Klopp gegen seine Vergangenheit
Vorschau und Rückblick auf den ersten Akt des Duells von Jürgen Klopp mit seiner alten Liebe. Es war ein typisches Klopp-Spiel.
Wie in unserer Serie zu Liverpool nachzulesen ist, hatte Klopp nach seiner Ankunft an der Anfield Road diverse Startschwierigkeiten. Die Mechanismen im Pressing waren da, aber die Umsetzung schwankte aus unterschiedlichen Gründen. In den letzten Wochen hatten sich die Reds taktisch jedoch stabilisiert, wobei das 4-3-3 nun durchgängig vom Ausweichsystem 4-2-3-1 (Doppelsechs Can-Henderson) ersetzt worden war. Aber Klopp wäre nicht Klopp, wenn er sich gegen eine nominell überlegene Ballbesitzmannschaft nicht etwas spezifisches überlegt hätte, um den Raum und die gegnerische Struktur in den Griff zu bekommen.
Ein vielseitiger 4-3-3-Mix
So kehrte das 4-3-3 wieder zurück, wurde dabei aber wie bei Amtsantritt jedoch etwas flexibler gespielt als in den letzten Monaten und tendierte häufig zum 4-3-2-1. Coutinho und Lallana rückten immer wieder von den Flügeln ein, um auf die Innenverteidiger Druck zu machen, während Mittelstürmer Origi sich auf Weigl fokussierte. Dadurch öffneten sich die Flügel, die dann jedoch päärchenweise von Außenstürmer und Achter zugeschoben werden konnten, um die Zirkulation ins Zentrum abzuschneiden. Ähnliche Mechanismen nutzten übrigens Ingolstadt und Hoffenheim relativ erfolgreich gegen den BVB.
Zudem zogen sich die Außenstürmer auch immer wieder phasenweise zurück, sodass ein sehr kompaktes und tief stehendes 4-5-1 entstand. Meist sicherte dann einer der Außenstürmer die Verlagerung auf den Flügel ab, während die restlichen Spieler einen engen 4-4-Block vor dem Strafraum bildeten und Origi meist Hummels manndeckte. Hierbei gab es wenig Herausrücken, aber sehr intensives Pressing nach innen, wenn die Borussen versuchten, in die Zwischenräume zu kommen.
Besonders für die drei zentralen Mittelfeldspieler Liverpools wurde es dadurch ein anspruchsvolles Spiel. Sie rückten immer wieder heraus, um unmittelbar anspielbare Dortmunder mannorientiert unter Druck zu setzen, die sich hinter den Schnittstellen Liverpooler Angriffslinie freiliefen. Gleichzeitig hatten sie offensive Mittelfeldspieler in ihrem Rücken abzusperren und mussten eben bei der Sicherung der Flügel helfen. Das machten sie insgesamt gut, hier und da gelang den Borussen jedoch auch mal ein Vertikalpass in offene Räume.
Liverpools Rhythmuswechsel
Dann zogen sich die Liverpooler sehr intensiv und diszipliniert zurück. Die Abwehrkette formierte sich sehr eng und versperrte den direkten Weg zum Tor. Die Achter kamen schnell in den Rückraum zurück, um Hereingaben von außen zu versperren. So war der BVB gezwungen, die Angriffe noch etwas stärker und risikoreicher zu beschleunigen als üblich, was ihnen nicht gut gelang. Vor allem Mkhitaryan erwischte einen schwachen Tag und konnte aus den besten Zwischenraum-Situationen nichts machen.
So ähnlich waren die Probleme, wenn Liverpool im 4-5-1 tiefer aufgereiht war. Grundsätzlich haben die Borussen für beide Szenarien gute Lösungen und sie riefen sie auch punktuell ab, jedoch gelang es seltener und unsauberer als gewohnt. Durch das ständige Wechseln Liverpools zwischen aggressivem und passivem Verteidigen konnten sich die Schwarzgelben nicht in einen passenden Rhythmus spielen. Gegen manche Bundesliga-Gegner hatten sie ja schon phasenweise und besonders zu Spielbeginn Probleme, Chancen zu kreieren, doch kamen im Laufe des Spiels besser in die Partie. Hier wirkten sie hingegen 90 Minuten lang relativ wacklig und unfokussiert, da sie sich ständig neu anpassen mussten. Tuchel bemängelte nach dem Spiel auch die fehlende Lockerheit der Spieler.
