuten der Partie hauptsächlich aus einem 5-2-3-Mid-Block heraus. Die Pressingauslösung erfolgte dabei meist durch Mittelstürmer Openda beim Anspiel auf den zentralen Innenverteidiger Anton. Dennoch entstand infolge relativ früh ein grundlegendes Problem bei Juventus Turin: Ryerson positionierte sich als rechter Halbverteidiger sehr nah an Anton, sodass man sogar von einem Zweieraufbau beim BVB sprechen konnte. Juve gelang es nicht, diese enge Staffelung der Dortmunder konsequent zu verfolgen. Hauptursache war, dass Ryersons nomineller Gegenspieler Kenan Yildiz durch das Ausschieben in den Halbraum auf Dortmunds rechten Achter Sabitzer gebunden wurde. Dadurch ergab sich eine 4-gegen-3-Überzahl gegen die erste Pressinglinie von Juventus Turin.
Das Problem aus dieser Überzahl entstand jedoch nur indirekt. Zwar war Ryerson der zusätzliche Spieler in der ersten Aufbaulinie des BVB, doch die halbräumige, raumorientierte Positionierung von Thuram im linken Halbraum isolierte mögliche Vertikalpass-Optionen von Ryerson. Gleichzeitig blockierte Yildiz’ halbräumige Grundposition Diagonaloptionen in die letzte Linie auf den aufgerückten Schienenspieler Cuoto. Außerdem versuchte Openda beim Ballbesitz von Ryerson stets, den Pass ins Zentrum bzw. auf Achter Nmecha zu verhindern. Dadurch entschied sich Ryerson meist für den Querpass auf Anton. Mittelstürmer Openda wurde dabei aufgrund der Isolation des Zentrums etwas nach links gezogen, sodass sich sein Pressingwinkel auf Anton von einem vertikalen zu einem diagonalen verschob und der Anlaufweg länger wurde. Dies hatte zur Folge, dass Anton immer wieder diagonal nach links andribbeln und Openda überspielen konnte, wodurch auf den zentralen Innenverteidiger in der Spieleröffnung kaum Druck ausgeübt wurde.
Das hatte wiederum zur Folge, dass Anton immer wieder eine direkte, kurze Verbindung in die linke Breite zu Halbverteidiger Bensebaini herstellen konnte. Durch Antons Andribbeln in die linke Breite verschaffte sich der extrem breite Bensebaini regelmäßig einen zeitlichen Vorteil gegenüber dem rechten Außenstürmer David, der in der Vororientierung keine effektive Anpassung an Bensebainis breite Positionierung zeigte. David schob zwar immer wieder diagonal aus dem Halbraum in die Breite, konnte aufgrund der kurzen Verbindung zwischen Anton und Bensebaini jedoch selten direkten Druck ausüben oder einen Zweikampf erzwingen. Dadurch konnte Bensebaini meist entweder in die Breite oder in den Halbraum eröffnen. Allgemein ist ein diagonaler Pressingwinkel von innen nach außen bei einem solchen Intensitäts- und Pressingwegproblem durchaus ineffizient, da der isolierte Winkel sehr gering ist. Dies spürte Juve früh.
So konnte Bensebaini immer wieder entweder in die Breite auf den aus der letzten Linie vertikal und sehr breit abkippenden Schienenspieler Svensson spielen oder im Halbraum auf Halbraumzehner Beier. Allgemein führte das gruppentaktische Abkippen immer wieder zu guten Ablagespiel-Mustern über Achter Nmecha, der sich unterstützend in die ballnahen Räume im Halbraum bewegte. Juventus hatte jedoch in der Anfangsphase Schwierigkeiten, diese Abkippbewegungen aus der letzten Linie des BVB zu verfolgen. Hauptursache war, dass die Turiner Flügelverteidiger aufgrund ihrer relativ flachen und eingerückten Grundposition diagonal folgen mussten, wodurch der Verfolgungsweg relativ lang wurde und der Pressingwinkel diagonal – dadurch konnte man kaum Druck auf den starken rechten Fuß von Svensson bekommen. Der lange Verfolgungsweg verschaffte den Dortmundern immer wieder einen zeitlichen Vorteil, der insbesondere im Ablagespiel entscheidend ist, da das Verfolgen so weniger eng gestaltet werden konnte. Besonders McKennie hatte gegen Svensson Probleme.
Hervorzuheben ist auch, dass Guirassy sich sehr gut immer wieder diagonal in den Halbraum fallen ließ. Mittlerer Innenverteidiger Bremer tat sich dabei schwer, diese Bewegungen zu verfolgen, da er eigentlich die Tiefe sichern wollte. Gerade nachdem Halbverteidiger Kalulu mit Beier in den Halbraum bzw. in die Breite mitgeschoben hatte, entstand ein großer Zwischenraum zwischen Halb- und mittlerem Innenverteidiger, den Bremer etwas ausschiebend raumfokussiert gerne abgedeckt hätte, um etwaige Tiefe zu sichern. Tendenziell verfolgte er daher Guirassy etwas lockerer, was dazu führte, dass dieser immer wieder zwischen den Linien – speziell durch Zuspiele von Svensson, der sich aufgrund des geringen Drucks immer wieder aufdrehen konnte – gesucht werden konnte. Bremer konnte daraufhin nur noch reaktiv herausverteidigen und so auf Guirassy im Wandspiel kaum Druck ausüben.
