Inter Mailand U19: Teamanalyse – MH
Die U19 Inter Mailands konnte in der Youth League als einziges Team bislang alle Spiele gewinnen und beendete die Tabellenphase der „Jugend Champions League“ somit auf Platz 1. Auch in der Zwischenrunde konnte die Nachwuchsmannschaft Inters gewinnen und trifft nun im Achtelfinale auf die U19 des FC Bayern München. In dieser Teamanalyse werden wir die Strukturen und Abläufe des Spiels von Inter Mailand unter Trainer Andrea Zanchetta in der Youth League genauer untersuchen sowie auf mögliche Lösungsansätze eingehen.
Inter Mailand startet in Ballbesitz zumeist aus einer nominellen 4-3-3 Staffelung. Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem Mittelfeld zu, besetzt durch die beiden Achter Topalovic und Venturini sowie Sechser Mattia Zanchetta. Während Zanchetta sich immer wieder zwischen die Abwehr fallen lässt und somit maßgeblich am Spielaufbau beteiligt ist, dienen die beiden Achter als Verbindungs- und Überzahlspieler im Übergangsspiel. Gemäß der italienischen Wikipedia Seite ist Trainer Andrea Zanchetta der Vater des Spielers Mattia Zanchetta.
Gegen den Ball variiert die Staffelung je nach Gegner und Pressinghöhe. Im Abwehr- und Mittelfeldpressing wird gegnerabhängig aus einem zentrumslastigen 4-3-2-1/ 4-3-3 oder 4-4-2 gepresst. Steht Inter tief, agieren sie aus einem 4-1-4-1 mit Zanchetta als Sechser unmittelbar vor der Abwehr. Als Mittelstürmer spielen entweder Lavelli oder Spinaccè. Beide ähneln sich in ihrer körperlichen und robusten Spielweise jedoch sehr, weshalb in diesem Artikel zur Vereinfachung lediglich der in den letzten Spielen startende Spinaccè erwähnt wird. Auf dem Flügel gesetzt ist der im 1gg1 starke Außenspieler Pieri. Auf dem anderen Flügel rotierte Trainer Zanchetta häufiger, setzte jedoch immer auf dribbelstarke Spieler.
Inter im Spielaufbau gegen hohes Pressing
Um gegen Angriffspressing aufbauen zu können, setzt Inter auf gewisse Muster, die es dem Gegner erschweren, erfolgreich zu pressen. Häufig zu beobachten ist, dass die Innenverteidiger die Breite suchen, während die Außenverteidiger an der Außenlinie hochschieben. Gleichzeitig kommt Sechser Zanchetta und/oder Achter Topalovic weit entgegen, um das gegnerische Mittelfeld aus dem Zentrum zu locken. Je länger die Ballbesitzphase am eigenen Strafraum anhält, desto wahrscheinlicher ist es, dass beide, Sechser und Achter, sich auf die Innenverteidiger Position fallen lassen. Das nun geöffnete Zentrum wird besetzt durch Achter Venturini und den häufig entgegenkommenden Mittelstürmer Spinaccè. Wird über die rechte Seite aufgebaut, so bleibt Topalovic häufig auf der ballfernen Seite, um das Zentrum weiter aufzuziehen. Als zusätzliche Anspielstationen agieren die Flügel, welche in den Halbraum einkippen. Aus dieser Staffelung kann der Gegner durch Steil-Klatsch Varianten im Halbraum überspielt werden.
Ziel des Spielaufbaus ist zumeist ein Pass auf Wandspieler Spinaccè, welcher entweder Achter Venturini als Klatschoption nutzt oder direkt auf die Außenbahn verlagert. Dadurch, dass das Zentrum mit Entgegenkommen Topalovics und Zanchettas aufgezogen wird, baut der Torhüter zumeist über die breiten Innenverteidiger auf, welche häufig direkt den entgegenkommenden Stürmer über den nun freien diagonal, tiefen Passweg anspielen. Besonders hervorzuheben sind die antizipierenden Bewegungen der Klatschoptionen im Ablagespiel. Insbesondere der offensive Achter Venturini schafft es so immer wieder anspielbar für den mit dem Rücken zum gegnerischen Tor postierten Stürmer Spinaccè zu werden.
