Gerechte Punkteteilung im Duell der scheiternden Fehlervermeider
Der Bremer Gastauftritt auf Schalke war nicht einmal gänzlich unansehnlich, schrie aber trotzdem lange nach einem 0:0. In einem Aufeinandertreffen zweier auf Stabilität bedachter Mannschaften bedurfte es zweier Torwartfehler, um das Resultat immerhin ein bisschen weniger trostlos zu gestalten.
Schalkes letztes Aufgebot im typischen Taktikkorsett
Die ohnehin chronisch ersatzgeschwächten Gelsenkirchener mussten nach dem Champions-League-Hinspiel gegen Real neben den Langzeitverletzten kurzfristig auch noch auf Rechtsverteidiger Uchida und Innenverteidiger Jan Kirchhoff verzichten. Im So sah sich di Matteo gezwungen, die Position des rechten Flügelverteidigers neu zu besetzen, und tat dies etwas unkonventionell mit dem gelernten offensiven Mittelfeldspieler Tranquillo Barnetta, der einige interessante einrückende Bewegungen im Offensivspiel zeigte.
Die aufbauende Dreierkette wurde indes von Benedikt Höwedes, dem zentralen Joel Matip und Matija Nastasic gebildet, während Fuchs das Gegenstück zu Barnetta auf der linken Seite gab. Als linker Achter im Mittelfeld rückte Max Meyer zurück in die Startelf, während mit CL-Debütant Felix Platte ein Mittelstürmer aus der Knappenschmiede den Vorzug als Huntelaar-Ersatz vor dem flexiblen Boateng erhielt.
Rechtslastige Schalker und Bremens typische Flankenprovokation
Von Beginn an entwickelte sich eine Partie mit hektischem Rhythmus, in der beide Mannschaften nur vereinzelte Momente tieferer Ballzirkulation in die Spieleröffnung einbauten. Bei den Bremern kippte Felix Kroos hierbei manchmal zwischen die breit schiebenden, von den Schalker Stürmern gepressten Innenverteidiger Vestergaard und Lukimya ab.
Zumeist jedoch setzten Gäste wie Gastgeber auf einen vertikalen Aufbau über die Flügel, da die jeweiligen Außenverteidiger formationsbedingt viel Raum erhielten. Seitens der Schalker wurde besonders Barnetta häufig eingebunden, der die Asymmetrie der Bremer 4-3-1-2-Raute ausnutzen sollte. Wie so oft hatte Viktor Skripnik diese nämlich mit einem offensiver ausgerichteten Zlatko Junuzovic auf der linken Halbposition besetzt, der häufig als zweiter, leicht versetzter Zehner auf Höhe von Fin Bartels schob, während auf der Gegenseite Clemens Fritz situativ zu einer Doppelsechs neben Felix Kroos einrückte.
Dadurch ergaben sich besonders im defensiven Bremer Umschaltmoment Räume, die der Schweizer gut und flexibel bespielte. Hierbei unterstützte ihn Marco Höger, der sich als rechter Achter für Kombinationen anbot und die Vorstöße Barnettas entsprechend gegen die im offensiven Umschaltmoment wiederum starke linke Bremer Seite absichern sollte.
Für wirkliche Durchschlagskraft konnte der Schalker Rechtsfokus jedoch nicht sorgen, da Kroos die Passwege in den Zehnerraum gut zustellte, während Garcia und Vestergaard zuverlässig herausrückten und die sich oft seitlich in den Halbräume fallen lassenden Choupo-Moting und Platte früh störten. So gelang es den Bremern erneut, den Gegner zu einer Vielzahl weitestgehend harmloser Flanken zu zwingen: 21 Stück segelten bis zum Ende der Partie in den Bremer Strafraum.
Die linke Schalker Offensivseite wurde weniger intensiv genutzt. Fuchs agierte hier typischerweise als Breitengeber, während Max Meyer häufiger in den Zehnerraum driftete, wo die stabile Bremer Defensivstaffelung in Verbindung mit den schlecht abgestimmten Bewegungen der beiden Mittelstürmer dafür sorgte, dass Meyer in seinem kreativen Passspiel meist auf Ablagen für nachstoßende Spieler beschränkt wurde. Dazu setzte Bremens Fritz das Schalker Goalimpact-Wunder im tieferen Aufbau situativ mannorientiert unter Druck. Mit zunehmender Spieldauer fand Meyer besser in die Partie und konnte sich durch seine Dribblings etwas Raum erarbeiten.Werder mit fehlender Präzision gegen Schalkes Defensivkönner
Die offensiven Talente der Bremer lassen sich grob durch zwei Aspekte beschreiben: Einerseits das herausragende offensive Umschaltspiel, in dem Fin Bartels eine Schlüsselrolle einnimmt, andererseits Zlatko Junuzovics herausragend getretene Standards. Die erstgenannte Bremer Stärke kam gegen die Schalker, die gegen den Ball erneut im 5-3-2 standen, jedoch kaum zum Tragen. Bartels individuelles Talent, unkompakte gegnerische Defensivstaffelungen intelligent anzudribbeln, kam gegen die Schalker Zentrumsdominanz kaum zum Tragen, sodass den Bremern im Zehnerraum die Präsenz fehlte und Bartels sich auf das Unterstützen der Flügelangriffe sowie gelegentliche Vorstöße in den Strafraum beschränkte.
