Klassisch-moderne Modernklassik auf Schalke
5-3-2, 3-4-1-2, 4-4-1-1, 4-2-3-1 – alles dabei bei Schalke gegen Mainz. Die entscheidende Nummer ist jedoch die 25, die Rückennummer von Klaas-Jan Huntelaar.
Ambivalentes Zeug bei Schalke gegen Mainz: In einem Spiel, welches aus formationstaktischer Hinsicht höchst interessant war, entscheiden gruppentaktische und individuelle Aspekte des Strafraumspiels. Zudem gab es – extrem unorthodox für Bundesliga-Verhältnisse – keine Viererketten zu Beginn des Spiels; das könnte man als Tod der Viererkette überdramatisieren, aber dann zündete nach der Halbzeitpause die Umstellung auf eine Viererkette komplett. Bisschen postmodern.
Klare Struktur, doch lascher Zugriff bei Mainz
Auf das Schalker 5-3-2 der letzten Ligapartie antwortete Mainz mit einem 3-4-1-2, was zu einem mannschaftstaktisch ausgewogenen Spiel führte. Im Pressing gelang es den Mainzern recht gut, das Schalker Vorwärtsspiel zu leiten und die Zonen voneinander zu isolieren. Die beiden Stürmer positionerten sich breit vor den Halbverteidigern, dahinter sperrte Koo das Zentrum ab. So wurden die Schalker gezwungen nach außen zu eröffnen und konnten von dort nur recht schwer Verbindungen in die ferne Spielfeldhälfte aufbauen.
Mainz verpasste es jedoch immer wieder, die entscheidende Intensität im Pressingübergang aufzubauen. In Ballnähe agierten häufig viele Spieler passiv oder waren in der Positionsfindung etwas unsauber und die Abstimmung untereinander funktionierte nicht immer. Die Verteidigungsarbeit vor dem 2:0-Treffer war ein gutes Beispiel dafür, als ein gewonnener Zweikampf dazu führte, dass Mainz trotz Überzahl bis in den Strafraum hinein den Zugriff verlor.
So hatten die Schalker wegen der mannschaftstaktisch problematischen Konstellation zwar kaum Präsenz im Zentrum, doch kamen über ihre individuellen Fähigkeiten und die Flügel dennoch oft in Strafraumnähe. Meyer konnte die wichtige ankurbelnde Rolle Boatengs aus dem Wolfsburg-Spiel nicht übernehmen, doch brachte auf seiner Seite seine Nadelspieler-Fähigkeiten ein. So gab es trotz erneutem Fokus auf die rechte Seite die besseren Szenen auf links, wenn Choupo-Moting dorthin rochierte und sich dann seine und Meyers Dribblingfähigkeiten ergänzten. Choupo-Moting sammelte absurde 13 Dribblings.
Entscheidend war dann jedoch Huntelaars Qualität im Strafraum. Beim ersten und dritten Treffer bestrafte er kleine Stellungsfehler Jaras, der jeweils einen Tick zu langsam herausrückte und das Abseits aufhob. Auch beim zweiten Treffer löste er sich gut. So kam Schalke trotz der geringen Dominanz im Angriffsdrittel und der Mainzer Überzahl in der letzten Linie zu sehr klaren Chancen, die der „Hunter“ gewohnt souverän verwandelte.
Viel Ballzirkulation, zu wenig Koo
Auch im Ballbesitz stemmten sich die Mainzer in der ersten Spielphase gut gegen die wichtigste Schalker Qualität, doch ließ zum Ende der Angriffe hin die Konsequenz vermissen. So ließen sie den Ball geschickt zwischen dem Zentrum und der linken Seite zirkulieren. Joo-Ho Park agierte als linker Sechser ausweichend und öffnete so die Passwege auf Geis. Die Dreierkette funktionierte zudem gut als Grundstruktur für die Ballzirkulation gegen die beiden Stürmer; nicht nur bezüglich der Überzahl innerhalb dieser Linie, sondern auch wegen der klaren Dreiecke zwischen Abwehr und defensivem Mittelfeld. So spielten die Mannschaften in der ersten Hälfte fast gleich viele Pässe im Abwehr- und Angriffsdrittel, doch Mainz spielte fast 50% mehr im Mittelfelddrittel.