Aus der Not eine (gute) Tugend gemacht
Nachdem Dortmund über dieses Muster in der Anfangsphase gute Progression erzielte, scheiterte es im letzten Drittel bisher daran, dass insbesondere Beier aus dem Abkippen heraus technische Probleme hatte bzw. nervös agierte und man noch nicht die Tiefe fand. Tendenziell lässt sich hier auch eine kleine Diskussion eröffnen, ob die Abkippbewegungen von Guirassy halbrechts dazu führten, dass die Tiefe kaum besetzt wurde – obwohl gerade der Zwischenraum zwischen Halb- und mittlerem Innenverteidiger durchaus begehbar war und nach Aufdrehen von Svensson auch bespielbar gewesen wäre, aber durch den Stürmer kaum genutzt wurde. Es wäre zudem wünschenswert gewesen, dass der ballferne Halbraumzehner vom BVB weiter einrückt, sofern der Mittelstürmer im ballnahen Halbraum abkippt, um zentrale und tiefe Räume zu binden. So fehlte Dortmund in den ersten zehn Minuten noch das letzte Quäntchen.
Allgemein passte sich Juventus aufgrund der guten Progressionsbasis des BVB improvisierend relativ schnell an. So schob Achter Thuram nun schlichtweg mit Sabitzer mit, wenn sich dieser in den linken Halbraum fallen ließ, und entlastete dadurch auch Yildiz. Dieser konnte fortan den Halbverteidiger Ryerson anlaufen, wodurch die Intensität im Mittelfeldpressing der Italiener insgesamt stieg. Außerdem konnte sich durch Yildiz’ direktes Belaufen Mittelstürmer Openda noch mannorientierter an Anton ausrichten. Gleichzeitig verengte Koopmeiners seine Mannorientierung auf Nmecha aufgrund des Ausschiebens von Thuram noch weiter, sodass Openda ohnehin nicht unbedingt die Passwege auf Nmecha isolieren musste. Durch die engere Orientierung Opendas an Anton konnte dieser zudem nicht mehr so weit diagonal auf Bensebaini zudribbeln, wodurch die Dynamik in diesem Muster ebenfalls geschwächt wurde und Bensebaini deutlich mehr Schwierigkeiten hatte, den Pass direkt in die Breite zu tragen – da der zuvor vorhandene Zeitvorteil geschwächt war.
Allgemein trat beim BVB in der ersten Aufbaulinie ein gewisses Paradoxon auf: Je höher der Druck seitens Juve wurde, desto enger rückte die Dreierkette zusammen. Besonders Bensebaini rückte zunehmend ein, um möglichst kurze Verbindungen zu schaffen und schneller aus dem Druck lösen zu können. Gleichzeitig machte diese enge Dreierkette es Juve jedoch leichter, aus dem 5-2-3-System Druck zu erzeugen. Die Außenstürmer taten sich, wie bereits angesprochen, gegen sehr breite Halbverteidiger in der halbräumigen Grundposition durchaus schwer. Dadurch wurden die Pressingwege kleiner, ein direkteres Anlaufen wurde möglich, wodurch insbesondere die diagonalen Pressingwinkel an Wirkung gewannen. Meist blieb den Halbverteidigern dann nur noch der Pass in die Breite.
Dementsprechend taten sich die Schwarz-Gelben nach einer gewissen Zeit deutlich schwerer gegen die Alte Dame. Tendenziell gelang die Progression jedoch weiterhin über die linke Seite, was vor allem daran lag, dass Svensson gegen McKennie im Abkippen seine Vorteile hatte und so über Ablagen gute Muster entstehen konnten. Nmecha tat sich aufgrund der engen Mannorientierung von Koopmeiners im grundlegenden ballnahen Unterstützen etwas schwerer, konnte sich jedoch indirekt immer wieder lösen. Dies gelang, indem Bensebaini nach einem Abspiel auf Svensson im Halbraum durchrückte (David hatte Probleme beim Verfolgen) und Koopmeiners diesen übernehmen musste, ohne dass Nmecha anderweitig übergeben werden konnte. Openda übernahm zwar im Rückwärtspressing, jedoch übte der Pressingwinkel von hinten kaum Druck auf den Achter aus, sodass vereinzelt taktische Fouls nötig wurden. Auf diese Weise konnte Nmecha teils zentral von Bensebaini oder Svensson angespielt werden, und Dortmund sich aus dem Druck lösen.
Turiner Klatschspiel- und Einrückprobleme
Tendenziell war in der Anfangsphase beim BVB weiterhin eine gewisse Vorhersehbarkeit festzustellen. Dies lag vor allem daran, dass Ryerson beim Ballspiel kaum auf die rechte Seite auslösen konnte, da Cuoto in sehr hoher Grundposition gegen den diagonalen Pressingwinkel von Yildiz isoliert war und Abkippbewegungen – wie bei Svensson auf der anderen Seite – weitgehend fehlten. Dementsprechend musste sich Ryerson permanent Richtung Zentrum orientieren. Als Anton durch Openda mehr unter direkten Druck gesetzt wurde, spielte Ryerson einige Male Pässe in den Druck auf die ballnahen Bewegungen von Nmecha in den Sechserraum, da Koopmeiners beim Verfolgen leichte Probleme hatte. Meist ließ Nmecha den Ball klatschen, und Ryerson orientierte sich anschließend wieder auf die rechte Seite direkt mit dem ersten Kontakt. Dies lag vor allem daran, dass Yildiz infolge des Druckspiels eingerückt war und dadurch intuitiv nicht mehr die Isolation des Diagonalpasswegs für Ryerson bot. Nach dem Klatschpass zurück auf den rechten Halbverteidiger konnte Ryerson nun Cuoto anspielen.
