Türchen 9: Marek Hamsik
Seit zwölf Jahren spielt Marek Hamšík auf konstant hohem Niveau bei Napoli. Gegen Bologna konnte er 2017 besonders herausragen, viele seiner Stärken einbringen und seine Tore 107, 108 und 109 für Napoli erzielen.
Damit rückte er damals auf Platz 2 der ewigen Torschützenliste des Vereins vor, hatte nur noch Diego Armando Maradona vor sich. Doch auch die Klublegende schlechthin hat er bereits überholt, Hamšík hat bereits 121 Treffer auf seinem Konto, Maradona nur 115. 111 Assists ergänzen die Scorerbilanz des Mittelfeldspielers, der mit 516 Einsätzen natürlich auch Rekordspieler Napolis ist.
International hält sich die Anerkennung dafür eher in Grenzen. Hamšík hätte bei besseren Vereinen spielen und große Abende in der Champions League haben können. Ein Europa-League-Halbfinale und zwei Achtelfinaleinzüge in der Champions League blieben international das höchste der Gefühle. Doch Hamšík entschied sich dennoch für einen dauerhaften Verbleib an dem Ort, wo die Champions-League-Hymne am lautesten mitgesungen wird. Neapel, wo er für seine Vereinstreue und seinen unermüdlichen Einsatz verehrt wird. Wo er sich der Liebe der fanatischen Süditaliener wohl auf ewig sicher sein kann.
Die Leistungen von Napolis Kapitän haben sich eine Würdigung verdient. Zuerst war die Idee da, einen Beitrag zu Hamšík zu bringen. Dann erst begann die Suche nach einem geeigneten Spiel. Und die gestaltete sich gar nicht so einfach. In seinen zwölf Jahren bei Napoli zeichnete er sich eher durch seine Konstanz als durch herausragende Einzelleistungen aus. Unterschiedliche Rollen konnte er auf konstant hohem Niveau ausfüllen. Die wirklich herausragenden Momente waren oft seine häufigen Tore durch Weitschüsse. Gleichzeitig bleibt seine überhastete Entscheidungsfindung bei Abschlüssen auch eine Schwäche und ist sogar etwas untypisch für seine sonstige bedachte Spielweise.
Nach vielen Jahren auf der Zehn stellte ihn Maurizio Sarri auf die Acht. Unter Calo Ancelotti wanderte er nun noch weiter nach hinten, gibt den tieferen Sechser im neuen 4-4-2. Starke Spiele machte er in allen Positionen. Ein Sieg gegen Juventus wäre eine schöne Würdigung. Zum Beispiel Juventus – Napoli 09/10 oder Napoli – Juventus 15/16. Oder ein starker Auftritt in der Champions League? Napoli – Villarreal 11/12 oder Napoli – Benfica 15/16. Doch nichts überzeugte so ganz. Dann die finale Idee: Napoli gegen Bologna.
Bologna war in den vergangenen Jahren stets ein dankbarer Gegner für die Süditaliener. Deren ehemaliger Coach Roberto Donadoni fand nur in seinem ersten Aufeinandertreffen mit Sarris Napoli passende Lösungen. Danach folgten in den weiteren Duellen fünf Siege von Napoli, mit einer beeindruckenden Tordifferenz von 22:3. Es sind auch Duelle, in denen Hamšík immer wieder aufzeigen konnte. Gegen keinen anderen Gegner erzielte er mehr Tore. In den beiden Duellen in der Saison 16/17 machte Hamšík herausragende Partien, speziell das 1:7 im Stadio Renato Dall’Ara war denkwürdig.
Der Alleskönner
Es war Bolognas mannorientierte Spielweise, welche die Stärken der linken Seite Napolis noch mehr als sonst zum Vorschein brachte. Sie zeigte damit auch die unterschiedlichen Stärken von Napolis Nummer 17. Er agierte als Achter und als Sechser. Strukturgebend und balancierend. Spielmachend und torgefährlich.
