Bilderbuch Jugendfußball? – Ein Blick auf Deutschlands Heiligtum
Wie steht es um den Jugendfußball in Deutschland? Wir haben uns im ganzen Land umgeschaut – und kommen zu einem ernüchternden Ergebnis.
Im Anschluss an den Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 klang es einhellig in sämtlichen Medien: Funktionäre, Trainer und Joachim Löw höchstpersönlich lobten die deutsche Jugendarbeit als Fundament für den großen Erfolg – und damit auch ein wenig sich selbst. Dieser Titel bewies mehr, als dass man nur die beste Nationalmannschaft der Welt stellte. Er zeigte gleichzeitig, dass man in etwas mehr als 10 Jahren die beste Nachwuchsförderung überhaupt aufgebaut hatte und zum Vorbild für alle restlichen Nationen geworden war.
Tatsächlich lässt sich festhalten: Ohne einen einschneidenden Wandel nach der katastrophalen, fast schon satirisch anmutenden Europameisterschaft 2000 wäre es niemals so weit gekommen. Die zugrundeliegende Entwicklung wird derzeit in einigen neu erschienenen Büchern thematisiert und hervorgehoben – etwa von Schalkes U16-Trainer Stephan Schmidt oder dem renommierten Journalisten Raphael Honigstein.
Der Schritt, ein derart enges Netz aus Stützpunkten, Auswahlmannschaften und Nachwuchsleistungszentren (NLZs) aufzubauen, muss als historisch angesehen, nunmehr aber auch so behandelt werden. Er bietet höchstens eine Grundlage für weitere Entwicklungen, die damit keineswegs geschehen sind. Man könnte vereinfacht festhalten: Ein quantitativer Wandel ist vollzogen. Es wird zunächst tatsächlich kein Talent mehr aus dem großen Pool an deutschen Nachwuchsspielern übersehen.
Dies hatte zweifelsohne zur Folge, dass die bereits zuvor in der Spitze vorhandene Qualität nunmehr bei einer viel größeren Zahl von Spielern zu finden war. Eine Leistungssteigerung war in Verbindung mit einigen wichtigen, aber nicht derart weitreichenden inhaltlichen Anpassungen, fast schon die logische Konsequenz. Doch die Grenzen, was inhaltliche Qualität angeht, sind noch lange nicht erreicht. Dabei geht es nicht unbedingt um Detailfragen, sondern auch um strukturelle Aspekte. Nach dem konsequent durchgezogenen quantitativen Wandel wird nun ein qualitativer Wandel notwendig sein, wenn man nicht in einer heute unendlich fern wirkenden, aber möglicherweise doch recht nahen Zukunft nicht erneut ein böses Erwachen erleben möchte.
Alle deutschen Teams sind bereits in der Vorrunde der UEFA Youth League ausgeschieden, bei der U17-Weltmeisterschaft war für das deutsche Team bereits im Achtelfinale Schluss. Auch andere Jugend-Nationalmannschaften konnten nicht an die vorangegangenen Erfolge anknüpfen. Matthias Sammer selbst hat in seiner Zeit als DFB-Sportdirektor den Erfolg als wichtige Marschroute, insbesondere in diesen Altersgruppen, vorgegeben. Insofern ist eine Betrachtung des Erfolgs nach dem Selbstanspruch des DFB durchaus legitim. Selbstverständlich kann man nun auf gewisse externe Gründe verweisen und gleichzeitig dennoch hervorheben, dass es im Nachwuchsbereich auch vermehrt um Entwicklungen geht. Dahingehend ist also eine Analyse der zugrundeliegenden Prozesse und nicht nur einzelner Ergebnisse notwendig.
Deshalb habe ich mir über mehrere Monate verteilt die deutschen Elite-Ligen des Nachwuchses genauer angeschaut: Von jedem Team aus U19- und U17-Bundesliga sah ich dabei mindestens eine Halbzeit aus der Hinrunde 2015/16. In diesem Rahmen untersuchte ich die Spiele taktisch und vielmehr noch strategisch auf wiederkehrende Muster, um mögliche Fehler im Ausbildungsprozess ausfindig zu machen.
Wer trainiert die Elite-Jugendmannschaften?
Selbstverständlich beeinflussen neben größeren Zusammenhängen auf individueller Ebene insbesondere die Trainer persönliche wie mannschaftliche Entwicklungen. Nicht nur deshalb ist ein kurzer Blick auf ihre Hintergründe sinnvoll. Eine Trennung von U19 und U17 bietet sich aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen an. Die Daten hierzu stammen von weltfussball.de, Stand: Ende Dezember 2015.
Der durchschnittliche U19-Bundesliga-Trainer ist 41,37 Jahre alt, bei der U17 beträgt das Durchschnittsalter 37,9 Jahre. Bei der U19 sammeln sie sich vor allem im Bereich zwischen 36 und 45 Jahren, während sich dies bei der U17 ein wenig nach vorne, auf das Alter zwischen 30 und 40, verschiebt. Gibt es in der U19-Bundesliga noch vier Trainer, die über 50 Jahre alt sind, so ist diese Altersklasse in der U17-Bundesliga überhaupt nicht mehr repräsentiert. Die beiden jüngsten Trainer sind jeweils 27 Jahre alt.
Die Hintergründe der Trainer unterscheiden sich dabei in Bezug auf die eigene fußballerische Vergangenheit zum Teil erheblich: 22 von 42 U19-Trainern haben selbst mindestens auf Regionalliga-Niveau gespielt (15 mindestens 2. Bundesliga). 17 von 42 U17-Trainern waren selbst mindestens in der Regionalliga aktiv (13 mindestens in der 2. Bundesliga). Auch was die Bindung zum Verein angeht, ergeben sich zum Teil erhebliche Unterschiede: 15 von 27 U19-Trainern waren zuvor im selben Verein aktiv (U17: 12 von 42).
Als verbindendes Element dieser doch recht heterogenen Gruppe lässt sich der Deutsche Fußball-Bund als quasi-staatlich organisierter Monopolist ausmachen: Jeder Trainer, der in einer der Nachwuchs-Bundesligen aktiv werden möchte, muss die Ausbildung des DFB durchlaufen haben. Hier ist, ganz im Sinne der eingangs ausgeführten Aspekte, ein entscheidender Ausgangspunkt in Bezug auf qualitative Veränderungen zu sehen – ganz gleich, ob jemand früher als Spieler professionell aktiv gewesen ist oder nicht.
Eine kleine, stichprobenartige Sammlung lässt sich an dieser Stelle bereits in Hinblick auf das Coaching beziehungsweise im Spiel erkennbare Komponenten davon vorstellen. In den mir vorliegenden Aufnahmen waren immer wieder einzelne Aussprüche wahrnehmbar, die einen nicht völlig repräsentativen Einblick in Bezug auf Heterogenität und Stile geben, gleichzeitig aber das vielfache Fehlen einer Kommunikation im Sinne der „Action Language“ offenbaren:
- Ein ganzer Block umfasst Rufe, wie „Druck“, „Gegen“, Arbeiten“, „Zweikämpfe“ etc., die einen Fokus auf Aggressivität/Laufbereitschaft und das Spiel gegen den Ball zeigen
- Daran anschließend „Wach werden!“ als Beispiel für noch klarer ins unbestimmt-motivational gehende Formen davon
- „Zu viel!“ vor allem als Ausruf nach fehlgeschlagenen Dribblings, dazu grundsätzliches Fordern von „weniger Kontakten“ in unterschiedlichen Situationen. Oftmals zusätzlich Forderung:
- „Schneller spielen!“. Umschaltfokus lässt sich erahnen, ebenso bei einem generalisierenden Spruch wie „Nicht quer!“
- „mehr Geduld“ als Gegenstück dazu
- „Bewegung!“: Wohin?
- „Kommunikation!“, „Ihr redet gar nicht“
- „Das ist zu einfach!“ steht beispielhaft für eine Aussage ohne Handlungsanweisung: Was lässt sich für den Spieler daraus mitnehmen?
- „Torschuss, Männer!“ als unspezifisches Merkmal für Abschlussfokus; „Strafraum/Box besetzen“ als spezifischere Form davon
- „Immer wieder dasselbe…“ (unkonkret); „Das ist ein scheiß Anspiel da“ (etwas konkreter)
- „Orientier‘ dich vorher schon am Gegenspieler. Vorher rausrücken“ als Beispiel für Coaching einer konkreten Vorgabe
- „Weg von der Seite“, „Halbspur besetzen“ etc. weniger konkret, aber ebenfalls Verweis auf (strategische) Vorgaben
Aus diesen Fragmenten lässt sich natürlich noch kein umfassendes Bild ableiten. Bestimmte Codewörter sind einem Außenstehenden nicht zugänglich. Ein lapidar daherkommender Ruf kann möglicherweise etwas ganz anderes bedeuten, das mit einer konkreten Aktion verbunden ist (z.B. mit einer anderen taktischen Variante, einem taktischen Foul oder ähnlichem).
Deshalb wird es an dieser Stelle nun unerlässlich, sich anhand von Beispielen mit dem tatsächlichen Geschehen auf dem Platz auseinanderzusetzen. Dort kommen schließlich alle Faktoren zu einem großen Ganzen zusammen.
Szenenbeispiele
Normalerweise braucht man dies nicht mehr zusätzlich anzusprechen, angesichts der möglichen Sensibilität des Themas sei jedoch Folgendes vorweg noch betont: Jede der nachfolgenden Grafiken unterliegt bestimmten Schwankungen, nicht jede Position kann aufgrund mitunter schwieriger Kamerawinkel exakt wiedergegeben werden. Einige Beispiele sind bewusst anschaulich gewählt, während andere gewisse Details hervorheben. Ein negatives Beispiel bedeutet keineswegs eine grundsätzlich negative Beurteilung der jeweiligen Mannschaft(-en). Eine detaillierte Auseinandersetzung anhand konkreter Szenen ist lediglich im Sinne einer konstruktiven Beweisführung notwendig.
Die Bundesliga wird nicht umsonst oftmals, auch hier bei Spielverlagerung oder von Pep Guardiola selbst, als „Umschaltliga“ tituliert. Die meisten Mannschaften sind tatsächlich von einem mehr oder weniger hohen Umschaltfokus geprägt: Aus einer kompakten Defensive heraus erfolgt nach Ballgewinn möglichst schnell ein Anspiel in die Tiefe, das direkt Erfolg bringen soll. Bleibt dieser aus, greift optimalerweise das Gegenpressing. Nicht selten entsteht daraus ein Hin und Her mit unruhigem Rhythmus.
Auch die Nachwuchsmannschaften stehen aufgrund ihrer Verankerung in den Vereinen der Profiteams grundsätzlich in dieser Tradition. Was hier erschwerend hinzukommt, ist die allgemein größere Unruhe im Jugendbereich, die auch schon ohne expliziten Fokus auf Umschaltsituationen auftritt. Dieser kann zusätzlich zu einer Verschärfung der Situation führen und aus einem unruhigen Rhythmus einen unkontrollierten bis völlig wilden machen, wovon (physisch) reifere Spieler in der Regel profitieren. Unabhängig vom später angestrebten Spielstil erscheint es sinnvoll, den Spielern auch ruhigere Zirkulationsphasen näherzubringen beziehungsweise ihnen Situationen aufzuzeigen, in denen diese sinnvoll eingebracht werden können. Dies würde gleichfalls dem Sinn der Ausbildung entgegenkommen: Man gibt den Spielern mehrere Möglichkeiten an die Hand, legt sie aber nicht auf einen Weg fest. Wie sich so etwas ins Training integrieren lässt, zeigte zum Beispiel Sascha Eickel, heute U19-Trainer Eintracht Braunschweigs, bei der ITK 2012.
