Kompakt Analyse: Das Dortmunder Ballbesitzspiel gegen Heidenheim – ND

4:2

Im ersten Spiel des 3. Spieltags empfing der BVB den Tabellenführer aus Heidenheim, der in dieser Saison noch ohne Gegentor in der Bundesliga blieb. Nach einem chancenarmen 0:0 gegen Werder Bremen zeigten die Dortmunder eindrucksvoll ihre offensiven Ideen unter Neu-Trainer Nuri Sahin.

Groß oder doch Kroos?

Obwohl Toni Kroos seine Karriere beendet hat, hätte man meinen können, dass er seit Neuestem für den BVB auf dem Platz steht. Nicht nur sind die Nachnamen von Pascal Groß und Toni Kroos zum Verwechseln ähnlich, sondern auch ihre Spielweise. Immer wieder lässt sich Groß aus seiner Mittelfeldposition nach hinten fallen, um die linke Halbspur in der ersten Aufbaulinie zu besetzen und von dort aus das Spiel zu kontrollieren. Durch dieses Verhalten baute Dortmund das Spiel im zweiten Drittel immer wieder im 3-1 auf:

Diese Aufbaustruktur erklärt auch die Startelfnominierung von Nmecha, der aufgrund seiner technischen Fähigkeiten, besser für diese Rolle als alleiniger Sechser geeignet ist als seine Konkurrenten rund um Emre Can. Pascal Groß verblieb jedoch nicht dauerhaft in dieser Rolle, sondern orientierte sich wiederholt nach vorne, neben Nmecha oder vereinzelt auch ins letzte Drittel. Agierte er jedoch in der ersten Aufbaulinie, suchte er immer wieder flache, diagonale Pässe ins Zentrum. Der Empfänger dieser Bälle war zumeist Serhou Guirassy, der häufig entgegenkam, um die Bälle festzumachen oder um als Wandspieler für Ablagen zu fungieren.

In dieser Szene mach Guirassy den Ball fest und spielt auf Malen, wodurch eine sehr aussichtsreiche Angriffssituation für den BVB entsteht:

Aus dieser vielversprechenden 6gg6 Situation mit einem Dynamikvorteil, aufgrund der Bewegungsrichtung und Körperstellung der BVB-Spieler entsteht letztendlich jedoch keine große Chance.

Steil-Klatsch, Steil-Klatsch, Steil-Klatsch

In der eben gezeigten Szene konnte man bereits diese Strategie erkennen. Ähnlich wie Stuttgart und Bayer Leverkusen machte Dortmund enorm Gebrauch vom Steil-Klatsch-Muster, sowohl im ersten, zweiten als auch im letzten Drittel. Die angespielten Zielspieler waren dabei zumeist Nmecha/Groß im tiefen Aufbau sowie Brandt/Guirassy im zweiten und letzten Drittel, sie kamen immer wieder dem Ballführnenden entgegen und boten sich an.

In dieser Szene baut Dortmund, das Spiel von hinten erneut auf: Kobel schaltet sich im Aufbauspiel ein um eine Überzahl herzustellen, Nmecha kommt entgegen und legt direkt mit dem ersten Kontakt auf Süle ab, der im freien Raum aufdrehen kann. Die Ablagen waren fast immer gut vorbereitet: Der Spieler, der den Ball abtropfen lässt, kommt entgegen, um so dynamisch in die Aktion zu gehen. Dies, sowie die Tatsache, dass die Bälle meist genau in den passenden Fuß gespielt wurden, sorgte dafür, dass solche Szenen nur selten in Ballverlusten endeten. Einzig Guirassy spielte wiederholt Ablagen in einen Raum, der gar nicht besetzt war. Diese Fehler lassen sich jedoch durch die kurze Trainingszeit von Guirassy mit der Mannschaft erklären und sollten daher in nächster Zeit kaum noch ein Problem darstellen.

