Türchen 12: Brightons Spiel in die Tiefe

Brighton spielt der Statistik nach in der Premier League am schnellsten in die Tiefe und ist nach Manchester City die pressingresistenteste Mannschaft im Spielaufbau. Wie schafft es Brighton, so viel Tiefe zu kreieren, ohne in gefährlichen Zonen den Ball zu verlieren? Dieser Artikel wird sich mit der taktischen Herangehensweise im Spiel in die Tiefe von Brighton unter Fabian Hürzeler beschäftigen.

Zumeist aus einer nominellen 4-4-2 Ausgangsformation verändert Brighton die eigene Staffelung. Das 4-4-2 hat dabei den Vorteil, durch kurze und simple Laufwege gegner- und situationsorientiert in verschiedene Staffelungen wechseln zu können. So reicht die Vielfalt der in dieser Saison von Brighton genutzten Staffelungen von einem 4-2-4 im Aufbauspiel gegen Angriffspressing, über 4-1-2-3 bei besonderem Fokus auf Besetzung der tiefen Halbräume bis hin zu einer 4-2-2-2 Staffelung mit sich fallenlassenden Stürmern.

Gegen tiefer agierende Gegner im Mittelfeldpressing verändert Brighton seine Staffelungen beispielsweise zu einem 3-3-4 bei Abkippen des Sechsers oder auch 2-3-2-3 bei einrückenden Außenverteidigern, usw… Schnell wird klar, dass die taktische Herangehensweise Hürzelers nicht mehr an bestimmte Staffelungen gebunden ist, sondern an die Besetzung von bestimmten Räumen und den Verhaltensweisen der Spieler in diesen Zonen.

Zur vereinfachten Darstellung sind nicht alle eingesetzten Spieler abgebildet…

Überladungen in Ballbesitz

Diese Flexibilität bringt den Vorteil mit sich, auf gegnerisches Pressing reagieren zu können. Je nach benötigter Zone, lassen sich bestimmte Räume überladen, um den Gegner vor Schwierigkeiten zu stellen. Ein klassisches Beispiel unter Hürzeler ist das Überladen der eigenen Aufbaulinie mit einem sich in die Mitte fallenlassendem 6er bei zwei anlaufenden Stürmern, das Überladen des Zentrums mit einrückenden Außenverteidigern und einem sich fallenlassendem Stürmer sowie das Überladen der gegnerischen Abwehrkette mit einem hochschiebenden Achter bei hoher letzter Gegnerkette.

In dieser fiktiven Szene überlädt Ayari die letzte Linie und stellt seinen Gegenspieler in ein Dilemma: Unterzahl auf der letzten Linie oder mehr Raum im Zentrum. Die Außenverteidiger überladen das Zentrum. Das Dilemma für deren Gegenspieler: Im Zentrum Unterzahl oder das Passfenster auf den Flügel öffnen.

Durch die Überladungen muss der Gegner sein Pressing an das Spiel Brightons anpassen. Das sorgt bereits für Vorteile Brightons im Spielaufbau und eine gewisse Pressingresistenz. Zusätzlich lassen sich mit Überladungen in den vorderen Zonen deutlich einfacher Schnittstellen finden aufgrund der Überzahl in den überladenen Räumen. Diese attackiert Brighton entsprechend häufig in Form von kettenüberspielenden Pässen und findet häufig die Tiefe.

Jene kettenüberspielenden Pässe müssen allerdings trotz Überladungen vorbereitet werden. Besonders sinnvoll können hierzu gegenläufige Bewegungen genutzt werden, um gegnerische Schnittstellen zu öffnen. Dementsprechend werden wir im Laufe des Artikels auf typische Abläufe der von Brighton häufig genutzten gegenläufigen Bewegungen zur Schaffung von Tiefe in Ballbesitz eingehen.

Brightons Stürmer gegen hohes Pressing

Im tiefen Aufbau bei hohem gegnerischem Pressing agiert Brighton grundsätzlich aus einem flexiblen 4-2-4 Aufbau. Die 4 Angreifer Brightons binden somit die letzte gegnerische Linie und sorgen dafür, dass ein großer Raum im Mittelfeld entsteht. Die Flügelspieler stehen so möglichst breit und tief, um den Gegner auseinanderzuziehen und Schnittstellen zu öffnen. Die Angreifer sind nun äußerst flexibel im Öffnen und belaufen von entstehenden Räumen.

