Gladbach dreht (sich) in der Schlussphase zum Sieg auf – MX

0:2

Mit einer taktisch sauberen Leistung im Spiel gegen den Ball, die den Bochumern die Durchschlagskraft in der Offensive nahm, und einem am Ende effizienten Plan in der Offensive gelang es Borussia Mönchengladbach, souverän tief im Westen zu bestehen. Der VfL Bochum sucht, wie in den letzten Spielen auch, noch nach einer Struktur und Identität im Angriffsspiel, die ihnen im Kampf um den Klassenerhalt weiterhilft.

Die Grundformationen von #BOCBMG

Im Vorfeld der Partie gab es in Bochum ein großes Thema: Wird Neuzugang De Wit direkt nach dem Absitzen seiner Sperre in die Startaufstellung gebracht? Diese Frage beantwortete Peter Zeidler auf dem Spielberichtsbogen mit Ja. Ansonsten zeichnete sich ein gewohntes Bild ab: Die Bochumer setzten auf eine 4-1-2-1-2-Raute, wobei es mit dem Hineinrücken von Loosli in die Startaufstellung nur eine Veränderung gab, nämlich De Wit für Daschner. Vor De Wit agierte der Doppelsturm aus Broschinski und Hofmann, die beide relativ eng, auch zu De Wit, spielten. Neben De Wit spielten Bero und Losilla. Dahinter stand, wie gewohnt, der tiefe Sechser Sissoko, der sich oft zwischen Medic und Masovic in die Innenverteidigung fallen ließ. Die Viererkette wurde durch Passlack und Wittek auf den Außenpositionen ergänzt.

Auch Gerardo Seoane tauschte, wie sein Gegenüber Zeidler, nur auf einer Position: Der aus Kiel gekommene Sander durfte sein Startelfdebüt in der Bundesliga feiern und erhielt den Vorzug vor Rocco Reitz. Sander spielte in der Doppelsechs neben Julian Weigl, der jedoch grundsätzlich zu einer eher zentralen Position neigte, während Sander häufiger in den Halbraum auswich. Vor dem Duo durfte Stöger direkt auswärts bei seinem Ex-Club ran. Der Freigeist war, wie gewohnt, fast überall auf dem Platz zu finden und schwirrte regelrecht hinter Kleindienst. Neben Kleindienst schob sich Plea häufig dazu, während Honorat auf der anderen Seite im Verlauf des Spiels eher die Breite suchte. In der Abwehr waren wie gewohnt die weit aufrückenden Netz und Scally zu sehen, während dazwischen Elvedi und Itakura agierten.

Gladbachs Ansatz: 2-4-Aufbau für diagonales Eröffnen

Die personelle Veränderung durch Sander ermöglichte es Borussia Mönchengladbach, einen weiteren spielstarken Spieler direkt im Sechserraum zu platzieren. Der 2-4-Aufbau ermöglicht es grundsätzlich, im Zentrum auf kleinem Raum eine Über- oder Gleichzahl herzustellen. Damit diese bestmöglich ausgespielt werden kann, benötigt man Spieler mit technisch sauberem und schnellem Aufdrehverhalten sowie einem guten Passspiel über mittlere Distanzen. Beim Auswärtsspiel in Bochum zeigte sich bei Borussia ein ähnliches Bestreben: Weigl suchte häufig, wie in dieser Szene, den Raum zwischen der Doppelspitze Bochums, damit diese möglichst eng agieren musste. Diese enge Staffelung wurde auch durch De Wit begünstigt, der gerade in den ersten 45 Minuten noch mit seiner Doppelrolle fremdelte. Der offensive Mittelfeldspieler sollte einerseits den diagonalen Eröffnungsweg von Sander direkt in die letzte Linie schließen – dort stand Borussia nämlich teilweise mit vier Spielern –, gleichzeitig sollte er aber auch Weigl situativ decken. Dieses „situativ“ definierte De Wit dahingehend, dass er erst aus seiner Raumorientierung ausbrach, wenn Weigl den Ball erhielt und andribbelte. Da Weigl jedoch meist eine schnelle Spieleröffnung nach einer einfachen Drehung ohne Druck ausführen konnte, kam der Holländer meist zu spät in den Zweikampf – Weigl konnte so infolge immer wieder auf einen der Außenverteidiger oder in den Raum zwischen den Linien zu einem bspw. abkippenden Stöger auslösen.