Napoli begann das Spiel wie immer im 4-3-3. Aus der üblichen Startelf von Sarri fehlten Koulibaly, Jorginho und Allan, stattdessen kamen Maksimovic, Diawara und Zielinski zum Einsatz. Auch Bologna setzte auf eine 4-3-3-Grundformation, die sich bei gegnerischem Ballbesitz zu einem 4-5-1 formte. Das Dreiermittelfeld orientierte sich dabei stark am Dreiermittelfeld des Gegners. Sechser Nagy rückte zumeist vor auf Diawara und hatte somit oft eine höhere Position als die Achter Pulgar und Dzemaili, die jedoch situativ Diawara übernahmen und auch auf einen andribbelnden Innenverteidiger rausrückten. Auf der rechten Seite spielte Rizzo einen engen Bewacher für Ghoulam, womit häufig eine Fünferkette entstand. Doch der von Donadoni gewählte Defensivansatz sollte bereits früh scheitern. In der vierten Minute eröffnet Hamšík den Torreigen.
Die Aktion zum ersten Tor beginnt mit einem Einwurf auf der rechten Seite. Durch die für Sarris Fußball typischen engen Abstände befindet sich auch Hamšík weit rechts, den Ball bekommt er zunächst an der Grenze zwischen rechten Halbraum und Zentrum. Er dreht sich schnell, verlagert den Ball zu Ghoulam und bewegt sich sofort in den freien linken Halbraum. Pulgar verfolgt seinen Lauf, was Hamšík jedoch geschickt nutzt, in dem er sich nun noch weiter nach links bewegt, um den Passweg von Albiol auf Mertens freizumachen, der dann weiter nach rechts auf Callejon spielt.
Insigne hat sich in der Aktion mittlerweile auf links zurückfallen lassen, Ghoulam zieht stattdessen auf. Hamšík erkennt die Situation erneut richtig und sieht, dass Ghoulam nicht ganz mitgeht und besetzt somit die vakante Position am linken Flügel. Der Slowake begibt sich somit in die letzte Linie und zeigt auf, um ein Zuspiel von Callejon zu fordern. Der Spanier entscheidet sich daraufhin auch für die frühe Hereingabe auf den zweiten Pfosten, die jedoch recht unangenehm kommt. Kurz vor Hamšík springt der Ball auf, der Winkel ist auch nicht ideal. Doch Hamšík schafft es, den Ball leicht zu hinterlaufen, und kann ihn so mit einem beeindruckenden Flugkopfball perfekt im langen Eck platzieren. 1:0 Napoli.
Spektakulär ging es weiter. Nur zwei Minuten später folgte das 2:0 von Insigne durch einen schnellen Konter nach einem Eckball. Bologna ist somit früh in Rückstand und Napoli macht weiter Druck. Vor allem über die linke Seite kann immer wieder erfolgreich das Mittelfeld überbrückt und dann Mertens zwischen den Linien oder Insigne am Flügel eingesetzt werden. Gegen den Defensivansatz der Heimmannschaft zeigt sich das herausragende Verständnis zwischen Hamšík, Insigne und Ghoulam. In diesem Dreieck stößt Hamšík teilweise Positionsrochaden selber an und schafft es so Passwege nach vorne freizuziehen.
Napolis Kapitän scheint genau zu wissen, wie der Gegner verteidigt und wie seine Mannschaft dies bespielen kann. In Situationen, in welchen sich ein Pass auf Albiol bereits andeutet, bleibt er in höherer Position oder bewegt sich in langsamen rückwärtslauf zurück, um so den möglicherweise rausrückenden Pulgar zu binden und dem Innenverteidiger Zeit zu geben. Dann lässt er sich immer wieder leicht diagonal nach links zurückfallen, um seinen Gegenspieler aus der Position zu bringen und den Passweg auf Mertens oder Insigne zu öffnen. Vereinzelt kippt er ganz links raus, was dann für das Aufrücken von Ghoulam und Einrücken von Insigne als Signal dient.