Generell war das Konterspiel der Bremer risikoärmer, aber auch unpräziser als zuletzt, das Schalker Gegenpressing wurde zu häufig durch lange, weite Bälle in die Spitze überwunden, die Davie Selke gegen die Schalker Innenverteidiger erlaufen sollte – ein aussichtsloses Unterfangen. Um Selke herum spielte Werders Top-Torschütze Franco di Santo in einer ausweichenden Freirolle, in der er sich situativ sowohl als zusätzliche Anspielstation ins Mittelfeld fallen ließ als auch die Flügelpositionen wenn nötig besetzte. Meistens agierte er jedoch als zweite Spitze neben Selke.
Im Spiel nach vorne nutzten die Bremer typischerweise besonders die linke Seite. Linksverteidiger Santiago Garcia schaltete sich häufig in die Offensive mit ein, sammelte viele Ballaktionen im Spielaufbau und hinterlief Zlatko Junuzovic, um mit seiner Dynamik hinter die Schalker Abwehrreihe zu gelangen. So bereitete Garcia im ersten Durchgang auch eine Großchance von di Santo vor, die die Schalker zur Ecke lenken konnten.
Über die rechte Seite zeigten sich Fritz und Gebre Selassie verhaltener, wenngleich der Bremer Kapitän zumindest mit einigen diagonalen und vertikalen Bällen in die Spitze versuchte, die in den Strafraum vorstoßenden Bartels und di Santo zu bedienen. Insgesamt verloren sich jedoch die meisten Bremer Angriffsbemühungen in den Schalker Engen, sodass sich auch die Gäste nur sehr vereinzelt aussichtsreiche Abschlussgelegenheiten erspielten.
Schalker Führung und Dominanz, Bremer Lucky Punch
Diese Spieldynamik blieb bis zum 1:0 etwa konstant – nachdem die Schalker das Bremer Gegenpressing mit einem langen Schlag überspielt und nach Klärung von Vestergaard den zweiten Ball erobert hatten, erhielt Meyer zum ersten Mal in der Partie etwas Platz und schloss aus etwa 20 Metern ab. Eine wirkliche Großchance hatte Werder allerdings auch damit nicht zugelassen, vielmehr ließ Keeper Raphael Wolf den eigentlich haltbaren Schuss leichtfertig durch die Arme rutschen.
Mit der Führung im Rücken erlangten die Schalker schnell die Spielkontrolle. Sie verteidigten nun mit tieferen Außenverteidigern und konnten die Räume für die Bremer noch weiter verknappen, dazu boten sich in der Folge nun häufiger Räume für Konter, da Skripnik mit der Einwechslung von Aycicek und Hajrovic für Kroos und Selke auf ein vertikal weniger kompaktes 4-1-3-2 mit Fritz als Solosechser umstellte, dessen kombinativere Besetzung durch einen unpräzisen Aufbau und den aggressiven Schalker Zugriff kaum genutzt werden konnte.
Zudem kam auf Schalker Seite mit Boateng für Platte ein frischer Spieler für die erste Pressinglinie, der die Bremer Innenverteidiger früh anlief und zu langen Bällen zwingen konnte. Zwar kamen die Schalker so zu vielen Ballgewinnen, spielten ihre Kontersituationen jedoch nicht konsequent genug aus, um wirkliche Großchancen zu generieren und die Partie zu entscheiden.
Dass die Bremer tatsächlich noch den in der Summe verdienten Punktgewinn einfuhren, war der skripnikschen Brechstange zu verdanken: Eine Freistoßflanke von Junuzovic in der Nachspielzeit köpfte der kurz zuvor als zusätzlicher Mittelstürmer für den kleingewachsenen Bartels eingewechselte Defensivspezialist Prödl am zu zögerlich in Richtung Ball gehenden Wellenreuther vorbei ins Schalker Tor. Tatsächlich hatten die Schalker nach zwei Eckbällen noch die Chance auf drei Punkte, ließen diese aber ungenutzt verstreichen.