Die Mannschaft von Peter Zeidler erkannte, dass diese Problematik nicht direkt zu lösen war, weshalb der Doppelsturm intuitiv gegen den Ball enger agierte, um Weigl möglichst wenig Raum zur Verfügung zu stellen. Das Problem in der ersten Halbzeit war jedoch, dass sie zwar grundsätzlich den Raum verengten, aber das Suchen des Zweikampfes mit einem Gegenspieler von der Seite her schwierig ist. In der Zeit, in der sie den Raum weiter schließen, kann der Gegner weiter andribbeln, sodass der Verteidiger den Gegner von hinten attackieren muss. Weigl, der wie beschrieben schnell eröffnete, wurde daher kaum gestört, was sich in einer Passquote von 90 % widerspiegelte. 

Das Problem der zu großen Abstände war für Bochum ein einziger Teufelskreis: Je enger die erste Angriffslinie spielen musste, desto enger wurden auch die restlichen Linien. Durch diese enge Anordnung im 4-2-2-2 bei den Bochumern vergrößerten sich die Abstände zu den direkten Gegenspielern enorm. Der klassische Lösungsansatz von Gladbach bestand darin, von den Innenverteidigern direkt zu den Außenverteidigern oder noch mehr von den Sechsern zu den Außenverteidigern zu spielen.

2-4-Aufbau gegen das Bochumer 4-2-2-2

Wurde Sander, wie in der obigen Szene, angespielt, neigte Bero dazu, leicht auf den Sechser herauszurücken. Durch dieses diagonale Verschieben musste er den Abstand zur breiteren Position vergrößern. Dieser Effekt führte dazu, dass der Abstand zu den ohnehin extrem breit agierenden Gladbacher Außenverteidigern noch deutlich größer wurde, was mehrere Tempowechsel und Raumgewinne ermöglichte. Gleichzeitig neigte auch Wittek, der Außenverteidiger, aufgrund des Verlusts seines Gegenspielers durch Bero zu einem Herausverteidigen, obwohl der Abstand enorm war. Gladbach antizipierte dies sehr gut und suchte über Scally den Raum, den der Außenverteidiger hinterließ, und in den ein Offensivspieler diagonal einlief.

Die breite Anordnung bezog sich jedoch nicht nur auf den ballnahen Raum, sondern auch der ballferne Außenverteidiger agierte extrem breit. Dieser Kniff sollte die gegnerischen Linien auseinanderziehen und die Zwischenräume für beispielsweise Nachrücker aus der Tiefe öffnen. Der ballferne Außenverteidiger, wie in dieser Szene Netz, lief meist bis leicht über die Mittelfeldlinie und bei Bedarf auch höher. Gladbach dachte hier weiter: Wie in der Grafik zu erkennen ist, ist der Abstand des rechten Bochumer Außenverteidigers zum Innenverteidiger etwas größer und der Außenverteidiger kippt leicht diagonal aus. Bei einem Angriff in die Box würde Netz weiter diagonal einschieben, der vergrößerte Raum zwischen den Verteidigern wäre dann genau der, der auf den langen Pfosten führt und somit einen Zielraum darstellt.

Bochums Umstellung: Direkte Mannorientierungen

Angesichts dieser Themen war relativ schnell klar, dass Peter Zeidler zur zweiten Halbzeit umstellen musste. Dabei kam Boadu für Losilla, der fortan auf der linken Außenspur unterwegs war, und Balde ersetzte positionsgetreu Broschinski neben Hofmann im Sturm. Taktisch gesehen änderten sich ebenfalls einige Einzelheiten: Anstatt des eher eng angeordneten und raumorientierten 4-1-3-2-Pressings, das in der ersten Hälfte verwendet wurde, sah man ab der zweiten Hälfte ein klassisches mannorientiertes Pressing. Das bedeutet, dass man mit einem Mann weniger angriff, dafür aber in der Abwehrlinie einen Mann mehr hatte, während der Rest direkte Zuordnungen erhielt.

