Reals Nadelspielereffizienz siegt gegen Sevillas interessantes 4-2-3-1
Zwei Spiele musste Real Madrid wegen einer Sperre ohne Cristiano Ronaldo bestreiten. In der letzten dieser beiden Partien trafen sie auf den FC Sevilla. Die Mannschaft von Unai Emery – aka der aktivste Trainer an der Seitenlinie seit Klopps Wuttherapie – liegt auf Platz vier und ist ein potenzieller Stolperstein mit interessanter Pressingspielweise. Wie würde Sevilla diese gegen Real durchbringen? Und was würde Ancelotti gegen einen hochklassigen Gegner ohne Megastar Cristiano Ronaldo machen?
4-3-3 mit dem Ball, 4-4-2 gegen den Ball
Carlo Ancelotti sprach schon direkt nach der Sperre Cristiano Ronaldos durch den spanischen Verband, dass man nun Gareth Bale in der Rolle Cristianos als freiem Radikal und zweitem Stürmer neben Karim Benzema nutzen möchte. Ziel sei es, so Ancelotti, bei eigenem Ballbesitz mit drei Angreifern zu agieren und gegen den Ball ein 4-4-2 zu bilden. Isco als linker Flügelstürmer orientiert sich deswegen in diesem System eher in die Mitte und fungiert meist als dritter, spielgestaltender Mittelstürmer. James Rodriguez auf der rechten Außenbahn wiederum schiebt zwar ebenfalls in die Mitte, ist dabei aber tororientierter und stößt immer wieder in Richtung gegnerischer Abwehrlinie.
Generell entsteht dadurch sehr viel Bewegung bei den Madrilenen. Isco und Kroos sind (seit Modrics Verletzung) die Hauptverantwortlichen für den Spielaufbau und bewegen sich relativ frei im Sechser- und Zehnerraum. Bale (sonst Cristiano) lässt sich zentral immer wieder zurückfallen oder pendelt auf die Flügel, um offene Räume zu finden und in Dribblings zu kommen. Benzema und James fungieren wiederum als Balancegeber; James unterstützt situativ die Ballzirkulation in der Mitte oder besetzt Räume weiter vorne, um Bale und Benzema das Zurückfallen zu ermöglichen. Letzterer ist ohnehin eine Allzweckwaffe: Er ist torgefährlich, balancegebend, raumöffnend, raumfüllend, spielmachend und kombinationsstark.
Diese Mischung sorgt also für sehr viele freie Bewegungen, ohne dass wirklich größere Lücken entstehen. Auch Marcelos Rolle als spielgestaltender und offensiver Außenverteidiger sorgt dafür. Das beeindruckende an Real ist aber, dass sie sich zwar gelegentlich wegen der enormen positionellen Freiheit in enge Situationen geraten, diese aber mit weit überdurchschnittlicher Erfolgsstabilität ausspielen können.
Dadurch gibt es in weiterer Folge freie Räume, die ihre sehr dynamischen und individuell starken Spieler ausnutzen können. Ancelottis Wunsch nach einem 4-3-3 ermöglicht eine passende Aufteilung in puncto Breitenstaffelung, flexibles Zurückfallen sowie Attackieren der durch das Zurückfallen geöffneten Räume und viele Optionen für Pässe hinter die Abwehr oder Hereingaben in den Strafraum.
Defensiv soll es ein 4-4-2 sein, um das Spiel auf die Seite zu lenken und dann aggressiv mit guter Breitenstaffelung in der ballerobernden zweiten Linie zu pressen. James agiert auf einer Linie mit Isco neben den zwei Sechsern, wobei die Flügelstürmer situativ auf herauskippende Sechser des Gegners oder sogar die Innenverteidiger schieben können. Die beiden Sechser in der Mitte rücken ebenfalls situativ heraus, wodurch insbesondere in diesem Spiel mit Khedira als zweitem Sechser 4-1-3-2hafte Staffelungen entstanden.
Nach dem Treffer zum 1:0 und der verletzungsbedingten Auswechslung von James gab es allerdings eine formative Veränderung bei den Madrilenen.
4-5-1 mit zockenden Elementen nach der Führung
Mit der Einwechslung Jesés für James schien es für einen kurzen Moment, als ob Jesé schlichtweg die Rolle von James auf identische Art und Weise übernehmen würde. Jesé ist ein dribbelstarker, athletischer und tororientierter Flügelstürmer mit guten Fähigkeiten im Bewegungs- und Kombinationsspiel. Darum wäre eine solche Rolle wie jene von James in diesem Spiel bis zu diesem Zeitpunkt durchaus passend gewesen. Allerdings schob Ancelotti überraschend Bale aus dem Sturmzentrum eine Ebene nach hinten und nutzte ihn nunmehr als Rechtsaußen.
Jesé übernahm allerdings nicht die Position neben Benzema, sondern blieb auf links. Dadurch entstand ein 4-5-1. Oft gab es sehr saubere Staffelungen mit fünf Mittelfeldspielern in einer Reihe, die flexibel herausrückten und pressten. Einige Male gab es aber auch ein asymmetrisches 4-4-1-1 gegen den Ball, wo sich Bale oder Jesé an der Defensivarbeit nicht so tief beteiligten und zockten, um im Umschaltmoment anspielbar zu sein. Isco gab den linken Achter, Khedira den rechten.