Lässt sich lediglich Zanchetta zwischen die Innenverteidiger in die entstehende Dreier Kette fallen, so kommen der halblinke Achter Topalovic und der halbrechte Achter Venturini bei Ballbesitz der Innenverteidiger im Halbraum entgegen. Durch ein Steil Klatsch mit einem der Achtern, dem nun aufrückenden Sechser Zanchetta sowie dem entgegenkommenden Mittelstürmer Spinaccè kann das Mittelfeld schnell überbrückt werden und der Ball auf die Außenbahn in der gegnerischen Hälfte verlagert werden.
Um Inters Spielaufbau direkt effektiv pressen zu können, könnte ein hybrides Pressing aus Mann- und Raumorientierung eine Möglichkeit sein. Eine besonders wichtige Rolle könnte dem ballfernen Sechser zukommen. Dieser könnte raumorientiert, passwegschließend agieren, um Tiefenpässe auf Wandspieler Spinaccè zu unterbinden. Außerdem könnte er dafür sorgen, dass das Zentrum nicht aufgezogen werden kann. Zudem wichtig ist, dass ein Innenverteidiger aggressiv herausschiebt, um Unterzahl im Zentrum zu vermeiden. Ballnah könnten für einen möglichst hohen Druck die Mannorientierungen gesucht werden.

Durch das hybride Pressing kann das Zentrum besetzt und der typische Passweg verhindert werden. Nachteilig ist hier die ballferne Unterzahl sowie die Mann gegen Mann Deckung auf letzter Linie.
Inters Spielaufbau gegen Abwehr und Mittelfeldpressing
Auch gegen tiefer attackierende Mannschaften lassen sich bei Inter Mailands U19 bestimmte Muster erkennen. Aus dem gewohnten 4-3-3 Aufbau mit einem Sechser und zwei Achtern wird gegen 2 gegnerische Stürmer aus einem 3er Aufbau aufgebaut. Dazu lässt sich Sechser Zanchetta zwischen die Innenverteidiger fallen, die in die Breite schieben und die Außenverteidiger schieben an der Außenlinie etwas höher. Zanchetta spielt allerdings eine variable Rolle zwischen Zentraler Innenverteidigung und Sechserposition, um situationsbedingt im Mittelfeld anspielbar zu werden.
Durch den 3er Aufbau werden veränderte Verbindungen geschaffen, welche den Gegner vor Probleme stellen sollen. Eine wichtige Rolle kommt dabei den Achtern Topalovic und Venturini zu. Diese lassen sich näher an den Aufbau fallen, um das entstehende Loch zwischen Mittelfeld und erster Aufbaulinie zu füllen. Der Aufbau erfolgt fast ausschließlich über die Halbräume und die Außenbahn. Dazu verschiebt der ballnahe Achter bis in den Halbraum, um diesen zu überladen. Während Venturini auf der halbrechten Position in den vorderen Halbraum einrückt, rückt Topalovic auf der halblinken Position näher an die eigene Aufbauzone heran und lässt sich teilweise bis in die erste Linie fallen. Der ballferne Achter besetzt das Zentrum.
Durch diese Asymmetrie der beiden Achter agieren die Flügelspieler auf der jeweiligen Seite etwas unterschiedlich. Da auf der rechten Seite meist Venturini der offensiven Halbraum besetzt, agiert der rechte Flügelspieler häufiger an der Außenlinie, wodurch auf der rechten Seite doppelte Breite mit dem Außenverteidiger entsteht. Auf der linken Seite unterstützt Topalovic eher in der Aufbauzone, wodurch der linke Flügelspieler sehr häufig in den Halbraum einkippt und somit auch den Weg für den an der Außenlinie nach vorne startenden Außenverteidiger öffnet.
Zusätzlich überlädt Stürmer Spinaccè den Halbraum, indem er ballnah auf die jeweilige Seite schiebt und entgegenkommt. Insbesondere auf der linken Seite kann durch einen diagonal, tiefen Ball ausgehend von dem breit positionierten Innenverteidiger im 3er Aufbau sowohl der Flügelspieler, als auch der Stürmer in einer diagonalen Linie gefunden werden. Diese Escadinha Staffelung ermöglicht vielfache Optionen im Ablagespiel. Ziel ist es nach Bespielen des Halbraums, eine 1gg1 Situation auf dem Flügel herzustellen und die dribbelstarken Flügel oder Außenverteidiger auf der Außenbahn freizuziehen.