Spätes Nachrücken beim BVB
Eine Änderung zur üblichen Herangehensweise bei den Borussen war eine etwas zurückhaltendere Stellung im Spielaufbau. Vor allem zu Beginn standen die Innenverteidiger (also Bender und Hummels) ungewöhnlich eng. Das passte an sich ganz gut, weil sie dadurch vor den Schnittstellen der Dreierreihe positioniert waren und die Wege für Coutinho und Lallana lang wurden.
Allerdings hielten sich in der Folge Piszczek, Schmelzer und Durm auch an eher tiefe, enge Positionen und schoben nicht so viel Raum frei wie gewohnt. Einige Male fehlte Schmelzer dadurch vorne und Durm musste einige Male zu früh angespielt werden und verlor dann Bälle. In der Folge hatten auch Reus und Mkhitaryan etwas weniger Möglichkeiten, da die gegnerischen Außenverteidiger selten gebunden wurden. Zudem agierten sie intuitiv etwas breiter und so gab es innerhalb der schwarzgelben Offensive nur punktuell mal nutzbare Verbindungen.
Andererseits kamen die Reds allerdings dadurch nicht in Konter. Nach Ballverlusten hatten die Borussen immer wieder schnell drei und kurz darauf fünf Spieler in der letzten Linie und zudem besetzten Weigl und Castro diszipliniert das Zentrum.
Asymmetrisches Dortmunder Pressing
In die andere Richtung entwickelte sich das Spiel interessanterweise recht ähnlich. So spielten die Borussen ebenfalls ein vielseitiges, anpassungsfähiges und leitendes Pressing, während Liverpool zwar recht pressingresistent reagierte, allerdings auch aus einer eher tiefen Grundstaffelung agierte. Dadurch mussten sie dann doch häufig zum langen Ball greifen und verloren auch einige Bälle, doch kamen schnell wieder hinter den Ball.
Wie in der Grafik der Grundformationen zu sehen war die Dortmunder Staffelung dabei grundsätzlich asymmetrisch. Durm pendelte zwischen Mittelfeld und Abwehr, teilweise rückte auch Schmelzer heraus; so entstanden Dreier- oder Fünferkette aus der nominellen Viererkette. Reus spielte eher als zweiter Stürmer; Mkhitaryan wechselte zwischen rechts, halbrechts und der Mitte. Zumeist lenkten Aubameyang und Reus das Spiel von außen auf Mkhitaryan und/oder Castro. Der kompakte Fünferblock konnte Liverpool immer wieder nach außen abdrängen, wo die Quasi-Fünferkette dann abgesichert zuschob. (Eventuell gibt es zu dieser Pressingvariante mal einen theoretischen Artikel, wo genauer auf die Details eingegangen wird.)
Liverpool formierte sich dagegen im Grunde 2-5-2-1-haft. Milner und Henderson stießen vereinzelt nach vorne, positionierten sich aber meist auf ähnlicher Höhe wie Can und die Außenverteidiger. Coutinho und Lallana rückten als Verbindungsspieler ein, während Origi Tiefe gab. So hatte Liverpool viele Dreiecke zwischen den ersten beiden Aufbaulinien, aber wurde beim weiteren Vorwärtsspiel mangels der Anzahl von Optionen recht vorhersehbar.
Nach langen Bällen formierte sich das Mittelfeld sehr kompakt um Origi und konnte viele zweite Bälle erobern, doch der BVB war ebenfalls gut strukturiert und konnte anschließend weiter Druck machen. Durch die dicht besetzte letzte Linie der Borussen und die enge, eher tiefe Positionierung der Liverpooler Außenstürmer (eher Zehner in diesen Situationen) konnten die zweiten Bälle nur langsam verarbeitet werden, sodass sich dann eher Mittelfeldgeplänkel entwickelte.
Fazit und Implikationen für das Rückspiel
Man kann konstatieren, dass es eine Partie auf sehr hohem taktischen Niveau war. Das Pressing beider Mannschaften war nicht nur intensiv und gut organisiert, sondern beide Mannschaften beeindruckten dabei zudem mit hoher Anpassungsfähigkeit in organischen Ausrichtungen, wo permanent Orientierungen gewechselt wurde und geschickt zwischen aktivem und passivem Verteidigen gewechselt wurde. Indes versuchten beide Mannschaften auch aktiv, die Schwachpunkte der gegnerischen Organisation mit gezieltem Aufbauspiel aufzudecken, ohne dabei die potentielle Konterstärke des Gegners außer acht zu lassen.