Diese Statistik lässt auch schon vermuten: Den Gästen zu selten, aus dieser Ballzirkulation auch Präsenz in der Offensive zu entwickeln. Theoretisch hätten sie mit Koo einen hervorragenden Verbindungsspieler gehabt, der sich auch in der Unterzahl gegen die drei Schalker Sechser behaupten kann, doch der Südkoreaner wurde viel zu wenig gesucht und bewegte sich teilweise auch zu hoch. Er hatte 42 Ballkontakte – nicht halb so viele wie Geis – und kam dabei auf sechs Schüsse und fünf Dribblings [Anm.: Das ist sehr, sehr viel.]. Teilweise wurde er durch Ablagen der beiden Stürmer nach langen Bällen gefunden, doch in diesen Szenen fehlte es an Unterstützung gegen die Schalker Fünferkette. Ähnlich wie im Pressing waren die Flügelläufer häufig zu tief, um Druck aufzubauen.
Damit einhergehend war das ganze Mainzer Offensivspiel etwas zu nervös und unentschlossen. Selten reagierten sie konsequent auf die gegnerische Defensivdynamik: Wenn sie einmal ins Angriffsdrittel durchgebrochen waren, doch der Schalker Block sich dann wieder hinter den Ball zurückziehen konnte, spielten sie die Angriffe trotzdem hektisch zu Ende, anstatt die nachrückenden Spieler einzubinden. Der Anschlusstreffer fiel dann, als Mainz einmal alle drei strukturellen Fehler vermied: Sie fanden Koo, der dann einen herausragenden Pass auf Allagui spielte, der zwar von der Schalker Kette abgelaufen wurde, aber noch einmal auf den gut nachgestoßenen Brosinski verlagerte, welcher das Tor vorbereitete.
Di Matteos Umstellung auf Konterfokus und 4-4-1-1 gewinnt das Spiel
Die Verbindungsprobleme zwischen dem defensiven und offensiven Mittelfeld der Mainzer nutzte Schalkes Trainer dann aus. Er nahm Kirchhoff vom Feld und stellte auf ein 4-4-1-1 um, das die Knappen gewohnt passiv, kompakt und konterstark gestalteten. Die Mainzer Ballzirkulation, die zuvor ineffektiv gestört wurde, wurde nun nicht mehr gestört. Dafür verteidigte Schalke geschlossener und mit mehr Zugriff die Übergangsräume zwischen Mainzer Defensive und Offensive.
Die Systemumstellung ging daher voll auf. Nach den Balleroberungen konnte Schalke mit den Flügelspielern – also vor allem Dribbelgott Choupo-Moting – hinter die Mainzer Flügelläufer kommen und die Dreierkette von außen attackieren. Zudem war Meyer nun tornäher eingebunden. In 16 Minuten erzielten die Schalker zwei Tore; wobei man relativieren muss, dass Barnettas Treffer per Distanzschuss natürlich nicht ganz unglücklich war. Diese beiden Treffer blieben dann auch die einzigen Schalker Schussversuche der zweiten Hälfte. Dank ihrer Effizienz konnten sich die Gastgeber in der letzten halben Stunde zurücklehnen.
Präsenz, doch zu wenig Kreativität in der Endphase
Hjulmand reagierte auf den klaren Rückstand und wechselte offensiv; Malli kam für Diaz und ging auf die Zehnerposition eines 4-2-3-1. Wie üblich agierte Koo nun als einrückender linker Flügelspieler. Allagui ging auf rechts und versuchte nun mit mehr Dynamik in den Strafraum zu kommen, später sollte Jairo noch etwas mehr technische Qualität auf diese Position zu kommen. Mit Soto kam dann noch ein zweiter Spielmacher für Park.
Das funktionierte alles auch gar nicht schlecht. Durch den zusätzlichen Spieler in der Offensiv war die zurückgezogenere Grundstellung der Schalker wieder ausgeglichen und die Positionierung der Außenverteidiger schuf mehr Absicherung. Mainz dominierte die letzte halbe Stunde mit Einbahnstraßenfußball und kam in diesem Zeitraum auf 0:10 Schüsse. Allerdings waren sechs der Versuche aus der Distanz und der Sturmlauf war eher geschenkte Offensivpräsenz als herausgespielte Durchschlagskraft. Die vier Offensivspieler fanden nicht konstant genug zusammen, um mal in überraschenderen Kombinationsversuchen klare Durchbrüche zu erzielen. Koo hatte in dieser Phase sogar noch weniger Ballkontakte als zuvor. So reichte es trotz der großen Dominanz nicht mehr zu einem Treffer.