Die erwähnte Flexibilität wird im Folgenden deutlich. Häufig zu beobachten ist, dass die beiden Stürmer Brightons sich gegenläufig bewegen. Dem robusten Welbeck kommt dabei die Rolle als Wandspieler sehr entgegen. Häufig kann er einen tiefen Ball im 1gg1 mit Gegner im Rücken sichern, um Ablagen zu geben nach Überspielen einer oder mehrerer Ketten.

Alternative Bewegungen gibt es beispielsweise bei Manndeckung des Gegners auf der letzten Linie. Hier kommen häufig beide Stürmer entgegen, um Räume im Rücken der Innenverteidiger zu öffnen, welche von den Außenbahnspielern belaufen werden können. Hierbei entsteht die bereits genannte 4-2-2-2 Staffelung mit breiten Flügeln und tiefen Stürmern.

Die 4-2-2-2 Staffelung zieht die Innenverteidiger in ein Dilemma.

Eine weitere häufig genutzte Variante, ist das Überladen einer Seite bei Ballbesitz eines breiteren Innenverteidigers aus einem 3er Aufbau, indem beide Stürmer auf die ballnahe Seite verschieben. Der entgegenkommende Spieler besetzt den Halbraum tief, während der höhere Stürmer oftmals etwas zentraler steht. Auch hier muss der Gegner im Pressing reagieren und sich anpassen. Das provoziert Zuordnungsprobleme.

Die seitliche Überladung provoziert Zuordnungsprobleme und sorgt für kürzere Passabstände sowie schnelleres kombinieren.

Besonders wichtig im System Hürzelers ist ein spielerisch starker Torhüter. Mit Verbruggen ist dieser absolut vorhanden. Bei gegnerischem Angriffspressing stellt Verbruggen die +1 Überzahl her und muss sich dementsprechend viel am eigenen Aufbauspiel beteiligen. Ohne diesen wäre die besonders ausgeprägte Pressingresistenz kaum möglich.

Brightons Spiel in die Tiefe gegen Mittelfeldpressing

Gegen gegnerisches Mittelfeldpressing setzt Hürzeler auf einen flexiblen Aufbau gepaart mit der bereits beschriebenen Überladung der letzten Linie bzw. des Zentrums. Die Flexibilität zeigt sich in den unterschiedlichen Aufbaustaffelungen. Gegen Arsenal setzte Hürzeler beispielsweise auf inverse Außenverteidiger und erzeugte so eine gegenpressingstarke 2-3-2-3 Staffelung mit breiten Flügelspielern. Insbesondere diese Staffelung mit inversen Außenverteidigern wird immer wieder nur phasenweise erzeugt, um die Gegenspieler der Außenverteidiger nicht dauerhaft ins Zentrum zu ziehen. Das ließe sich zu vorhersehbar auf dem frei werdenden Flügel verteidigen. Gegen das zentrumsstarke Manchester City bevorzugte Hürzeler hingegen einen etwas weniger risikofreudigen Aufbau aus einem 4-1 mit flachen Außenverteidigern und zog so diverse Schnittstellen auf.

Gemeinsamkeiten in den unterschiedlichen Spielen Brightons lassen sich in dem Verhalten der Sechser und der Flügel finden. Die Flügel sorgen für die nötige Breite und positionieren sich möglichst tief und breit. In der eigenen Aufbaulinie schiebt ein Sechser etwas höher auf die 8, während sich der andere Sechser bei der ersten Aufbaulinie mit einschaltet.

Zudem häufig zu beobachten ist, dass bei Andribbeln eines Innenverteidigers auf Außen, sich der Sechser zentral fallen lässt, um als Anker zu agieren. Der hochschiebende 8er startet wiederum sehr häufig in die Tiefe und erzeugt Probleme in der ohnehin stark gebundenen Abwehrkette. Aus diesen Positionierungen wird die gegnerische Deckung mithilfe von gegenläufigen Bewegungen aufgerissen.