Der größte Effekt dieser Umstellung war wahrscheinlich, dass der ballferne Außenverteidiger nicht mehr so strikt freigelassen wurde. Stattdessen zog man das Pressing auf eine Seite und deckte zunehmend den ballfernen Bereich ab. Dadurch wurden die Zwischenräume in der Struktur der Bochumer größer und die Wege in die Räume zwischen den Linien zugänglicher, was es Gladbach erleichterte, den Ball zu zirkulieren. Besonders kleinräumige Kombinationen und das „Spielen und Gehen“ – wenn sich Stöger beispielsweise in den defensiven Halbraum fallen ließ, um Kombinationen mit den Außenverteidigern zu spielen – wurden so einfacher.

Bochums Umstellung nach der Halbzeit

Im Einzelnen waren die Bochumer Spieler zunehmend damit beschäftigt, ihre Mannorientierungen zu balancieren und neu zu justieren. Anders als sonst bei diesem System nahmen sie die Zuordnungen nicht nur temporär auf und lösten sie auch nicht schnellstmöglich wieder, sobald es die Situation hergab, sondern hielten lange an ihren Gegenspielern fest. Dies ermöglichte es Gladbach, Räume und Passwege durch einfache Laufwege zu öffnen und die Bochumer weit herauszuziehen.

Man merkte insbesondere beim eingewechselten Balde, dass er mit dieser Pressingweise noch nicht ganz vertraut war. Wie in der obigen Szene zu erkennen ist, markierte er eng den zweiten Innenverteidiger, während Hofmann den anderen in den Deckungsschatten nahm und gleichzeitig Omlin anlief. Dadurch ergab sich jedoch eine 2-gegen-3-Unterzahl am linken Flügel, da man mit einer +1-Überzahl in der Abwehrlinie agierte. So hatte Netz immer sehr viel Raum vor und neben sich und konnte von Omlin direkt angespielt werden. Balde versuchte zwar situativ, Netz in den Deckungsschatten zu stellen, aber Omlin fand den Außenverteidiger einfach mit höheren Pässen. Infolgedessen musste Passlack einen extrem weiten Weg auf sich nehmen, um den Zweikampf mit Netz zu suchen, wodurch sich entgegen der ursprünglichen Planung eine 3-gegen-3-Gleichzahl in der Abwehrlinie entwickelte.

Diese Situation wusste Gladbach zu nutzen: Immer wieder ließen sich Spieler aus diesem Trio fallen oder wichen auf den Flügel aus, zogen so die Verteidiger aus der Dreierkette weit heraus und öffneten Räume im Rücken. Diese freien Räume wurden dann gezielt für lange Bälle auf nachrückende Mittelfeldspieler wie Stöger genutzt.

Genau aus solch einer Szene fiel dann das 1:0: Passlack suchte aufgrund eines hohen Anspiels von Omlin auf Netz die Mannorientierung zu Netz, der ja den linken Innneverteidiger markierte, und rückte aus der Viererkette heraus. Infolgedessen konnte Gladbach den Ball zirkulieren lassen, da Bochum es nicht schaffte, auf Rotationen und Verschiebungen schnell genug mit Übergaben zu antworten. Dann kam der Pass in den Zwischenlinienraum, und Gladbach nutzte eine 4-gegen-4-Gleichzahl gegen die Bochumer Abwehr.

Gladbachs Flügelüberladung

Gladbachs Ansatz: 4v4-Flügelüberladung

Der allgemeine Plan von Borussia Mönchengladbach bestand darin, durch eine Überladung des Flügels Torchancen aus der Struktur heraus zu kreieren. Diese Überladung lässt sich in verschiedene Phasen unterteilen: Aus dem ursprünglichen 2-4-Aufbau möchte man durch das Dreieck, das sich aus Innenverteidiger, Außenverteidiger und einem Mittelfeldspieler wie Weigl oder Sander bildet, Progression erzielen. Häufig wird dann über die Außenverteidiger das Spiel eröffnet und der Weg nach vorne – meist durch Dribblings der Außenverteidiger – gesucht.