Fazit
Die Mainzer machten vieles – eigentlich fast alles – in Ansätzen gut und versemmelten es dann in letzter Konsequenz durch fehlende Entschlossenheit, Konzentriertheit und Abstimmung. Besonders das Pressing der ersten Halbzeit hätte viel mehr Effekt verursachen können. Stattdessen konnten die Schalker immer wieder kleine Fehler mit ihren individuellen Fähigkeiten ausnutzen. Huntelaars Spiel war ein Lehrbucheintrag darüber, welchen Effekt aufmerksame, zielstrebige Strafraumbewegungen entfachen können. Di Matteos Umstellung war in ihrer Effizienz zwar auch glücklich, doch in ihrer Idee vollkommen richtig und wirkungsvoll. So nutzt man Systemvielfalt.
Zuletzt markiert das Spiel möglicherweise einen Meilenstein in der Bundesliga-Geschichte: Wann war das letzte Mal, dass in einem Bundesliga-Spiel beide Mannschaften nicht mit Viererkette starteten?
6 Kommentare Alle anzeigen
elbro 2. Dezember 2014 um 08:16
Schon bemerkenswert, dass keine der beiden Mannschaften mit einer Viererkette starteten. Vor der WM hätte ich das in der Bundesliga in näherer Zukunft nicht erwartet. Da kann man mal sehen, wie so ein Weltturnier die Taktik prägen kann. Besonders Chile und Costa Rica haben mir in den unkonventionellen Formationen sehr gefallen. Schön, dass sich der ein oder andere BL-Coach ein Beispiel daran genommen hat. Wobei man fairerweise sagen muss, dass es den Trend in der Serie A ja schon länger gibt.
Zu Di Matteo: Er scheint langsam, aber sicher auf Schalke anzukommen. Die Heimauftritte in der BL waren unter ihm allesamt mind. ordentlich, v.a. aus taktischer Sicht recht gut. Während man gegen Hertha und Augsburg noch mit der Keller-typischen Passivität, aber zentralen Kompaktheit den Gegner an seinen unklaren Halbchancen verzweifeln ließ (beides Zu-Null-Siege), und dann selbst mit klaren Spielzügen wie gezielten langen Bällen in einen überladenden Raum, Spielverlagerungen und schnellen (aber häufig noch unpräzisen) Kombinationen zu wenigen Chancen kam, die man dann effektiv nutzte, so belebte RDM mit der Umstellung aufs 5-3-2 gegen den VfL und die 05er mit der durchschlagskräftigen Doppelspitze, einem Boateng/Meyer als Verbindungsspieler dahinter sowie den Balance gebenden Höger und den offensiv präsenten Flügelläufern das Offensivspiel. 7 Tore in 2 Spielen sprechen da eine eindeutige Sprache und belegen den (Offensiv-)Erfolg des 5-3-2. Bis zur Winterpause dürfte darauf aufgrund der massiven Verletzungsprobleme, gerade auf den Flügeln (Farfan, Draxler, Sam, Obasi, Goretzka) weiter zurückgegriffen werden. Problematisch sind allerdings auch die Ausfälle in der Abwehr (Matip, Santana, Ayhan), sodass wenig Optionen für die 3er-IV bleiben. Neustädter kommt hier aufgrund mangelnder Dynamik eigentlich allenfalls als zentraler IV in Frage, was man auch am ein oder anderen verlorenen Laufduell gegen Okazaki sah, der das gezielt ausnutzen wollte. Bin gespannt, wie RDM die Winterpause nutzt und ob es dann primär aufs 4-2-3-1, 4-1-4-1/4-3-3 oder 5-3-2 hinausläuft, wobei er ja als sehr flexibel gilt und auch in der Rückrunde sicher häufiger mal die Formation umstellt.
