U19 EM Finale: Titel-Doppelpack für Spanien – MH
Im U19 EM-Finale gewinnt Spanien den nächsten Titel auch ohne die ganz große Dominanz.
Im Endspiel trafen die Juniorenauswahlen von Spanien und Frankreich bereits zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit aufeinander. Während Frankreich im Turnierverlauf eine fast makellose Bilanz aufweisen konnte und durch einen Last-Minute Treffer gegen Spanien in der Gruppenphase das Unentschieden und somit den Gruppensieg sichern konnte, sicherte sich Spanien mit einem knappen 2:0 Erfolg im Finale den zweiten EM-Titel in diesem Sommer. Deutschland konnte sich im Übrigen nicht für das kleine Turnier mit acht Teilnehmern qualifizieren.
Die Franzosen traten zunächst dominant auf durch mehr Ballbesitzphasen, einem kompakten mannorientierten Mittelfeldpressingblock mit phasenweisen Übergängen ins Angriffspressing und der ständigen Verhinderung von gegnerischen Umschaltgelegenheiten. Im nominellen 4-2-3-1 agierten sie gegen die spanische Mannschaft, die wiederum aus ihrem gewohnten 4-3-3 heraus spielte. Eine Ähnlichkeit zu den jeweiligen Herren-Nationalmannschaften, da man bereits in den Nachwuchsmannschaften Wert auf die Entwicklung gewisser Spielphilosophien legt.
Französische Vorteile mit Ball in der Anfangsphase
Frankreich hatte zu Spielbeginn mehr Ballbesitz, sodass Spanien zunächst häufig gegen den Ball im Abwehrpressing mit Anlaufen ab der Mittellinie spielte. Die Spanier verteidigten sehr stark zentrumsverdichtend und raumorientiert mit den Außenverteidigern größtenteils im Halbraum agierend und einer numerischen Überzahl im Mittelfeld mit 3 Zentrums-Spielern sowie den immer wieder einrückenden ballfernen Flügeln. Das sorgte für eine zentrale Kompaktheit und machte es den Franzosen schwer, ihre Spieler zwischen den Ketten zu finden.
Die Franzosen wiederum wurden aufgrund des 1vs2 Anlaufens des spanischen Stürmers gegen die französischen Innenverteidiger kaum auf ballführenden Positionen unter Druck gesetzt. Daraus ergab sich die französische Spielkontrolle im Ballbesitz. Zudem konnten sie immer wieder auf der Außenspur ein 3vs2 bzw. 2vs1 erzeugen. Zumeist ging der ballnahe französische Außenverteidiger invers auf der Halbspur in den Zwischenkettenraum zwischen spanischem Flügel und Außenverteidiger und band den spanischen Flügelspieler im Rücken. Gleichzeitig kam der französische Flügelspieler auf der Außenspur entgegen, wodurch bei Andribbeln des ballführenden Innenverteidigers eine Überzahl-Situation entstand.
Teils wechselten sie auch die Rollen, sodass der französische Flügelspieler im Halbraum entgegenkam und den spanischen Flügel band und der Außenverteidiger auf der Außenspur tief ging. Die Raumbesetzung hierbei war dementsprechend die gleiche. So war es möglich, die Spanier immer wieder tief in die eigene Hälfte zu drängen.
Bei spanischen Ballgewinnen schafften es die Franzosen durch das starke Vorwärtsverteidigen der athletisch überlegenen Innenverteidiger Gomis und Jacquet, den spanischen Stürmer Iker Bravo als Klatschoption aus dem Spiel zu nehmen. Es kamen kaum offensive Umschaltmomente der Spanier zustande.
Spanische Umstellungen gegen den Ball
Um gegen den Ball die Spielkontrolle wieder zu erlangen und mehr Ballbesitz zu bekommen, stellten die Spanier nach etwa 10 Minuten auf ein Anlaufen im 4-1-3-2 bzw. 4-0-4-2 mit 2 Anläufern um. Durch die Gleichzahl war es für die Innenverteidiger dementsprechend schwerer Lösungen zu finden. Somit konnten die Spanier aus dem eigentlichen Abwehrpressing phasenweise vorschieben und Druck auf den ballführenden Innenverteidiger ausüben. Die dadurch unter Druck geratenen Aufbauspieler zwangen sie zu Fehlpässen und eigene Ballgewinne sowie Ballbesitzphasen waren die Folge.