Durch die typische Halbraumüberladung kann die Außenbahn für ein 1gg1 des vorstoßenden Außenverteidigers geöffnet werden.
Als Anschlussaktion dient zumeist eine Flanke in den Strafraum. Dieser wird zumeist besetzt durch den kopfballstarken Stürmer sowie den ballfernen Flügelspieler und Achter Topalovic. Im Rückraum können Sechser Zanchetta und Achter Venturini zweite Bälle gewinnen.
Inters manndeckendes Angriffspressing
Eines der wichtigsten Aspekte im Spiel Inter Mailands ist das manndeckende Angriffspressing. Mit Ausnahme des Spiels gegen Manchester City setzte die Mannschaft von Trainer Zanchetta immer auch auf eine Manndeckung und aggressives Angriffspressing. Hieraus können immer wieder gefährliche Umschaltmomente durch frühe provozierte Ballverluste kreiert werden.
Während Stürmer Spinaccè sowie der rechte Flügelspieler für das Pressing in erster Linie zuständig sind, agieren Topalovic und Zanchetta im Zentrum. Insbesondere der zweikampfstarke Zanchetta schiebt aus seiner eigentlich tieferen Sechserposition bis weit vor auf die gegnerischen Mittelfeldspieler, um Ballgewinne im Zentrum zu schaffen. Der offensivstarke Achter Venturini sollte aus einer zentralen 1gg1 Situation in der Defensive rausgehalten werden und übernimmt dafür einen potentiell hochschiebenden Außenverteidiger. Auf der gegenüberliegenden Seite wird der Außenverteidiger durch den jeweiligen Flügelspieler übernommen.
Ausgelöst wird das Pressing fast immer durch Stürmer Spinaccè aus einer halblinken Position. Dieser läuft nun den Torwart an und schließt den Passweg auf den linken Innenverteidiger. Von dort wird der Spielaufbau des Gegners auf die Außenbahn gelenkt, von wo der Zugriff in den Mannorientierungen erfolgt. Insbesondere der ballferne Zentrumsspieler Topalovic verlässt nach Lenken des Spiels auf die gegenüberliegende Außenbahn seine Manndeckung häufig und lässt sich bis vor die Abwehr fallen, um Überzahl herzustellen und dafür zu sorgen, dass die Innenverteidiger aggressiv herausrücken können, ohne Löcher in der letzten Linie in Kauf nehmen zu müssen.
Eine mögliche Lösung gegen dieses manndeckende Pressing könnte in einer Zwickmühle der gegnerischen Innenverteidiger liegen. Diese könnten durch ein weites Entgegenkommen der Stürmer dazu gezwungen werden, die Absicherung in der letzten Linie aufzugeben. Da die Außenverteidiger Inter Mailands in defensiven 1gg1 Situationen weniger dominant sind, könnten in die entstehenden Lücken diagonal tief gehende Flügelstürmer für eine gute Ausgangssituation sorgen. Diese müssten nach Auslösen des Pressings durch tiefe Bälle in 1gg1 Situationen geschickt werden. So werden die Zweikampfstarken Innenverteidiger entweder aus der letzten Linie gezogen oder es entsteht eine Überzahl im Zentrum, die ausgespielt werden kann.
Eine weitere Möglichkeit könnte in einem linken hochschiebenden, inversen Außenverteidiger bestehen. Dieser könnte in den Zwischenkettenraum zwischen Sturm und Mittelfeld abkippen und somit ein zentrales 1gg1 gegen den nicht so defensivstarken Venturini erzeugen.
Gegneranpassbare Mid-Block Strukturen
Je nach Gegner lässt sich Inter situativ etwas weiter wird zurückfallen und verteidigt aus einer 4-3-3 oder 4-4-2 Staffelung im Mid-Block. Das ist abhängig von der gegnerischen Aufbaukette. Grundsätzlich ist das Ziel, Gleichzahl gegen die gegnerische Aufbaukette zu haben, um in die aggressiven Mannorientierungen umspringen zu können und nach vorne zu pressen. Somit wird gegen eine 3er Kette aus einem 4-3-3 gepresst und gegen eine Viererkette aus einem 4-4-2. Dabei wird vor allem auf zentrale Kompaktheit geachtet. Inters Staffelung ist im Mid-Block zunächst sehr zentrumslastig, womit es dem Gegner erschwert wird, über das Zentrum in die Tiefe zu spielen.
