Blick über den Tellerrand – Folge 22
Diesmal geht der Blick in Richtung Westen. Dort sieht man die Niederlande und ihr Topspiel vom Wochenende, aber auch die britische Insel mit einer Art Mini-Rückblick.
Spiel der Woche: Feyenoord – FC Twente 3:1
Feyenoord gegen Twente war so etwas wie das Topspiel des 18. Spieltages in der Eredivisie. Gegen die kraftvolle Spielweise der Hausherren kehrten die Gäste etwas überraschend von ihrer Grundformation ab und praktizierten stattdessen erstmals ein 5-3-2. Die beiden vorderen Stürmer agierten etwas asymmetrisch und versuchten leitend zu agieren, indem sie vereinzelt bestimmte Passwege zuschoben und andere anboten. Aus dem Mittelfeld, das immer wieder mit losen, aber wechselnden und nur angedeuteten Mannorientierungen arbeitete, pendelte Ziyech mehrfach in die Spitze, was zu vielen 5-2-3-0/3-4-3-0-haften Defensivphasen bei den Gästen führte. Blieb Ziyech tiefer und war die vorderste Reihe entsprechend horizontal weniger kompakt, gab es alternativ häufiger vorrückende Bewegungen der Außenspieler im Pressing, die auf ihre gegnerischen Pendants im Aufbau pressten. Bei diesen aggressiveren Phasen rückte das mannschaftliche Kollektiv nach, die Abwehrreihe veränderte sich entsprechend und es entstanden 4-3-3-Verteilungen. Mit diesen vorrückenden Kollektivbewegungen konnte Feyenoords Zirkulation in den hinteren Linien gehalten und zurückgeschoben werden. Dazu trugen auch die gut ausgeführten Phasen des 5-2-3-0 bei.
So gelang es über einige Abschnitte gut, die gelegentlich in asymmetrischen Dreierreihen mit Boulahrouz aufbauenden Hausherren nicht so schnell nach vorne kommen zu lassen. Ein solches Aufrücken erreichten diese ansonsten über einzelne Vertikalpässe des etwas freigelassenen van Beek ins Mittelfeld, wo es einzelne gute Ansätze variabler Zwischenpositionierungen gab, oder durch vorrückende Aktionen an den Flügeln. Hier konnte die Sturmreihe Twentes zwar überspielt werden, doch musste Feyenoord dann immer noch aus seitlichen Positionen gegen eine massierte, diagonal stehende 5-3-Ordnung anlaufen. Nach einer ordentlichen Anfangsphase – gefährliche Ansätze kamen vor allem durch geschickte Nachstöße Clasies in Freiräume – kamen sie lange Zeit kaum zu Chancen und blieben eine Spanne von fast einer halben Stunde ohne Abschlussversuch. Im linken Halbraum gab es einige Überladungsansätze, doch das Anbieten in zentralen Zonen hatte kein optimales Timing und einzelne frei hereinfallende Spieler wurden manchmal ignoriert. Dennoch gelang Feyenoord in der 37. Minute noch der Treffer zur Halbzeitführung: Nach einem abgelegten langen Ball gab es für El Ahmadi einen zweifelhaften Elfmeter, den Kazim Richards zunächst verschoss, doch aus der folgenden Ecke markierte Immers das 1:0.
