Türchen 18: Francesco Totti
Francesco Totti gegen Sampdoria. 11.09.2016. Das ist nicht Peak-Totti, aber die herausragende Leistung eines 40-Jährigen, der innerhalb von 45 Minuten ein Spiel fast im Alleingang dreht.
Peak-Totti, das war eher Anfang der 2000er, womöglich die Europameisterschaft 2000, als er mit Italien das Finale gegen Frankreich im Elfmeterschießen verlor. Doch in Tottis langer Karriere gab es viele gute Phasen. Immer wieder glaubte man, dass seine Zeit vorbei ist. Dass er bereits zu alt, zu verletzungsanfällig sei. Doch immer wieder kam er zurück und konnte trotz seines hohen Alters noch starke Spiele liefern.
Auch in der zweiten Ära von Luciano Spalletti bei der Roma war er bereits abgeschrieben. Einst war Spalletti der erste Trainer, der Totti zur falschen Neun machte. Doch als Spalletti 2016 zur Roma zurückkehrte, spielte er zunächst keine Rolle mehr. Stattdessen setzte Spalletti auf eine andere falsche Neun, Diego Perotti. Der Umgang mit der alternden Klublegende hingegen beschäftigte Fans und Medien, die Situation wurde öffentlich breit diskutiert. Totti forderte mehr Respekt ein und wurde dafür sogar auf die Tribüne verbannt. Ein Skandal, da helfen dem Trainer auch die besten Ergebnisse nichts. Schließlich konnte Spalletti nicht ganz auf Totti verzichten. Er kam vermehrt zu Einsätzen und konnte bei seinen Kurzauftritten seine Qualität unter Beweis stellen.
Auch gegen Sampdoria kam Francesco Totti von der Bank aus. 90 Minuten wären für den Körper des damals 40-Jährigen ohnehin zu viel gewesen. So war es Diego Perotti, der als falsche Neun im 4-3-3 gegen die Genueser begann. Der Argentinier hatte im System von Spalletti stets eine sehr freie Rolle und konnte sich extrem weiträumig bewegen. Sehr oft überlud er Situationen am Flügel, spielte häufig auch weit zurückfallend. Allerdings agierte er dabei teils unnötig dominant, war in seiner Positionsfindung nicht immer geschickt und ließ oft die strategische Weitsicht eines Totti vermissen.
Das Spiel gegen Sampdoria begann er zunächst gut. Nach nur acht Minuten bereitete er den Führungstreffer von Mohammed Salah mit einer gefühlvollen Hereingabe vor, nur eine Minute später hätte El Shaarawy nach seiner Vorlage den zweiten Treffer erzielen können. Doch mit der Zeit gelang ihm immer weniger, gegen die kompakte Defensive der Sampdoria kam er nur selten in gute Positionen. Im Verlauf der ersten Spielhälfte wurden die Gäste immer stärker, konnten mit einem kontrollierten Aufbau und starkem Gegenpressing phasenweise sehr dominant auftreten. Die Roma kam fast ausschließlich über Angriffe über die Flügel zu guten Aktionen. Es entwickelte sich ein gutes Spiel mit Chancen auf beiden Seiten, in dem die Sampdoria durch Tore von Muriel und Quagliarella 2:1 in Führung ging.
Totti bringt die Wende
Bereits nach rund einer halben Stunde schickte Spalletti Edin Dzeko und Francesco Totti aufwärmen. In der Halbzeit dann der Doppeltausch, Diego Perotti und Stephan El Shaarawy mussten runter. Bereits bei Tottis Einwechslung gab es tosenden Applaus der Fans. In der Folge waren nicht nur die Stimmung im Stadio Olimpico sondern auch die Leistung der Mannschaft wie ausgewechselt.