Tendenziell gab es – ähnlich wie auf der linken Aufbauseite – auch hier ein gewisses Tiefenproblem. Wie schon in den ersten Spielen der Saison hat Cuoto Schwierigkeiten beim Aufdrehen gegen direkt, diagonal verfolgende Flügelverteidiger des Gegners. Meist dreht sich der Schienenspieler daher nur Richtung Zentrum halb auf, wo zwar tendenziell Achter Sabitzer und Adeyemi sich hinbewegten, diese aber einerseits eng von Thuram bzw. Kelly verfolgt wurden, sodass horizontal kaum Anspielbarkeit bestand. Durch die Unterstützung von Adeyemi fehlte zudem eine echte Option aus dem Halbraum diagonal in die Tiefe – Cuoto blieb meist nur der Rückpass auf Ryerson. Dieser war in der Regel möglich, da Yildiz Ryerson bei dessen ballnahen Mitrücken mannorientiert nicht verfolgte. Vielmehr konzentrierte sich Yildiz darauf, zusätzlich die horizontalen Passwege Cuotos Richtung Zentrum raumorientiert zuzustellen, was meist auch gelang.
Interessant ist zudem, dass nach rund einer Viertelstunde Koopmeiners und Thuram auf den Achterpositionen die Seiten siuativ tauschten (und nach rund 10 Minuten wieder zurücktauschten). Dies war die Reaktion darauf, dass Sabitzer zunehmend eingerückt im Halbraum (daher nun eine 3-2-Aufbaustruktur) bzw. zentral agierte, wodurch er halblinks Koopmeiners band. Das Kernproblem aus Sicht der Heimelf war jedoch, dass Nmecha halbrechts beim Ballspiel von Ryerson immer wieder vom ballfernen Außenstürmer – also Jonathan David – mannorientiert verfolgt wurde. Nmecha bewegte sich daraufhin aus dem Zentrum immer wieder diagonal in den linken Halbraum, wo er nun zusammen mit Sabitzer agierte. David hatte große Probleme, diese Bewegungen eng zu verfolgen, und versuchte häufig, an Thuram zu übergeben, der dies jedoch meist nicht übernahm. Dadurch konnte Nmecha über eine 2-gegen-1-Überzahl im linken Halbraum immer wieder von Ryerson angespielt werden. So konnte Nmecha immer wieder anspielbar gemacht werden, sich aufdrehen und über Dribblings ins Zentrum Beier oder auch Stürmer Guirassy im ballfernen Halbraum im Zwischenlinienraum finden.
Durch das strukturelle Einrücken von Sabitzer agierte Cuoto in seiner Grundposition nun zunehmend etwas tiefer auf Höhe der zweiten Aufbaulinie. Davon profitierte vor allem Ryerson, der durch die zuvor extrem hohe Grundposition des Spaniers oft in den Druck spielen musste und so Wege rund um den gegnerischen Block drucklösend suchen konnte. Gleichzeitig verstärkte das Einrücken Sabitzers jedoch das Problem der Isolation des Horizontalpasswegs von Cuoto. Zwar bot Adeyemi nun zunehmend den diagonalen Laufweg in die Tiefe hinter Cambiaso an, doch Cuoto zeigte im Aufdrehverhalten weiterhin gewisse Probleme.
Als Koopmeiners und Thuram später wieder zurücktauschten, funktionierten die Verfolgungsbewegungen gegen Nmecha besser, da Koopmeiners diesen enger markierte und David dadurch nicht mehr ballfern mannorientiert einrücken musste. Tendenziell musste der BVB infolgedessen andere Kniffe nutzen, um den Achter freizuspielen. Einer davon war, dass sich Mittelstürmer Guirassy bis in den eigenen Sechserraum zurückfallen ließ, um Koopmeiners bewusst zu binden und Nmecha in seinen Abkippbewegungen Zeit zu verschaffen. Dadurch verlängerte sich Koopmeiners Verfolgungsweg, was stellenweise gut funktionierte – auch weil Juventus diese sehr weiten (leichte wurden durchaus zumindest lose verfolgt) Abkippbewegungen des Stürmers nicht aus der Verteidigungslinie (beispielsweise mit Bremer) verfolgte, sondern sie einseitig ohne direkten Übernehmer schlichtweg losließ.
Allgemein muss man Juventus jedoch ein „Durchpress-Problem“ attestieren. Zwar wurde Sabitzer bei seinen Ausweichbewegungen vor die Pressingwall von Thuram verfolgt, doch dieser suchte kaum den Kontakt, geschweige denn presste er konsequent durch. Dadurch entstand kaum Druck von hinten auf Sabitzer, sodass dieser ohne Probleme Ablagen von Ryerson auf Anton im Dreieck spielen oder den Ball einfach klatschen lassen konnte. Durch das Herausziehen von Thuram wurde zudem der linke Halbraum freigeräumt – ein temporärer struktureller Vorteil, den Dortmund jedoch bislang nicht gut genug nutzte. Gerade Adeyemi fehlte hier noch etwas das Scanning und das positionsübergreifende Verständnis, sich infolge der gegnerischen Bewegungen in diese Räume fallen zu lassen. Stattdessen bewegte er sich – wie gewohnt – abkippend vertikal ins Zentrum – aber war im Rücken von Thuram isoliert
Interessant ist zudem, dass Juventus im Verlauf des Spiels zusätzliche Sicherungsmechanismen einpflegte. So ließ sich Openda zunehmend beim Ballbesitz der Halbverteidiger mannorientiert auf den ballfernen Achter fallen – eine Aufgabe, die ursprünglich der ballferne Außenstürmer übernommen hatte. Dadurch konnten die eigenen Achter raumorientiert ins Zentrum zurückfallen, um mögliche Diagonalbälle in den Zwischenlinienraum zu binden und gleichzeitig die Verteidigungslinie im Verfolgen von Abkippbewegungen in diesem großen Zwischenraum zwischen Achter und Abwehrreihe zu entlasten.