Gegen die Aufbaudreierkette bei Twente versuchte Feyenoord gegen den Ball ein druckvolles, wenngleich etwas unstrukturiertes frühes Anlaufen. Durch verschiedene vor- und einrückende Bewegungen von Immers und den beiden Außenstürmern hatten sie dabei unterschiedliche Möglichkeiten in asymmetrischen 4-4-2- oder verengten 4-3-3-Stellungen zu agieren. Entweder zwangen sie damit die nach außen weichenden Halbverteidiger zu langen Bällen nach der tiefen Zirkulation, wenngleich gerade Bjelland diese zumindest noch in sinnvolle Bereiche hinter die Außenverteidiger brachte. Diese versuchte Twente über umliegende Bewegungen wegzuziehen, damit Castaignos dort hinein rochieren konnte, was einige Male gelang und die eine oder andere Szene nach dem Ballhalten ermöglichte. In anderen Phasen musste Feyenoord ein kontrolliertes gegnerisches Aufrücken zulassen, wenn ihr Pressing nicht so gut griff. Einige Male war dies bei suboptimaler Abstimmung der Außenspieler der Fall – die Flügelstürmer pressten aggressiv, doch dahinter ging der Außenverteidiger nicht wie sonst den langen Weg gegen Martina bzw. Schilder nach. So konnten diese – Boetius oder Toornstra wurden entsprechend überspielt – im entstehenden seitlichen Freiraum aufrücken, zumal die recht mannorientierten und improvisiert agierenden Mittelfeldleute Feyenoords keine unmittelbare Kompaktheit herstellten. Besonders weil durch Ziyechs Aufrücken einer von ihnen bis in die letzte Linie zurückgedrückt wurde, war dies auffällig.
Vor allem über den seitlich helfenden Mokotjo auf rechts versuchte Twente dann anschließend anzukurbeln. Durch kleinere Flügelüberladungen, verschiedene gruppentaktische, wenngleich etwas unsaubere Mechanismen und auch den einen oder anderen vertikalen Angriff mit Ablagen – Ebecilio von der Bank wäre dafür ein wirkungsvoller Spieler gewesen – hatten sie einige Szenen. Allerdings hätte die Einbindung der Flügelläufer noch konsequenter und vielseitiger gestaltet werden können und auch die Verbindungen Ziyechs zu Corona oder Mokotjo waren aufgrund seiner teils zu weiträumigen Rolle wechselhaft. In den Minuten unmittelbar nach der Halbzeit war sein Raumschaffen aber sehr wirkungsvoll und trug zusammen mit etwas mehr Balance zu Twentes bester offensiver Phase bei. So dauerte es nur sechs Minuten bis zum Ausgleich durch Engelaar und im Anschluss hatte die Mannschaft auch die eine oder andere Halbchance, um das Match sogar zu drehen. Stattdessen war es nach einer Stunde aber Feyenoord, das per Doppelschlag für die Entscheidung sorgte. Dabei sorgten kleinere Verbesserungen in den Offensivabläufen für die erhöhte Effektivität in den Angriffen. Gerade die teils offenen Rückräume im Mittelfeld visierten sie nun zielstrebiger und geschickter an. Über kleinere Überladungen, bei denen Immers häufig etwas zur Seite auswich, erzwangen sie das glückliche 2:1 und zeigten dann einen soliden Spielzug zum dritten Treffer.
Spieler der Woche: Ein Blick auf zwei Ajax-Defensivakteure
Am Freitag startete Ajax mit einem insgesamt überzeugenden 2:0 gegen Groningen in die Rückrunde der Eredivisie. Besonderes Augenmerk war dabei auf Innenverteidiger Mike van der Hoorn gerichtet, der nach seinem millionenschweren Wechsel von Utrecht im Sommer 2013 bei Ajax bisher kaum zurechtgekommen ist, nun aber aufgrund der Muskelverletzung von Joel Veltman zunächst einmal einen Stammplatz in der Innenverteidigung erhalten hat. Auf den ersten Blick wirkt der großgewachsene Defensivmann etwas ungelenk, nicht unbedingt besonders sicher am Ball und zudem streute er in der Vergangenheit immer wieder auch einige Unsicherheiten und Fehler in verteidigenden Aktionen ein. Dennoch verfügt er über etwas seltsam gelagerte Qualitäten im spielerischen Bereich, die bisher oft untergingen, bei genauerem Hinsehen aber auch gegen Groningen aufschienen. Seine Grundspielweise ist durch eine teils wechselhafte und schwermütige Art gekennzeichnet, was zu gewissen Schwankungen und damit auch einzelnen unkontrolliert aussehenden Fehlern führen kann. Spielerisch wirkt er vom Ersteindruck vielleicht nicht wie ein prädestinierter Aufbau-Innenverteidiger, ist aber für seine körperlichen Anlagen doch überraschend geschickt.