Fazit:
Die Gelsenkirchener bringen sich auf Schalke trotz weitestgehend ordentlicher Leistungen selbst um zwei Punkte. Di Matteos Fünferkette gelang es, die eher kombinationsschwachen Bremer Offensivkräfte 90 Minuten fast zu neutralisieren. Dazu sorgten die Aufstellung von Tranquillo Barnetta als Wingback (7 Keypässe) ebenso wie die Rückkehr von Offensivtalent Max Meyer in die Startaufstellung für einige passable Offensivansätze, die ohne Stammstürmer Huntelaar jedoch zu inkonsequent eingebunden wurden.
Viktor Skripnik hingegen gewinnt den Punkt für seine Bremer dieses Mal eher beim Roulette als beim Schach. Gegen die Schalker Champions-League-Aspiranten ließ er recht vorsichtig und konventionell agieren, brachte gegen die kompakten Schalker mit Bartels und Selke zudem zwei eher ungeeignete Spielertypen, um offensiv gegen einen derart kompakten Gegner Durchschlagskragt zu erzeugen. Die Defensivleistung blieb jedoch weiterhin überzeugend, von den 24 Schalker Schussversuchen kamen nur fünf auf den Kasten von Raphael Wolf, bis zur 90. Minute waren es gar nur drei. Wie schon in den Partien zuvor zwang man den Gegner oft zu Halbchancen. Aufgrund eines erneuten individuellen Fehlers reichte dies jedoch nicht, um zu null zu spielen.
9 Kommentare Alle anzeigen
TW 25. Februar 2015 um 07:57
Du hast GI-Wunder Meyer angesprochen, was für ein GI hat er?
CV 25. Februar 2015 um 11:14
Zum Ende der Rückrunde stand Meyers GI bei 111, Prognose >140. Das wäre mitunter über dem Durchschnittsniveau eines guten Champions-League-Siegers: http://www.goalimpact.com/2015/01/the-best-and-worst-champions-league.html
Maratonna 24. Februar 2015 um 18:46
@CV 2 Fragen zu den 2 Spielern Barnetta und Bartels?
Findest Du die Position des Wingbacks für Tranquillo im 3-5-2 für zukunftsträchtig?
Und welche Position wäre für Fin Bartels im Bremer System die richtige, evtl. tiefer im Halbraum oder gar wieder auf aussen. Hat ja auch schon alles mögliche gespielt z.B bei Hansa Rostock?
CV 24. Februar 2015 um 19:20
Fand die Kombination Barnetta/Höger generell recht interessant, ja. Mit ’nem absichernden rechten Achter sicher eine gute Variante, besonders gegen schwächere Gegner. Wäre die Ballverarbeitung der beiden MS (besonders bei Platte war das noch recht deutlich) nicht so unkonstant und der Rhythmus der Partie etwas weniger hektisch gewesen, hätte das kreative Potential der Besetzung bestimmt für ein paar mehr Großchancen ausgereicht. Barnetta hat das schon recht variantenreich interpretiert, vor dem Schalker Tor war er ja sogar in Richtung Zehnerraum gestartet, das hatte er ein paar Mal drin. Schätze aber, dass RdM gegen stärkere Gegner Uchida weiter bevorzugen wird, der defensiven Solidität wegen.
Bartels finde ich persönlich ja für alles von Achter bis Halbstürmer geeignet, das sollte man je nach Gegner variieren. Auf der Halbposition/gemeinsam mit Junuzovic im 4-1-3-2 am ehesten gegen tief stehende Gegner, wenn der Sechser weiträumig absichert (also an einen fitten Bargfrede geknüpft), ansonsten so ein bisschen Nadelspieler-mäßig auf der Zehn als erste Anspielstation im Umschaltspiel, um den Ball schnell in die richtigen Räume zu treiben und Selke/di Santo einzusetzen. Gegen individuell überlegene Gegner (vgl. Leverkusen) auch gerne als Teil einer Doppelzehn für ein bisschen mehr Ballsicherheit in Engen. Gegen Schalke hätte ich ihn auch lieber ein wenig weiter vorne (statt Selke, dafür mit einem weniger ausweichenden di Santo) und weniger isoliert gesehen, dafür mit noch stärkerer Asymmetrie/Linksfokus.
Wird interessant, wie Skripnik Bartels nächste Saison einbindet, falls die Entwicklung zur ballbesitz-/kombinationsorientieren Spielweise von Skripniks U23 gehen sollte. Das dürfte Bartels eigentlich weniger entgegenkommen. Wäre schade.