Die Dortmunder Lösungen gegen die Manndeckung

Die Sprüche „Wenn er aufs Klo geht, dann verfolgst du ihn“ oder „Er muss deinen Atem spüren“ hat wohl jeder Fußballer, egal ob Bundesliga oder Kreisliga, schon mal gehört. Wie so oft zeigt sich auch an der Manndeckung, dass Taktiken im Fußball zyklisch sind. Nachdem zu Beginn dieses Jahrtausends die meisten Mannschaften auf Raumdeckung setzten, gewinnt nun die Mannorientierung wieder an Bedeutung. Heidenheim setzte in der ersten Halbzeit dieser Partie nahezu auf eine Nummerndeckung.

Nahezu jeder Verteidiger hatte einen festen Gegenspieler, den er dauerhaft verfolgte und deckte. Dieser Ansatz macht gegen Dortmund Sinn, da sie häufig die letzte Linie mit fünf oder sogar sechs Spielern überladen. Um hier Unaufmerksamkeiten der eigenen Spieler zu vermeiden, setzte Frank Schmidt auf diese extreme Mannorientierung in der Verteidigung – eine oft unangenehme Art, gegen die der BVB spielen muss.

Eines der simpelsten Mittel gegen Manndeckungen sind extreme Positionswechsel, um Zuordnungsprobleme bei der verteidigenden Mannschaft oder qualitative Mismatches zu erzeugen. Dortmund nutzte dies in persona von Karim Adeyemi und Ramy Bensebaini.

Adeyemi bewegte sich in die Position des linken Verteidigers, während Bensebaini als Flügelspieler agierte und somit von Traore gedeckt wurde. Durch diesen Wechsel entstand ein Mismatch, da Adeyemi Beck theoretisch im 1-gegen-1 leicht besiegen konnte, da Beck im Vergleich zu Traore im Verteidigungsverhalten als auch in Bereich Dynamik unterlegen ist. Dadurch war es für Adeyemi einfacher, diese 1-gegen-1-Duelle zu gewinnen. Allerdings wurde zu selten von dieser Schwachstelle Gebrauch gemacht wodurch die Heidenheimer mit Seitenwechseln reagierten konnten, sie wechselten mit Sirlord Conteh mit Sirlord Conteh einen Spieler, der ähnliche athletische Fähigkeiten wie Adeyemi mitbringt umso besser gewappnet für etwaige Positionsrochaden zu sein.

Die Dortmunder Abstoßstrategie

Seit der de Zerbi Übernahme bei Brighton sehen viele Abstöße gleich aus:

Häufig wird dabei auf eine 3-4 Aufbaustrukur gesetzt, dabei wird das Pressing gelockt und sobald dieses auslöst wird versucht, den durch das Pressing freiwerdenen Spieler zu finden, oftmals geschieht dies durch das Spiel über den dritten. Auch dieses Prinzip wird von Dortmund genutzt jedoch starten sie aus einer gänzlich anderen Struktur.

Die beiden Außenverteidiger schieben extrem hoch, und nur die Innenverteidiger und der Sechser nehmen aktiv an der Abstoß-Eröffnung teil. Diese Herangehensweise bringt mehrere Vorteile mit sich: Sollte sich ein freier Mann anbieten und angespielt werden, so ergeben sich für ihn riesige Freiräume, in die er dynamisch eindribbeln kann. Zudem kann die Dreierreihe, bestehend aus Bensebaini, Brandt und Ryerson, dynamisch entgegenkommen und so als Abnehmer für Steil-Klatsch-Kombinationen fungieren. Diese Aufbauvariante birgt jedoch auch mehr Risiken als die typische 3-4 Struktur, da dort mehr Anspielmöglichkeiten vorhanden sind und somit schwerer zu pressen sind, trotzdem verfügt Dortmund mit Groß, Anton, Süle und in diesem Spiel auch Nmecha über Spieler, die sich trotz der Schwierigkeit durchkombinieren können.

