Nigeria nivelliert Schwedens Führungen

3:3

Am Montagabend deutscher Zeit startete auch die Gruppe D mit der Begegnung Schweden-Nigeria in die Frauen-Weltmeisterschaft in Kanada. Der ewige Mitfavorit und Weltranglisten-Fünfte aus Europa traf auf die mit Abstand beste Mannschaft Afrikas, die im Fifa-Ranking an 33. Stelle steht. Schweden qualifizierte sich souverän für das Turnier, gewann alle zehn Quali-Spiele und ließ nur ein einziges Gegentor zu.

Die Super Falcons lösten ihr Ticket mit dem siebten von neun Siegen der Afrikameisterschaften, bei denen sie ebenfalls ungeschlagen blieben. Den Deutschland-Gegner Elfenbeinküste schlug man dabei in der Gruppenphase, den dritten afrikanischen WM-Teilnehmer Kamerun dann im Finale mit 2:0.

Wer bei afrikanischen Teams ausschließlich an Physis, Kampfgeist, Schnelligkeit und technische Ungeschliffenheit denkt, dem droht mit Nigeria eine Horizonterweiterung. Zum einen sind die Spielerinnen eher drahtig, hochgewachsen und flink als bullig, zum anderen hat der Frauenfußball hier eine vergleichsweise lange Tradition und bringt bei einer großen Auswahl an Talenten immer mehr auch technisch versierte Spielerinnen hervor.

Schweden-Nigeria Grundformationen Frauenfußball-WM Kanada

Grundformationen: 4-4-2

Beide Teams traten in einer 4-4-2-Grundformation an und favorisierten in der Offensive die jeweils eigene rechte Seite. Somit drehte man anfangs wörtlich gesprochen „Runden“ über den Platz. Pia Sundhage, die vier Jahre zuvor noch an der Seitenlinie der USA gestanden hatte und deren Team in der Vergangenheit meist in einem 4-1-3-2 aufgelaufen war, hatte den Skandinavierinnen mit dem „neuen“ System zu mehr defensiver Stabilität verholfen. Das 4-4-2 hatte also auch gegen den Ball Bestand.

Nigeria verteidigte dagegen in einem 4-3-3 mit flachem Mittelfeldband, bei dem Rechtsaußen Oshoala mit in die vorderste Reihe vorstieß. Zwei der drei Stürmerinnen nahmen bei Abstößen die schwedischen Innenverteidigerinnen und Sechserinnen in den Deckungsschatten bzw. näherten sich so weit, dass sie schnell Zugriff erlaufen konnten. Die Dritte streute immer wieder Läufe auf die abschlagende Lindahl ein, um die schwedische Torhüterin zu überhasteten Abstößen zu zwingen. Ab dem zweiten Drittel verteidigte Nigeria dann eher gegnerorientiert.

Schweden-Nigera- Frauenfußball-WM Kanada, Nigeria defensiv

Nigeria defensiv im 4-3-3

Beide Teams hielten ihre Position extrem diszipliniert, wodurch die Spielerinnen meist recht luftig über das ganze Feld verteilt waren. Kompaktheit, Verschieben auf eine Seite oder Überzahlsituationen suchte man so vergeblich. Zumindest konnte auf diese Weise der Ball einigermaßen ungestört durch die Reihen wandern. Wenn Schweden mal kollektiv zum Gegenpressing nach Ballverlusten ansetzte, war ihnen der Ballgewinn meist sicher.

Während Schweden das Spiel extrem behäbig aufbaute, auf Ordnung und Kontrolle setzte und in der ersten Halbzeit so gut wie keinen Ballgewinn für ein schnelles Umschalten zum Kontern nutzte, waren die schnellen Sprints der Nigerianerinnen eine gern genutzte Waffe. Ganz anders als beispielsweise die Niederlande, die bei Kontern schnell zentral nach vorne spielen, um die Bälle anschließend von der Wandspielerin Miedema auf die nachrückenden Achter prallen zu lassen und so zu einer vorteilhaften Staffelung zu kommen, zwang v.a. die auffälligste Spielerin Oshoala ihr Gegenüber stets absolut geradlinig und direkt in Laufduelle und Dribblings, um dann entweder selbst abzuschließen oder flache Hereingaben vors Tor oder in den Rückraum zu spielen. Einige Male gingen die Bälle hierbei jedoch durch zu weites Vorlegen verloren.

Mit dieser Herangehensweise erspielte sich Nigeria in Halbzeit 1 ein leichtes Übergewicht. Ansonsten waren die ersten 45 Minuten von vielen Freistößen und Eckbällen geprägt. Für Standards hatte sich Schweden sowohl offensiv als auch defensiv eine Variante ausgedacht. Gegen Freistöße auf ihr Tor stellten sich die Schwedinnen mit bis zu sieben Spielerinnen in einer Reihe auf der Strafraumgrenze auf und unterdrückten so eine vorteilhafte Staffelung Nigerias. Zusätzlich spielten sie mit der Abseitsfalle. Das gelang. Ohne Tiefe konnte Nigeria die eigene Dynamik nicht ausspielen.