Gegenläufige Bewegungen

Um kompakte oder auch mannorientierte Gegner auseinanderziehen zu können und Schnittstellen zu öffnen, sind gegenläufige Bewegungen erforderlich. Besonders effektiv sind gegenläufige Bewegungen im Raum einer überladenen Zone, da die gegnerischen Verteidiger (in Unterzahl) vor Dilemmata gestellt werden. Ein Grund für die Effektivität des Spiels in die Tiefe von Brighton ist somit, dass sie besonders häufig solche Bewegungen nutzen. Ein klassisches Spielprinzip besagt: Je näher in Richtung des Balles, desto höher die Dynamik der umgebenden Spieler. Das sorgt in Ballnähe für Anspielstationen und lässt sich in Form der gegenläufigen Bewegungen Brightons besonders gut beobachten.

Ein paar der typischsten Abläufe gegenläufiger Bewegungen im Spiel Brightons zur Herstellung von Tiefe sind im Folgenden grafisch dargestellt und kurz erklärt:

  1. Szene:

Aus der 4-1-2-3 (auch 2-3-2-3) Staffelung kommt Stürmer Welbeck entgegen, während 8er Ayari im Halbraum tief geht. Welbeck zieht normalerweise den gegnerischen Innenverteidiger wenige Schritte heraus. Dieser entstehenden Raum kann von Ayari ausgenutzt werden, da der Innenverteidiger wechselseitig Beschleunigen muss (Antritt vor, dann zurück). Es entsteht ein Vorteil im Laufduell bei einem tiefen Ball oder Welbeck wird als Klatschoption anspielbar.

2. Szene:

Insbesondere bei Andribbeln des Innenverteidigers auf Außen aus der 3er Kette mit einem sich fallenlassenden Sechser geht der Außenverteidiger an der Außenlinie tief, während der Flügel sich in den Halbraum fallen lässt. Auch hier wird der Verteidiger vor das gleiche Dilemma gestellt. Es ist zwar keine außergewöhnliche gegenläufige Bewegung, jedoch in Abwechslung mit der nächsten beschriebenen Bewegung sehr schwer für den gegnerischen Flügelspieler zu verteidigen.

3. Szene:

Während der bzw. die Zentrumsspieler sich fallen lassen, geht der ballnahe Außenverteidiger invers in den tiefen Halbraum. Durch das Entgegenkommen der Zentrumsspieler wird die gegnerische Mittelfeldkette herausgezogen und es entsteht ein sehr großer Zwischenkettenraum zwischen Abwehrlinie und Mittelfeld. In diesen kippt der ballnahe Außenverteidiger ein und kann somit für das Überspielen des gesamten Pressings sorgen. Besonders schwer ist es für den gegnerischen Flügelspieler auf die abwechselnden Richtungen der Läufe des Außenverteidigers zu reagieren. Das verschafft dem Außenverteidiger stets einen Zeitvorteil.

4. Szene:

Diese Variante ist besonders effektiv bei Überladen einer Seite. Der ballferne Außenverteidiger geht tief im Halbraum, während der ballferne Stürmer entgegenkommt. Aufgrund der wenigen Spieler auf der unterladenen Seite kann der folgende Seitenwechsel in die Tiefe die gesamte Mannschaft ausspielen. Zudem hat der Innenverteidiger, welcher herausgezogen wird, aufgrund seines Blickwinkels zum Ball zur überladenen Seite weniger Aufmerksamkeit für den für ihn im toten Winkel startenden Außenverteidiger. Diese Variante kommt allerdings am wenigsten häufig vor, da das Timing in den sehr langen Laufwegen perfekt passen muss.

Brightons Ablagespiel

Nach Überspielen einer Ebene durch einen kettenüberwindenden Pass sollten sofort weitere Anspielstationen geschaffen werden, um sich (in Überzahl) auf die nächste Ebene bewegen zu können. Hierzu nötig sind Bewegungen zur Vorbereitung von Klatschoptionen. Auch diese sind bei Brighton besonders ausgeprägt.