Dortmunder Abseitsfreistöße

Auch in diesem Spiel machte sich die Einstellung eines Standarttrainers, sowohl Ecke als aucb Freistöße strahlten mehr Gefahr aus, als in der letzten Saison. Hierbei zeigten sie auch einige spannende Varianten:

Diese Variante zeigte der BVB gleich zwei Mal, Malen orientiert sich am ersten Pfosten, steht aber einige Meter im Abseits, der Ball wird in Richtung des zweiten Pfostens geschlagen

Im Anschluss wird versucht, den Ball auf Malen zu köpfen, der fast komplett freisteht, da sich die Verteidiger überwiegend auf den Ball konzentrieren. Heidenheim konnte jedoch beide Situationen, in denen diese Variante verwendet wurde, aufgrund ihrer Boxverteidigung mit sieben Feldspielern klären. Trotzdem zeigt diese Szene die guten Ansätze in den Standardausführungen des BVB und macht Hoffnung, dass sie in dieser Saison noch einige Standardtore erzielen werden.

Fazit

Dortmund zeigte gute bis sehr gute Ansätze im eignen Ballbesitzspiel, sowohl die Struktur als auch die Abläufe und Ideen waren klar erkenntlich. Insbesondere Guirassy zeigte, wie wichtig er für den BVB noch werden kann, vorallem für die Steil-Klatsch Kombinationen gibt es kaum bessere Ableger als ihn. Neben diesem Aspekt zeigte er auch seine spielintelligenz, in dem er den Ball wiederholte male den Ball für den besser postierten Mitspieler durchließ. Auch Pascal Groß beweiste eindrucksvoll, wie gut er ist, seinen es Standart oder flache diagonale Pässe über 30-40 Meter. Insgesamt schürt der BVB Vorfreude auf die aktuelle Saison und auf einen spannenden Kampf um die Top 4 in dieser Saison

tobit 16. September 2024 um 11:14

Bisschen offtopic, aber ist hier ja auch in den Grafiken wieder öfter zu sehen: Warum wird 3er-Aufbau mittlerweile grundsätzlich so eng gespielt? Geht da nicht durch die kurzen Pressingwege der Überzahlvorteil verloren? Und müsste man den Zwischenlinienraum nicht mindestens genauso gut mit einem diagonaleren Anspiel aus breiter aufgefächerter Position erreichen können? Oder mit Bezug zum Spiel gefragt: hätte man durch breiteres Auffächern der 3 nicht die zurückfallenden Bewegungen von Adeyemi (um dann den Gegenspieler direkt ins 1vs1 zu nehmen) überflüssig machen können, weil direkt ein Ernstlinienspieler (Groß bzw Anton) die Mannorientierungen überdribbeln kann?

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WVQ 18. September 2024 um 00:56

Um auf die Grundsatzfrage mal indirekt mit Leverkusen zu antworten: Der enge Aufbau öffnet die Flügel mehr, um den Gegner nach Locken ins Zentrum dort zu überspielen. (Dilemma für den Gegner: Läßt er sich nicht in eine relativ enge Pressingformation locken, kann man eben direkt im Zentrum die Überzahl ausspielen.) Zudem sind die zu spielenden Pässe tendenziell einfacher, da kürzer und aufgrund der vergleichsweise zahlreichen Optionen teils auch mit weniger Druck. Und man ist im Falle eines Ballverlusts (insb. auch in der nächsthöheren Linie) viel besser fürs Gegenpressing gestaffelt. Die kurzen Pressingwege für den Gegner sind halt trügerisch, weil man ihn – wenn man es schnell und präzise spielt – trotzdem sehr viel mit sehr wenig Ertrag laufen läßt.

Bei den Paßwinkeln/-wegen hängt natürlich viel von der jeweiligen eigenen Formation und vor allem der gegnerischen ab und davon, wie man die Anspiele verwerten will. Glaube nicht, daß das eine oder andere per se besser ist. Wenn man allerdings (wie Dortmund gegen Heidenheim) eh nicht konstant 3-1, sondern oft auch 2-2 spielt, kriegt man die breitere Staffelung eh nur selten hin (und wenn, dann auch langsamer). Für die Qualität der Ablagen wäre es wahrscheinlich aber in vielen Situationen tatsächlich vorteilhaft gewesen, nicht (nur) nahezu vertikal nach vorne zu feuern.