Die 4-3-3-Grundformation blieb auch in der zweiten Spielhälfte bestehen, allerdings spielte nun Dzeko zentral und Totti nominell auf links. Dabei gab Totti eine Mischung aus Flügelspieler und Zehner, er variierte häufig zwischen Positionierungen im Zentrum und am linken Flügel, war aber auch Mal auf dem rechten Flügel zu finden. Angepasst wurde von Spalletti auch das Pressing, welches nun um einiges höher ausgelöst wurde, wodurch sich die Gäste aus Genua kaum noch in der gegnerischen Hälfte festsetzen konnten.In Ballbesitz wurde die Ausrichtung offensiver, speziell die Rollen der Außenverteidiger. Zudem wurde mehr Wert auf das Bespielen der Räume hinter Sampdorias hoch stehender Viererkette gelegt. Dzeko und Salah attackierten vermehrt die Tiefe und auch Strootman und Nainggolan konnten gefährliche Tiefenläufe anbringen.
Stehfußball auf höchstem Niveau
Angesichts des Rückstands agierte Totti insgesamt sehr antriebig, verlor dabei allerdings nicht die nötige Ruhe und Übersicht. Zunächst blieb er hauptsächlich in sehr hohen Positionen, passte dabei seine Positionierungen zwischen den Linien stets an und versuchte in den Schnittstellen zwischen 6er und 8er oder auch in den Flügelräumen neben dem engen Mittelfeld angespielt zu werden. Die Positionierungen in zentralen Räumen waren in Kombination mit den nun höher spielenden Außenverteidigern schwierig zu verteidigen für Sampdorias Mittelfeld, da Barretto und Linetty nun mehr auf dem Flügel pressen mussten, Torreira in den Verschiebebewegungen auf Totti und einen Achter aufpassen musste. Sollte jedoch ein Innenverteidiger rausrücken, dann waren Dzeko und Salah sofort dazu bereit, das Loch in der Viererkette zu attackieren.
In der 58. Minute wird dies für Sampdoria erstmals zum Problem. Florenzi kann Linetty aus dem Spiel nehmen und Nainggolan anspielen, der nun von Torreira gepresst wird. Die Viererkette ist durch Tottis Positionierung unorganisiert. Silvestre zögert, ob er aus der Innenverteidigung rausrücken soll oder nicht. Dieses zögern ist bereits ausreichend, denn die Höhe in der Viererkette passt nicht. Totti wird zwischen den Linien angespielt und kann mit dem ersten Kontakt sofort Dzeko einsetzen, der allerdings recht frei vor Viviano vergibt.
Auffällig in Aktionen wie dieser sind Tottis enorme Handlungsschnelligkeit und Übersicht. Sehr häufig spielt er mit nur einem oder zwei Kontakten, denn bereits bevor er angespielt wird, hat er genaue Lösungen im Kopf. Dazu scannt er auch ständig das Spielfeld ab und überprüft mit Schulterblicken die Bewegungen von Gegner und Mitspielern. Mit seinen schnellen Aktionen gibt er dem Gegner wenig Zeit zu reagieren und kann auch seine körperlichen Defizite kaschieren. Überspitzt könnte man Tottis Spielweise als Stehfußball bezeichnen. Doch wer sich so intelligent verhält, der muss sich nicht besonders viel oder schnell bewegen.
Ein weiterer wichtiger Faktor für die Schnelligkeit seiner Aktionen ist die Passqualität. Oft wird Totti im Zwischenlinienraum mit Rücken zum gegnerischen Tor angespielt, muss sich jedoch gar nicht aufdrehen. Denn auch aus solch geschlossener Stellung kann er mit dem ersten Kontakt herausragende Zuspiele in die Tiefe anbringen. Für die Verteidigung sind diese Aktionen äußerst unangenehm, denn da Totti sich nicht aufdreht, ist häufig offen, ob ein Zurückfallen notwendig ist oder ob ein Spieler noch rechtzeitig rausrücken könnte. Die Zuspiele kommen dann für die Gegenspieler unerwartet, nicht aber für Dzeko und Salah.
Die Key-Passmaschine
In der 61. Minute zeigt sich dieses Muster erneut. Totti bekommt am linken Flügel einen nur leicht diagonalen Pass von Bruno Peres. Völlig überraschend nimmt Totti den Ball direkt und chipt ihn hinter die Abwehr. Nur ein kurzer Schulterblick hat gereicht, um die mangelnde Abstimmung in der Viererkette zu erkennen. Dzeko hat einen leichten Vorsprung, schließt dieses Mal auch überaus souverän mit einer Art Halbvolley-Croqueta ab.