Schorsch 24. Februar 2015 um 18:26
Wiederum eine treffende Analyse.
So ein ganz klein wenig haben mich einige Phasen des Spiels an das eine oder andere Werdermatch letzte Saison unter Dutt erinnert. Was jetzt nicht despektierlich gemeint ist, sondern wohl den Stilmitteln geschuldet ist, die Werder z.T. eingesetzt hat.
Sehr gefallen hat mir in der Analyse die Erwähnung der fast schon herausragenden Rolle, die Fin Bartels für das Offensivspiel Werders inne hat. auch wenn er gegen diese Defensivstaffelung der Schalker eher nicht der richtige Spieler war. Ein Zweitligaspieler, der in der Bundesliga eine erstklassige Leistung abliefert. Da hat Eichin einen wirklich guten Griff getan. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass der eine oder andere über diese Verpflichtung die Nase gerümpft hat und als weiteres Zeichen des Niedergangs Werders interpretiert hat. Na ja, irren ist menschlich… 😉
50Brot 24. Februar 2015 um 14:26
Beim Fazit stellt sich mir die Frage, ob Werder momentan Spieler im Kader hat, die besser geeignet gewesen wären als Bartels und Selke. Im Verlauf des Artikels werden ja vorher die Bremer Stärken in der Offensive beschrieben. Wenn man da Bartels rauskürzt, bleiben die Standards übrig und darauf allein sollte man sich ja nun auch nicht verlassen.
Dabei sollte man glaube ich auch nicht vergessen, dass Werder kürzlich noch als Abstiegskandidat galt und es völlig normal sein sollte, dass sie gegen einen Champion-League-Achtelfinalisten, der defensiv mit einer Fünferkette agiert, Probleme bei der Erzeugung von Durchschlagskraft haben.
Insgesamt eine sehr gute Analyse, die mir sehr einleuchtet, aber für mich als Bremer, der sich über einen Punkt auf Schalke ein zweites Loch in den Hintern freut, sind die aufgezeigten Schwächen in dieser Phase und mit dieser Mannschaft völlig akzeptabel.
CV 24. Februar 2015 um 15:51
Bin ja auch eher dem Bremer Lager zuzurechnen halte die Offensivleistung des Schalke-Spiels auch nicht für verreißenswert. Das Zusammenspiel von Junuzovic und Garcia war szenenweise sogar recht sehenswert, in der Hinsicht scheint Skripnik sich auf die Schalker Formation eingestellt zu haben. Trotzdem war ja abzusehen, dass Bartels und Selke ihre Stärken im Umschaltspiel gegen die Schalker Formation nicht wirklich zur Geltung bringen dürften. Mit Aycicek und Öztunali hat man im Wintertest gegen Hannover ein paar schöne Halbraumkombinationen zustande gebracht, die beiden als Doppelzehn in einem 4-3-2-1 mit di Santo in einer etwas tororientierteren Rolle hätte die Abhängigkeit von langen Bällen verringert. Wären ein paar potentiell ganz coole Linksüberladungen drin gewesen, eigentlich ist Skripnik ja auch Freund des Flachpasses, insofern war ich ein bisschen enttäuscht, dass er einfach das, was gegen Augsburg funktioniert hatte, gegen einen ganz anderen Gegner wieder zum Funktionieren bringen wollte.
(Potentiell wäre auch Lorenzen ’ne gute Waffe gegen einen hoch aufrückenden Barnetta gewesen, der soll mal wieder fit werden.)
50Brot 24. Februar 2015 um 16:38
Das hört sich sinnvoll an, vielen Dank! Ich war an dem Tag unterwegs und konnte nur die Konferenz gucken, da stellt sich nicht so richtig ein Gesamteindruck ein. Irgendwie hatte ich aber meistens den Eindruck, dass Werder das Unentschieden ganz gut gefallen hat. Vielleicht hat Skripnik sich einfach nicht getraut Bartels mit seinen unfassbaren läuferischen Leistungen draußen zu zu lassen. Oder hättest du stattdessen Selke und einen anderen Spieler rausgenommen? Mir fällt da als Erster immer Fritz ein, aber das ist glaube ich eher ein unfairer Reflex aus schlechteren Werdertagen, denn im Moment läuft er ja im Mittelfeld zu einer Form auf, die ich ihm nicht mehr zugetraut hätte.
Joe 25. Februar 2015 um 16:56
Hälst du es für möglich das Skripnik die 4-4-2 Raute, an der er ja bisher in jeden Spiel festgehalten hat, zu gunsten eines 4-3-2-1 opfern würde?