Spanien nun Topfavorit?

Nach einem 3:0 Auftaktsieg gegen schwache Kroaten wussten die Spanier auch gegen Italien zu überzeugen und schlugen diese im ersten Härtetest in einem umkämpften Spiel mit 1:0. Der Matchplan von Luis de la Fuente ging auf und die Italiener hatten Probleme Lösungen gegen das hohe Pressing der Spanien zu finden.

Fluider Spielaufbau

Italien hatte große Probleme in ihrem 4-4-2 Mann gegen Mann Pressing gegen den extrem variablen 4-3-3 Aufbau der Spanier. Scamacca und einer der hochschiebenden Achter pressten die beiden Innenverteidiger während die beiden Flügelspieler von den spanischen Außenverteidigern gebunden wurden. Italien musste somit einen ihrer Sechser auf Rodri hochschieben. Dadurch hatte Jorginho ein klares mismatch gegen die beiden Achter. Dies führte dazu dass Calafiori aufgrund der Abkippbewegungen der Achter weit nach vorne verteidigte und immer wieder aus der Kette der Italiener herausgezogen wurde.

Durch dieses Abkippen des ballnahen Achters und geschickte Bewegungen im Rücken seines Gegenspielers konnten die Spanier immer wieder Fabian oder Pedri zwischen den Linien in Szene setzen. Eine andere Möglichkeit war der lange Ball auf den zwischen die Linien fallenden Morata, welcher auf die nachrückenden Achter ablegen konnte. Die Flügelspieler Williams und Yamal waren dabei in der Breite positioniert und konnten durch die starke Mannorientierung der Italiener und das damit verbundene Freiwerden der Achter häufig in 1vs1 Situationen isoliert werden wobei speziell di Lorenzo überfordert wirkte.

In der zweiten Hälfte passte Italien ihr Pressing an und agierte mit einer +1 in Überzahl in der letzten Linie. Dadurch hatte man aber immer wieder Probleme die Abkippbewegungen der spanischen Achter aufzunehmen, da Spanien eine 3vs2 Überzahl im Mittelfeld generierte. Dieses 3vs2 konnte man durch das Spiel über den Außenverteidiger als dritten Mann ausspielen. Wenn man es schaffte Rodri durch Abkippen von Barella zuzustellen war es Spanien wiederum möglich die Situation über den Torwart und den ballfernen IV aufzulösen.

Durch diese Umstellung konnte man zwar die Bewegungen der Achter zwischen den Linien einzuschränken jedoch bekam man auch selten Druck auf den Ball und hatte gerade gegen die enorme technische Qualität der Spanier Probleme hohe Ballgewinne zu erzielen. Rodri, der über seine Pressingresistenz als Verbindungsspieler agierte, stach dabei besonders heraus. So konnte Spanien in Hälfte zwei das Spiel kontrollieren und das 1:0 ins Ziel bringen.

Variantenreich im letzten Drittel

Im letzten Drittel war Spanien sehr variabel. Speziell die Positionierung zwischen der Außenverteidiger und Flügelspieler variierte immer wieder in Abhängigkeit voneinander. Sie waren stets spurversetzt, sei es der überlappende Außenverteidiger mit dem diagonal nach innen ziehenden Flügelspieler um den Ball mit Dynamik zwischen den Linien zu bekommen. Dieser Raum wurde zuvor durch erneutes Abkippen der Achter neben Rodri geöffnet. Es wurden auch gerne Dreiecke auf dem Flügel gebildet und durch die freie Rolle der Achter 3vs2 Situationen erzeugt. Der ballnahe Außenverteidiger überlappte häufig wobei der ballferne Außenverteidiger dann nach innen in den Rückraum zog und die minimale Breite hielt um eine gute Struktur im Gegenpressing vorzubereiten und die Kompaktheit im Ballbesitz zu wahren. Der ballferne Flügelspieler flutete dann mit den spät einlaufenden Achtern und Morata die Box.