Dieses Vorgehen wirkte durchaus stabilisierend, da Openda – anders als beispielsweise Außenstürmer David – auch ballnahe Bewegungen von Nmecha sehr aufmerksam verfolgte und so etwaige Unterzahlsituationen im Halbraum effektiv isolierte. Das Folgeproblem für die Italiener bestand allerdings darin, dass Openda dadurch regelmäßig aus seiner zentralen Position gezogen wurde und somit auch seine Mannorientierung auf den mittleren Innenverteidiger Anton verlor. Gerade zu Beginn ermöglichte diese Orientierung nach Rückpässen noch einen direkten Zugriff. Nun agierte Juve in solchen Situationen reaktiver und ließ die ersten beiden Pressinglinien zurückfallen, ehe Koopmeiners wieder enger auf Nmecha schob und Openda erneut Anton anlaufen konnte – oder Anton auf die Halbverteidiger ablegte und man in das klassische Auspressen über die Außenstürmer zurückkehrte. Insgesamt sank dadurch zwar die grundsätzliche Pressinghöhe und die Intensität nach Rückpässen, die defensive Stabilität nahm jedoch zu.
Interessanterweise passte sich der BVB wohl auch aufgrund der Aufdrehproblematik von Cuoto in der rechten Breite sowie der zunehmenden Passivität seitens Juve an: Karim Adeyemi übernahm nun phasenweise die Position in der Breite, während Cuoto eingerückt im Halbraum rotierte. Dabei zeigte sich sofort der Effekt – Adeyemi konnte sich mit dem ersten Kontakt aufdrehen und suchte konsequent das 1-gegen-1 gegen Cambiaso. Grundsätzlich liegt die Vermutung nahe, dass diese Rotation genau darauf abzielte, eine klare 1-gegen-1-Komponente in die rechte Breite zu bringen, die Cuoto in dieser Form nicht bieten konnte. Hinzu kommt, dass Cambiaso bekanntlich Probleme im diagonalen Verfolgen hat, wodurch Adeyemi fast automatisch ein gewisser Dynamikvorteil entstand. Tendenziell war dieser Effekt als positiv zu bewerten. Problematisch blieb jedoch die Tiefenbesetzung im Halbraum: Cuoto agierte dort eher statisch in der Höhe, anstatt dynamisch in die Tiefe zu schieben. Dadurch blieb das 1-gegen-1-Duell auf dem Flügel zwar präsent, war aber letztlich etwas isoliert.
Juve findet in die Partie
Nachdem die Gäste aus dem Pott bis dahin leichte Progressionsvorteile verzeichnen konnten, fand Juventus nach rund einer halben Stunde zunehmend besser in die Partie. Die Turiner bauten nun überwiegend aus einem 2-4-4 heraus auf, während Dortmund gegen den Ball wie gewohnt im 5-4-1-Mittelfeldpressing agierte. Grundsätzlich presste der BVB aus der ersten Linie mit Serhou Guirassy die erste Aufbaulinie kaum aktiv. Stattdessen konzentrierte er sich reaktiv beim diagonalen Andribbeln oder nach Abspielen darauf, die Querpassoptionen zwischen beziehungsweise zurück zu den Innenverteidigern zu isolieren. Tendenziell führte dieses Verhalten jedoch dazu, dass Juventus verlässlich immer wieder Progression im Aufbau fand.
Das Kernproblem aus Sicht des BVB war nun zunehmend, dass Juventus Linksverteidiger Cambiaso immer wieder in den Halbraum einrücken ließ. Dadurch musste auch Dortmunds Flügelspieler Adeyemi einrücken, was wiederum den direkten diagonalen Passweg von Innenverteidiger Kelly auf Yildiz in der Breite öffnete. Der technisch starke Yildiz hatte in diesen Situationen regelmäßig Vorteile gegen Cuoto, da dieser seine Breite erst nach dem Anspiel im Herausverteidigen aufnahm, jedoch nicht bereits im Vorfeld. Diesen Zeitvorteil nutzte der türkische Nationalspieler konsequent, indem er sich sofort aufdrehte und das 1-gegen-1 suchte – seine große Stärke. So konnte er mehrfach direkte Dynamik in der Breite erzeugen.
Allerdings tat er sich schwer, gegen Cuotos diagonalen Pressingwinkel Anschlussoptionen zu finden – etwa in die Tiefe auf Openda oder drucklösend in den Zwischenlinienraum. Dadurch blieb er in vielen Szenen etwas isoliert in seinem Duell. Folglich wich er mehrfach auf Außenverteidiger Cambiaso aus, der ihn gut unterstützte, indem er diagonal in die Breite ausschob und von Yildiz drucklösend angespielt wurde. Adeyemi hatte in diesen Situationen Probleme, da er diese Unterstützungsbewegungen nur schwer verfolgte: Oft reagierte er zu ballorientiert-intuitiv und verschob vertikal nach hinten, wodurch er gegen den Linksverteidiger kaum bzw. nur von hinten in den Zweikampf kam.