In Brightons Staffelung lässt sich erkennen, dass die tiefen Anspielstationen grundsätzlich in unterschiedlichen Höhen positioniert sind. Auch geringe Abstände in der Höhenpositionierung sorgen bereits für den gewünschten Effekt. So werden sofort nach Tiefenanspiel auf einen entgegenkommenden Spieler diagonale Anspielstationen als Klatschoptionen geschaffen. Besonders die Spieler in Ballnähe erzeugen eine hohe Dynamik um den Ball, indem sie sich im Zwischenkettenraum in die nächsten Schnittstellen bewegen und direkt anspielbar werden.

Zudem lässt sich beobachten, dass die Spieler aus der vorherigen überspielten gegnerischen Ebene in die nächste Ebene durchstarten. Das führt dazu, Überzahl mit auf die nächste Kette nehmen zu können und wiederum weitere Anspielstationen für den ansonsten isolierten tief angespielten Mitspieler zu schaffen. Insbesondere die in den Halbräumen agierenden 8er aus der 4-1-2-3 bzw. 2-3-2-3 Staffelung fallen häufig mit solchen Bewegungen auf.

Ein sehr gutes Beispiel für die hervorragende Umsetzung des Ablagespiels in Brightons Angriffsspiel ist das 2:1 gegen Manchester City. Der tiefe Ball auf den entgegenkommenden Welbeck überspielt die ersten beiden Pressinglinien. Bereits vor dem Pass lässt sich erkennen, wie sich Joao Pedro diagonal links neben seinem Gegenspieler auf der später überspielten Mittelfeldlinie positioniert, um im Folgenden mit Dynamik in den Zwischenkettenraum zu starten und sofort als Klatschoption anspielbar zu werden. Gleichzeitig lässt sich erkennen, wie sich O’Riley vor seinen Gegenspieler schiebt, um eine tiefe Anspielstation zu erzeugen. Durch das Spiel in den Druck und die Bewegungen bereits vor dem Tiefenpass wird eine hohe Dynamik geschaffen, die das gegnerische Mittelfeld nicht mitgehen kann. Es entsteht eine 5gg4 Situation.

Welbeck lässt den Ball wie erwartet auf Joao Pedro klatschen, welcher auf den tief gestarteten O’Riley spielt. Dieser erzielt schlussendlich den 2:1 Siegtreffer.

Fazit

In Brightons Spiel werden Räume immer wieder von verschiedenen Spielern besetzt. Im Gegensatz zum klassischen Relationismus basiert das Ballbesitzspiel allerdings nicht auf intuitiven Bewegungen der ballnahen, überladenden Spieler sondern auf geplanten und einstudierten Abläufen. Der Gegner wird durch unterschiedlichste Überladungen und gegenläufige Bewegungen vor besonders große Herausforderungen im Pressing gestellt. So kann Brighton immer wieder die Tiefe finden und schnell in Richtung des gegnerischen Tores kombinieren. Im Unterschied zu vielen anderen Teams, die für ihr Spiel in die Tiefe bekannt sind, kreiert Brighton nicht aus Umschaltmomenten Tiefe, sondern aus eigenen, „geordneten“ Ballbesitzphasen.

Hürzeler besonders hoch anzurechnen, ist die Flexibilität, Abläufe im Ballbesitz auf die individuellen Stärken der einzelnen Spieler anzupassen, welche somit deutlich besser performen können. Das passt natürlich ganz hervorragend zu dem Verein Brighton, der mit seinem innovativen und datenbasierten Scouting-Modell nicht nur Spieler, sondern auch Trainer statistisch bewertet. Hürzeler persönlich stach in diesem Scouting Modell übrigens besonders hervor, da er mit einem eigentlich individuell schwach besetzten St. Pauli überdurchschnittlich gut über einen längeren Zeitraum performte.

Autor: MH ist Fußball-Aficionado von Herzen. Seine Wohnung gleicht einer Fußball-Bibliothek in deren Regalen Bücher über die großen Taktiker von Rinus Michels bis Pep Guardiola stehen. Das Buch von Spielverlagerung.de fehlt hier natürlich nicht. Für MH ist Fußball nicht nur ein Spiel. Es ist ein Lebensgefühl. Auf X ist er unter Mh_sv5 zu finden.

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