Sobald der Ball auf eine Seite verlagert wird, wird ähnlich wie im Angriffspressing der Zugriff und die Mannorientierungen gesucht. Auch hier schiebt Sechser Zanchetta regelmäßig aggressiv weit vor auf die ballnahe Seite, um Druck auf die gegnerischen zentralen Mittelfeldspieler zu erzeugen und Ballgewinne zu kreieren.
Während auch die Außenverteidiger regelmäßig weit vor schieben, dienen die Innenverteidiger als Absicherung. Sobald sich die gegnerischen Stürmer fallenlassen, schieben die Innenverteidiger allerdings nicht mit raus, um keine Lücken in die letzte Kette zu reißen. Stattdessen presst Inter dann mit einem Mann weniger in vorderster Linie, um die gegnerische zentrale Überzahl auszugleichen. Auch in diesen Situationen wird der Gegner auf eine Seite gelenkt, von wo der Zugriff gesucht wird. Dazu muss die vorderste Linie allerdings zunächst den Passweg auf einen Verteidiger abschneiden, wodurch der Gegner mehr Ballbesitz generieren kann und Inter weniger häufig in das manndeckende Pressing übergehen kann.
Inter Mailand im tiefen Block
Insbesondere im tiefen Block schafft es Inter Mailand das Spielfeld so kompakt zu gestalten, dass das Bespielen kaum möglich ist. Aus einer 4-1-4-1 Struktur wird das Spielfeld unmittelbar vor dem eigenen Strafraum eng gemacht. Zanchetta agiert dabei zwischen den Ketten als raumorientierter Sechser vor der Abwehr. Wird der Ball des Gegners auf eine Seite verlagert, so verschiebt auch Zanchetta seitlich und sucht den Zugriff auf einen Gegenspieler.
Dadurch, dass die zentralen Spieler nun weit auf die ballbesitzende Seite des Gegners verschieben, kann häufig defensive Überzahl ballnah hergestellt werden und der Zugriff gesucht werden. Der ballferne Achter sichert das Zentrum, während der ballferne Flügelspieler bei doppelter Breite des Gegners auf der ballfernen Seite bleibt, um mögliche Verlagerungen zu verhindern. Dadurch kann in der letzten Kette weiter auf die ballnahe Seite verschoben werden und der ballnahe Innenverteidiger aggressiv rausrücken, da er abgesichert werden kann.
Fazit
Inter Mailands U19 schafft es durch eine sehr gut organisierte und vielseitige Defensive den Gegner vor Probleme zu stellen. Dabei kann Inter auf unterschiedlichste Pressinghöhen zurückgreifen. Insbesondere aus dem sehr schwer zu bespielenden manndeckenden Angriffspressing kann Inter immer wieder gefährliche Umschaltmomente direkt vor dem gegnerischen Tor erzeugen.
Aber auch in Ballbesitz schafft es Inter durch einen sehr direkten Ansatz im Spiel in die Tiefe sehr häufig vor das gegnerische Tor zu kommen. Schlüssel dafür ist ein sehr gut aufeinander abgestimmtes Mittelfeld sowie ein Stürmer, der als Wandspieler Bälle mit dem Rücken zum gegnerischen Tor festmachen kann. Die allermeisten Kombinationen Inters haben das Ziel, auf der Außenbahn eine 1gg1 Situation zu schaffen. Sowohl die vorstoßenden Außenverteidiger, als auch die Flügelspieler sind hier sehr schwer zu verteidigen.
Autor: MH ist Fußball-Aficionado von Herzen. Seine Wohnung gleicht einer Fußball-Bibliothek in deren Regalen Bücher über die großen Taktiker von Rinus Michels bis Pep Guardiola stehen. Das Buch von Spielverlagerung.de fehlt hier natürlich nicht. Für MH ist Fußball nicht nur ein Spiel. Es ist ein Lebensgefühl. Auf X ist er unter Mh_sv5 zu finden.
Keine Kommentare vorhanden Alle anzeigen