Zwischendurch zeigt er ungewöhnliche Aufrückbewegungen und teils wirr getimte Dribblingversuche, die man von einem Spieler solcher Statur nicht unbedingt erwarten würde. Diese Aktionen gelingen aber recht gut – gelegentlich sind dann vereinzelt unerwartete und simple Fehler dabei – und er weiß auch mal eine anspruchsvolle Pressingszene aufzulösen. Hier zeigt sich seine strategisch etwas wankelmütige Ausrichtung zwischen riskant, konzentriert, solide und überambitioniert. Insgesamt sieht man von ihm also sowohl fast übertrieben antreibende Versuche als auch ruhige und saubere Tiefenzirkulation, wie er überhaupt recht ballsicher ist. Manchmal sind seine Qualitäten etwas unterschätzt und es ist also kein Zufall, dass er von Louis van Gaal zu Beginn von dessen Amtszeit als Bondscoach zumindest mal im erweiterten Aufgebot von Oranje zu Gast war. Im Defensivgeschäft kann van der Hoorn mit solider Abwehrarbeit überzeugen, ist insgesamt aber nicht der beweglichste Spieler, sondern durch gewisse Staksigkeit etwas belastet. In seiner Orientierung zeigt er sich zwar solide, aber etwas instabil und drucklos, was ihn neben einigen falschen Entscheidungen in der Bewegungswahl eben gelegentlich in problematische Situationen bringt. Die Partie gegen Groningen war nicht nur für Ajax, sondern auch für ihn persönlich ein zufriedenstellender Start in 2015 – mal sehen, wie es so weitergeht.
Eine weitere interessante Personalie bei den Ajacieden ist der junge Defensivallrounder Jairo Riedewald, der sich seit Herbst nach der Verletzung von Linksverteidiger Boilesen zunehmend Einsätze erarbeiten konnte und nun für die Rückrunde vorerst zur ersten Elf gehört. Unvergessen ist sicherlich sein Einstand im Profiteam, als er im Dezember 2013 bei seinem Debüt einen Doppelpack in der Schlussphase erzielte und Ajax damit zu einem späten 2:1 bei Roda verhalf. Anschließend wurde er als Ergänzungsspieler immer mal wieder eingesetzt, ehe er in dieser Spielzeit gerade nach dem Abgang von Daley Blind zum Kernstamm der ersten Mannschaft zählt. Bei verschiedenen Jugend-Turnieren – teilweise auch als Kapitän – deutete er schon seine Anlagen und seine spielstarke Art an. Unzweifelhaft verfügt Riedewald also über enormes Potential – er ist spielintelligent, nicht nur bezüglich seiner Position vielseitig, durchaus dribbelstark, teilweise trotz etwas zurückhaltender Ausstrahlung antreibend und zeigt viele spielerisch ansehnliche Szenen. Allerdings wirkt er manchmal noch recht unkoordiniert, leicht hektisch und tollpatschig. Zudem hat er auch mal passive, unstetige Phasen in seinem Spiel. Insgesamt benötigt Riedewald noch mehr Konstanz, um sein vorhandenes Potential besser auszuschöpfen, und dazu mehr Balance sowie Bewusstheit in der Positionsfindung. Zwischendurch überrascht er mit besonderen Aktionen und lässt seine Anlagen aufblitzen – es wird interessant, ob er diese in die Zukunft gut genug durchbringen kann.