Die Variante mit (so weit) zurückfallendem Adeyemi habe ich jetzt nicht sonderlich häufig in Erinnerung, glaube das war im Artikel mehr ein Beispiel für eine systeminhärente Möglichkeit, die de facto aber wenig genutzt wurde. – Überdribbeln wäre denkbar, aber bei so starken Mannorientierungen wie auf dem entsprechenden Bild eh schon riskant und in breiterer = offenerer Stellung noch riskanter.

Generell würde ich sagen, daß der enge Aufbau gut zum extremen Zentrums(durchbruchs)fokus paßte. Diese extreme Fokussierung an sich fand ich wie gesagt auch nur bedingt einleuchtend, da nach Gegneranpassung arg variantenlos.

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tobit 18. September 2024 um 13:52

Also ich sehe ehrlich gesagt eher den Fehler bei Heidenheim, dass sie unnötig viele Spieler hoch und ohne Dynamik im „Pressing“ comitten. Die enge Raute kannst du mit 1-2 dynamischen Spielern unter genauso viel Druck bringen und dann ist vorne niemand mehr frei (es würde ja schon reichen, den unfitten Guirassy ordentlich zu decken, aber nichtmal das bekamen sie ja offenbar auf die Reihe). Es kommt also unweigerlich zum langen Schlag vom Torwart, den Heidenheim gegen Dortmund zu 99% erobert (erobern muss). Mit den übermäßig aufgerückten AV wird das dann zur absoluten Kontereinladung, weil Bensebaini und Ryerson einfach nicht schnell genug sind um da nochmal eingreifen zu können.

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WVQ 15. September 2024 um 12:40

Schöne Kurzanalyse, danke!

Den vielleicht entscheidendsten Aspekt sah ich insbesondere in der Anfangsphase darin, daß Heidenheim sich zwar von den in die letzte Kette hochschiebenden Dortmunder AV hat mitziehen lassen (ergo regelmäßig Sechserkette), die zurückfallenden Bewegungen der Dortmunder (Halbraum-)Stürmer aber oft eben nicht sofort mitgegangen ist. Dadurch hatte Dortmund im Aufbau erst mal immer eine komfortable Überzahl (teils 4 gegen 2, wenn bspw. Guirassy zurückfiel und damit die Heidenheimer Doppelsechs gebunden war, und dahinter teilweise sogar auch Überzahl, wenn Guirassy UND einer der Halbraumstürmer entgegenkamen), weswegen das aggressive „immer wieder steil durch die Mitte“ recht gut und unbedrängt funktionierte. Damit war Heidenheim für die ersten 20 Minuten oder so weitgehend aus dem Spiel. Je aggressiver man dann aber die Dortmunder Bewegungen (mannorientiert, aber teils auch wieder mehr im Raum) mitverfolgte, desto harmloser wurde der Dortmunder Aufbau. Bisserl ein One-Trick-Pony, aber natürlich okay, wenn man damit früh erfolgreich ist und der Gegner entsprechend früh gezwungen ist, zwecks Eigeninitiative mehr Räume preiszugeben, die man mit +/- demselben Angriffsmuster wieder bespielen kann.

Jedenfalls trotz der Einfachheit des Ansatzes und des weitgehenden Verlassens auf individuelle Klasse im letzten Drittel eine erfreuliche Verbesserung gegenüber der Vorsaison, unter Vorbehalt eines Gegners, der sich letztlich doch ziemlich billig überrumpeln ließ. Die Positionsbesetzungen fand ich hier auch okay – Malen im offensiven Halbraum macht Sinn, Brandt in der Verbindungsrolle sowieso, und ja, Gott sei Dank, daß Can die Nmecha-Rolle nicht spielte. Bei den AV sieht’s halt personell leider ziemlich müde aus, aber sie haben zumindest ihren offensiven Zweck als Bindemittel für die Heidenheimer Außen erfüllt. Warum Sahin Sabitzer allerdings ernsthaft als passenden Malen-Ersatz sieht, ist mir auch komplett schleierhaft, und Beier in der Guirassy-Rolle hat dann auch kaum noch Stiche getan.

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