Juventus mit weiterem Sieg im sehenswerten Spitzenspiel
Spitzenspiel in Italien. Zwei der drei womöglich besten Mannschaften der Serie A trafen aufeinander; Juventus empfing als amtierender Meister, der zurzeit das Feld mit fünf Siegen in den letzten fünf Spielen von hinten aufräumt, die Fiorentina. Eine Kurzanalyse.
Interessantes Formationsspiel
Auffällig war von Spielbeginn an, dass beide Mannschaften ihre Formation je nach Ballbesitz massiv veränderten. Die meisten nutzen eine Grundformation, z.B. ein 4-2-3-1, welche als Orientierung für die Arbeit gegen den Ball (dann ein 4-4-2 oder 4-4-1-1) und das Spiel mit Ball (2-4-3-1) dient. Sowohl Juventus als auch die Fiorentina nutzten in dieser Partie zwei enorm unterschiedliche Formationen, wenn sie in Ballbesitz oder eben ohne Ball agierten.
Fiorentina: 3-2-4-1/3-4-2-1 und 4-4-1-1
Die Gäste aus Florenz spielten bei Ballbesitz Juventus‘ meist mit zwei Viererkette hinter einer hängenden Spitze und einem Mittelstürmer. Grundsätzliches Ziel: Stabil die Flügel verteidigen, Kompaktheit in den ersten zwei Bändern herstellen und Juventus durch die zwei zentralen Spieler vorne auf die Seiten leiten. Die Kompaktheit war hoch, das Verschieben gut, wenn auch nicht übermäßig intensiv.
Im 4-4-1-1 kreierten sie auch immer wieder flexibel andere Formationen, u.a. durch herausrückende Bewegungen, höhere Flügelspieler oder eine Art 4-4-2-0. Vielfach entstanden auch 4-1-4-1-Formationen. In höherem Pressing gab es Mannorientierungen, was ebenfalls zu unterschiedlichen Pressingvarianten führte. Meistens entstanden diese über das Herausrücken des ballnahen Flügelstürmers und das Verschieben des Achters in dessen Lücke. Dies sorgte für kurzlebige, asymmetrische Rauten.
Wenn sie den Ball hatten, dann veränderte sich diese Systematik. Der rechte Außenverteidiger wurde zum Halbverteidiger, der linke Außenverteidiger schob höher und Borja Valero ging vom Flügel in die Mitte. Dadurch kreierten sie ein 3-4-2-1/3-2-4-1; je nach Spielsituation konnten sich die Flügelverteidiger in tieferen Zonen anbieten oder mit der höheren Positionierung mehr Raum für die zentralen Spieler schaffen.
Insgesamt überzeugte das Bewegungsspiel der Fiorentina. Sie bauten auch unter Druck ruhig und konstruktiv auf, ließen den Ball laufen und hatten einige interessante Freilaufbewegungen; Juventus verteidigte dieser aber gut.
Juventus: 4-2-3-1 und 5-3-1-1/3-5-2
Juventus ging quasi den umgekehrten Weg. Mit Ball spielten sie wie eine Mannschaft normalerweise im 4-2-3-1, ohne Ball kreierten sie drei zentrale Innenverteidiger. In Ballbesitz spielten Evra und Barzagli wie Außenverteidiger, zumindest in der ersten Aufbauphase. Einzig im letzten Spielfelddrittel wurde der Unterschied deutlich, weil hier Evra deutlich weiter vorstieß. Zu Beginn des Spielaufbaus stand Evra wiederum eher auf einer Höhe mit Barzagli, Cuadrado – der Flügelstürmer in Ballbesitz und Flügelverteidiger ohne Ball – hingegen stand mehr oder weniger auf Höhe der vorderen Reihe Juventus‘.
Pogba spielte als eigentlicher linker Achter gegen den Ball, agierte aber in Ballbesitz im Wechsel mit Dybala als linker Flügelstürmer. Dies ist insgesamt sehr interessant; Pogba kann flexibel Räume überladen, auf dem Flügel Dribblings in Richtung oder freie Räume suchen oder mit Dybala rochieren. Wenn keiner der beiden im letzten Drittel den Raum besetzte, stieß Evra dynamisch anch und okkupierte diese Position. Pogba und Dybala suchten dann Kombinationen in den Halbräumen und der Mitte. Mandzukic spielte passenderweise als Wandspieler, Cuadrado prinzipiell wie ein klassischer Flügelstürmer.