Weiterhin gilt es im Jugendfußball zu beachten, dass auch in Sachen Kompaktheit Defizite sowie grundsätzlich mehr Unsauberkeiten auftreten. Dies hängt etwa mit der geringeren Erfahrung zusammen und ist kein Kritikpunkt im eigentlichen Sinne. Zwischen U17 und U19 sollte man hier aufgrund des Altersunterschieds ebenfalls differenzieren. Bedenklich wird es allerdings, wenn gewisse (implizite) Grundsätze unabhängig von den konkreten Abläufen wiederkehrend außer Acht gelassen werden. Diese sind definitiv, unabhängig vom Erfahrungsschatz, vermittel- und somit veränderbar.
Pressing
Gegen den Ball zeigt sich in vielen Spielen dieselbe Vorherrschaft des 4-4-2-Mittelfeldpressings wie auch in der Herren-Bundesliga. Der Variantenreichtum ist dabei zwar durchaus ausgeprägter, aber nicht in dem Maße, wie es vorstellbar wäre, wenn man etwa Konnotationen des Nachwuchssports als „Fußball von morgen“ und den rhetorischen Fokus auf (vielseitige) Ausbildung vernimmt. Eher, so scheint es, gibt sich ein „Fußball von heute mit neuem Personal“ zu erkennen. Die Umsetzzung dessen ist trotz nachfolgender kritischer Begutachtung in der Regel solide bis gut. Der inhaltliche Fokus auf Pressing schlägt sich dahingehend positiv nieder.
Grundsätzlich wird raumorientiert verteidigt, jedoch bei einer Vielzahl von Teams mit diversen Mannorientierungen versehen – recht klar am Flügel, etwas flexibler auf den zentralen Mittelfeldpositionen. Ob den Spielern der Sinn hinter beidem klar ist, den Gegner aggressiv aus bestimmten Zonen herauszuhalten und den Weg zum Tor möglichst zu versperren, bleibt oft unklar.
Viele Szenen zeigen unreflektierte Mannorientierungen, die fast in eine klare Manndeckung übergehen und Räume öffnen statt die Raumorientierung mit besserem Zugriff zu unterstützen. Hierzu sei am Rande noch angemerkt, dass in Berlin zum Beispiel bis einschließlich zur D-Jugend ohne Abseits über die Hälfte des Platzes gespielt wird. Damit wird auch ohne explizites Coaching mannorientiertes Defensivverhalten zu einem gewissen Grad gefördert.
Überhaupt wirkt es nicht unbedingt so, als sei allen Teams die strategische Bedeutung des Zentrums bewusst. Im nachfolgenden Beispiel kann sich die U19 des 1. FC Nürnberg durch den großen Fokus Ingolstadts auf deren erste Verteidigungslinie und die Mannorientierungen am Flügel leicht eine Überzahl im zentralen Mittelfeldbereich sichern, die potentiell gefährlich und nicht immer durch Herausrücken aus der Abwehr zu stoppen ist, insbesondere bei besserer Besetzung der umliegenden Räume.
Die U19 der TSG Sprockhövel ballt sich in der nächsten Grafik defensiv vor allem im nur schwer anspielbaren, von Bayer Leverkusen kaum besetzten, rechten Halbraum, während ein Anspiel zur Mitte oder an die Grenze des linken Halbraums einfach möglich ist. Es deuten sich Schwächen im kollektiven Verschieben an, in denen statt dem aktiven Blocken wichtiger Zonen, zunächst Gegenspieler passiv aufgenommen werden. Aus einer vergleichbaren Situation fiel etwa das zwischenzeitliche 1:0 für Bayer.
Nicht nur nach Verlagerungen, sondern auch in unübersichtlichen, von mehrfach aufeinander folgenden Umschaltchancen geprägten Situationen, zeigt sich eine unbalancierte Vernachlässigung der zentralen Zonen. Ein extremes Beispiel veranschaulicht die Grafik aus dem Spiel der Sportfreunde Siegen gegen den SC Paderborn (U17).
Die verteidigende Mannschaft formiert sich nahezu kreisförmig mit großem Fokus auf die erste Verteidigungslinie und den ballnahen Flügel – allerdings ohne dabei ein Zuspiel zur Mitte entscheidend verhindern zu können. Der rechts neben der markierten Zone befindliche Sechser orientiert sich eher an der eigenen Abwehrreihe als am offenen Raum. Der ballferne Flügelspieler zeigt sich gänzlich uninteressiert am Geschehen. Dieses „Abschalten“ oder „verbindungslose Verbleiben“, wenn der Ball nicht in unmittelbarer Nähe ist, bildet ein wiederkehrendes Phänomen.
In Situationen, die es nicht erlauben, klar vorgegebene Muster einfach mechanisch abzuspulen, wirken einzelne Spieler ebenfalls ein ums andere Mal unsicher bis überfordert. Wenn das Team den Ball am Flügel nach dortigem Isolieren gewinnen will, dies aber nicht gelingt – wie reagiere ich dann? Es kann aufgrund der Komplexität des Fußballs schlichtweg nicht für jede Situation einen Plan geben.
Hier kommen auf Teamebene, wie von Verheijen ausgeführt, Kommunikation und auf individueller Ebene Spielverständnis („game insight“) zum Tragen. Beides hängt laut einer plausiblen Erweiterung von Kollege RM elementar mit dem richtigen Priming (Aktivierung spezieller Assoziationen im Gedächtnis aufgrund von Vorerfahrungen) zusammen. Hier scheint es durchaus Defizite oder zumindest Vermittlungsprobleme zu geben.
Neben dem Zentrum werden auch die Halbräume vermehrt vernachlässigt, welche in der Grundform des 4-4-2 ohnehin durchaus anfällig sind. Allzu leicht öffnet sich in folgendem Beispiel ein Kanal zum problemlosen Andribbeln, da sich vor allem der linke Sechser mannorientiert wegziehen lässt und beide Stürmer sich um Bremens zentralen Mittelfeldakteur kümmern.
Bei der U19 des 1. FC Mönchengladbach kommt im Derby gegen die Borussia zur Vernachlässigung der Halbräume schließlich noch unklares, respektive der Situation unangepasstes Zugriffsverhalten hinzu. Trotz schwacher Raumbesetzung und wenig druckvoller Staffelung der Fohlen lässt man sich freiwillig ohne größere Gegenwehr zurückdrängen. Ohne Raum- oder Balldruck fällt es dem Gegner dann letztlich leichter, bestehende Lücken zu bespielen. Schwächen in dessen eigenem Spiel fallen möglicherweise weniger auf.
Diese Unbewusstheit, was den kollektiven und individuellen Zugriff betrifft, äußert sich auch darin, dass Chancen verpasst werden, den Gegner in Fallen zu locken und ihn dort zu isolieren. Im vorliegenden Beispiel passt zwar zunächst die Abstimmung zwischen bogenförmigem Anlaufen des Mittelstürmers und der Reaktion des rechten Flügelspielers darauf.
Es besteht aber im Anschluss die Chance, einen Pass ins Zentrum zu provozieren und den dort verbindungslosen Spieler im 4 gegen 1 zu isolieren. Aufgrund der allzu großen Abstände der rautenförmig gestaffelten Verteidiger ist eine Befreiung für ihn jedoch zu einfach möglich, da nicht effektiv Druck aufgebaut werden kann.
Das Problem zu großer Abstände macht sich erst recht im Angriffspressing bemerkbar – allein aufgrund der dort ohnehin vorkommenden formativen Streckung. Passen zusätzlich die Anlaufbewegungen nicht, kann schnell eine gefährliche Gleichzahlsituation im Zentrum entstehen. Eine dann erfolgreiche Ablage führt bei einigermaßen vorhandener Dynamik zu Schwierigkeiten. Selbiges wäre bei konsequenterer Zentrums-/Halbraumbesetzung der angreifenden Mannschaft erst recht der Fall.
Ein aufgrund ihrer Wildheit und Ansammlung in Ballnähe interessantes Beispiel stellt die U17 von Eintracht Braunschweig dar, die immer wieder ein hohes Maß an horizontaler Kompaktheit mit einer ungleich geringer ausgeprägten vertikalen Kompaktheit kombiniert.
Die Mannschaft kann so regelmäßig gute Zugriffsmomente erzeugen. Oft werden hierbei Einwürfe gewinnbringend für aggressive Balleroberung und schnelles Spiel in die Tiefe fokussiert. Die Mängel bei der vertikalen Kompaktheit zeigen sich dafür umso stärker im Anschluss an das Überspielen höherer Pressingszenen oder bei negativ verlaufenden Umschaltaktionen, in denen das Gegenpressing überspielt wird.
Die Norddeutschen sind jedoch nicht die einzige Mannschaft, die mit solchen Absicherungsproblemen zu kämpfen hat, in denen liberohafte Staffelungen entstehen. Dies konnte ich in einigen Situationen bei mehreren Teams beobachten – so etwa bei der U19 von Borussia Dortmund.
Für eine diesen Themenblock abschließende Grafik muss schließlich die U19-Mannschaft des Lokalrivalen VfL Bochum in einer überaus unglücklichen Szene herhalten, die mehrere zuvor genannte Aspekte in sich vereint: unpassende Mannorientierungen und mangelnde Abstimmung der Spieler untereinander. Trotz einer engen Staffelung in Ballnähe lässt Bochum leichtfertig eine 4 gegen 2-Überzahl für Düsseldorf in einer für sie eigentlich schwierigen Lage zu. Die Restverteidigung erfolgt dann praktisch im 1 gegen 1.
Aufbaustrukturen
Sein eigenes Spiel rein auf die Spielphasen ohne Ballbesitz zu beschränken kann auf Dauer keine Lösung sein. Das haben wohl auch viele Nachwuchstrainer erkannt und legen vermehrt einen gewissen Fokus auf das eigene Aufbauspiel: Was passiert, wenn nicht wir diejenige Mannschaft sind, die im engen Block verteidigt sondern diejenige, die das gegnerische Pressing überspielen muss?
Eine Folge dieser zusätzlichen Komponente stellt zunächst das verbesserte fußballerische Niveau der Torhüter dar. Sie werden zwar selten wirklich konsequent im Rahmen einer Torwartkette eingebunden (Die U19 des FC Bayern tut dies beispielsweise ab und an mal mit Torhüter David Hundertmark), aber sind auch in etwas kritischeren Situationen zumindest anspielbar und können unter Druck ordentliche Entscheidungen treffen.