Anschließend tritt die zweite Phase in Kraft, in der sich das Team horizontal in drei Teile auf verschiedene Bereiche verteilt. Zum einen versucht man, mit dem ballfernen Sechser (Sander) und dem ballfernen Außenverteidiger (Scally) zwei Spieler plus den ballfernen Innenverteidiger in der Breite gegen die enge Anordnung von Bochum zu positionieren. Diese Spieler sollen, insbesondere nach Seitenverlagerungen, aus dieser breiten Anordnung heraus das Tempo erhöhen.

Gladbach sucht nach der Überladung die ballferne Seite

Hierbei ist es enorm wichtig, dass man gegen eine raumorientierte Grundhaltung des Gegners, wie sie Bochum zeigte, die Verlagerung in einem höheren Tempo vollzieht, als der Gegner mit seinen Ketten verschieben kann. Themen wie eine offene Körperhaltung bei der Ballannahme waren hierbei gerade bei den Innenverteidigern enorm förderlich und ermöglichten solche Verlagerungen.

Auch das Tempo war entscheidend: Wie in der Szene zu sehen, muss der ballferne Sechser möglichst schnell und sauber aufdrehen, damit er noch vor dem Herausverteidigen des Gegners den Blick zum gegnerischen Tor hat und die nächste Aktion planen kann. Dabei gab es gegen Bochum teilweise Probleme: Oft konnte der VfL erfolgreich herausverteidigen, sodass Gladbach erneut den Weg über die Innenverteidiger suchen musste. Grundsätzlich ist die Basis jedoch gut, da man beide Außenspieler aus den Reihen der Bochumer herauszieht. Dadurch entsteht enorm viel Raum für die Zentrumsspieler, die den zweiten Teil der horizontalen Einteilung darstellen – in diesem Fall Plea, Honorat und Kleindienst – die aus ihrer stets zentralen Position (eigentlich immer zwei im Zentrum platziert) diagonal in Richtung des kurzen Pfostens einlaufen. Gleichzeitig suchte auch der Außenverteidiger sofort den tiefen Lauf.

Die zweite Phase befasst sich also eher mit dem Fall, dass die Überladung nicht gelingt, als mit dem erfolgreichen Gelingen. In der dritten Phase hingegen findet die eigentliche Überladung statt. Hierbei bewegen sich die vier Spieler am Flügel aufeinander zu, rotieren und nutzen auch das Prinzip des „Spielens und Gehens“. Dieses Prinzip (auch bekannt als „Pass and Move“ oder „Give and Go“) ist ein Konzept, das auf dynamischen Positionswechseln und der sofortigen Bewegung nach einem Pass basiert. Es beinhaltet, dass ein Spieler nach dem Abspiel des Balls nicht statisch bleibt, sondern sich aktiv in eine neue Position bewegt, um erneut anspielbar zu sein oder Räume für Mitspieler zu öffnen. Dabei kann man im Spiel von Borussia Mönchengladbach insbesondere bei Stöger eine Tendenz zu kleinräumigen Kombinationen mit seinen Mitspielern erkennen. Er versucht, zunächst kurz und präzise im Zusammenspiel mit einem „Pärchen“ zu agieren, um dann durch eine direkte Anschlussbewegung die defensive Struktur auf dem Flügel des Gegners zu durchbrechen und dadurch weitere Räume zu öffnen.

Das Ziel ist es, die direkten Zuordnungen des Gegners in dieser Gleichzahlsituation zu manipulieren. Anschließend versucht man entweder, direkt zu einem diagonal abkippenden Wandspieler wie Kleindienst in die letzte Linie zu gelangen, oder den Außenverteidiger aus dem Druck heraus in die Tiefe zu schicken, während die Zentrumsspieler erneut die Box besetzen. Dabei werden die durch die Bewegungen und Pässe geöffneten Räume genutzt, um effektive Angriffe zu starten und die gegnerische Verteidigung zu destabilisieren.