Gegen den Ball war das 5-3-1-1/3-5-2 ebenfalls interessant. Vermutlich wollte Allegri damit Fiorentinas Bewegungen kontern. Mit den relativ tiefen Mandzukic und Dybala besetzte man den gegnerischen Sechserraum. Meist kreierte man sogar eine Art Raute im Mittelfeld, in welcher normalerweise Dybala und gelegentlich Mandzukic den Zehner gab, Pogba und Khedira fungierten als Halbspieler neben Marchisio auf der Sechs. Cuadrado und Evra spielten häufig in einer Linie mit den drei zentralen Verteidigern, wobei diese flexibel in Richtung Zwischenlinienraum herausrücken konnten.
Ausgeglichenes Spiel mit hoher Stabilität auf beiden Seiten
7:4 Schüsse nach fünfundvierzig Minuten, 9:4 Schüsse nach sechzig Minuten, 11:4 nach fünfundsiebzig Minuten – darunter ein paar Distanzschüsse und Halbchancen. Trotz durchaus interessanter Angriffe, vielversprechenden Aufbausituationen und einzelnen Phasen höherem Pressing gab es also keine konstanten Großchancen auf beiden Seiten.
Beide Teams hatten immer vier bis fünf Spieler als tiefe Absicherung bei den eigenen Angriffen, gegenpressten intelligent, um gegnerische Konter zu unterbinden oder zumindest zu verzögern, waren dabei allerdings nicht so fokussiert auf die Ballrückeroberung und den eigenen möglichen Konter.
Daraus ergab sich ein unübliches Spiel: Sehenswert, technisch wie taktisch hochwertig, viele lässige Aktionen, doch insgesamt ohne wirkliche Abschlüsse aus aussichtsreichen Positionen. Allerdings zeigte der oben bereits genannte Verlauf der Schussstatistik, dass Juventus am Drücker war. Sie standen gegen den Ball enorm sicher und fanden mit Ball einzelne Durchbrüche. Passenderweise war es aber ein Konter in der 80. Minute, wo Fiorentina nicht ganz so stabil abgesichert war, der zum 2:1-Siegestor führte. In der Schlussphase fiel noch das 3:1.
11 Kommentare Alle anzeigen
AG 28. Januar 2022 um 13:15
Ich habe mir mal einen alten Artikel geschnappt, um eine aktuelle Frage zu stellen: was haltet ihr von der Verpflichtung von Vlahovic durch Juve? Er kommt ja anscheinend mit 22 Jahren für 67+ Millionen Euro von der Fiorentina, und wird von manchen Leuten für einen Top5-Stürmer gehalten (Internetkommentare, schon klar…).
Wenn ich ehrlich bin: ich sehe es nicht. Er hat letzte und diese Saison 15 Tore aus dem Spiel geschossen (jeweils über 20 mit Elfmetern, in allen Wettbewerben). Das ist sehr ordentlich und mit 0,6 Nichtelfmeter-Tore pro 90 Minuten echt gut. Aber: das kommt von deutlich weniger xG, und zwar nur 0,4 pro 90 min, und das ist laut FBRef halt nur guter Durchschnitt (60. Perzentil). Kann natürlich sein, dass er sich noch deutlich verbessert, er ist ja jung und hat schon einige Spielzeit bekommen, aber die Gefahr ist doch groß, dass er eine Flaute hat und dazu die Elfmeter wegfallen (wer tritt die denn bei Juve?), und plötzlich ist der Lack ab.
Gerade mit den Geldproblemen bei Juve scheint mir das einfach ein richtig schlechter Preis zu sein, mit zu viel Risiko. Für das Geld hätte man bestimmt einen besseren Spieler bekommen, und die Minuten auf dem Platz sind leider stark begrenzt.
tobit 28. Januar 2022 um 15:59
Ich habe ihn noch nicht gesehen, werde also nur ein paar ganz allgemeine Punkte machen, die auch für andere Spieler gelten.