Der Flexible
Doch der mittlerweile 31-Jährige agiert nur selten dominant, sondern wählt seine Positionierungen stets bedacht und angepasst an seine Mitspieler und die jeweilige Situation. Auf der linken Seite kann er alles übernehmen. Oft geht er als Gegenbewegung zu Insignes Einrücken Richtung Flügel, um dem kleinen Linksaußen mehr Platz im Halbraum zu verschaffen. Teilweise kann er den von Insigne freigelassenen Flügel auch für aggressive Vorstöße nutzen. Im Halbraum kann er tiefer und spielmachender agieren oder durchlaufen und zu gefährlichen Aktionen im Strafraum kommen. Dies ergibt eine Flexibilität, die im Zusammenspiel mit Insigne und Ghoulam beeindruckend funktionierte. Und gegen Bologna zu Chancen auf das 3:0 führte. Beispielsweise in der 22. Minute, als Insigne einen Pass von Albiol mit dem ersten Kontakt auf den im Zwischenlinienraum postierten Hamšík weiterleitet, der daraufhin Ghoulam in die Tiefe schickt.
Neben seinem geschickten Bewegungsspiel sind es vor allem die einfachen Sachen, die Hamšík gut macht. In wenigen Aspekten ist er herausragend, doch in vielen zumindest gut. Etwa im Dribbling. Er ist nicht besonders dribbelstark, kommt in Ballbesitz aber auch nur selten in Bedrängnis und kann engere Situationen zumeist sicher auflösen. Im Passspiel ist vor allem seine beidfüßigkeit auffällig. Sowohl mit links als auch mit rechts spielt er starke Verlagerungen, bringt kurze Pässe stets gut an und schafft es interessanterweise auch häufig Pässe aus schwieriger Position gut auszuführen. In der 12. Minute ergab sich so etwa eine äußerst kuriose Spielverlagerung. Ein nahezu unmöglicher und vermutlich auch ungewollter Vollspannpass von Callejon landet bei Hamšík, der diesen mit seinem schwächeren linken Fuß direkt auf Insigne weiterleitet.
Kurz nach diesem Angriff folgt die erste interessante Wendung im Spiel: Nach einem Eckball für Bologna geht Callejon klar mit der Hand zum Ball. Er bekommt folgerichtig gelb und Bologna einen Elfmeter, den Reina parieren kann. Doch Callejon legt kurze Zeit später nach, wird aufgrund einer Tätlichkeit mit glatt rot vom Platz gestellt. Es folgt eine kurze Druckphase der Heimmannschaft, die Hamšík schließlich beenden kann.
Als Albiol von Reina angespielt wird, rückt Pulgar dieses Mal sofort raus. Nagy übernimmt den freigewordenen Hamšík, welcher wieder mit wenigen Schritten zur Seite den Passweg auf Mertens vergrößert. Ablage zu Insigne, Rückpass zu Hamšík und ein starker Steilpass mit links auf den direkt durchgestarteten Mertens, der daraufhin von Masina gestoppt wird. Bolognas Linksverteidiger wird mit rot vom Platz gestellt, den Freistoß kann Mertens direkt verwandeln.
Nach 33. Minuten ging es somit mit dem Spielstand von 3:0 und nur noch im 10-gegen-10 weiter. Trotz der roten Karten verzichteten beide Teams auf einen Wechsel. Bei Napoli rückte Zielinski einfach weiter nach rechts, aus dem 4-3-3 wurde eher ein 4-4-1. Bei Bologna übernahm Krejci die Linskverteidigerposition, interpretierte diese jedoch äußerst offensiv. Die Gastgeber konnten nur vereinzelt über Flügelangriffe gefährlich werden, erzielten so nach einer Flanke sogar das zwischenzeitliche 1:3.
Der Spielmacher
Napoli agierte nun etwas weniger dominant, fokussierte sich eher auf Kontersituationen und wollte die offenen Räume schneller bespielen. Hamšík konnte dabei desöfteren sehr gute Steilpässe anbringen. Am 4:1 ist er allerdings nicht beteiligt, es fällt nach einer katastrophal verteidigten Einzelaktion von Zielinski, die letztlich Mertens abschloss.