Ein Problem des hohen Aufrücken der Außenverteidiger ist ähnlich wie bei Deutschland die Konteranfälligkeit im Raum hinter den Außenverteidigern. Durch das Nachvorneverteidigen von Rodri im Gegenpressing, häufig auch nach außen, ergeben sich große Räume im Umschalten, welche Italien nicht effektiv nutzen konnte.

Ein Schlüsselelement im spanischen Offensivspiel war außerdem das ständige Vorderlaufen und Attackieren der Tiefe durch die Außenverteidiger und Achter, was den 1vs1 Spielern auf dem Flügel Platz schaffte ins Zentrum zu ziehen und eine zusätzliche Anspielstation bot.

Durch das Einrücken von Barella in den 4-1-4-1 mid block der Italiener hatte Spanien außerdem eine Überzahl in der ersten Linie und so hatte Italien Probleme sich aus dem Druck der Spanier zu lösen.

Aggressives Pressing

Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg der Spanier war das im Vergleich zum Spiel gegen Kroatien veränderte Mann gegen Mann Pressing. Dieses wurde jedoch anders kreiert als bei den Italienern. Yamal zog nach innen um den zweiten Innenverteidiger im 4-2-1-3 Aufbau zu pressen. Carvajal und Le Normand zeigten ein exzellentes Durschiebeverhalten auf Pellegrini und Dimarco. Beide waren stets bereit aus ihrer Position auf den jeweiligen Spieler rauszuspringen. Die beiden Achter Pedri und Fabian sprangen auf die beiden Sechser und Rodri schob aggressiv auf Frattesi.

Italien versuchte als Folge immer wieder den Spielaufbau zu überladen, wodurch sie Probleme hatten Vertikalität in ihr Spiel zu bekommen aufgrund der Unterzahl im Angriff. Ein Mittel um das Spanische Pressing zu überspielen wären lange Bälle auf Scamacca, welcher durch sein gutes Ablagespiel die aggressiv nachrückenden Barella und Frattesi als auch den von links einrückenden Pellegrini in die Dynamik im Zwischenraum bringen könnte. Doch durch die enorme Intensität taten sich die Italiener schwer unter Druck diese Räume zu bespielen.

Spanien schaffte auch sehr gut den Übergang von ihrem 4-2-3-1 Block in ein aggressives Mann gegen Mann Pressing gegen Italiens 3-Raute-3 mit Dimarco als Breitengeber in der letzten Linie. Die beiden Flügelspieler und Morata schoben bei Quer- oder Rückpässen auf die Innenverteidiger aggressiv aus dem Block auf die Innenverteidiger um einen weiteren Rückpass zu provozieren. Wieder war das Durchschieben von Carvajal und Le Normand auf Dimarco und Pellegrini auf der rechten Seite entscheidend. Der restliche Block schob kompakt auf ihre jeweiligen Spieler aus dem hohen Pressing. Diese Kompaktheit war entscheidend um Italien die Möglichkeit zu nehmen im Moment des Umschaltens die Zielräume zu bespielen.

Fazit

Es war ein Spiel auf einem sehr hohe taktischen Niveau sowohl von den Spaniern als auch den Italienern trotz der deutlichen Überlegenheit Spaniens wie man es selten auf Nationalmannschaftslevel sieht. Spanien bringt alles mit um „all the way“ zu gehen. Das hohe intensive Mann gegen Mann Pressing unterscheidet sie von anderen Mitfavoriten wie England oder Frankreich, welche oft zu passiv gegen den Ball werden. Das kombiniert mit ihrer enormen technischen Qualität und der 1vs1 Qualität der Flügelspieler macht sie zu einem der heißesten Anwärter auf den Titel.

Italien sollte man trotz allem auf dem Schirm haben und haben auch weiterhin gute Chancen aufs Weiterkommen. Auch ihnen traue ich aufgrund der taktischen Idee Spalettis noch einiges im Laufe des Turniers zu.

Autor: FN ist ein junger ambitionierter Analyst und Fan, welcher auf twitter unter @felixnb Analysecontent veröffentlicht.

WVQ 22. Juni 2024 um 14:05

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