Nigeria aktiv, Schweden effektiv

Bei eigenen Ecken hielt sich jeweils eine ganze Traube an gelben Trikots im Fünfmeterraum auf — und zwar vor den direkten Gegnerinnen, die man somit fast ins Tor drängte, ihnen die Sicht versperrte und das Abseits auflösen ließ. Dass Torhüterinnen im Vergleich zu Männern klare Größen- und Sprungkraftnachteile haben, schien Schweden insofern nutzen zu wollen, als dass sie die Ecken direkt aufs Tor und zwar unter die Latte zu zirkeln versuchten. Daraus resultierten ein Lattentreffer, ein Ball auf dem Tornetz — aber auch zwei Tore. Beim ersten tat Oparanozie Schweden noch den Gefallen, den Ball versehentlich selbst mit der Brust über die Linie zu drücken statt zu retten, beim zweiten Mal durfte die Wolfsburgerin Nilla Fischer einnetzen.

Daraufhin wirkte Nigeria etwas geschockt und benommen, während Schweden das Tempo anzog und vermehrt auch die linke Seite bespielte. Nigeria hätte mit dem betriebenen Aufwand eine knappe Führung zur Halbzeitpause verdient gehabt, lief nun aber zwei Toren hinterher.

2015-06-0_Schweden_Umstellung_4-1-4-1_neu

Fischer auf der 6, Schweden im 4-1-4-1

Die Afrikanerinnen kamen ohne Wechsel aus der Kabine, Pia Sundhage stellte dagegen um. Die Ex-Münchnerin Olivia Schough kam für die rechtsaußen agierende PSG-Spielerin Kosovare Asllani. Schough besetzt die zweite Spitze neben Lotta Schelin. Sofia Jakobsson nahm dafür Asllanis Position ein. Kurz darauf hatte Nigeria auch schon ausgeglichen. Durch aggressive „Mann“-Verteidigung setzten die Afrikanerinnen ihre Gegenspielerinnen unter Druck, so dass diese nur noch schwer zu verarbeitende Pässe spielen konnten. Ballgewinn Nigeria, Sprint über rechts, Pass in den Rückraum. 2:1. Nur drei Minuten später stand es 2:2. Nigeria konnte den Ball in der eigenen Hälfte gewinnen, Fischer geht inkonsequent zum zentral nach vorn gespielten Ball, steht dann schlecht zu Ball und Gegnerin, so dass Oshoala ihre Dynamik und eine Körpertäuschung nutzen, Fischer stehen lassen und Lindahl tunneln kann.

Schweden mit Joker und Umstellung auf 4-1-4-1

Pia Sundhage reagierte mit der Einwechslung von Linda Sembrant für Lisa Dahlkvist als linker Sechs, die sogleich den besten schwedischen Angriff mit kurzen Pässen über links mit dem erneuten Führungstreffer abschloss. Eine viertel Stunde vor Schluss, das Spiel war nun deutlich tempo- und abschlussreicher, stellte Sundhage auf eine 4-3-3 bzw. 4-1-4-1-Formation um. Die sich mit Krämpfen plagende Fischer rückte offensiv aus der Innenverteidigung auf die Sechs und ließ sich defensiv zentral in die Vierer-, dann Fünferkette zurückfallen, sobald Nigeria ins letzte Drittel eindrang. Das Innenverteidigerpärchen wurde nun durch die eingewechselten Ilestedt und Sembrant gebildet. Doch es half nichts, Nigeria gelang es kurz vor Abpfiff mit schönem Doppelpass zwischen Okobi und Oparanozie und anschließendem Schnittstellenpass auf Ordega den verdienten Ausgleich zu erzwingen.

Schotte 14. Juni 2015 um 12:51

Topp Artikel, vielen Dank! Bitte mehr, JLE!

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dave 10. Juni 2015 um 01:12

Ich fand die Schwedinnen relativ enttäuschend, die einzig wirklich gute spielerische Aktion hat auch direkt zum dritten Tor geführt.

Nigeria hingegen hat mich positiv überrascht. Zwei tolle Stürmerinnen, die ständig „umtriebig“ waren, dabei ballsicher, ausweichend und trotzdem mit Zug zum Tor. Zudem habe ich die gleiche Beobachtung gemacht, wie JLE, dass Schweden kaum ernsthaften Pressing bzw. Gegenpressing gespielt hat. Ich kann mich an eine Szene erinnern, wo die Mittelfeldspielerinnen quasi 4 Meter parallel vor den Abwehrspielerinnen laufen. Sieht irgendwie kompakt aus, aber durch den nicht vorhandenen Druck auf Nigeria konnten die trotzdem tolle Pässe durch das Zentrum spielen.

Ich bin wirklich auf den Härtetest für die deutsche Mannschaft gegen Norwegen gespannt. Beim Auftaktspiel fand ich vieles schon ganz gut (vorallem Celia, die ist einfach ein toller Stürmertyp), aber die Elfenbeinküste war auch einfach kein Gegner.

Vielen Dank für die Analysen!

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HW 10. Juni 2015 um 08:42

Mir kommen die Spiele alle zu spät. Bei diesem Spiel habe ich ein paar Augenblicke aufgeschnappt. Aufgefallen ist mir in einer Szene nur die fehlende Staffelung der schwedischen 6er im Spielaufbau. Die standen zu weit von der Abwehr weg, beide auf gleicher Höhe und dazu auch eng gedeckt. So kann man das Spiel durch die Mitte natürlich nicht eröffnen. Aber vielleicht war das nur eine Momentaufnahme.

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