In eigenem Ballbesitz gab es weiterhin das 4-3-3 zu sehen. Mit Jesé auf links und Bale auf rechts waren die Bewegungen aber etwas verändert. Beide pendelten zwischen einer breiteren Position und sehr aggressiven Diagonalläufen in Richtung Sturmzentrum, während Isco in diesem angepassten System eine bereits eingerückte Initialposition hatte.
Real kam in diesem System zu einigen Chancen und war insgesamt leicht überlegen, doch Sevilla zeigte defensiv weitestgehend eine starke Leistung und war auch offensiv mehrmals sehr gefährlich.
Sevilla überzeugt trotzdem
Bei Abpfiff hatten die Gäste aus Sevilla knapp mehr Schüsse (14:15), obgleich einige Halbchancen und Abschlüsse aus bedrängten Situationen darin enthalten waren. Allerdings zeigte Sevilla offensiv wie defensive einige interessante taktische Punkte. Die Defensivformation und die darin enthaltenen Bewegungen konnten zum Beispiel besonders überzeugen.
Sie pressten häufig hoch und stellten mit ihrem 4-2-3-1 flexibel die Räume zu. Dabei war ihre defensive Grundformation wirklich ein 4-2-3-1, denn Iborra agierte versetzt hinter dem Mittelstürmer Bacca und auf einer Linie mit den Flügelstürmern. Diese Dreierreihe wiederum stand höher als die beiden Sechser, zumindest im höheren Pressing. Insgesamt waren sie sehr ballorientiert im kollektiven Verschieben und trotz vieler situativer Mannorientierungen blieben sie in der individuellen Orientierung weitestgehend auf ihren Positionen.
Das 4-2-3-1 wurde sehr horizontal kompakt und aggressiv gespielt, desweiteren wurden aus dem 4-2-3-1 viele andere Staffelungen erzeugt. Manchmal schob einer der Sechser vor und es entstand ein 4-1-4-1, in anderen Situationen wurde es ein 4-2-4 und häufig gab es ein 4-2-4-0, in welchem sie die Sechser und Außenverteidiger mannorientiert zustellten. Die beiden Sechser Sevillas konnten dadurch variabel den Zwischenlinienraum versperren und die Bewegungen Reals im letzten Drittel absperren.
Offensiv war Sevilla ebenfalls nicht schlecht; im Aufbau füllten sie Räume gut und vorne gab es mit Iborras Vorstößen, dem Ausweichen Baccas, den Diagonalläufen der Flügelstürmer und dem Nachrücken der Außenverteidiger besonders im Konterspiel einige vielversprechende Situationen.
Fazit
Insgesamt ein ansehnliches Spiel, auch wenn es von drei verletzungsbedingten Auswechslungen in der ersten Hälfte etwas überschattet wurde. Das 2:1 geht auch leistungsmäßig in Ordnung, obgleich Sevilla sehr lange Zeit ebenbürtig agierte und eine starke Leistung zeigte. Real deutete aber in einzelnen Angriffen und Momenten eine potenzielle Überlegenheit an und nutzte letztlich auch die ersten sich bietenden Chancen eiskalt, um 2:0 in Führung zu kommen. Am Ende gab es nur einzelne kleinere Anpassungen, aber die Madrilenen brachten den Sieg über die Zeit.
Danke an Laola1.tv für das Bildmaterial!
3 Kommentare Alle anzeigen
Credo 6. Februar 2015 um 14:53
Danke für die Analyse.
Jese ist nicht besonders dribbelstark, dafür aber enorm kombinationsstark oder wie man das nennt. Ich würde gern mal eine linke Seite sehen von Jese, Isco (Kreatoren) und mit Coentrao (Läufer), der die von Jese, Isco geöffneten Räume hinter dem RV mal mit Sprints nutzt und anschließend angespielt wird.
Isco 5. Februar 2015 um 08:35
Vielen Dank für die Analyse 😉
Was ist denn eigentlich eure Meinung zu Jese? Stark am Ball, aber in seinen Bewegungen ein bisschen zu „simpel“?
Random Walk 5. Februar 2015 um 14:07
Individuell ist Jesé stark, ich glaube RM hat seinen Abschluss schonmal hervorgehoben, der ist ja auch beeindruckend 😉
Kritisiert wurde hier schonmal sein Anvisieren der Räume fürs Dribbling. Diese Kritik kann ich gut nachvollziehen. Gerade auf der rechten Aussenbahn, wo er oftmals eingesetzt wurde, fand ich ihn extrem eindimensional und scheisse im Dribbling. Die Kurzeinsätze, die er in der bisherigen Saison bekommen hat, haben mich auch nicht gerade optimistisch gestimmt: Dass sich seine Spiel in diesen Kurzeinsätzen aufs Ball vorbeilegen am Gegner und dem Reindreschen in den Strafraum beschränkten, ist aber wohl auf dem Mist von Ancelotti gewachsen, der in der Schlussphase gegen tiefstehende Gegner Tore mit vielen Flanken erzwingen möchte.
Ich denke Jesé hat während seiner Verletzungspause einige Fortschritte im angesprochenen kritisierten Bereich gemacht, dass er hier als dribblingstark bezeichnet wurde, überrascht mich jedoch ehrlich gesagt.
Auch die Kritik der zu simplen Bewegungen, wie du sagst, hatte ich im Kopf, dadurch ist er natürlich auf einer Seite wie Spielverlagerung.de nicht sonderlich beliebt. Aber als Nachwuchsspieler hat er bei Sympathisanten von Real Madrid trotzdem eine besonderen Stellenwert!