Tendenziell war Adeyemis vertikales Zurückfallen bei Yildiz’ Dribblings durchaus sinnvoll. Damit wollte er den Zwischenraum zwischen sich und Cuoto schließen und vor allem den inversen Dribblingsweg von der Breite in den Halbraum versperren – eine Bewegung, die Yildiz regelmäßig suchte und die Cuoto vor allem dann Probleme bereitete, wenn er auf seinen schwachen Fuß attackiert wurde. Allerdings kam Adeyemis Rückwärtspressing oft zu spät oder nicht intensiv genug, sodass er diesen Weg kaum wirklich schließen konnte. Gleichzeitig verlor er durch die Auflösung seiner Mannorientierung immer wieder Cambiaso aus den Augen. In manchen Situationen hätte er gemeinsam mit Cuoto den Mehrkampf im Halbraum bilden können. So hätte Yildiz nicht ungestört diagonal eindribbeln und mehrmals zum Abschluss kommen können oder auch ballfernen Stürmer David einsetzen.
Interessant war zudem, dass sich Koopmeiners immer wieder halblinks diagonal neben den rechten Innenverteidiger Bremer fallen ließ, während Kelly in die linke Breite in eine klassische Außenverteidiger-Position auf Höhe der zweiten Aufbaulinie rückte. Dies ermöglichte Juventus immer wieder, über diese Dynamik die Tiefe zu finden. Grundsätzlich besteht bei einem 5-4-1 mit Flügelspielern in halbräumiger Grundposition gegen sehr breite Außenverteidiger das Problem, dass die Gefahr des Überdribbelns extrem hoch ist. Gerade Beier wurde mehrfach von Kalulu auf der rechten Seite überwunden. Dadurch konnte Kalulu immer wieder gute „Spielen & Gehen“-Muster im Doppelpass mit McKennie aufzeichnen. Da Beier Probleme hatte, Kalulu beim Durchschieben zu verfolgen, konnte dieser mehrfach tief in den Halbraum von McKennie eindringen – insbesondere im letzten Drittel. Ein Problem für den Außenverteidiger bestand jedoch weiterhin bei Flanken. Anders verhielt es sich bei Adeyemi: Zwar passte er seine Höhe an Kellys Breitenpositionierung an, um direkten Zugriff zu erlangen, doch sein diagonaler Pressingwinkel aus dem Halbraum heraus auf Kelly isolierte weder den Vertikalpass auf Yildiz noch den Tiefenpass in den Halbraum.
Ballfernes Einrücken schafft indirekte Tiefensicherung?
Mit der Zeit schob Cuoto immer direkter in die Breite auf Yildiz, offenbar als Reaktion auf die zunehmenden 1-gegen-1-Situationen des Linksaußen und die anfänglichen Dynamiknachteile des Flügelverteidigers durch das indirekte Herausschieben. Gleichzeitig rückte Cambiaso etwas höher, da Kelly ausschob. Da Kelly wiederum Flügelspieler Adeyemi band, musste nun Halbverteidiger Ryerson den nominellen Außenverteidiger der Alten Dame mannorientiert „auf Sprung“ markieren. Durch das gleichzeitige Ausschieben Cuotos öffnete sich im Halbraum zwischen Flügel- und mittlerem Innenverteidiger ein großer Zwischenraum, den Openda immer wieder belaufen konnte. Durch den geschaffenen Passwinkel – bedingt durch Kellys Ausschieben und Adeyemis diagonalen Pressingwinkel – konnte der Stürmer so regelmäßig tief angespielt werden.
Aus Sicht von Borussia Dortmund darf hier durchaus die Frage gestellt werden, warum man diese Turiner Ausschiebe-Muster nicht anders lösen konnte. Gerade Achter Sabitzer war durch das Ausbrechen Koopmeiners ohne direkten Gegenspieler, da dieser die Bewegungen nicht verfolgte. Dies ist grundsätzlich sinnvoll, wenn der BVB kaum aktiven Druck auf die erste Pressinglinie ausüben will, sondern eher passorientiert agiert. Gleichzeitig muss jedoch eine direkte wie auch indirekte Tiefensicherung gewährleistet sein, um den Stabilitätsfaktor zu unterstreichen, den der BVB über dieses passoptionenorientierte Pressing erreichen möchte.
Sabitzer hätte beispielsweise mehrmals über einfaches horizontales Ausschieben Cambiaso übernehmen können – der eben durch Adeyemis Übernahme von Kelly losgelassen wurde im Halbraum. So hätte Ryerson raumorientiert im Halbraum verbleiben und Tiefenoptionen über Openda isolieren können und auch das direktere Ausschieben von Cuoto auf Yildiz stabilisiert. Gleichzeitig hätte prinzipiell das Ausschieben von Sabitzer den Diagonalpassweg auf David über Koopmeiners eröffnet – dies hätte dies auch über ein raumorientiertes Einrücken vom ballfernen Nmecha jedoch isoliert werden – allgemein ist das ballferne Loslassen und Einrücken ein extremes Problem vom BVB.
Denn der Achter markierte häufig den ballfernen Achter Thuram zu lange, sodass Thuram den Dortmunder Achter ballfern aus dem Zentrum zog und so indirekt Sabitzer zentral band. Thuram war andererseits durch Guirassys diagonales Mitschieben zum Innenverteidiger ohnehin isoliert. Zusätzlich hätte man ihn bei Bedarf über das Einrücken des ballfernen Flügelspielers Beier mannorientiert isolieren können, demenstprechend ist ein solches ballfernes, enges Markieren des Achters durchaus fragwürdig.