Bei Hjulmand wird es ebenso interessant zu beobachten sein, inwiefern er die Fünferkette einsetzen wird, oder ob er doch eher wieder häufiger auf eine Viererkette zurückgreifen wird. Wer mir bei den Mainzern übrigens sehr gefallen hat, war Geis. Aus ihm könnte mal ein großartiger Stratege werden. Habe ihn nicht oft gesehen, aber wenn, hat er auf mich einen guten Eindruck gemacht.
steffen 1. Dezember 2014 um 10:46
Interessant zu beobachten, was so eine Umstellung der Formation für einen Einfluss auf das Schalker Spiel hat…vor allem in der Offensive hat man das Gefühl, dass viel mehr Synergien entstehen und die individuellen Stärker besser eingebunden sind (z.B. bei Choupo-Moting oder Meyer). Es scheint viel mehr Dreiecke und Direktpass-Möglichkeiten zu geben. Wird spannend zu sehen ob das nur das Überraschungsmoment dieser neuen Formation ist, oder generell besser zum Kader passt.
Ob das n dauerhaftes Modell für die Schalker Zukunft ist, hängt denke ich davon ab, ob es Di Matteo gelingt Draxler und vor allem Farfan ne sinnvolle Rolle in dem System zu geben…
Koom 1. Dezember 2014 um 10:30
Danke für die Spielanalyse. Es ist durchaus beruhigend zu sehen, dass in Mainz nicht soo viel schief läuft. Allerdings schafft man es nicht, die individuelle Klasse eines Gegners so in den Griff zu bekommen, dass man so ein Spiel auch gewinnen kann. Schon gegen Gladbach und Leverkusen lag es mehr an der gegnerischen Chancenverwertung als an dem griffigen taktischen Konzept.
Wie seht ihr die grundsätzlichen Chancen der Mainzer, wohin ändert sich Hjulmands Spielweise? An sich halte ich das Personal für recht gut um damit auch ballbesitzorientiert zu spielen. Koo ist (wenn fit) sicherlich durchaus gehobene Bundesliga-Klasse, Geis und Park ebenfalls.
BG 1. Dezember 2014 um 11:12
Imo sind die Mainzer in meinen Augen momentan schwierig zu bewerten, durchaus sehr gute Ansätze bei eigenen Ballbesitz (zumindest bei entsprechender Einbindung von Koo und Park), während man aber in meinen Augen zuletzt den roten Faden in Bezug auf das Spiel gegen den Ball etwas verloren hat. Nach dem missglückten Saisonstart (in meinen Augen hauptsächlich bedingt durch das Fehlen vieler Leistungsträger in der Vorbereitung) hat Hjulmand ja den Fokus durchaus erfolgreich zunächst auf die Stabilität (vor allen defensiv) gelegt und vorne hat man dann ein wenig von der Klasse einen Hofmanns, Jairo oder Okazakis gelebt. Seit dem Augsburgspiel und dem kleinen geschaffenen Punktepolster habe ich das Gefühl, dass Hjulmand den Fokus stärker auf das Spiel mit Ball und konstruktiver Spieleröffnung gelegt hat. Problem aus meiner Sicht ist, dass trotz gefälliger Ansätze man im Moment Probleme hat im letztem Drittel das ganze in Chancen umzumünzen, dafür aber ziemlich konteranfällig ist (schwaches Gegenpressing?).
Ich würde darauf tippen, dass man sich jetzt bis zur Winterpause quasi wieder „back-to-the-roots-mäßig“ vor allen Dingen wieder stärker gegen den Ball definiert und dann in der Winterpause die Ansätze verstärkt. Vielleicht die Chance für Noveski im Verbund mit Bungert oder Bell der Abwehr wieder mehr Stabilität zu verleihen.
Dr. Acula 30. November 2014 um 01:20
„war ein gutes Beispiel dafür, als ein gewonnener Zweikampf dazu führte, dass Hoffenheim trotz Überzahl bis in den Strafraum hinein den Zugriff verlor.“
Was hat hoffenheim damit zu tun? Habe ich was nicht mitbekommen oder ist es schlichtweg ein Tippfehler?
Zum Artikel: spannender als die Tatsache, dass keine der beiden Mannschaften mit 4er Kette begannen find ich, dass de Umstellung auf eben jene (zugegebenermaßen mit paar zusätzlichen Änderungen) letztendlich das Spiel entschieden hat..
MR 30. November 2014 um 10:53
Huch, ich hatte beim Tippen zeitweise Hoffenheim-Hannover nebenher laufen, da gab’s wohl eine Input-Output-Überlagerung.