Im 4-4-1 konnte Hamšík daraufhin spielmachender agieren, speziell nachdem Diawara nach gut einer Stunde für Allan ausgewechselt wurde. Der Slowake agierte dabei als bedachter Taktgeber. Nur sehr selten bringt er seine Mitspieler mit Zuspielen in Bedrängnis, üblicherweise haben seine Anspielstationen viel Zeit zur Verfügung. Häufig nimmt er das Tempo raus und löst Situationen weiträumig nach hinten auf. Dann treibt er das Spiel in anderen Situationen wieder gut voran, wobei er sich als Achter oft selber miteinschaltet und sich aus den tieferen Zonen wieder mit nach vorne bewegt. Gegen Bologna konnte er mehrmals gut die Schnittstellen in der Abwehr attackieren. In der 56. Minute wurde er von Insigne freigespielt, fand sich völlig frei vor Bologna-Keeper Mirante wieder, vergab die Chance jedoch.
Der Torgefährliche
In der Folge wechselten sich lange Ballbesitzphasen von Bologna und Napoli stets ab, das Tempo war überschaubar. Und Bolognas Viererkette zerfiel immer mehr. So kam Hamšík noch zu zwei weiteren Toren. In der 70. Minute erzielte er in einem Konter mit einem sehenswerten Schuss das 5:1. In der 74. Minute kommt er zu einem Abschluss aus dem Rückraum, der Ball landet im Kreuzeck. Kurz vor Schluss durfte Mertens nochmal ran, setzte mit seinem dritten Treffer den Schlusspunkt in diesem Debakel für Bologna.
Für Napoli hingegen war es einer der höchsten Siege in der Vereinsgeschichte. Eine von vielen Glanzleistungen in der Ära Sarri. Ein Spiel, in dem Marek Hamšík zwar nicht alles, aber sehr vieles gelang, in dem er sich flexibel zeigen konnte und seine Klasse in unterschiedlichen Aspekten sehr gut einbringen konnte.
3 Kommentare Alle anzeigen
Izi 9. Dezember 2018 um 12:52
Kann mich dem Lob nur anschließen, ein toller Artikel!
Nur eine Frage: Hat Hamšík nicht sogar als linker Außenstürmer in Napolis zeitweiligem 3-4-3 gespielt? Wäre interessant, ob er da auch als Spielmacher aufgetreten ist..
tobit 9. Dezember 2018 um 14:14
Hat er damals unter Mazzari. Wobei das mehr so eine Mischung aus Zehner und hängender Spitze war. Die Breite wurde da links meist vom Wingback (Dessena, Zuniga und Co.) gegeben. Cavani und Lavezzi beschäftigten die letzte Linie und Hamsik driftete durch die Zwischenräume. War damals aber noch mehr auf die vorderen Bereiche beschränkt und im geregelten Aufbau eher seltener ganz tief zurückfallend.
Insgesamt war der mannschaftliche Fokus auch ein ganz anderer, der viel mehr auf stabiles, fast schon catenacciohaftes Verteidigen und wenigen Nadelstichen über die Big3 lag. Das funktioniert dann halt mit Hamsik und Cavani als lauffreudigen und -aufwendigen Spielern sowie dem sehr beweglichen Engstellenlöser und Tempodribbler Lavezzi sehr gut. Die drei ergänzten sich einfach perfekt.
tobit 9. Dezember 2018 um 08:56
DANKE!
Auf dieses Porträt eines meiner absoluten Lieblingsspieler habe ich schon lange gewartet.
Stimme dir in allen Aspekten der Analyse zu. Im Mittelfeld kann er alles spielen. Nicht überall Weltklasse aber doch immer stark genug um den Spielfluss zu stärken und entscheidende Akzente zu setzen. Wie der Spieler so auch sein Porträt. Stellenweise etwas zu zurückhaltend und eher knapp (hätte gerne noch mehr Szenen-Analysen gehabt) dann aber an den entscheidenden Stellen auf den Punkt da.