Grundsätzlich wird das Aufbauspiel oft als Ballsicherung im ersten Drittel zur Vorbereitung vertikaler Zuspiele gesehen. Daraus ergibt sich immer wieder ein Fokus auf die eigene erste und letzte Linie – die Verbindungsräume dazwischen (zumeist im zweiten Drittel) werden weitestgehend vernachlässigt, wie nachfolgend besonders anschaulich anhand zweier Beispiele aus dem U17-Spiel des FC Augsburg gegen die Stuttgarter Kickers zu sehen:
Die Art des Aufbauspiels ist dabei oftmals eine, die anhand einiger festgelegter Abläufe und Mechanismen von Statten geht. Viele Sechser lassen sich in völlig unterschiedlichen Situationen immer wieder auf die gleiche Weise zwischen die Innenverteidiger oder neben sie zurückfallen.
Dabei bleiben Umstände wie die Art des Anlaufens durch den Gegner (Wozu braucht man einen zusätzlichen Spieler in der ersten Linie, wenn man schon zu zweit aufbauen kann, ohne attackiert zu werden?) oder die Art der nötigen Unterstützung (Bringt es etwas zurückzufallen, wenn die Mannschaft gerade am Flügel isoliert wird? Sollte man da nicht eher in höheren Räumen Verbindungen schaffen?) außen vor. Auch das Timing bildet einen kritischen Punkt, wenn es letztlich nur darum geht, zurückzufallen, um eine Aufgabe zu erfüllen, anstatt das Aufbauspiel effektiv zu unterstützen.
Die etwaigen großen Lücken zwischen erster und letzter Linie lassen sich sicherlich in einem bestimmten Maße noch dadurch erklären, dass man entsprechende Räume dynamisch anlaufen will. An sich bereits ein zweifelhaftes Unterfangen, wenn man ohne offene Stellung mit dem Rücken zum Tor steht und keine Folgeverbindungen hat. Was sich damit definitiv nicht erklären lässt, ist die mangelnde Reaktion der eigenen Mannschaft auf ein gut ausgeführtes Angriffspressing des Gegners.
Die U19 von 1860 München agiert wie üblich kompakt und nutzt bewusst ihre Deckungsschatten, um Anspieloptionen zuzustellen. Die drei zentralen Spieler des VfB Stuttgart bleiben in ihrem zugeteilten Bereich. Es gibt keine unterstützende Bewegung in den ballnah durchaus bespielbaren Halbraum. Der in vorherigen Grafiken bereits angedeutete Flügelfokus ist fast schon auf die Spitze getrieben. Man will den Gegner auseinanderziehen, aber beraubt sich letztlich vor allem selbst der nötigen Verbindungen.
Weiterhin dribbeln allzu viele Verteidiger gegen zunächst passiv stehende Gegner nicht in den vorhandenen Raum an. Statt Verwirrung bei diesen zu stiften (mit stets vorhandener Rück-/ oder Querpassoption) wird allzu oft ein gewisser Sicherheitsabstand von 10 Metern oder mehr gehalten. Gemeinsam mit anderen zuvor erwähnten Aspekten, resultiert dann im besten Fall noch das von Pep Guardiola gefürchtete „U“. Schlimmstenfalls drohen schwer zu verteidigende Ballverluste, nach denen der Gegner den offenen Zwischenraum gerade bei schwacher Nachrückbewegung schnell überbrücken kann.
Auch aus langen Bällen ohne Rückraumbesetzung können solche gefährlichen Gegenzüge ohne weiteres entstehen. Das direkte Spiel hinter die Abwehr kann umgekehrt natürlich auch Vorteile haben, wenn man über Spieler mit entsprechendem Geschwindigkeitsvorteil verfügt. Ob man diese im Einzelfall höher ansiedelt als Absicherungsprobleme, bleibt der individuellen Abwägung des jeweiligen Trainers überlassen.
Überhaupt werden lange und hohe Bälle aus Aufbausituationen heraus gerne genutzt, insbesondere in Form von Verlagerungen. Diese nehmen auch immer wieder eine recht wichtige Rolle im jeweiligen Coaching ein. Was bei solchen Pässen jedoch vielfach unterschätzt wird, ist die relativ lange Zeit, die sie in der Luft verbringen, ehe sie das mögliche Ziel erreichen. Um dies wirklich präzise zu tun, ist darüber hinaus oft ein außergewöhnliches Maß an technischen Fähigkeiten nötig. Die Situation in der Zielzone kann im Moment des Abspiels auf eine lokale Überzahl hindeuten, die allerdings im Moment der Annahme schon wieder neutralisiert sein kann.
Hier spielen die Anschlussverbindungen mit hinein, die ebenso wie grundsätzliche Dynamiken oftmals außer Acht gelassen werden. Die kurzen Momente des freien Dribblings bringen wenig, wenn man im Anschluss am Flügel isoliert verbleibt mit weniger Optionen als auf der Gegenseite und schlimmstenfalls ohne jede Dynamik.
Den Gegner auf eine Seite zu locken, um die andere freizuspielen, kann ein höchst wirkungsvolles Mittel sein, das auch im Rahmen des Juego de Posicion genutzt wird. Allerdings kommt es dabei nicht auf das bloße Durchführen eines vorher festgelegten Plans sondern auf die Vorbereitung und Nutzung entsprechender Szenen aus dem Spiel heraus an.
Darüber hinaus kann es andere Formen der Spielverlagerung geben, welche die Ausgangslage besser auflösen als ein direkt gespielter Diagonalball – etwa flache Wechselpässe, Andribbeln in offene Räume nach simplen Pässen vor diese oder kontrolliertes Durchspielen über Stationen.
Lange Bälle entstehen natürlich in den meisten Fällen ungeplant unter Gegnerdruck. Ein bewusst organisiertes und flexibel eingeübtes Aufbauspiel schafft insgesamt Abhilfe. Es würde langfristig mehr Ruhe in das Geschehen bringen und einen besser kontrollierbaren Einsatz von Umschaltsituationen ermöglichen. Insbesondere das Gegenpressing ist schließlich maßgeblich von den vorherigen Strukturen in Ballbesitz abhängig. Vernachlässigt man diese, so entstehen teils unkontrollierbare Situationen, die sich kein Trainer wünscht.
Zu weite Abstände können zwar oftmals noch im Moment des Ballverlustes ausgeglichen beziehungsweise überbrückt werden, allerdings nicht mit der gleichen Erfolgsstabilität wie dies bei besseren Strukturen der Fall wäre. Isoliert man nun die miteinander unmittelbar zusammenhängenden Phasen des Spiels voneinander und versucht einen Zustand zu erreichen, ohne dessen Abhängigkeit von weiteren Begebenheiten einzubeziehen, kommt es zu jenen Zufälligkeiten, von denen es später heißt: „Wir waren immer einen Schritt zu spät“.
Im schlimmsten Fall wird eine strategisch unpassende Ausrichtung mit dem Betonen individueller Fehler überdeckt, was wiederum zu vorsichtigerem Verhalten der Spieler, ergo: mehr langen Bällen, führt. Dass die Gründe dafür tiefer liegen, zeigt sich nicht zuletzt im weiteren Angriffsverlauf.
Ballbesitzspiel und Gegenpressing
Grundsätzliche Charakteristiken aus dem Aufbauspiel finden sich nämlich auch weiter vorne wieder – teilweise in verschärfter Form, je näher man dem gegnerischen Tor kommt. Aus der vielfach doppelten Flügelbesetzung ergibt sich ein Flügelfokus. Das zuvor bereits vorhandene Loch verschiebt sich etwas weiter nach vorne und umfasst häufig zentrale Bereiche zwischen Achter- und Zehnerraum. Da die Flügelverteidigung zu denjenigen Aspekten gehört, die eine Vielzahl der Teams auf gutem Niveau beherrscht, enden viele Angriffe in isolierten Situationen.
Der ballnahe Halbraum wird entweder überhaupt nicht oder suboptimal mit ungünstigen Passwinkeln, gegnerischen Spielern im Weg oder mangelnden Anschlussoptionen besetzt. Teams wie etwa die U19 des HSV zeigen vermehrt Ansätze von Pärchen- und Dreiecksbildung mit wiederkehrenden Bewegungsmustern, die in Verbindung mit individueller Überlegenheit zwar zielführend sind, aber nicht auf bestmögliche Art und Weise.
Zusätzlich wird der Konterabsicherung in tieferen Zonen bei eigenem Ballbesitz etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt als dem unmittelbaren Gegenpressing in Ballnähe. Es stellt keine Seltenheit dar, dass vier oder mehr Spieler zurückhaltend agieren, während ballnahe Zonen unbesetzt bleiben. Dies ist gleichwohl einem tatsächlich strukturellen Gegenpressing abträglich und erlaubt nur ein individuelles Nachsetzen mit zwei oder drei Spielern. Hat der Gegner diese überwunden, zieht sich die Mannschaft kollektiv zurück.
Gleichwohl gibt es einige Situationen, auf welche mit kollektivem Nachschieben und gemeinsamem Zustellen von Räumen reagiert wird. Dies sind zumeist Bälle in den Rücken der Abwehr, die leicht nach Außen geschlagen werden – in der Regel ohne wirkliche Intention eines erfolgreichen Zuspiels sondern mehr oder weniger als geplanter Fehlpass. Es wird ein ungünstiges Blickfeld und eine Stellung des Gegners mit dem Rücken zum Spielfeld provoziert, während man grundsätzlich gut abgesichert ist.
Auch die infolge schwächerer Staffelungen auftretenden Gegenpressingsituationen werden regelmäßig intensiv angegangen. Auf Ballverluste reagieren die unmittelbar ballnahen Spieler umgehend. Auch weitere lose im Umkreis befindliche Spieler orientieren sich zum Ort des Ballverlustes. Schwächere Entscheidungen und Ausgangsstaffelungen des Gegners können so wie im Beispiel der U19 von Rot-Weiß Erfurt genutzt werden.
Nur gegen ruhigeres Ausspielen des Konters oder kontrollierte Ballsicherung, die schnell vonstattengeht, wirken sich die duch das vorherige Ballbesitzspiel entstandenen Lücken negativ aus. Auf etwas ungewöhnliche Vorgänge wird ebenfalls nicht immer optimal reagiert. Der Spieler Hoffenheims schlägt den Ball in untenstehender Grafik nicht etwa einfach nach vorne, wie es möglicherweise zu erwarten wäre, sondern setzt ein Dribbling samt kleinräumiger Kombination an. Stuttgart reagiert trotz eigentlich guter Ausgangsstaffelung nicht druckvoll genug darauf. Mit wenigen Pässen ist mindestens die Hälfte der Mannschaft effektiv aus dem Spiel genommen.
Nicht jedes Team schafft es allerdings, sich nach Ballgewinnen derart konstruktiv herauszuspielen und die Schwachstellen der gegnerischen Mannschaft zu nutzen. Das Problem der mangelhaften Zentrumsbesetzung und des inadäquaten Schaffens von Anschlussverbindungen bleibt. Im Beispiel aus der Partie zwischen den U19-Teams von Preußen Münster und dem Wuppertaler SV setzt das Heimteam den ballführenden Spieler nur mit einem Mann unter Druck, ohne im ersten Moment Zugriff erzeugen zu können.