Die Vielseitigkeit dieser Partie macht sie zum einen schwer zu analysieren, zum anderen ergibt sich daraus ein unklares Bild für das Rückspiel. Gut möglich, dass die Herangehensweisen beider Teams fast deckungsgleich mit dem Hinspiel sein werden und Tuchel darauf vertraut, dass die gelegentliche Vorstöße besser ausgespielt werden und man hinten etwas konzentrierter ist.
Ansonsten wäre eine interessante Möglichkeit für den BVB, die Flügel in der Tiefe gar nicht zu besetzen, sondern dort bis in die Nähe der letzten Linie zu schieben, während in der zweiten Aufbaulinie Überzahl hergestellt und abgesichert wird. Also beispielsweise indem Schmelzer ins Zentrum einrückt, während Reus die Seitenlinie hält. Dann könnte man das Herausrücken der Liverpooler provozieren, dieses vertikal überspielen und dann mit viel Breite die Viererkette attackieren; gleichzeitig wäre man weiterhin gut abgesichert. Eine andere Möglichkeit wäre ein klarerer Fokus im Offensivspiel, sodass die numerisch reduzierte Offensive besser zusammenarbeiten kann; beispielsweise könnten Reus und Mkhitaryan halblinks überladen, während Aubameyang sich balancierend nach rechts absetzt und nur punktuell sowie als Abschlussspieler eingebunden wird. In jedem Fall wird wichtig, dass gegen den tiefstehenden Block fokussiert mit Lupfern gearbeitet wird, während man gegen das aggressive Pressing verstärkt versucht entweder durch die Schnittstellen oder über die Seiten der Abwehr durchzukommen.
Weiterhin wird interessant, ob Klopp noch mal einen Plan C auspacken kann, wie seine Mannschaft auf Vorsprung oder Rückschlag reagiert und ob Anpassungen während des Spiels notwendig werden. Am Wochenende errangen die Reds ein 4:1 gegen Stoke, wo sie mit einer Raute agierten. Das könnte noch eine Variante sein, auch um die Offensivpräsenz bei langen Bällen und im Konterspiel zu erhöhen.
In jedem Fall darf man sich auf ein intensives, organisch geführtes Spiel mit kreativen Momenten freuen. Ich hab mich ja in den letzten Jahren häufig gefragt, wie es wohl aussehen würde, wenn Klopps BVB gegen sich selber oder gegen Barcelona spielen würde; diese beiden Partien bilden nun wohl eine Art Mischung aus diesen beiden Varianten an.
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Im Mai wird es voraussichtlich erscheinen, das genaue Erscheinungsdatum kann variieren.
(Man tut Spielverlagerung übrigens viel gutes, wenn man das Buch bei uns bestellt und nicht woanders.)
11 Kommentare Alle anzeigen
Patric 14. April 2016 um 23:52
Soviel steht fest: Mit seiner Vergangenheit scheint Jürgen Klopp keine allzu großen Probleme zu haben… 😐
Schorsch 14. April 2016 um 23:27
Schöner Artikel. Etwas vermisse ich, dass nicht auf die Einwechselungen Tuchels eingegangen wird. So ganz konnte ich die nicht nachvollziehen. So kompakt wie Liverpool den zentralen Raum vor dem eigenen Strafraum besetzte hätte ein Spieler wie Kagawa gut gepasst.
Aber was soll’s, im Rückspiel hat man vieles richtig gemacht. Um dann nach der zweiten Zweitoreführung den Sieg aus der Hand zu geben. Hier fand ich die Auswechselung Kagawas für Ginter auch etwas unglücklich, nicht nur weil umgehend der Ausgleich fiel. Auch die anderen beiden Wechsel konnte ich nicht so recht nachvollziehen.
Ich kann mich täuschen, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass dieses Ausscheiden aus der EL noch negative Folgen für den BVB haben wird. Und zwar nicht wegen der Tatsache, dass man ausgeschieden ist. Sondern wie man ausgeschieden ist.