Kurz vor Ende der ersten Halbzeit ließ sich David immer wieder bewusst diagonal in den Raum zwischen Nmecha und Sabitzer fallen, wodurch er sich aus dem Deckungsschatten von Guirassy löste. Da Nmecha kaum Schulterblicke gegen den Ball im Mittelfeldpressing zeigte, David in seinem toten Winkel nicht bemerkte und somit nicht übernehmen konnte, und die Verteidigungslinie des BVB diese Wege in den Achterraum nicht mitverfolgte, konnte der Kanadier mehrfach von Koopmeiners angespielt werden und sich aufdrehen. Dies führte zu gefährlichen Aktionen im letzten Drittel und mündete unter anderem in einer Chance in der 39. Minute.
Dortmunder Kippmuster schafft Juve Tiefe
Nach dem Pausentee einer relativ ausgeglichenen Partie, die am Ende leichte Vorteile für die Heimelf aus Italien aufwies, setzte sich das Spielgeschehen ähnlich fort. Zwar verteidigte Bensebaini nun die Abkippbewegungen von David immer wieder mit, doch ließ er sich in der Anfangsphase mehrfach vertikal im Halbraum fallen. Aufgrund des lockeren „auf-Sprung“-Verfolgens konnte er dennoch mehrmals aktiv ins Ablagenspiel eingreifen, insbesondere auf Außenspieler McKennie. Dieser konnte so immer wieder das Dribbling in die Breite gegen Svensson mit einem gewissen Dynamikvorteil suchen.
Hervorzuheben ist zudem, dass David im „Spielen & Gehen“ sehr dynamisch agierte und dadurch den nicht so 1-gegen-1-starken McKennie entlastete. Mit seiner hohen Antrittsgeschwindigkeit schob er im Halbraum durch und bot McKennie direkt tief eine Anspielstation im Zwischenraum zwischen Flügel- und Halbverteidiger. Da Bensebaini gegen David einen Temponachteil hatte, musste dieser mehrfach von Anton übernommen werden. Dies war unter anderem entscheidend für die Szene vor der Fallrückzieher-Chance von Openda nur eine Minute nach Wiederanpfiff.
Ein Problem wurde zudem zunehmend, dass Dortmund im Pressing nach Rückpässen (Kippmuster im Mittelfeldpressing) – beispielsweise vom Außenverteidiger zurück zu den Innenverteidigern – auf dem ganzen Feld manndeckend temporär herausrücken wollte. Ziel war es, die Pressinghöhe möglichst gering zu halten und etwaige „um den Block herumspielen“-Optionen, die sich durch ein Einrücken ballfern ergeben, zu isolieren. Allerdings schafften es gerade Sabitzer und Nmecha kaum, ihre direkten Gegenspieler Koopmeiners und Thuram bei deren Abkippbewegungen nach Rückpässen eng zu verfolgen. Dadurch konnten sich die Innenverteidiger mehrfach über die Achter aus dem Druck lösen. Nicht selten wurde infolge der Torspieler von den Achtern anvisiert.
Einerseits konnte Juventus so gegen die temporäre Manndeckung eine Überzahl erzeugen, andererseits ließ sich über dieses Muster das Kernproblem im Pressing nach Rückpässen vom BVB bespielen: lange Bälle. Cuoto musste immer wieder aufgrund der tieferen Bewegungen von Cambiaso als Flügelverteidiger auf die erste Aufbaulinie des Gegners herauspressen. Der lange Pressingweg hatte zur Folge, dass Cambiaso mehrfach angespielt wurde, um das 4-gegen-4 herzustellen. Gleichzeitig löste sich Cuoto vom linken Flügel Yildiz, der anschließend vom rechten Halbverteidiger Ryerson übernommen werden musste. Diese Übernahme hatte zur Folge, dass Ryerson auch die tieferen Bewegungen des türkischen Nationalspielers mitverfolgte und dadurch Räume in seinen Rücken sowie für sich selbst und Anton öffnete. Gleichzeitig schob auf der rechten Seite Flügelverteidiger Svensson bei den tieferen Bewegungen von McKennie nach, wodurch sich ebenfalls Räume in seinem Rücken auftaten. Diese Räume konnten vor allem über den Keeper mehrfach sehr gefährlich bespielt werden.
Allgemein zeigte Di Gregorio eine gute Entscheidungsfindung: Öffneten die Dortmunder Achter durch das Verfolgen zentraler Abkipbewegungen den Zwischenlinienraum zwischen Achter und Verteidigungslinie, suchte er dorthin zentral (schwarze Zone) immer wieder den langen Ball. David und Openda zeigten dabei gute entgegengesetzte Bewegungen: Einer suchte das Luftduell, der andere schob diagonal in die Tiefe. Auch bei Herausschieben aus dem Halbraum in die Breite wurden die langen Bälle gezielt in die Läufe der Stürmer gespielt. Das Kernproblem aus Sicht von Juventus: Die diagonalen Läufe der Stürmer waren meist isolierte 1-gegen-1-Situationen, und im Halbraum fehlte oft direkte Unterstützung. Dementsprechend war es schwierig, den Ball bis zum gegnerischen Tor zu bringen. Dortmund konnte durch kollektives Fallenlassen die Dynamik mehrfach unterbrechen.