Die vierte und nicht zu unterschätzende Phase ist das Gegenpressing aus der Überladung heraus. Hierbei handelt es sich um eine taktische Maßnahme, die darauf abzielt, den Ball nach einem Verlust möglichst schnell zurückzuerobern, um den Gegner in seiner defensiven Umschaltphase zu überrumpeln und gleichzeitig den eigenen Ballbesitz zu maximieren. Durch das Schaffen zahlreicher ballferner Optionen entsteht, wie bereits beschrieben, eine gewisse Dreiteilung des Teams in einer horizontalen Denkweise. Das bedeutet, dass die Spieler in bestimmten Bereichen positioniert sind, aber nicht unbedingt in engem räumlichem Bezug zueinander stehen. Für ein effektives Gegenpressing ist jedoch eine kompakte Grundformation von enormer Bedeutung. Diese ermöglicht es, nach einem Ballverlust mit möglichst vielen Spielern sofort Druck auf den Ballführer und die potenziellen Passwege auszuüben.

Verbindung zur Überladung des Flügels: Bei Borussia Mönchengladbachs Gruppentaktik, den Ball über den Flügel zu überladen, sind mehrere Spieler in einer engen Zone positioniert. Diese Konzentration von Spielern auf engem Raum ist für das Gegenpressing von Vorteil, weil unmittelbar nach einem Ballverlust mehrere Akteure in Ballnähe sind und direkt Druck ausüben können. Sollte die Borussia den Ball im Zuge der Flügelüberladung verlieren, hat sie aufgrund der nah beieinander stehenden Spieler eine hohe Wahrscheinlichkeit, den Ball schnell zurückzuerobern. Ein erfolgreiches Gegenpressing setzt jedoch voraus, dass alle Spieler in der Lage sind, sofort zu reagieren, die direkten Passwege zuzustellen und den Ballführenden gemeinsam zu isolieren.

Risiken und Herausforderungen: Sollte es dem Gegner allerdings gelingen, sich direkt aus dieser ersten Gegenpressingphase zu lösen, ergeben sich für ihn oft große Räume, insbesondere im Zentrum. Diese Räume entstehen dadurch, dass die Sechser – in diesem Fall Weigl und Sander – entweder eingerückt sind, um die Überladung zu unterstützen, oder sich ballfern positioniert haben, um bei einer Spielverlagerung sofort anspielbar zu sein. Wenn der Gegner in der Lage ist, das Gegenpressing zu überspielen, stehen ihm oft freie Räume im Zentrum zur Verfügung. Hier müsste dann entweder eine schnelle Reaktion der ballfernen Spieler erfolgen, die durch ein schnelles Einrücken die Räume schließen und den potenziellen Konter unterbinden, oder die Innenverteidiger müssten aggressiv herausrücken, um den Ballführenden zu attackieren und die Gefahr zu entschärfen.

Dieses Szenario zeigt aber auch die Abhängigkeit zwischen den verschiedenen Phasen der Spielstrategie. Die erfolgreiche Überladung und das darauffolgende Gegenpressing hängen eng zusammen. Während die Überladung dazu dient, Druck aufzubauen und Räume in der gegnerischen Defensive zu öffnen, sorgt das Gegenpressing dafür, dass ein eventueller Ballverlust sofort kompensiert werden kann. Gegen Mannschaften wie den VfL Bochum, die weniger gefährlich im Umschaltspiel sind, kann diese Strategie funktionieren, auch wenn nicht immer die optimale Kompaktheit im Gegenpressing gewährleistet ist. Gegen stärkere Gegner jedoch könnte eine mangelnde Abstimmung zwischen den Phasen zu Problemen führen. Besonders dann, wenn das Gegenpressing nicht aggressiv genug durchgeführt wird oder die Mannschaft nach einem Ballverlust zu offen steht, könnte dies den Gegnern Raum für gefährliche Konter ermöglichen.