Aus dem Archiv: Die verworfene Folge 10
Im Mai 2013 stand „Blick über den Tellerrand“ bei neun Ausgaben und die Jubiläumsfolge Nummer 10 war in Planung – unter anderem sollte das italienische Pokalfinale analysiert werden. Im Zentrum stand jedoch eine andere Überlegung: Da in weiten Teilen Europas das Saisonende eingekehrt war, sah das „Konzept“ – auch im Anbetracht der Jubiläumsausgabe der Serie – vor, einige kleine Awards zu verteilen. Relativ schnell verschwand diese Idee allerdings wieder in der Schublade und so wurde die 10. Folge vertagt, das italienische Pokalfinale stattdessen als normale Spielanalyse realisiert.
Doch es gab ein Überbleibsel der ursprünglichen Überlegung: Einer der Kurztexte zum Award der besten Defensivtaktik der Saison war bereits verfasst worden. Auch wenn der Blick damit nicht wirklich über den Tellerrand gerichtet wurde, sollte der kleine Preis an den damals in seinem Abschiedsjahr bei United aktiven Sir Alex Ferguson gehen – für seine Ausrichtung im verlorenen CL-Achtelfinal-Duell gegen Real Madrid. Dass United in seinen letzten zwei Jahren international wenig zu melden hatte, war auch etwas unglücklich – mit jener starken Defensivtaktik gegen die Madrilenen hätte Ferguson durchaus ein Weiterkommen verdient gehabt. Anlässlich der vor wenigen Tagen durchgeführten Serie zu Sir Alex Ferguson hier noch einmal die Erinnerung an jene damalige Ausrichtung (Original-Formulierung aus dem nicht veröffentlichen „Blick über den Tellerrand“):
„Entscheidend war dabei, wie die Doppelspitze aus Robin van Persie und Danny Welbeck den Madrilener Spielmacher Xabi Alonso ausschalteten. Beim horizontalen Verschieben bewegte sich der eine auf die ballnahe Seite in den Halbraum zum aufgefächerten Innenverteidiger des Gegners, während der andere Xabi abdeckte. Bei einem Seitenwechsel wurden auch die Aufgaben getauscht, so dass die Stürmer nur einen kurzen Verschiebeweg zurückzulegen hatten. So konnte United trotz zweier Stürmer und einer flügel- sowie teilweise mannorientierten Ausrichtung der offensiven Außenspieler das Zentrum mit nur zwei Sechsern eng halten, von denen einer sogar ballnah hoch in den Halbraum rausschieben konnte und in einem Dreieck mit den beiden Stürmern den Raum sicherte. Ein Lob für Ferguson, zwischen seinen Stürmern nicht zu differenzieren und auf eine klare Aufgabenverteilung zu verzichten, sondern stattdessen auf anpassungsfähiges Defensivspiel zu setzen.“
Mehr zu jener Partie, an deren Ende Manchester nicht mit dem Viertelfinale belohnt wurde, das sich aber generell noch einmal zu Gemüte zu führen lohnt, gibt es hier in der Spielanalyse von RM.
Nun bleibt zum Abschluss nur noch auf jene Folge der Serie „Blick über den Tellerrand“ zu verweisen, die am Ende wirklich die Jubiläumsausgabe 10 darstellen sollte. Einige Monate später erst wurde sie im August 2013 veröffentlicht und behandelte unter anderem eine interessante Spielanalyse aus der J-League vom Match zwischen Vegalta Sendai und Kawasaki Frontale – vielleicht auch heute noch interessant zu lesen.
2 Kommentare Alle anzeigen
JJ 19. Januar 2015 um 14:38
was man so von van der hoorn liest, hört er sich nach einem jungen matip an
king_cesc 19. Januar 2015 um 10:45
Der Blick über den Tellerrand, jedesmal unglaublich gut, aber fast nie kann ich mich bei einer Diskussion beteiligen (da muss man sich schon auf SV-Qualität mit Fussball beschäftigen).
Vielen Dank für jeden einzelnen Teil!