Dortmund findet über tiefes Aufbauspiel zurück
Wie es in diesem Sport oft passiert: Man analysiert lange eine leichte Stärkephase eines Teams – und dann erzielt das andere Team ein Tor. So auch beim BVB in der 52. Minute. Das Tor entstand vor allem aus dem Muster, dass Cuoto auf voller Höhe im Halbraum rotierte und Adeyemi in die Breite ging. Über das 1-gegen-1 in der Breite leitete er die Verlagerung auf die andere Seite ein. Nach der Sicherung des zweiten Balles gelang der Ball erneut zu ihm, und er schoss aus 20 Metern zur Führung ein. Hervorzuheben ist zudem die Sicherung des zweiten Balles durch den BVB über die Achter. Diese funktioniert systematisch sowohl aus dem 3-2 als auch spielerprofilbedingt über die stark im Umschalten agierenden Sabitzer und Nmecha, die vor allem durch ihr Passspiel und ihre Übersicht im Dribbling (Thema: Scanning im Dribbling) überzeugen.
Insgesamt zeigte sich Dortmund rund um die 50. Spielminute zunehmend aus einem tieferen Aufbau heraus. Dabei wurde die Progression oft über Torspieler Kobel initiiert, wodurch ein Stürmer von Juventus Turin aus dem sehr manndeckenden Angriffspressing gegen den 1-3-2-Aufbau den Bogenlauf auslösen musste. Besonders Openda setzte diesen Bogenlauf technisch teils zu eng an, wenn Anton im fließenden Aufbau auf Kobel passte. Dadurch waren weder der initiale Gegenspieler Anton noch der rechte Halbverteidiger Ryerson in der Breite isoliert. Mehrmals konnte der BVB so die Pressingauslösung unterbrechen – ähnlich wie auch vor dem 1:0. Beim strukturellen Aufbau über Abstoß löste meistens David den Bogenlauf aus. Ein Kernproblem für ihn war, dass er durch die relativ breite Positionierung von Halbverteidiger Bensebaini seinen Bogenlauf sehr weitläufig setzen musste. Der Effekt: Kobel hatte länger Zeit am Ball und nur wenig Gegnerdruck. Zudem bestand die theoretische Möglichkeit, dass Bensebaini von Kobel angespielt werden konnte, was aber vom BVB häufig nicht genutzt wurde.

Dortmund im tiefen Aufbau
Juventus Turin zeigte sich in dieser Phase zudem sehr anfällig für lange Bälle in die Verteidigungslinie. Dies galt einerseits für Abkippbewegungen aus dem Aufbau heraus: Beier kippte – vor allem im fließenden, tiefen Aufbauspiel – mehrfach diagonal in den Halbraum ab, und Halbverteidiger Kalulu tat sich schwer, diese Bewegungen zu verfolgen. So konnte Beier mehrfach im Ablagespiel auf Guirassy ablegen. Andererseits war Juventus auch bei direkten langen Bällen auf Zielspieler Guirassy – etwa bei Abstößen – anfällig. Dies lag zum einen an der guten Besetzung der Zugriffszone für zweite Bälle durch die Achter, zum anderen an den eingerückten Flügelspielern, die durch diagonales Einlaufen die Räume neben Guirassy besetzten. So konnte Dortmund nach Kopfballaktionen von Guirassy immer wieder tiefe Anspielstationen finden.
Ein weiteres Problem aus Sicht von Juventus war die ambivalente ballferne Positionierung von Openda. Nach Rückpässen auf Kobel konnte er seine Vertikalpositionierung noch nicht vollständig ausführen, sodass er die diagonalen Passwege auf Halbverteidiger Ryerson von Kobel aus nicht unterbinden konnte. Dadurch konnte Kobel nach Rückpässen meist Ryerson in der Breite anspielen. Die Folge war, dass Yildiz diagonal aus der 4-4-2-Angriffspressing herauspressen musste. Dabei hatte er einen relativ langen Pressingweg und einen diagonalen Pressingwinkel, wodurch sich Ryerson immer wieder aufdrehen konnte. Das Problem aus Dortmunder Sicht: Meistens fand Ryerson nur Cuoto in der Breite vertikal, der weiterhin Probleme im Aufdrehen hatte. Dementsprechend konnte der Effekt nur bedingt genutzt werden.
Wildes hin und her
Nach guten „Spielen & Gehen“-Muster glich Juventus Turin in der 63. Minute aus. Dabei kehrte ein altbekanntes Problem für Cuoto im eigenen Drittel zurück: Er verringerte den Abstand zum direkten Gegenspieler zu spät, sodass dieser im 1-gegen-1 einen Vorteil hatte. Dies nutzte Yildiz konsequent aus und platzierte den Ball ins Kreuzeck.
Dass der BVB so schnell zurückkam, war einerseits den Achtern zu verdanken, die nach langen Anspielen auf Guirassy sehr gut nachschoben und so für Ablagespiele erreichbar waren. Das Vertikalspiel konnte gut über Cuoto fortgesetzt werden, der im 1-gegen-1 in der Breite seine Qualität im Dribbling und seine Übersicht zeigte. Normalerweise muss er sich im Dortmunder Aufbau aus dem Abkippen heraus aufdrehen, was ihm Schwierigkeiten bereitet, doch diesmal konnte er über Hereingaben Nmecha im Rückraum bedienen.
Vor dem 2:2 sicherte die Borussia erneut den zweiten Ball sehr gut über die Achter, doch Beier tat sich entscheidend schwer im Wandspiel gegen Kalulu und verlor den Ball. Durch das fehlende Zurückrücken von Nmecha nach Ballverlust – wie bereits im Kontext des Mittelfeldpressings besprochen – konnte Koopmeiners Yildiz zwischen den Linien finden und anschließend Vlahovic tief einsetzen. Hier zeigte sich ein generelles Problem des BVB: Die Halbverteidiger orientieren sich bei einer Änderung der Spielrichtung zu stark in die Breite, sodass zentrale Bewegungen kaum übernommen werden können. Anton befand sich zwar im 1-gegen-1 gegen Vlahovic zunächst in einer schlechteren Position, weil er sich erst drehen musste, doch Bensebaini konnte ihn aufgrund seiner Orientierung in den Halbraum nicht übernehmen.