Wuppertal verhält sich jedoch zu statisch, um Raum oder Abspielmöglichkeiten zu schaffen. Mehrere Spieler verharren im Deckungsschatten. Die Stürmer bleiben beide an der gegnerischen Abwehrlinie stehen, während der rechte Mittelfeldspieler auf ein Anspiel hofft statt möglicherweise mit einem Lauf in die Tiefe Raum zu schaffen. Der linke Mittelfeldspieler hält wiederum auf der gegenüberliegenden Seite weiterhin die Breite, ohne dass eine Verlagerung auf ihn direkt oder über Umwege tatsächlich möglich wäre.
Zur unzureichenden Besetzung strategisch wichtiger Zonen kommt der bereits im Aufbauspiel spürbare Fokus auf die letzte Linie hinzu. Dieser entsteht häufig infolge des Festspielens am Flügel. Die Spieler im Zentrum sehen allesamt eine Flanke als letzte verbleibende Option und orientieren sich entsprechend zum Strafraum hin.
Aus dieser ersten Reaktion wird nach Momenten des Stillstands eine insgesamt zu flache Staffelung ohne überraschende Bewegungen oder Entwicklungen. Die verteidigende Mannschaft kann sich denkbar einfach darauf einstellen. Viele Teams reagieren gut und nutzen den Umstand, dass schon ein einziger Verteidiger reicht, um mehrere Optionen über seinen Deckungsschatten zu versperren.
Unter einem derartigen Ausspielen leidet letztlich auch die Besetzung des Rückraums. Die Verbundenheit des gesamten Teams schwindet. Konterabsicherung in den vorderen Zonen gestaltet sich schwieriger. Aufgrund zuvor benannter Aspekte wie genereller Vorsicht beim Vorrücken hinterer Akteure ist sich nicht einmal die Besetzung des Strafraums in Relation zum Gegner wirklich aussichtsreich. Abhilfe können eigentlich nur noch überlegene Flügeldribbler mit individuellen Aktionen schaffen.
Der Relative Age Effect
Dass die Hervorhebung solcher Akteure sich nicht nur strategisch auswirkt, sondern sich auch in der gesamten Ausbildungsstruktur niederschlägt, zeigt der „Relative Age Effect“. Dieser wird von der „Münchner Fussball Schule“ folgendermaßen definiert: „Der RAE besagt, dass im leistungsorientierten Jugendfußball v.a. in den älteren Jahrgängen überdurchschnittlich viele Jugendliche spielen, die in ihrem Geburtsjahr früh geboren sind und damit einen physischen und psychischen Vorteil gegenüber den z.B. im November oder Dezember geborenen Spielern haben“.
Bereits seit den 80er-Jahren ist das Phänomen wissenschaftlich bekannt und wird seitdem erforscht. Auch diverse Strategien zur Lösung wurden seither erprobt, nachzulesen etwa im aktuellen Buch von Raymond Verheijen. Kollege Marco Henseling wird darüber in den nächsten Tagen noch einen ausführlichen Artikel beisteuern, weshalb ich mich hier auf eine kurze Untersuchung des Effekts in Bezug auf die Junioren-Bundesligen konzentriere. Es lässt sich mit Blick auf die nachfolgenden Grafiken festhalten: Der RAE ist allgegenwärtig und nicht zufällig, sondern vielmehr systematisch vorhanden (Die Daten hierzu stammen von weltfussball.de, Stand: Ende Dezember 2015).
Knapp 54% der Spieler aus der U19-Bundesliga sind in den ersten vier Monaten des Jahres geboren, 29% in den nächsten vier Monaten und nur 17% im letzten Drittel. Etwa 70% der Spieler erblickten in der ersten Hälfte des Jahres das Licht der Welt.
In der U17-Bundesliga sieht das Bild kaum anders aus. Es zeigt sich hier ganz im Gegenteil eine noch extremere Ungleichverteilung: Über 57% der Spieler sind im ersten Drittel des Jahres geboren, etwa 75% Prozent in der ersten Hälfte. Alleine aus dem Januar stammen fast so viele Spieler wie aus der gesamten zweiten Hälfte des Jahres zusammen.
Während es auch Mannschaften wie die U17 des 1. FC Köln gibt, die eine mehr oder weniger ausgeglichene Verteilung aufweisen, fallen vor allem Beispiele wie das der U17 des HSV (10 Spieler im Januar geboren, 5 im Februar bei einer Mannschaftsstärke von 25 Spielern) oder jenes der U19 von Hertha BSC (nur 3 von 29 Spielern in der 2. Jahreshälfte geboren) auf.
Einschränkend lässt sich zu allen genannten Zahlen sagen, dass beispielsweise keine Korrelation zu den Einsatzzeiten berechnet wurde und einige der aufgeführten Spieler oftmals nicht zum tatsächlichen Kader gehören. Auch fließt das Geburtsjahr hier nicht mit ein, was insbesondere bei der U17 vermutlich die große Dominanz des Januars erklärt, bekommen doch Spieler des jüngeren Jahrgangs, die dort geboren sind, vielfach die Möglichkeit, bei den nominell älteren mitzuspielen.
An diesem Beispiel zeigt sich jedoch gleichzeitig eine große Auswirkung, die nur mit dem RAE zu erklären ist: Ehe dass ein Spätgeborener aus dem älteren Jahrgang einen Platz im Kader bekommt, wird ein Frühgeborener aus dem jüngeren Jahrgang herangezogen.
All dies steht, wie die nachfolgende Grafik andeutet, in keinerlei Zusammenhang zur Geburtenverteilung zwischen den jeweiligen Monaten. Im Januar kommen in Deutschland keineswegs die meisten Kinder zur Welt.
Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung des Fußballspiels dürfen die physischen und psychischen Folgen dieser Selektion durchaus nicht unterschätzt werden. Wirken hauptsächlich körperlich in welcher Hinsicht auch immer stark ausgebildete Spieler mit, sei es was die reine Kraft oder was die Schnelligkeit angeht, so verändert sich auch das Spiel selbst in eine entsprechende Richtung. In der Soziologie würde man dies wohl als Zusammenhang zwischen sozialer Struktur und sozialen Akteuren bezeichnen, der sozialen Wandel auslöst.
Im Extremfall kann es durch derlei Tendenzen dazu kommen, dass nicht derjenige mit der besten Entscheidung erfolgreich ist, sondern derjenige, der eine beliebige Entscheidung besser durchsetzen kann. Spätestens im Profibereich, nach Ende der Adoleszenz, werden diese Unterschiede jedoch flächendeckend geringer und zumindest in der Breite weniger entscheidend. Man hat also möglicherweise Spieler ausgebildet, die überhaupt nicht für das entsprechende Ziel-Umfeld geeignet sind, sondern vor allem innerhalb eines bestimmten Systems funktionieren.
Die Talentsichtung kann man somit keinesfalls unabhängig vom konkreten Spielgeschehen und strategisch-taktischen Aspekten betrachten. Vielmehr fördert die Art und Weise, wie sie vonstattengeht, auftretende Tendenzen und treibt schließlich selbst Veränderungen voran. Wenn eine andere Mannschaft körperlich überlegen ist und die Liga dominiert, werden alle anderen vermeintlich zu einer Reaktion gezwungen. Einige versuchen sich dann beispielsweise vermehrt an isoliertem Krafttraining. Andere passen ihren Talentbegriff praktisch an und suchen nach einem anderen, vermeintlich wertvolleren Spielertypen.
Individuelle Entscheidungen im mannschaftlichen Kontext
Häufig wird dahingehend der im Jugendbereich auftretende Zwiespalt zwischen der Ausbildung von Individuen und der Herausbildung einer funktionierenden Mannschaft hervorgehoben. Eigentlich eine Scheindebatte, die individuelle Fähigkeiten eben auf ganz bestimmte, in der jeweiligen Situation gefragte Aspekte verkürzt und womöglich langfristig wichtigere außer Acht lässt. Individuell herausragend ist letztlich nicht nur der antrittsstarke Außenspieler, der sich gegen zwei oder drei Gegenspieler durchsetzen kann, sondern auch der Sechser, der im Gegenpressing Unterzahlsituationen wie eine Überzahl aussehen lässt. Beide können bei passender Ausrichtung gemeinsam in einer Mannschaft glänzen.
Selbstverständlich sind dies verschiedene Arten individueller Klasse (vgl. auf anderer Ebene Messi/Busquets), die in unterschiedlichen Kontexten anders wertgeschätzt werden. In den deutschen Junioren-Bundesligen wird, wie der RAE illustriert, zweifelsohne eher ersterer Typ bevorzugt, der eben in der allgemeinen Diskussion als etwas Außergewöhnliches gesehen wird: Technisch-physische Aspekte lassen sich leichter erkennen als taktische. Man sucht den „Unterschiedmacher“ eher auf dieser offensichtlicheren Ebene statt auf subtilere Art und Weise.
Dazu passend gestaltet sich der Versuch, Durchbrüche am Flügel zu erzielen und dort eben diese Akteure aufzubieten. Bei anderen Spielern kann unter anderem, aber nicht nur deswegen sog. „inattentional blindness“ (Unaufmerksamkeitsblindheit) entstehen. Der Flügelfokus wird dabei als regelrechter „Flügel-Bias“ internalisiert. Sinnvollere Anspielstationen im Zentrum werden zugunsten der Außenspieler übersehen.
Diese situative Blindheit hängt vor allem noch mit dem mangelnden Erkennen des jeweiligen Umfelds zusammen, insbesondere in Situationen außerhalb des Schemas. Hier spielen sowohl intuitives Verständnis von Staffelungen (Um den Mitspieler stehen 3 Gegner herum – soll ich ihn wirklich anspielen?) als auch das Umblickverhalten generell eine Rolle.
Letzteres sollte die Grundlage für sämtliche Orientierung auf dem Platz darstellen und dementsprechend forciert werden. Dies geschieht beispielsweise im wiederholten Fordern einer „offenen Spielstellung“, welche letztlich aufgrund des besseren Blickfelds immer wieder gesucht werden sollte und keineswegs als Selbstzweck zu betrachten ist.
In Übungen mit klar vorgegebener Passfolge und ohne Gegnerdruck werden keine Entscheidungen benötigt – somit auch kein Umblicken im eigentlichen Sinne. In solchen kontextlosen Übungen wird die offene Spielstellung gesucht, weil dies eine Vorgabe durch den Trainer ist. Welche Vorteile sie mit sich bringt, erfahren die Spieler nicht.
Grundsätzlich lässt sich diese Problematik wie alle zuvor erwähnten über ein spielnäheres und besser konzeptualisiertes Training auflösen. Das Buch meiner Spielverlagerungskollegen Marco Henseling und René Marić bietet dafür als wissenschaftlich fundiertes Standardwerk eine gute Grundlage. Es gilt systematisch eine eigene Spielidee herauszuarbeiten, die ebenso konsequent im Training umgesetzt werden muss.
Hierin liegt der zunächst einfach klingende Kern: Wer Kohärenz auf dem Spielfeld haben möchte, braucht Kohärenz auf dem Trainingsplatz und in der Trainingsplanung. Wer Training in Übungsformen zerstückelt, sorgt letztlich auch für ein unzusammenhängendes Spielgeschehen, an dem sich einige Spieler je nach Situation nicht beteiligen. Das Resultat sind weiterhin Akteure, die nicht auf unerwartete Veränderungen des Spielgeschehens reagieren können.