1. 0.4 NPxG sind bei einem Mittelfeldteam nicht zu verachten. Er wird bei Juve mehr und bessere Torchancen bekommen. Und wahrscheinlich wird er auch bei Juve den ein oder anderen Elfer schießen dürfen.
2. Wen bekommt man denn besseres im Winter für 70 Mio? Und wen bekommt man im Sommer noch, wenn man die CL verpasst hat? Ich hab Mal die Marktwertliste bei tm durchgeguckt und würde von den Top40 spontan gerade Mal drei als im Winter verfügbar einschätzen. Oyarzabal (eher auf dem Flügel Zuhause), Joao Felix (eher ein Dybala-Konkurrent) und Jonathan David. Keiner davon hat sich bisher in Italien bewiesen, was für Juve bei großen Summen eigentlich immer ein Kriterium war. Und nur Oyarzabal scheint mir eindeutig besser als Vlahovic zu sein, ist aber neben der nicht ganz passenden Position auch kein Knipser.
3. Zocken auf junge Spieler ist das „Meta“ im aktuellen Spitzenfussball. Es gibt einfach zu viele gleichstarke Vereine an der Spitze und zu wenig etablierte Topspieler, die noch nicht bei einem davon spielen. Das war bis vor ein paar Jahren noch anders, weil die Engländer noch eine Menge Kompetenz-Rückstand aufholen mussten und Italien hinter Juve finanziell nicht konkurrenzfähig war.
AG 31. Januar 2022 um 15:47
Danke für deinen Kommentar. Ich verstehe schon, was du meinst, und du hast sicher mit vielen Punkten recht. Aber du bist hier auch nicht sehr optimistisch, oder? Es wirkt einfach so, als ob sie sich einen neuen Morata holen, und das extra teuer im Winter, damit ihnen keiner Vlahovic im Sommer steitig macht. Wir werden jedenfalls sehen, ob das ein guter Move war. (Hätte man für das Geld vielleicht Tammy Abraham kriegen können? Der sieht weiterhin verdammt gut aus)
Ansonsten kann ich nur nochmal FBRef empfehlen. Lohnt sich praktisch immer, Namen + fbref zu googlen, um einen ersten Eindruck von Spielern und ihrer Leistung zu bekommen. Coole Sache.
tobit 31. Januar 2022 um 20:57
Ich weiß es halt echt nicht. 70 Mio. sind auch heute noch viel Geld. Gefühlt schlagen die Leute mit Ablösen in der Region aber auch öfter voll ein als die häufigeren 50 Mio.-Transfers, weil sie weniger gegamblet sind (so viele 70 Mio.-Flops bekommt man als SpoDi nicht).
Morata ist finde ich ein spezieller Fall, weil er am besten als Allrounder neben einen Knipser passt, aber nach seinem ersten Juve-Stint fast nur in Ein-Stürmer-Systemen spielen sollte. Seine Anlagen und Fähigkeiten sind so breit gefächert und trotzdem auf hohem Niveau, dass er sein Geld eigentlich wert ist. Aber er braucht halt einen, der für ihn die Tore macht. Und er hat starke und schwache Phasen, die sehr plötzlich wechseln können.
Vlahovic scheint da ganz anders drauf zu sein. Der trifft sehr konstant, macht nur selten mehr als ein Tor, aber eben auch nur selten keins. Kenne ihn halt spielerisch nicht und kann daher nicht sagen ob er allgemein oder für Juve aktuell ein 70 Mio.-Mio.-Mann ist.
AG 3. Februar 2022 um 08:54
Sorry, das mit Morata war missverständlich. Natürlich ist er ein anderer Spielertyp; ich meinte nur, dass er ein guter Spieler ist, der doch nie ganz die Erwartungen erfüllt hat, und deshalb in Fankreisen zumindest umstritten ist. Und seine xG/90min sind ähnlich 😉
Und was große Transfers angeht habe ich nochmal nachgeschaut. So toll ist die Bilanz da nicht, da geht auch nur maximal die Hälfte gut, je nach Kriterien. Ich poste mal separat den Link zu Transfermarkt, kannst ja auch mal drüber schauen. Die Top 25 kann ich noch ganz gut einschätzen, bei den Top 50 weiß ich bei vielen Spielern schon gar nicht mehr, wie gut die jeweils eingeschlagen sind.