Anschließend bemühten sich beide Teams darum, wieder etwas Spielkontrolle zu gewinnen. Juventus baute nun temporär mehr über einen Dreieraufbau (Kelly–Bremer–Kalulu), insbesondere nach der Einwechslung von João Mario auf der Breite. Grundsätzlich ging es Juventus nun darum, mehr Dynamik in der Breite zu erzeugen und 1-gegen-1-Situationen herzustellen. Hierfür bot sich die Dreierkette an. Zwar agierte der BVB nun temporär aus einem 5-3-2 heraus, doch die Halbverteidiger konnten immer wieder weit in den Halbraum andribbeln, anschließend in die Breite auf die Flügelspieler ablegen und gleichzeitig im Halbraum durchschieben. Dabei wurden gegnerische Spieler gebunden, wodurch immer wieder Raum für inverse Dribblings geöffnet wurde.
Als Dortmund nach gutem Gegenpressing über die aufgerückten Achter beziehungsweise nach einem sehr guten Fernschuss nach Dribbling – Stichwort: „Was wäre mit Cuoto, wenn er immer in den offenen Fuß gespielt bekommt?“ – nach einem Vertikalpass von Sabitzer von Cuoto zum 3:2 traf, stabilisierte sich das Spiel zunächst. Zwar kam Juventus weiterhin verlässlich in die Breite, doch die Nervosität stieg deutlich. Besonders João Mário hatte enorme Probleme, sich aus dem Abkippen in der Breite gegen Svensson zu lösen. Dies lag auch daran, dass der eingewechselte Julian Brandt im Rückwärtspressing eine exzellente Leistung zeigte und etwaige inverse Räume für Dribblings konsequent schloss.
Dortmund hatte jedoch im letzten Drittel Schwierigkeiten, die weit aufschiebenden Halbverteidiger von Juventus zu übernehmen, wodurch die Schwarz-Gelben immer wieder Halbraumflanken verteidigen mussten. Dies führte mehrfach zu brenzligen Situationen. Das Aufrücken des BVB machte die Mannschaft zudem anfällig für lange Bälle nach Ballgewinn auf durchschiebende Flügelspieler – insbesondere Brandt –, wie beispielsweise bei Guirassys Chance vor dem Elfmeter zum 4:2.
Fazit
Am Ende stand es 4:4 – Mensch! Grundsätzlich lässt sich nun eine allgemeine Debatte darüber führen, inwieweit eine gewisse Passivität nach einer Führung zu dieser Spielzeit normal ist – vielleicht darf man sich diese auf diesem Niveau aber auch nicht erlauben. Der BVB stellte schon davor relativ schnell auf ein 5-4-1 zurück, und Juventus fand wieder besser in die Breite, vor allem über die halbräumige Bindung der Flügelspieler. Gerade als Zhegrova in die rechte Breite rückte, João Mário wieder in den Halbraum und Yildiz aktiver wurde, spürte der BVB ähnliche Probleme wie schon gegen Ende der ersten Halbzeit: Juventus kam immer wieder in die Breite und in 1-gegen-1-Duelle.
Zwar konnte Dortmund die Tiefe größtenteils isolieren, doch angesichts nachlassender Kraft sank die Pressinghöhe, wodurch die Gefahr für Fernschüsse stieg. Juventus musste also gar nicht mehr zwangsläufig in die Tiefe gehen – und wollte es vielleicht auch nicht mehr, was sich auch an den Einwechslungen zeigte, gerade Vlahovic agierte auch immer wieder zwischen den Linien und im Wandspiel. Zudem zeigte sich weiterhin die Schwäche bei Halbfeldflanken. Dies hing vor allem damit zusammen, dass die Flügelverteidiger beim tieferen Verteidigen immer wieder eingerückt agierten und relativ spät den Zugriff suchten, stattdessen lieber den Passweg in die Tiefe blockten. Das Problem dabei: Halbfeldflanken blieben möglich, und eine solche führte schließlich nach einem Umschalten zum 4:4.
Am Ende ist es schwer, dieses Spiel zu bewerten. Weder überzeugten die ersten 60 Minuten vollständig, noch wäre ein Sieg mit 4:2 unverdient gewesen. Dementsprechend ist ein Unentschieden vielleicht gar nicht unverdient – dennoch tut es aus schwarz-gelber Sicht extrem weh. Man kann dies vielleicht auch psychologisch erklären (nach 5.000 Wörtern taktischer Darlegung sei mir das erlaubt ;Zwinkersmiley;): Bei einem 4:2 in der 87. Minute ist man näher am Feiern als an der Niederlage, bei einem 3:4 in der 94. Minute hingegen näher am Nervenzusammenbruch als am Sieg. Dieser seltsame Zwischenzustand – Freude über die leicht überraschende Führung, gepaart mit der Verunsicherung durch den sehr späten Anschlusstreffer – ist für eine Mannschaft, die nicht gerade in den letzen Wochen gefestigt wurde, möglicherweise ein entscheidender Faktor für diese sehr späte Enttäuschung.
„Football, bloody hell!“ – Sir Alex
MX machte sich in Regensburg mit seiner Vorliebe für die Verübersachlichung des Spiels einen Namen. Dabei flirtete er mit der RB-Schule, blieb aber heimlich immer ein Romantiker für Guardiolas Fußballkunst.
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