Akteure, die zwar wissen, dass es auf eine bestimmte Art und Weise um Räume geht, aber kein Gefühl dafür besitzen, wann ein Raum tatsächlich „offen“ ist. Bei ihnen bringt es letztlich auch wenig, dozierend vor der Taktiktafel zu stehen und jede einzelne Situation zu zerlegen. Die Grundlagen müssen vielmehr implizit gelegt werden.
Der beste (Jugend-)Trainer ist nicht derjenige, der sein umfangreiches Wissen besonders kompliziert weitergeben kann, sondern derjenige, der komplexeste Sachverhalte dem Entwicklungsstand der Spieler entsprechend ins Training einbaut – möglicherweise so, dass sie dies noch nicht einmal merken. Alles muss unter Raum-, Zeit- und Gegnerdruck stattfinden. Da bleibt kaum eine Gelegenheit für umfangreiche Reflektieren.
Nur in komplexen Situationen mit ständig wiederkehrenden Mustern lässt sich die Entscheidungsfindung gezielt verbessern. Andernfalls wird man weiterhin zu viele Spieler sehen, die sich zwar geschickt von Dummys lösen können, aber bei jeder Form von halbwegs aggressivem Anlaufen den Ball einfach wegschlagen oder anderweitig hektische und suboptimale Entscheidungen treffen. Natürlich kommt dann keine Ruhe ins Spiel, aber daran ist keineswegs der einzelne Spieler Schuld.
Trotz der bewusst etwas generalisierten Kritikpunkte gibt es letztlich auch auf individueller Ebene genug interessante bis überaus positive Beispiele, die als Vorbilder dienen können. Es sollte lediglich – und dazu ist eine gewisse Tendenz zu erkennen – kein übertriebener Schwerpunkt auf das isolierte, im Spiel kaum existente 1 gegen 1 beziehungswese auf bloße Zweikampfführung im Sinne der Körperlichkeit gelegt werden.
Stattdessen bietet es sich an, das Individuum im kollektiven Kontext zu schulen und zu coachen, so wie dies eben dann auch im Spiel der Fall ist. Auch hier lässt sich durch entsprechende Anpassung ein Dribblingfokus herstellen. „Unterschiedmacher“ aller Art werden jeder für sich berücksichtigt. Es wird nicht nur die Schnelligkeit in den Beinen sondern auch jene des fußballerischen Denkens gefördert.
Genug Spieler fallen bereits dieser Tage durch außerordentliche Entscheidungen auf. Sei es etwa der im ersten der untenstehende Beispiele geschickt raumöffnende Jean-Manuel Mbom aus Werder Bremens U17 oder Julian Tomas aus Hoffenheims U17, der in der zweiten Grafik einen perfekt gewichteten Pass zwischen alle gegnerischen Linien spielt (nicht das einzige Mal im Spiel gegen den VfB Stuttgart).
Auch hier nicht visuell dargestellte Beispiele wie der Spielmacher von Leverkusens U17 Kai Havertz, der in einer Szene beispielsweise bewusst in eine Enge hineinspielt, um nach direktem Durchlaufen individuell das Gegenpressing zu suchen und eine Chance einzuleiten, geben Anlass zur Hoffnung. Ebenso wie der physisch wie strategisch starke Amara Conde, Dreh- und Angelpunkt bei Wolfsburgs U19 und einige weitere Nachwuchsspieler.
Eine Auswahl: Interessant zu beobachten
An das letzte Bildbeispiel der U17 von Hoffenheim lässt sich in diesem Abschnitt sogleich mit einem wiederkehrenden positiven Aspekt im Spiel der Mannschaft von Trainer Marcel Rapp ansetzen: Auch wenn die umgebenden Strukturen nicht immer optimal passen und das letztliche Ausspielen nicht konstant auf allerhöchstem Niveau von Statten geht, spielen die Halbräume eine große Rolle in der Ausrichtung aller Jugendteams der Kraichgauer und scheinen fest in deren Prinzipien verankert zu sein. Diese erwähnt Julian Nagelsmann auch immer wieder in Interviews, ohne natürlich genauere inhaltliche Auskunft zu geben.
Fakt ist jedenfalls, und dies trifft auch auf die U17 zu: Die letztliche Ausrichtung bleibt flexibel. Es wird nicht von einer Leitlinie diktiert, wie genau etwa die Halbräume zu bespielen sind. Gegen Stuttgart spielte der Juniorennationalspieler Alfons Amade zum Beispiel als stark einrückender rechter Verteidiger, der immer wieder eben dorthin zog und sich teilweise auch im Zentrum wiederfand.
Gegen Nürnberg begann er wiederum als linker Innenverteidiger, der den Halbraum mit Vorstößen attackierte und für Zuordnungsschwierigkeiten beim Gegner sorgte (siehe Abschnitt über „Pressing“). Zu seinen Zeiten bei der U19 fiel Nagelsmann zum Beispiel auch gegen den Ball durch Halbraumnutzung, etwa für dortige Pressingfallen, auf. Das (Gegen-)Pressing nimmt bekanntermaßen auch ansonsten eine entscheidende Rolle in Hoffenheim ein, ist jedoch mit konstruktiven Ballbesitzansätzen verknüpft und wird nicht isoliert vom Rest des Spiels betrachtet.
Einen extremeren Weg schlägt da, wie häufig öffentlich diskutiert, der gesamte Verein RB Leipzig ein, der sich maßgeblich der Jugendarbeit verschrieben hat. Über die U18 des Schwestervereins aus Salzburg findet sich hier ein Artikel. Die Organisation in Leipzig unterscheidet sich sicherlich etwas von jener in Österreich. Interessant war allerdings auch in den von mir gesehenen Spielen zu beobachten, dass keine der Mannschaften tatsächlich im Schmidt’schen 4-2-2-2 spielte, sondern vermehrt Rautenformationen genutzt wurden.
Der Schwerpunkt liegt unabhängig davon klar auf Umschaltsituationen aller Art, die stets gesucht und bewusst hervorgerufen werden. Beeindruckend ist hier, wie gut jeder einzelne Spieler mental wie physisch auf die Anforderungen einer solchen Spielweise eingestellt ist. Dieses konsequente Priming scheint neben den finanziellen Voraussetzungen ein enormer Wettbewerbsvorteil für die roten Bullen zu sein. Die Spieler werden geschult, entstehendes Chaos für sich zu nutzen.
Dabei wird ebenfalls ein hoher Wert auf Detailfragen gelegt, mit denen sich andere Teams nur wenig befassen. Kaum jemand reagiert beispielsweise so schnell und mannschaftlich geschlossen auf das Geschehen im Anschluss an Standardsituationen. Gegen Viktoria Berlin erzielte die U19 etwa den Führungstreffer, nachdem der Torwart einen gegnerischen Freistoß abgefangen und innerhalb von Sekunden einen Konter eingeleitet hatte. Auch was die druckvolle Strafraumbesetzung angeht, agiert vermutlich kaum ein Jugendteam so konsequent wie die Vertreter von RB Leipzig. Ob dieser Fokus und die damit einhergehende Vernachlässigung des Ballbesitzspiels auf Dauer Erfolg haben werden, bleibt abzuwarten. Insbesondere mit Blick auf den Übergang in den Profibereich.
Über den Nachwuchs von Borussia Dortmund ist andernorts schon ausführlich berichtet worden, weshalb ich mich an dieser Stelle nicht weiter mit den Schwarzgelben beschäftigen werde. Als interessant sei stattdessen die U19 des Erzrivalen Schalke 04 hervorgehoben, die maßgeblich mit dem Namen des langjährig erfolgreich arbeitenden Trainers Norbert Elgert verbunden ist. Seit 2014 steht ihm in Onur Cinel zusätzlich ein überaus kompetenter Assistent zur Seite, der mitverantwortlich für die große taktische Flexibilität der Knappen ist.
Nehmen viele Teams – wenn sie dies überhaupt tun – nur Gegneranpassungen im Detail vor, schrecken die Schalker nicht davor zurück, häufiger einmal die Grundformation samt Abläufen zu verändern. Im Revierderby setzte man beispielsweise zu Beginn auf eine Mischung aus 5-4-1 und asymmetrischem 5-3-2, die im späteren Verlauf zu einer immer klareren Form des letzteren Systems wurde. Dortmund wurde auf die nominell schwächer besetzte linke Seite geleitet, während ihr Spiel zwischen die Linien immer wieder durch Herausrücken aus der Abwehr unterbunden werden konnte.
Dass man auch als Mannschaft ohne Nachwuchsleistungszentrum im Rücken konstruktiven Fußball spielen kann, zeigt die U19 des 1. FC Mönchengladbach in Ansätzen. Immer wieder versucht das Team von Trainer Marcel Winkens sich an einem ruhigen Spielaufbau mit besonderem Augenmerk auf zentrumsnahe Zonen. Die zentralen Mittelfeldspieler zeigen eine durchaus große Ruhe am Ball und schrecken auch nicht vor dem ein oder anderen riskant wirkenden, aber zweckdienlich ausgeführten Dribbling zurück. Dabei erfahren sie Unterstützung durch allerlei einrückende Bewegungen von außen.
Mitunter fehlt es dem Spiel der Rheinländer dann gänzlich an Breite und sie neigen dazu, sich in etwas aussichtslosen Situationen festzuspielen. Auch die Abläufe im Pressing bleiben häufig unklar und wenig intensiv. Doch gerade das Verhalten nach Ballgewinn weiß zu überzeugen: Der Ball wird nicht direkt auf Verdacht nach vorne geschlagen, sondern kurz zirkuliert, ehe durch verschiedene Bewegungen Lücken im gegnerischen Verbund aufgerissen und gezielt bespielt werden. Trotz eines Sieges gegen den Lokalrivalen Borussia Mönchengladbach und mehreren knappen Ergebnissen (beispielsweise ein 2:3 gegen den Tabellenführer aus Dortmund) spielt die individuell letztlich doch unterlegene Mannschaft in der U19-Bundesliga West derzeit gegen den Abstieg.
Eine Vielzahl der nominell schwächeren Teams reagiert auf eine zu erwartende Unterlegenheit eher mit einem noch höheren Augenmerk auf das Spiel gegen den Ball. Abseits des vorherrschenden 4-4-2 ergeben sich dabei zusätzlich ungewöhnlichere Ausrichtungen oder zumindest Abläufe. Lediglich als exemplarisches Beispiel sei hier zunächst eine situativ aus dem 4-2-3-1 entstehende Raute der Stuttgarter Kickers (U17) gegen den FC Augsburg hervorgehoben.
Während der rechte Mittelfeldspieler vorrückt, lässt sich sein Pendant auf der linken Seite etwas zurückfallen. Die gute Deckungsschattennutzung wird geschickt mit einer Mannorientierung des rechten Sechsers gepaart. Der Ballführende wird von allen Seiten trichterartig umstellt und verfügt praktisch über keine andere Option als den langen Ball, worauf sich die Viererkette bereits einstellen kann.