Borussia gegen den Ball: Doppelabsicherung – überall

Gladbachs Pressing gegen Bochums 2-3-Aufbau

Borussia Mönchengladbach trat im Spiel gegen den VfL Bochum mit einem aggressiven Angriffspressing auf. Die Mannschaft zielte darauf ab, den 2-3-Aufbau des Gegners im 4-2-2-2-System früh zu stören. Dabei nahm Gladbach bewusst eine numerische Unterzahl von -1 im ersten Pressingblock gegen die Innenverteidiger und die Anordnung von Sissoko in Kauf. Dieses Vorgehen resultierte aus dem ballseitig hybriden Pressingansatz von Gladbach: Kleindienst und Plea positionierten sich in einem engen 2-gegen-1 gegen Sissoko, um ihn von einer direkten Spieleröffnung von Drewes auf den tiefen Sechser zu isolieren. Dribbelte einer der Innenverteidiger an, brach der ballnahe Stürmer (hier Plea) aus dieser engen Situation aus und ging diagonal ins Pressing. Diese Diagonalität des Laufweges war entscheidend, um das 2-gegen-1 gegen Sissoko indirekt aufrechtzuerhalten. Der ballferne Stürmer (hier Kleindienst) konnte bei einer Verlagerung von Innenverteidiger zu Innenverteidiger durch die Doppelabsicherung ebenfalls schneller ausbrechen.

Ähnlich verhielt es sich im Zentrum. Die beiden Sechser agierten mannorientiert gegen die Zentrumsspieler der Bochumer und folgten diesen oft weite Wege, um ein Anspiel und Progressionsmöglichkeiten zu verhindern. Der Flügelspieler (hier Honorat) lief diagonal ins Zentrum, um zusätzliche Deckungsschatten zu erzeugen. Die Flügelstürmer antizipierten gezielt den Pass des Gegners zu den Außenverteidigern und setzten diese energisch auf den Flügeln unter Druck. Dadurch konnte der Außenverteidiger meist nicht vertikal eröffnen, da systematisch die Breite und das Einlaufen der Bochumer fehlten und der Flügelstürmer das Passmuster früh erkannte und bereits bei der Annahme des Balles in den Zweikampf ging. Dies führte dazu, dass die Außenverteidiger oft wieder zu den Innenverteidigern spielen mussten, wobei der durchgeschobene Stürmer erneut den Zweikampf suchte. Dies brachte den Innenverteidiger in erhebliche Probleme beim Aufdrehen und der Klärung aus dem eigenen Drittel heraus.

Für zusätzliche Intensität sorgte das situative Aufrücken des ballnahen Außenverteidigers (hier Scally), der früh das Passmuster von Innenverteidiger zu Außenverteidiger antizipierte und etwas nach vorne schob. Dies ermöglichte eine weitere diagonale Doppelabsicherung gegen den Stürmer und verschaffte dem Innenverteidiger in seiner horizontalen Positionierung mehr Freiheiten. Dieses leichte Aufrücken erzeugte einen gewissen Bogen im Pressing und verdeutlichte systematisch den Versuch, das Aufbauspiel der Bochumer über die Außenverteidiger abzuschneiden. Der ballferne Außenverteidiger rückte teils etwas ein, um wie gegen Straßburg eine +1-Absicherung in der Abwehrlinie zu gewährleisten. Das Gleichgewicht zwischen der Positionierung des Außenspielers und der Stabilität der Abwehrlinie war jedoch ein Drahtseilakt, der teils besser, teils schlechter umgesetzt wurde. Bochum zeigte seine Stärken besonders dann, wenn Wittek breit aus der Tiefe auf den Außenverteidiger andribbeln konnte, da dieser eingerückt war. Insgesamt wurde dieses Thema jedoch gut gelöst.

Fazit

Borussia Mönchengladbachs Sieg über den VfL Bochum offenbarte eindrücklich die taktischen Stärken und Schwächen beider Teams, besonders die Defizite des VfL Bochum in ihrer Herangehensweise und Flexibilität. Die Gladbacher Defensive zeigte sich gut organisiert wie vorbereitet, und der sorgfältig strukturierte Spielaufbau, insbesondere durch den 2-4-Aufbau, verschaffte ihnen Überzahl im Zentrum und ermöglichte gezielte Flügelüberladungen. Dies führte zu zielgerichteten Angriffen und einer präzisen Ballzirkulation sowohl in ballnahen als auch in ballfernen Räumen, die die Bochumer Abwehr wiederholt unter Druck setzte.

Bochum hingegen offenbarte in der ersten Halbzeit deutliche Schwächen in der Raumaufteilung und bei der Abwehr der Gladbacher Offensivbemühungen. Die anfänglich enge Staffelung im 4-2-2-2-System führte zu großen Abständen zwischen den Mannschaftsteilen, was Gladbach wiederholt ermöglichte, Druck in Schlüsselbereichen wie den tiefen Flügelräumen auszuüben und die Bochumer Defensive auseinanderzuziehen. Die Umstellung zur Halbzeit auf ein mannorientiertes Pressing brachte situativ mehr Stabilität, konnte jedoch nicht verhindern, dass Gladbach weiterhin Chancen kreierte, indem sie die durch Bochums Anpassung entstandenen Räume nutzten.