Die Franzosen hätten ihrerseits darauf reagieren müssen, indem sie beispielsweise einen weiteren Spieler in die eigene Aufbaulinie ziehen und/oder den Torwart höher mitspielen lassen, um weiterhin in einer +1 respektive mit Torwart +2 Überzahl aufbauen zu können und die komplette Spielkontrolle zu behalten. Die französischen Trainer allerdings reagierten nicht.
Spanische Probleme gegen französisches Mittelfeldpressing
Die Franzosen agierten gegen den Ball größtenteils aus einem Mittelfeldpressing mit mannorientiertem Mittelfeld. Zu selten konnten die Spanier den französischen Verteidigungsblock aus eigenem Ballbesitz heraus knacken.
Das lag unter anderem daran, dass Spanien zwar mit guten Laufwegen der spanischen Achter in die Tiefe und teilweise abkippen des spanischen 6ers das Mittelfeld aufziehen konnte, die Außenverteidiger bzw. Flügel jedoch zu selten als Anspielstationen in das verwaiste Zentrum abkippten und die spanischen Innenverteidiger beim Andribbeln dementsprechend häufig den vorherzusehenden tiefen Pass hinter die letzte Kette oder auf den entgegenkommenden Bravo wählen mussten. Dieser tat sich gegen körperlich überlegene Französische Innenverteidiger auch hier mit dem Rücken zum Gegner schwer, den Ball zu behaupten. Zudem fehlte es an gegenläufigen Bewegungen auf der letzten Linie. Insbesondere bei Andribbeln der spanischen Innenverteidiger haben sie den Raum hinter dem entgegenkommenden Bravo zu selten belaufen.
Die Spanier konnten somit kaum ohne direkten Gegnerdruck im Zentrum agieren. Dementsprechend gab es im Übergangsspiel ins letzte Drittel häufig Probleme mit der Präzision in vielen Einzelaktionen. Die mannorientierte Spielweise der Franzosen sorgte im Endeffekt dafür, dass man gegen das generell physisch überlegene Frankreich keine wirklich Drangphase mit Ball entwickeln konnte.
Spanische Flügel als Alternativansatz im Ballbesitz
Angesichts dieser Probleme versuchten die Spanier später, statt wie oben beschrieben, über das Lenken aus dem Zentrum das mannorientierte Mittelfeld auszuspielen, über die Außenspur dem größeren Druck im Zentrum aus dem Weg zu gehen. Die spanischen Innenverteidiger, die sich im 2vs1 bzw. mit Torwart Jimenez im 3vs1 gegen den französischen Stürmer Kroupi befanden, dribbelten die Flügel-Gegenspieler an und ein 3vs2 auf der Außenspur entstand.
Zu selten allerdings schafften es die Spanier diese Überzahl mit in die nächste Kette zu bekommen, da zu wenige Spieler nachrückten. Zudem dribbelten die Außenverteidiger nach Anspiel durch die Innenverteidigung nicht sofort auf den Gegenspieler des spanischen Flügelspielers (in untenstehender Grafik Souhmahoro) zu, um ihn in 2vs1 Situation mit Ball zu binden, sondern reagierten eher abwartend. Es entstanden 1vs1 Situationen gegen den inzwischen nachgerückten französischen Flügelspieler (in unten stehender Grafik Bouabré) anstatt Überzahl Situationen.
Die Franzosen wiederum waren auf Außen in den 1vs1 Duellen, insbesondere in der Defensive überlegen und das Zentrum war aufgrund der Manndeckung noch immer schwer zu bespielen. Im Übergangsspiel taten sich die Spanier auch hier wieder schwer, da man den Weg in die Mitte kaum finden konnte.