Das nächste Bild zeigt wiederum die Ausrichtung der U19 des 1. FC Heidenheim im Gastspiel bei Bayern München. Aus einem an sich schon sehenswerten und eng interpretierten 4-3-2-1 wurden die Münchner immer wieder auf eine Seite, zumeist die rechte gelenkt, wenn sie nicht schon von sich aus diese Bereiche fokussierten. Nun schoben die beiden hinter der Sturmspitze befindlichen Spieler weit zur Seite herüber, während die Dreierlinie dahinter etwas passiver mittig blieb. Auf ein vertikales Zuspiel die Linie entlang reagierte der Außenverteidiger mit Herausrücken und auch die drei zentralen Mittelfeldspieler schoben dann näher herüber, um den Ballführenden in wenig aussichtsreicher Position zu isolieren.
Einzige gravierende Schwäche blieb dabei das tatsächliche Zugriffsverhalten: Timing und Intensität waren nicht ideal, sodass der Nachwuchs des Rekordmeisters trotz grundsätzlich nicht sonderlich ausgereifter Spielanlage wiederholt Lösungen fand. Seitenwechsel konnten zu leicht vollzogen werden, wenngleich die Anschlussoptionen oftmals nicht wirklich passten. Auch leicht diagonal in die Schnittstellen gespielte Pässe sorgten für Gefahr, insbesondere unter Beteiligung von Dominik Martinovic. Insgesamt hat das Auftreten der U19 des FC Bayern allerdings nur wenig mit dem bei den Profis praktizierten Spielstil zu tun.
Diesem Idealbild kommt die U17 unter dem neuen Trainer Tim Walter insgesamt schon deutlich näher. Ihr Spiel weist einige interessante Charakteristiken und Abläufe auf, von denen die teilweise schon spielmachende Rolle des Linksverteidigers Maximilian Wilhelm am auffälligsten ist. Er positioniert sich gerne eingerückt im Halbraum und bewegt sich von dort in Abstimmung mit dem ballnahen Sechser, Flügelspieler und Innenverteidigern überaus passend. Sowohl das Aufbauspiel als auch das Geschehen in Richtung des letzten Drittels werden davon beeinflusst. Im Gegenpressing zeigen sich ebenso positive Auswirkungen.
Eine der ersten Torchancen gegen die Spielvereinigung Greuther Fürth wurde beispielsweise durch einen gegnerbindenden Lauf Wilhelms initiiert. Die Dribblingfähigkeiten von Linksaußen Maximilian Franzke konnten so ideal eingebunden werden. Er lief einmal quer durch die Unkompaktheit der Franken fast zur anderen Seite des Feldes und spielte einen gut getimten Schnittstellenpass auf den nachgerückten Rechtsverteidiger, welcher nur knapp am Torerfolg scheiterte.
Die einzelnen Spielerfähigkeiten werden nicht nur in derartigen Szenen mannschaftlich passend genutzt. Benjamin Hadzic spielt als Rechtsaußen zum Beispiel eine gänzlich andere Rolle als sein Gegenüber – klar einrückender und mit gezielter Fokussierung seiner Nadelspielerfähgkeiten. So können die individuellen Voraussetzungen, etwa auch des strategisch starken Kapitäns Adrian Fein, gut zur Geltung kommen. Lediglich dem geordneten Spiel gegen den Ball wird mehr oder weniger bewusst keine allzu große Bedeutung beigemessen. Hier besteht noch deutlicher Verbesserungsbedarf, der jedoch durch das ansonsten dominante Spiel nicht allzu häufig aufgezeigt wird.
Eine im Ansatz überaus kreative Aufbauvariante verrät vieles über die U17 der Bayern. Während der linke Innenverteidiger Alexander Nitzl andribbelt, positioniert sich Wilhelm im Halbraum. Wenn der Ball nun zum rechten Innenverteidiger Lars Lukas Mai gelangt, vorderläuft sein Nebenmann ihn plötzlich, worauf Wilhelm wiederum durch eine zurückfallende Bewegung reagiert. Bei einem möglichen Zuspiel hätte er nun einige Optionen gegen die zur anderen Seite verschobenen Fürther.
Wenn wir uns nun dem ehemaligen Arbeitgeber von Tim Walter zuwenden, gelangen wir zu einem abschließenden Beispiel dieser Betrachtung. Die U17 des Karlsruher SC zeigt, was mit einer gewissen Kreativität im Aufbauspiel an Variantenreichtum möglich ist und wie man damit ein solides 4-4-2 umspielen kann. Der mittlerweile zur abstiegsbedrohten U19 beorderte Trainer Lukas Kwasniok ließ seine Mannschaft gegen Eintracht Frankfurt in einem 3-5-2 auflaufen, das vor allem durch Vorrücken der Verteidiger auffiel.
Dies geschah nicht etwa durch Andribbeln sondern durch Besetzen formativer Lücken des Gegners ohne Ball am Fuß. Sowohl die beiden Halb- als auch der Zentralverteidiger fanden sich so je nach Situation im Mittelfeld wieder. Durch Zuspiele auf sie wurde ein Herausrücken des Gegners im Mittelfeld provoziert. Die entstehenden Lücken konnten für Pässe zwischen die Linien zu einem dort befindlichen freien Spieler genutzt werden. Mannschaftlich war diese Aufbaustruktur insgesamt gut eingebunden, deshalb sind die nachfolgenden Grafiken auch ein Highlight zum stillen Genießen:
Fazit
Zum Ende lässt sich in abgeschwächter Form das festhalten, was RM bei miasanrot über die Lage in der Herren-Bundesliga äußerte: In Bezug auf die Möglichkeiten, die der Fußball bietet, sieht die Lage im deutschen Jugendfußball momentan schlecht aus. Im Vergleich mit anderen Nationen ist der Stand hinsichtlich des generellen qualitativen Niveaus aber mindestens gut. In der Breite möglicherweise sogar mehr als das.
Es wäre jedoch verwerflich, sich darauf ausruhen zu wollen. Vielmehr gilt es, die Zukunft statt an Dingen, die irgendwie funktionieren, noch mehr an dem, was möglich wäre, auszurichten. Welche Antriebskraft der Jugendfußball dann in Bezug auf den gesamten Sport haben kann, zeigen nicht zuletzt Thomas Tuchel oder aktuell Julian Nagelsmann. Kurzum: Es braucht mehr „Black Box Thinking“. Mehr „Fußball durch Fußball“. Mehr Spielgeist!
32 Kommentare Alle anzeigen
Paddy 31. März 2016 um 22:04
Überragender Artikel! Bitte mehr davon!
Ich bin schon seit Jahren ein Fan von Jugendarbeit und verfolge auch viel Jugend-Bundesliga. Vieles was hier geschrieben wird ist neu für mich da ich mich hauptsächlich auf das Ballungsgebiet NRW konzentriere. Erst kürzlich habe ich ein Spiel der u17 Leverkusens gesehen, die bekanntlich bestückt mit Nationalspielern ist. Dementsprechend war meine Haltung groß. Ich wurde teilweise enttäuscht. Das hier angesprochende, forcierte flügelspiel konnte ich sehr gut erkennen. Allerdings wurde der rechte Flügel extrem stark eingebunden da der alleinige sechser ein rechtsfuss ist. Die linke Seite wurde überbrückt durch den einrückenden Linksverteidiger. Dadurch konnte der Flügel wirklich jedesmal viel zu langsam angespielt werden. Ist es Sinnvoll so eine Ausrichtung zu spielen oder sollte der Jugendspieler darauf trainiert werden beide Seiten gleich stark zu bespielen?
Ich bedanke mich im Voraus und hoffe es sind nicht zu viele Fehler im Text…hab ihn mit dem Handy geschrieben. Lg
a_me 31. März 2016 um 15:38
Wow, was ein umfangreicher Artikel zu einem interessanten Thema. Danke und willkommen in der Spielverlagerung-Familie 🙂
Dr. Acula 31. März 2016 um 15:02
Ich scroll durch die Kommentare und sehe nur HW hier, HW dort????
HW 2. April 2016 um 11:29
Wollte niemanden abschrecken.
MD 31. März 2016 um 13:36
Wo bekomm ich Bücher von raymond verheijen?
Am liebsten auf Deutsch. Ich habe leider nur sein „Handbuch zur Fussballkondition“.
Was ich trotz des Alters ein sehr interessantes Buch finde!
HW 31. März 2016 um 13:07
Puh, ich dachte wirklich es bestünde kein Grund zur Hoffnung mehr. Aber am Ende werden noch ein paar Lichtblicke gezeigt. Gerade das letzte Beispiel mit dem KSC gefällt mir.
Aber zum RAE und zum allgemeinen Problem der Abstände und des Flügelfokus. Hilft es vielleicht das Spielfeld kleiner zu machen bei gleichbleibender Spieleranzahl. Das sollte doch a) die Abstände automatisch verringern (was bei den Herren eh durch eine andere Physis nicht vergleichbar ist), b) den Fokus vom 1 gegen 1 und von weiträumigem Flügelspiel weg, hin zu c) mehr Kurzpassspiel, mehr Spiel durch die Mitte und mehr Gegnerdruck fördern. Davon sollten dann auch die Techniker mit Spielübersicht profitieren.
Schimanski 31. März 2016 um 13:22
Aber dann haben es die Mannschaften, die nur auf „Zerstören“ setzen, noch leichter. Die Spiele werden dann noch zerfahrener, noch mehr Ballbesitzwechsel, noch mehr Zufall, noch mehr Fokus auf physische Durchschlagskraft und auf Körperkraft.
HW 31. März 2016 um 13:43
Ist das wirklich so, oder rückt das Kombinationsspiel in den Mittelpunkt? Gerade beim Kurzpassfußball ist körperliche Größe doch nicht mehr der große Vorteil. In 1-gg-1-Situationen, Lauf- und Kopfballduellen sieht das dagegen anders aus.
Natürlich muss man irgendwann aufs große Feld wechseln. Das ist logisch.
MD 31. März 2016 um 13:33
Ich glaube das würde das Problem nur verschleiern und nicht lösen!
Es geht doch darum das die Spieler ein Gefühl für die Räume bekommen.
Deswegen ist es ja auch besser Aktionen da zu trainieren wo sie im Spiel stattfinden.
HW 31. März 2016 um 13:52
Gefühl für die Räume bekommen sie auch, nur eben für andere Räume.
Ich meine die U-17, die sind noch nicht alle ausgewachsen und daher verändert sich die Perspektive auf das große Feld eh noch. Aber die kleinen Räumen kann man durchaus meistern und da verändert sich auch weniger. Enge Räume bleiben enge Räume. Genau in diesen sollen sich Spieler später zurecht finden.
Ich propagieren keine Überforderung. Ich stelle eher die Frage ob es sinnvoll sein kann, solange die Spieler noch mit den Abständen kämpfen. Vielleicht ist es eine Frage der Ziele. Will man Pressing und Kurzpasspiel fördern, dann ist ein kleineres Feld vielleicht eine Hilfe. Will man sich dagegen auf Spielverlagerungen und mannschaftstaktische Formationen konzentrieren, dann hilft vielleicht die Originalgröße der Feldes.
Wenn es aber nur dazu führt, das riesige Löcher entstehen und Spieler permanent die Seitenlinien küssen, weil das halt so vorgegeben wurde, dann sehe ich darin wenig Sinn.