Druffundewerre 15. April 2016 um 00:47
Ich schliesse mich an. Hummels hat dazu in wenigen Worten viel gesagt und oft bleibt in Erinnerung, mit welcher Tendenz man eine Runde beendet. 2015 feierte man das Erreichen der EL nach einer schwierigen Saison, dieses Jahr ist die Runde „vom Kopf her“ nur mit dem Gewinn des DFB-Pokals zu retten und die ueberragende Leistung in der Liga interessiert eigentlich schon jetzt nicht mehr so richtig. Ich fand das heute so unnoetig und willenlos weggeschenkt. Ich bin kein Taktikfuchs, aber manchmal, tun es einfache Grundwahrheiten, wie zum Beispiel, dass man den Gegner nicht einfach im Ruecken laufen laesst, nachdem dieser gepasst hat – siehe die Doppelpaesse vor dem 1. und 2. Liverpooler Treffer und die Passivitaet beim Einlaufen des Flankengebers vor dem Siegtreffer. Schon in der ersten Halbzeit konnte Liverpool zig mal hoch und flach flanken, auch daraus resultierte eine Unzahl von Eckbaellen. Keine Ahnung, warum eine Mannschaft mit so grosser CL-Erfahrung sich so ins Bockshorn jagen laesst, statt mit der 2- Tore- Fuehrung im Ruecken den Ball laufen zu lassen. Und was mich besonders aergert: Nichts ist doch leichter zu verteidigen als ein flacher Eckball (3-3). Schade, aber da sind einfach zu viele Borusen abgetaucht, als es ernst wurde. Nach vorne hat man kaum noch Aktionen gehabt, bei denen man in Torrichtung aufgedreht hat; Dreiecke waren Fehlanzeige.
Druffundewerre 15. April 2016 um 00:50
Hier ist das fehlende S bei Borusen: s.
Fan 15. April 2016 um 09:26
„einfache Grundwahrheiten“
Ach, wie GUT das tut. Man liest und hört immer so hochgestochenes Zeug von Möchtegern-Könnern, die selbst nie vernünftig gespielt haben, und dann passieren solche einfache Fehler, weil die Trainer glauben, schon alles gelesen zu haben.
Sven 15. April 2016 um 11:27
Stimme dir voll zu. Da kannst du noch so sehr irgendwelche Systeme an der Playstation nachspielen und die Begriffe dazu auswendig lernen und nachplappern….. Eigenschaften wie Willenstärke, Motivation kannst du eben nur in der Realität erzeugen….. Das ist eben wirklicher Fussball…..
Druffundewerre 15. April 2016 um 19:32
Danke, dass ihr mich versteht. Und die Dortmunder haben auch die CL- Hymne nicht mitgesungen! Nein, ich wil jetzt nicht mit Blut und Traenen- Tiriaden kommen. Mein Punkt ist nur, dass du als
Trainer chancenlos bist, wenn die einfachsten Dinge nicht mehr gemacht werden, dieser beruehmte Schritt weniger, das ein bisschen zu fruehe Abschalten…. Es kommt jamauch in der Analyse raus: Liverpool paarte Taktik und Willen, Dortmund rutschte weiter und weiter nach hinten. Vor ein paar Wochen hat der OFC gegen Elversberg kurz vor Schluss noch den Ausgleich kassiert, weil man selbst nach Befreiungsschlaegen im 16er blieb. Da fehlt dann das Zutrauen und die Angst regiert.
Hannes 14. April 2016 um 21:50
Wieder ein wunderbarer Text und das Buch gleich bestellt, bessere Lektüre zum Thema Fußball gibt es einfach nicht! Danke.
L 14. April 2016 um 17:24
Was ist mit einem „organischen Spiel“ gemeint?
Meohisto 14. April 2016 um 18:45
Hab ich mich auch direkt gefragt. Ich denke Mr meint das Gegenteil von künstlich, statisch, das die Teams sich anpassen, enwickeln, wachsen etc. . Finde dann nur die passive Floskel “ organisch geführtes Spiel“ etwas unpassend…
Stefan 14. April 2016 um 17:21
Das macht Lust auf das Spiel. Und das Buch erklärt, warum der letzte vierte Teil zur Krise Dortmunds in der letzten Saison nie erschienen ist ;). Wie dem auch sei: großartige Sache!