Nach dem Ausgleich zeigt sich Totti nun etwas dominanter. Dazu nutzt er vermehrt Positionierungen auf dem Flügel und lässt sich auch etwas mehr zurückfallen, um früher an den Ball zu kommen. Totti spielt einen Chipball nach dem anderen, nicht nur die Räume hinter der Innenverteidigung werden von ihm so attackiert. Auch auf den Flügeln bringt er mehrere Lupfer an, um etwa den durchlaufenden Strootman oder den sich im Deckungsschatten befindlichen Bruno Peres einzusetzen.
In der 73. Minute folgt der nächste Key-Pass. Dieses Mal benötigt Totti dafür sogar zwei Kontakte. Einen Kopfball von De Rossi nimmt er sich mit Rücken zum Tor mit der Brust an und spielt dann per Dropkick auf Salah. Wo während dieser Aktion Zeit bleibt, um die Positionierung des Ägypters zu erkennen, ist fraglich. Womöglich hat Totti einfach nur im Augenwinkel erkannt, dass die Abwehr nach dem langen Ball nicht geordnet genug rausgerückt ist, und spielte auf Verdacht auf Salah, der anschließend frei vor Viviano vergab.
Mit ähnlichen verrückten Passideen geht es weiter, ein weiterer Direktpass kann jedoch von Silvestre abgefangen werden. Immer noch steht es 2:2, denn auch Sampdoria-Keeper Viviano hätte sich mit seiner Leistung in diesem Spiel definitiv einen Beitrag im Adventskalender verdient. Die Roma wird gegen Ende des Spiels wieder etwas schwächer, die hervorragende Phase zu Beginn der zweiten Hälfte konnte nicht genutzt werden, um das Spiel schon früher zu drehen. Nur Totti sorgt noch für einige kreative Momente, wobei auch ihm mehrere Fehlpässe unterlaufen.
Der Sieg gelingt dennoch. In der 92. Minute geht Dzeko nach einem leichten Kontakt im Strafraum zu Boden, es gibt Elfmeter. Totti tritt an, verwertet und krönt damit seine hervorragende Leistung in diesem Spiel. 3:2 für die Roma.
Mit den Einwechslungen von Dzeko und Totti veränderte sich das Spiel völlig. Gegenüber Perotti konnte sich Totti etwas geschickter einbinden und fand bessere Positionierungen gegen die kompakte Defensive der Sampdoria. Glänzen konnte er vor allem mit seinen vielen Steilpässen, die zu mehreren Großchancen führten. Dass er zum Zeitpunkt dieses Spiels bereits 40 Jahre alt und von Verletzungsproblemen geplagt war, machte nichts aus. Tottis Physis kam kaum zum Vorschein, denn durch seine herausragende Spielintelligenz und Passqualität konnte er auch aus dem Stand für Gefahr sorgen.
3 Kommentare Alle anzeigen
savona 24. Dezember 2018 um 09:18
Danke für den interessanten Artikel. Eine kleine Randbemerkung: das Finale ging nicht durch Elfmeterschießen verloren, sondern durch Golden Goal von Trézéguet, der wiederum im WM-Finale gegen Italien 2006 seinerseits den entscheidenden Elfmeter vergab und damit auch Totti zum Weltmeister machte. Das klassische Beispiel für die These, alles gleiche sich irgendwann aus.
kalleleo 19. Dezember 2018 um 12:58
Eine absolute Legende. Danke fuer den klasse Artikel.
tobit 19. Dezember 2018 um 14:45
Auf Totti habe ich auch schon lange gewartet (und endlich Mal mit einem Tipp getroffen). Generell sind es wirklich viele Legenden, die dieses Jahr verdiente Würdigungen bekommen. Auch die Artikelqualität geht nach einem kleinen Hänger um die Halbzeit Rum wieder stark nach oben.