MD 31. März 2016 um 16:01
Da geb ich dir recht, nur denke ich das eine U17 schon in der Lage sein sollte das ganze Feld abzudecken. Da das spieltempo in dem Alter sicher auch nicht so Hoch ist.
Aber prinzipiell bin ich der Meinung, das bei den ganz kleinen das Feld zu Groß ist.
Die kleinen Füße brauchen oft zu lange von Tor zu Tor!
Ist es aber nicht so das wir in der Ausbildung der Spieler alle Vier Phasen des Spiels Schulen sollten und somit auf alle Aspekte des Spiels eingehend?
HW 31. März 2016 um 12:35
Zu den Gebieten Statistiken.
Entgegen des hier dargestellten Trends in den Nachwuchs Teams werden die meisten Kinder in den Monaten Juli bis September geboren.
http://www.demografie-blog.de/2012/03/wann-die-kinder-kommen/
In den 50ern war das noch anders.
Daher ist die Entwicklung noch extremer als sie zunächst aussieht.
HK 31. März 2016 um 14:11
Die logische Schlussfolgerung sollte dann wohl sein, dass es in der Gruppe der Spätgeborenen noch jede Menge an Talent zu entdecken gibt. Eine anspruchsvolle Scoutingaufgabe, die dann wohl ziemlich früh in der Jugend ansetzen müsste bevor die potentiellen Talente durch den RAE „versaut“ werden.
HW 31. März 2016 um 14:35
Eigentlich müsste jeder Verein feststellen: Wir haben extrem viele Kinder die im Januar geboren wurden und wenige aus dem August. Da muss doch eine Lücke im System sein.
Aber wie bereits gesagt, wes geht wohl weniger darum wer mit 8 oder 10 Jahren gescoutet wird, sondern wer bei einsetzender Pupertät sich in einer Altersgruppe körperlich durchsetzen kann und daher gefördert wird. Wenn das Team gewinnen soll, dann spielen eben die stärksten Spieler.
Das ist übrigens genau die Entwicklung die in England kritisiert wird.
‚Wir‘ sind trotz dieser Entwicklung allerdings Weltmeister geworden. Die Engländer haben wohl noch andere Probleme.
HW 31. März 2016 um 14:13
Zur Klarstellung. Ich meine nicht, hier würde etwas falsch dargestellt. Vielmehr ist es so, dass (wie im Text beschrieben) die Geburtenstarken Monate im Sommer liegen. Aus diesen Monaten müssten dann auch die meisten Spieler kommen. Dem ist aber nicht so. Der Effekt des stark vertretenen Q1 ist demnach noch extremer als die Balkendiagramme es vermuten lassen (relativ zu den Geburtenzahlen).
HW 31. März 2016 um 12:12
Zum Ballbesitzspiel.
Es ist schon erschreckend wie durchgängig das Zentrum vernachlässigt wird. Eine teilweise doppelte Besetzung des ballfernen Flügels kann nicht aus einem Lehrbuch sein.
Problematisch es es vor allem, weil damit die Entwicklung von kreativen Achtern und Zehnern verhindert wird.
Die Front ist dazu zu statisch. Eigentlich widerspricht das allem was wir in den letzten Jahren an Entwicklung gesehen haben. Falsche 9, inverse Winger, Kurzpasspiel, Vorstöße aus dem Zentrum in die Spitze. Fehlt das alles?
Ist das 4-4-2 überhaupt die richtige Formation für eine Jugendmannschaft?
Beim Pressing kann man natürlich immer aufgrund der Abstände und einer anderen Athletik Gefahr laufen, dass es eh nicht gut funktioniert. Trotzdem kann die Lösung nicht bedeuten, keine Staffelung und Absicherung vorzunehmen.
Wer segelt kennt vielleicht den Spruch: Die kürzeste Verbindung zweier Orte ist eine Zick-zack-Linie.
Ähnlich ist es im Fußball. Doppelpässe, Dreieckspiel. Vier kurze Pässe sind oft besser als ein langer.
Wer aber nur statisches Positionsspiel betreibt, der kommt nicht weit.
Schimanski 31. März 2016 um 13:04
Ich vermute bei vielen Teams ist der Ergebnisdruck zu hoch. Die Trainer wollen sich ja auch empfehlen und deren Arbeit wird ja meist anhand der Tabelle beurteilt. Gerade die Teams der NLZ aus der zweiten, dritten oder noch tieferen Ligen haben individuell (auch in Sachen Spielintelligenz) unterlegende Spieler. Da ist eine 4-4-2 mit Flügelfokus zumindest defensiv meist sehr stabil. Ballverluste auf den Flügeln tun nicht so weh und der Angriff über den Flügel lässt zudem immer noch die Option irgendwie doch mit einem simplen Doppelpass oder Dribbling durchzubrechen.
Dazu kommt ja noch die hohe Fluktation. Die Zeit, ein Team über drei, vier Jahre zu formen, haben gerade die kleinen Mannschaften nicht. Sobald Angebote von größeren Vereinen kommen, sind die Spieler weg.
Aus meiner eigenen, bescheidenen Erfahrung als Jugendtrainer (allerdings jünger, Kreisklasse mit größerem Leistungsgefälle) kann ich jedem Trainer nur raten, auf Ballbesitz, Offensivspiel, Zentrumsfokus mit Kurzpass und vielen Verbindungen, luftige (aber lehrreiche) 1 gegen 1-Absicherung, Gegenpressing und kollektives Umschalten in beide Richtungen, weg vom tabellenorientierten Stabilitäts- und Mauerfokus zu setzen. Die Spieler profitieren enorm und mittelfristig erfolgreicher ist es dann sowieso. Man braucht nur etwas Geduld. Das fängt schon in der Bambini an…
HW 31. März 2016 um 13:35
Es ist natürlich ein Balanceakt.
Zunächst sollte man Jugendtrainer (bei ambitionierten Vereinen) danach beurteilen wieviele Schützlinge den Sprung in den Profi-Sport oder in eine entsprechend bessere Leistungsgruppe (ihrem Alter entsprechend) schaffen. Und wie gut ihre Teams ZUSAMMENspielen.
In der Realität ist es natürlich so, dass ohne Konkurrenz/Wettbewerb die Jugendarbeit in einer Art Vakuum stattfinden würde. Die Tabelle zeigt also schon wie gut man im Vergleich zur Konkurrenz ist. Sie zeigt nur nicht wie gut die Zukunft im Vergleich aussieht. Tabellen sind Ist-Zustände (da krich isch Zustände!!).
Ganz von der Tabelle kann man sich also nicht lösen, aber man kann die Perspektive bewerten. Warum steht jemand vor mir, weil der seine Jungs in die Mucki-Bude schickt?
Es muss also neben der Tabelle noch einen Anforderungskatalog (oder Ziele) geben die unabhängig von Ergebnissen objektiv bewertet werden können.
Es geht bei jungen Menschen ja nicht nur um Technik und Taktik, sondern um Persönlichkeitsentwicklung im Allgemeinen. Selbst wenn der Spieler nicht den Sprung schafft, darf er dann kein Mensch sein der im Leben nicht zurecht kommt.
Deine Erfahrung gibt dir recht. Und auch wenn ich selber kein Team betreue habe ich schon oft ähnliches gehört. Nicht nur über den Fußball in Deutschland.
Einmal habe ich gelesen wie ein Jugendtrainer (für jüngere Kinder) auch trainiert hat zu spielen. Als nicht wie andere Trainer (damals): Laufen, Flanken, Torabschluss, Zweikämpfe. Sondern Spielformen. Und er war der einzige Trainer der seine Jungs am Sonntag nicht ständig angebrüllt hat. Sie machten automatisch viel richtig.
Dabei hatten auch seine Jungs ihn gefragt ob sie nicht mal „richtig trainieren dürften“, Torschüsse usw. Das hat er dann Alibi-mäßig mal 10 Minuten gemacht und alle waren glücklich.
Oft wird einfach von Eltern, Kindern oder auch Vereinen eine Erwartungshaltung erfüllt. Oder man macht das von dem man glaubt es sei ordentliches Training, das ist es aber nicht.
Was zielführend für eine Profimannschaft ist, muss nicht das richtig für Jugendliche in einem Lernprozess sein.
Aber mal im ernst, bei all den Schulfächer die man heute hat. Wo lernt man da strategisches Denken? Oder die Verknüpfung von verschiedenen Anforderungen?
Das hängt doch vom Engagement des Lehrers ab und ist nicht Teil des Systems. Es geht darum Fakten zu büffeln und so ist es auch oft im Sport. Individuelle Förderung wird mit der Seperation von Fähigkeiten verwechselt.
Es gibt meines Wissens ein Land auf der Welt in dem Schach ein Pflichtfach ist. Ist doch irgendwie bezeichnend. Gewisse Hirnregionen werden nicht gefordert/verknüpft.
HW 31. März 2016 um 11:24
Zu den Aufbaustrukturen.
Natürlich ist hier wieder die Frage erlaubt was Vorgaben des Trainers sind und was Entscheidungen der Spieler. Aber grundsätzlich kann man bei den gerne gespielten langen Bällen/Pässen auf die vielen Vorbilder verweisen, die für ihre Pässe oft gelobt werden. Da sieht man Hummels, Alonso & Co. ihre Pässe schlagen und vergisst einfach, dass die neben den fünf langen Pässen auch fünfzig kurze gespielt haben.
Vielleicht sollten die Jungs einfach etwas Schach spielen um zu lernen das ganze Feld und alle Figuren im Blick zu haben.
Problematischer ist allerdings, wenn strategisch nichts anderes als der Länge Ball übrig bleibt, weil das zweite Drittel kaum besetzt ist. Wenn im Zentrum niemand spielt, dann verkümmert (bzw. wird nicht ausgebildet) auch diese Fähigkeit und fehlt später wenn es zu den Profis geht. Und das Zentrum zu beherrschen ist eine wichtige Fähigkeit.
Irgend ein schlauer Profi hat mal gesagt, man spielt die Pässe die man sieht und man sieht die Pässe für die man die Fähigkeiten hat.
Trainiert man nur diagonale Verlagerungen (oder long line Passierschläge) weil sich im Mittelfeld niemand anbietet, dann wird man diese Passoption auch immer suchen.
HW 31. März 2016 um 10:59
Zum Rest des Abschnitts Pressing.
1) in wie weit hat die Feldgröße einen Einfluss, gerade auf die zu großen Abstände? Aufgrund einer anderen Athletik und Übersicht (und dem Fakt, dass es immer noch um die Ausbildung geht) ist Jugendfußball ein etwas anderer Sport als Erwachsenenfußball. Das kann/sollte andere Taktiken, Staffelungen usw. zur Folge haben. (Ob das Sinn macht sei mal außen vor gelassen.)
Wird vielleicht versucht zu sehr wie die Senioren zu spielen, was dann zu mehr Fehlern als notwendig führt?
2) das ist eigentlich auch der zweite Punkt. Versuchen die Clubs eine kleine Kopie ihrer ersten Elf zu erziehen?