Bei den Top 10 würde ich sagen, dass der Neymar -Transfer zu PSG okay war. Zu teuer ist relativ, wenn man zu viel Geld hat 😉 Mbappe war auf jeden Fall gut, selbst wenn er jetzt ablösefrei gehen sollte. Dann kommen eine Reihe von Deals, die entweder viel zu teuer oder unglücklich waren mit Dembele, Coutinho, Felix, und Griezmann (zu Barca). Grealish ist für eine Bewertung zu früh, sieht aber positiv aus. Ronaldo zu Juve finde ich ambivalent, kann man aber gerne als gut ansehen. Dann kommen Hazard zu Real (oh je) und Lukaku zu Chelsea, was auch etwas früh ist, aber bisher noch nicht geklappt hat. Sind das 4 oder 5 Treffer von 10?
In den Top 25 kommen noch Highlights wie Ronaldo zu Real, Neymar und Suarez zu Barca und van Dijk zu Liverpool, aber auch viel Schatten. Schwierig.
tobit 4. Februar 2022 um 15:16
Seine xG sind bei einem Topverein ähnlich wie Vlahovics bei einem Mittelklasse-Verein. Und Vlahovic ist ein Talent während Morata in den besten Jahren ist.
Ich hatte mir Stürmer-Marktwerte angeschaut, um zu sehen, was Juve für Alternativen hatte.
Bei Transfersummen ist der Bereich 65-95 Mio. (Vlahovics Ablöse wird mittlerweile mit ~80 Mio. angegeben) denke ich relevanter als Dembélé, Neymar und Co. Davon gab es bisher knapp über 30 und ich würde maximal 10 davon als geflopped bezeichnen (wovon so einige noch sehr gut wieder verkauft wurden). Mindestens 10 sind aber auch großartige Deals gewesen (Cristiano, Suarez, KDB, Ruben Dias, Cancelo stechen heraus). Im Bereich 40-60 Mio. Ablöse ist die Flopchance finde ich recht ähnlich (~35/100 wenn man die China-Transfers nicht als die Geldverbennung zählt, die sie waren), aber es sind auch weniger absurd gute Deals dabei.
@Koom
Ja, gewisse Dinge sind durchaus ähnlich zu Müller.
Ich würde aber nicht sagen, dass Morata unbedingt einen Fixstern vor/neben sich braucht wie Müller. Man darf von ihm halt nicht erwarten, Lewandowski oder Zlatan (also Spielmacher + Knipser in einem) zu sein, dann kann er auch als einziger Neuner funktionieren. Bei Liverpool zwischen Salah und Jota wäre er z.B. sehr gut, beim BVB statt Haaland eher nicht so.
AG 3. Februar 2022 um 08:55
Der Link zur Freischaltung: https://www.transfermarkt.de/statistik/transferrekorde
Koom 4. Februar 2022 um 10:39
Ich glaub, ein genereller Konsensus zu Morata war, dass er einiges sehr ähnlich wie Müller macht. Der ebenfalls einen Fixstürmer braucht, um zu wirken.
Vince 19. Dezember 2015 um 03:16
Ich finde den italienischen Fußball taktisch immer noch am interessantesten bzw herausforderndsten diese variabilität die zwischen eigenem ballbesitz und gegnerischem in Sachen Formation besteht ist großartig. Meine Theorie wäre da so viel Geld wie noch vor 10 Jahren wären die italienischen Vereine immer noch die Spitze des europäischen Fußballs
Sasa 15. Dezember 2015 um 11:00
Super dass ihr mehr Artikel über sie Serie A macht!
woifmoa 16. Dezember 2015 um 23:03
Das Interesse dürfte sich hier aber in Grenzen halten. Schade eigentlich, das war eine wirklich unterhaltsame Partie. Nicht so lustig wie das 4:0 jetzt gerade, aber spannender.