Der Sieg der Borussia resultierte aus einer klaren Spielidee und der effektiven Umsetzung taktischer Konzepte durch Spieler wie Freigeist Stöger und Strukturgeber Weigl sowie Sander. Bochum hingegen sucht weiterhin nach der richtigen Balance und Struktur im Abstiegskampf. Am Ende steht ein enorm wichtiger Sieg für Borussia Mönchengladbach im wohl besten Spiel unter Trainer Seoane, während für Zeidler und Bochum weitere Fragen offenbleiben.

Dieser Artikel entstand in Kooperation mit BorussiaXPlained

Über den Autor: MX hat eine Vorliebe für besonders auf Ballbesitz ausgerichtete Mannschaften, steht mittlerweile aber auch auf Relationismus. Neben Der-Jahn-Blog schreibt er auch für miasanrot. Vorher war er im Analysebereich des NLZ von Jahn Regensburg tätig.

tobit 3. September 2024 um 16:31

Ich hab da mal ne Frage: Ist das Spielprofil des zweiten Sechsers bei Gladbach jetzt immer so ausgelegt, oder war das eine explizite Anpassung an Bochum? Weil, wenn ja hielte ich Reitz für eine grundsätzliche Fehlbesetzung in der Position. Denn er will ja eigentlich viel mehr in die Offensivzonen durchstoßen als das die Sechser hier tun (können) und hat finde ich bisher auch generell große Schwächen in der Positionierung, Körperstellung und Passauswahl im Aufbauspiel. Wäre es da nicht interessant, Stöger als zweiten Sechser und Reitz als Zehner zu bringen, oder seht ihr Sander individuell stärker als einen der beiden (und damit dauerhaft in der ersten Elf)?

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MX 6. September 2024 um 18:06

Hey, danke für deinen Kommentar. Es ist tatsächlich sehr verschieden in der Saison und sehr flexibel, ein paar Beispiele: Teils spielte man mit einer 3-1-Raute aus dem Aufbau heraus, wo der Sechser logischerweise eher zentral orientiert war und weniger mit auf die Seite verschob. Teils auch 3-Raute-3-Aufbau mit Weigl als zentralen IV und Sander als „verankerter“ Sechser. Die Muster sind halt dann auch immer anders, bei zwei Sechsern kann man sich dieses horizontale Verschieben deutlich mehr und extremer erlauben, da forciert man eben mehr so das flache Auslösen über den AV auf die Flügel. Mit einem Sechser und gerade dem Dreieraufbau neigen beide AVs zu einer höheren Positonierung und beide Flügelspieler rücken etwas mehr ein, da wirkt es für mich so, als würde man eher eine Auslöung über wenigere Stationen via mehr Vertikalität und auch hohen Bällen forcieren. Glaube deine direkte Frage kann man erst zu einem späteren Zeitpunkt abwarten, aber die Tendenz scheint mir so, dass man bewusst zwei verschiedene Spielertypen haben möchte, wo Reitz eher diese zentrumsfokussierte Ankerrolle übernimmt und Sander diesen horizontal verschiebenden Teil.

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tobit 6. September 2024 um 21:33

Danke für die detaillierte Antwort. Hat Reitz diese Ankerrolle denn bisher gut gespielt? Gegen Leverkusen fand ich ihn auf der Doppelsechs katastrophal bzw völlig überfordert. Aber ein Derby gegen den deutschen Meister ist ja kein Spiel wie jedes andere (nur das einzige, das ich diese Saison gesehen habe).

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AG 3. September 2024 um 14:32

Ähm, Gladbach liegt westlich von Bochum. Oder worauf bezieht sich der erste Absatz?

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tobit 3. September 2024 um 16:12

Auf Herberts Liebeserklärung.

Herbert Grönemeyers Lied „Bochum“ aus dem Jahr 1982 beginnt mit dieser Zeile.

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