Natürlich ist es notwendig eine durchgehende Spielidee zu haben. Aber in der Jugend muss auch so ausgebildet werden, dass die späteren Profis eine gewisse Flexibilität oder Bandbreite aufweisen. Als Beispiel: Wenn ein Club, der momentan als Außenseiter agiert, auch seine Jugendteams nur Strafraumverteidigung und Konter spielen lässt, dann wird die erste Elf sich nur schwer strategisch entwickeln können (auch nicht in einer anderen Liga).
Anders ausgedrückt: Besteht die Gefahr, dass viele Clubs sich zu sehr in eine Richtung entwickeln, evtl. in eine Sackgasse?
HK 31. März 2016 um 14:26
Zu 2. Immer wieder wird stolz verkündet, dass man seine Jugendarbeit jetzt auf ganz neue Grundlagen gestellt hat. Alle Mannschaften von den Bambini bis zur 1. Mannschaft verfolgen jetzt die selbe Spielphilosophie und am Ende des Tages werden ganze Rudel von einheitlich geschulten Spielern die 1. Mannschaft überschwemmen.
Nur frage ich mich wann hat das denn jemals irgendwo geklappt? Sowohl mit der Spielphilosophie als auch mit den hoffnungsvollen Nachwuchseleven.
Wenn man das eine vielleicht verwendbare und immer wieder vorgeholte Beispiel Barca mal beiseitelässt, was bleibt denn da?
Ohne jetzt lange zu argumentieren nehme man nur mal die Beispiele aus unseren Vorzeigevereinen. Da würden/werden junge Spieler jahrelang im Fußball a la Guardiola/Klopp geschult (wahrscheinlich auch danach gescoutet) und wenn die Jungs dann mal so weit wären sind die Trainergurus weg mitsamt ihrer Spielphilosophie. Dumm gelaufen!?
Ich halte dieses ganze Copy&Paste-Thema für eine fast schon lächerliche Fehlentwicklung.
HW 31. März 2016 um 14:42
Das Ziel muss einfach sein gute Fußballer zu ‚produzieren‘. Die können dann jede Taktik spielen. Aber eine Spielphilosophie wird oft mit einer starren Taktik verwechselt.
Bei Barca können die eigentlich alles, zumindest fußballerisch. Wenn es ein Defizit gibt, dann hat das nichts mit fußballerischen Fähigkeiten zu tun. Körpergröße wird ja nicht abgelehnt. Aber man kann sie bei Bedarf auch immer einkaufen. Gute Fußballer braucht man dagegen immer.
Eine Spezialisierung zum Spielsystem der Herrenmannschaft kann doch eh erst in den höchsten Jahrgängen erfolgen.
Da aber viele 4-4-2 spielen, kann die Spezialisierung nicht so weit fortgeschritten sein.
HW 31. März 2016 um 10:42
So, habe mir den Abschnitt zum Vernachlässigten Zentrum durchgelesen und kann dem nur Zustimmen was die taktische Ausführung betrifft. Auch zum Priming und zur Spielübersicht. (Ohne die Trainingsinhalte der Teams zu kennen.)
Allerdings stellen sich mir die Fragen ob A) ab welchem Alter Jugendliche das können müssten (sind diese Inhalte vielleicht später vorgesehen), B) diese Schwächen der Kompaktheit von Gegner systematisch ausgenutzt werden (Ballbesitzspiel durch die Mitte) und C) die Mannorientierung auf dem Flügel überhaupt kommt.
Zur allgemeinen Aussage des vorherrschenden Umschaltspiels kann man nur sagen, dass es einerseits zu deutschen Fußballkultur gehört und es in den dunklen Jahren auch eine Schwäche war weil man es verlernt hatte. Andererseits ist der Umgang mit dem Ball von fundamentaler Bedeutung. Man kann Geschwindigkeit im Spielzug nicht Vorzug vor Geschwindigkeit im Denken geben. So züchtet man nur kopflose Hühner.
Spieler müssen lernen die Übersicht zu haben. Technik ist ein Mittel zu Zweck um sich Zeit zu erkaufen. Fußball wird im Kopf gewonnen. (Es ist in der Pubertät natürlich unfair einen klaren Kopf zu fordern.) Aber das gehört schon nicht mehr zu diesem Abschnitt.
luckyluke 31. März 2016 um 10:32
Sehr vielversprechendes Debut…wirklich ein klasse Artikel, sehr interessant und, wie ich finde, auch passend und angenehm formuliert. So viel zu Basics 😀
Interessant finde ich ja, dass diese Diskussion im allgemeinen sehr klar die Diskussion, wie ich sie mitbekomme, in anderen Bereichen über die Ausbildung Jugendlicher widerspiegelt. Gerade das ausrichten an Problemen und die individuelle Förderung hin zu Kreativität, Konzepten zur Problemlösung und Abkehr von „statischem Nachahmen“ sind (wahrscheinlich schon länger, aber ich persönlich kann nur das jetzt beurteilen) elementare Bestandteile in der Pädagogik für Lehrer.
CF 31. März 2016 um 10:22
Sehr ausführlicher und guter Artikel! 🙂
HW 31. März 2016 um 10:18
Okay, der Artikel ist etwas länger, daher gehe ich den Abschnittsweise an.
Zunächst bleibt die Feststellung der Floskel ‚Stillstand ist Rückschritt‘. Das hat der DFB erkannt, wie auch andere Verbände, und handelt weiter kontinuierlich. Nicht nur an der Quantität, die in der Vergangenheit sicher einer der größten Mängel posten gewesen ist. Sondern auch an der Qualität, dass aber nicht erst seit gestern.
Gute Trainer und gutes Coaching sind hier der Schlüssel. Dabei darf natürlich kein Einheitsbrei entstehen.
Was die Sprache vom Trainer zum Team betrifft, ist es natürlich schwierig dies von außen zu beobachten. Einerseits ist es eine Frage der Zielsetzung. Geht es mit dem Coaching im Spiel nur um den Erfolg oder um den Lerneffekt bezogen auf eine Entwicklung von Spielkultur? Wahrscheinlich oft beides, aber eben von außen nicht zu beurteilen.
Dazu dann der Effekt, dass ein Trainer der in der Woche clever arbeitet am Wochenende weniger im Spiel coachen muss.
Trotzdem bleibt natürlich festzustellen halten, dass der persönliche Umgang in der Jugend eine besondere Rolle spielt. Es geht um die Persönlichkeitsentwicklung der Spieler aber auch um ihre fußballerische Entwicklung. Der richtige Umgang isat daher wichtig. Es geht ja um Kinder, nicht um Roboter, auch wenn sie gefordert und gefördert werden sollen. Jeder Mensch ist anders und bedarf daher einer individuellen Ansprache.
Ein schmaler Grat also die verschiedenen Interessen zu Balancieren ohne jemanden zu verbrennen oder zu schädigen. Aber eben auch ohne die Investitionen der Vereine zu vergessen.
blub 31. März 2016 um 02:11
Ich seh ein kollektives Ausscheiden in der Youth League ja als positiv an. Das kann man in Ländern ohne Schulpflicht machen, aber in Deutschland ist sowas harakiri. Die youth League gibts auch nur aus Monopolerhaltungsgründen der UEFA.
Was denkst du denn was Jugendtraining auf diesem Niveau vermitteln soll?
Wenn man taktisch solide aber im Prinzip simpel bleibt und dafür den Fokus mehr auf individuelle Entwicklung legt würde ich das eventuell bevorzugen.
Nicht das ich glaube das das der Fall ist.
Den Rest lese ich lieber morgen 😉
Goalimpact 31. März 2016 um 12:36
In der Youth League nehmen auch die Jugendmannschaften der Champions League-Teilnehmer teil. In Deutschland fallen damit oft sehr gute Mannschaften weg.
HW 31. März 2016 um 13:14
Was den Aufwand bzgl. Reisen usw. betrifft gebe ich blub recht. Es geht der UEFA wohl darum ihr Monopol zu zementieren und frühzeitig ein Geschäft aufzubauen. (Die Berater freut es.)
Mittlerweile nimmt doch auch der Gewinner der Bundesliga teil oder?
Grundsätzlich ist eine Heranführung an internationale Spiele nicht falsch und der Vergleich auch manchmal ein guter Weckruf (man schaue sich mal die Körpergröße der Barca Spieler verglichen mit anderen Clubs an). Allerdings darf da nicht zu früh ein irreführende Wettbewerb entstehen der am eigentlichen Ziel vorbei führt. Und das zu lasten der Vereine und vor allem der noch jungen Spieler.
blub 31. März 2016 um 17:39
Die Youth League wurde mal eingeführt weil es eine privatwirtschaftliche Initiative gab da eine gewinnorientierte Liga aufzuziehen. Und ein paar Clubs hatten wohl interesse signalisiert weil da deftigs Antrittsgeld in Aussicht stand. Dem hat die UEFA einen Riegel vorgeschoben indem sie eine Anmeldung der U19 zur Auflage für die Teilnahme an der CL gemacht hat.
Jörg hat recht. Alleine schon das Bayerns U19 jedes Jahr Youth League spielen darf/muss ist unter Erfolgsgesichtspunkten eine zumutung für den Deutschen Fußball.
FAB 6. April 2016 um 15:45
Toller Bericht. Ich finde aber das das Urteil im internationalen Vergleich zu schlecht ausfällt. Youth League und Auswahl-Turniere zeigen ja nicht, dass die deutschen Spieler taktisch schlechter ausgebildet sind. Von dem zu urteilen, was ich sehe, sind deutsche Mannschaften taktisch ganz weit vorne dabei. Die Gründe für schlechtes Abschneiden sind ja gerade oft einzelne individuelle Vorteile anderer Mannschaften. Insbesondere in der Youth League, wo andere ohne Schule weit vorher komplett professionell trainieren, auch viel aggressiver noch sehr junge Spieler verpflichten. Auch in den Auswahl-Turnieren sehen die DFB Auswahlen taktisch immer sehr gut aus.
Aber dennoch gibt es natürlich Verbesserungspotential, dass in diesem Artikel toll herausgearbeitet wurde. Die Vernachlässigung von Zentrum und Halbräumen fällt ja auch in der Bundesliga auf. Wenn nun hoffentlich eine kleine Abkehr vom Pressing/Umschaltfussball alla Klopp, Roger Schmidt hin zu kreativeren Fussball wie Tuchel und Nagelmann stattfindet, hätten auch die Jugendtrainer tolle Vorbilder im Profibereich. Auch das Länderspiel gegen Italien war in dieser Hinsicht ein toller Akzent den der DFB gesetzt hat. Klar war nur ein Testspiel. Aber es war eine perfekt funktionierende Dreierkette einer deutschen Mannschaft und eine tolle Idee einen Spieler wie Özil auf die 6 zu stellen. D.h. diese kleinen Entwicklungen beim DFB und in der Bundesliga geben sehr viel Hoffnung, dass ähnliches auch im Nachwuchsbereich passiert. Davon abgesehen halte ich die aktuelle U21 für die beste seit dem U21 Titelgewinn von 2009 und es könnte wieder eine sehr gutes Gerüst für eine nachkommende Senioren-Nationalmannschaft geben.
Schimanski 31. März 2016 um 01:55
Überragender Artikel, Sehr unterhaltsam.
Da ich selbst im Jugendfussball (allerdings niederklassig und jünger 😉 ) unterwegs bin, habe ich mich sehr über die Einblicke gefreut.