So hatte sich das 1:0 für Spanien in der 41. Minute auch nicht unbedingt abgezeichnet, da größere Chancen aus genannten Gründen eher Mangelware waren. Doch es fiel nach eben jenem Muster. Nach Verlagerung Bravos konnte der spanische Innenverteidiger wieder den französischen Flügelspieler anlaufen und binden und der Pass auf den Flügel erfolgte. Ausnahmsweise schaffte man es von der Außenspur ausgehend das Zentrum zu finden, da die Zuordnung der französischen Manndeckung nicht stimmte. Zehner Bahoya und Achter Benama verpassten es wegen eines Umschaltmoments, den im Rücken durchstartenden Belaid zu decken. Über Umwege kam der Ball auf den tief gehenden Bravo, der das 1:0 erzielen konnte.
Französischer Druck
Frankreich war in der Folge gezwungen, höher zu attackieren. Man lief weiterhin im 4-2-3-1 mit einem Stürmer an. Die Spanier jedoch konnten mithilfe ihres mitspielenden Torhüters Jimenez in der 3er-Torwart-Kette das Pressing zunächst noch aushebeln, indem man im 3vs1 einen Innenverteidiger freispielte und im Folgenden durch das Andribbeln des Innenverteidigers zusammen mit dem teils inversen Außenverteidiger ein 2vs1 erzeugt hatte. Nach der dann häufig folgenden Verlagerung, mussten sich die Franzosen ins Mittelfeldpressing zurückziehen.
Die Franzosen gingen gezwungenermaßen ab der 60. Minute nach einem Dreifach-Wechsel noch weiter ins Risiko. Sie stellten auf ein 4-1-3-2 im Angriffspressing um, um den Druck auf die Torwartkette maximal zu erhöhen. Das Tor zum 2:0 resultierte dann aus dem spanischen Aufbauspiel unter französischem Angriffspressing.
Außenverteidiger Perea und Sechser Andres tauschten Positionen beim Abstoß. Die Franzosen übten in vorderster Linie nicht maximalen Druck auf den auf Außen angespielten Andres aus und konnten den Pass auf die letzte Linie nicht verhindern. In der Folge konnte nach einem Steil-Klatsch mit dem im Zentrum nachrückenden Außenverteidiger Perea, der tiefgehende spanische Flügelspieler nicht mehr aufgehalten werden.
Das Tor entstand vor allem aufgrund des fehlenden Drucks in vorderster Pressingreihe trotz Mann gegen Mann Verteidigung auf der letzten Linie.
Französischer Ballbesitz zu mutlos
In Ballbesitz kamen die Franzosen zwar gelegentlich zu Torchancen, jedoch verpassten sie es, häufiger 1vs1 Situationen auf der noch immer offenen Außenbahn zu kreieren und trauten sich zu selten in das direkte Duell. Viel häufiger hätten sie nach schneller Verlagerung die offensiv starken Bahoya und Bouabré in das direkte Duell schicken sollen, um zur Grundlinie oder Richtung Box durchzubrechen. Die technischen Fähigkeiten, das hohe Tempo der Einzelspieler sowie der benötigte Raum waren aufgrund der im Halbraum agierenden spanischen Außenverteidiger durchaus vorhanden. Der nötige Mut und die entsprechende Risikobereitschaft allerdings fehlten.
Das Fazit
Die spanische Nachwuchsmannschaft gewinnt das Spiel auch durch französische Fehler vor beiden Toren sowie durch das hervorragende Ausspielen des französischen Angriffspressings, was letztlich auch zum 2:0 führte. Ein Ergebnis, welches gewissermaßen gegen den vorherigen Spielverlauf spricht. So waren es eigentlich die Franzosen, die mit gefährlicherem Ballbesitz das Spiel kontrollierten. Die Spanier können sich letztlich über den zweiten EM-Titel in diesem Sommer freuen.
Autor: MH ist Fußball-Aficionado von Herzen. Seine Wohnung gleicht einer Fußball-Bibliothek in deren Regalen Bücher über die großen Taktiker von Rinus Michels bis Pep Guardiola stehen. Das Buch von Spielverlagerung.de fehlt hier natürlich nicht. Für MH ist Fußball nicht nur ein Spiel. Es ist ein Lebensgefühl. Auf X ist er unter Mh_sv5 zu finden.
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