Die differenzielle Lernmethode
Bereits im Artikel zur Taktischen Periodisierung ist der Ansatz des differenziellen Lehrens und Lernens ausgiebig beschrieben worden. Ergänzungen und neurowissenschaftliche Erklärungen zur Wirksamkeit dieser Methode wurden im Rahmen dieser Serie im Nachwuchsartikel behandelt. Der vorliegende Text soll diese Ausführungen verbinden und sie in einen Gesamtzusammenhang bringen.
Das differenzielle Lernen wurde in Deutschland seit 1999 von Wolfgang Schöllhorn geprägt. Anfangs belächelt und teilweise noch heute als Scharlatanerie abgetan,[1] gab es im Laufe der Jahre in zahlreichen Sportarten positive Nachweise über die Wirksamkeit dieses Ansatzes. Schöllhorn selber erforschte die Effektivität unter anderem im Kugelstoßen und in einzelnen Techniken des Fußballs wie dem Torschuss oder dem Passen.[2] Klaus-Joachim Wewetzer untersuchte im Rahmen seiner Dissertation die Wirksamkeit des differenziellen Lernansatzes im Golf und konnte dort ebenfalls den Vorteil dieser Methode gegenüber traditionellen Ansätzen belegen.
Doch nicht nur in Deutschland ist die differenzielle Lehrmethode Gegenstand sportwissenschaftlicher Untersuchungen. Erst im August dieses Jahres veröffentlichten japanische Wissenschaftler eine Studie, in der die Strukturierung der Gehirne von Top-Athleten (u.a. von Neymar) untersucht wurden, wobei ein Zusammenhang zwischen motorischen Fertigkeiten und dem Lernen durch Differenzen hergestellt wurde.[3]
Mittlerweile kann ein positiver Konsens über die Effektivität des differenziellen Lernens attestiert werden, der nicht nur im Sport (insbesondere im Mannschaftssport) gilt, sondern bspw. auch im Sprach- und Musiklernen. Die Geschwindigkeit und Breite der Aneignung von Wissen und Fähigkeiten wird mittels dieser jungen Methode wesentlich schneller erreicht als mit traditionellen Ansätzen. Der Nutzen des differenziellen Lehrens und Lernens kann demnach als erwiesen betrachtet werden, weshalb es unbedingt Einzug in die allgemeine Trainingspraxis finden sollte. Aus diesem Grund soll hier nochmals eine zusammenfassende Erläuterung stattfinden.
1. Vorüberlegungen
Zur Verbesserung der Technik gibt es zwei vorherrschende Lehrmethoden, die unter-schiedlichen Ansätzen folgen. Auf der einen Seite steht das Modell des motorischen Wiederholens – das sogenannte „Einschleifen“. Dabei geht es darum, ein bestimmtes technisches Bewegungsideal ohne Fehler anzutrainieren. Durch stetige Repetitionen wird in der Idealvorstellung dieser Lehrmethode die bestmögliche Ausführung eingeübt bzw. „eingeschliffen“.
Auf der anderen Seite steht das Lernen mittels Variationen und Differenzen. Beim differenziellen Lernansatz kommt es zu einer Neubewertung jener Bewegungsfehler (Schwankungen), die beim Einschleifen vermieden werden sollen. Diese werden sogar bewusst in den Trainingsprozess integriert.[4] Der differenzielle Lernansatz folgt dabei zwei Grundideen: Bewegungen unterliegen ständigen Schwankungen und können nicht (exakt) wiederholt werden. Darüber hinaus sind Bewegungen individuell bzw. personenspezifisch, was bedeutet, dass sich niemand auf die gleiche Weise bewegt wie ein anderer Mensch.[5]
Bei traditionellen Lehrmethoden wird hingegen eine schrittweise Annäherung an ein vorgegebenes Ziel durch entsprechend hohe Wiederholungszahlen mit ständigem Soll-Ist-Vergleich angestrebt. Dabei soll die Abweichung vom Ideal nach und nach verringert werden, bis die Zieltechnik erreicht ist. Diese angestrebte Zieltechnik muss jedoch im Fußball in Bezug auf die ständig wechselnden Anforderungen von Raum-, Gegner- und Zeitdruck, sowie äußerer Umstände (Bsp.: Wetter, Platzverhältnisse) angepasst werden und lässt ferner die individuelle Motorik außer Acht, sodass die Anwendung der reinen Zieltechnik nur selten oder gar nie stattfindet. Insofern kann das Einschleifen den komplexen Anforderungen des Fußballspiels mit all seinen ganzheitlichen und synergetischen Effekten unmöglich gerecht werden.
2. Ursache und Wirkung
Das differenzielle Lernen bietet immer wieder neue erfolgsunsichere Situationen, die unerwarteten Bewegungserfolg ermöglichen.[6] Unerwartet positive Handlungsereignisse aktivieren über Dopaminsignale Lernvorgänge im Gehirn.[7] Durch eine phasische dopaminerge Aktivität wird garantiert, dass erfolgreiche Bewegungslösungen (für spezifische Situationen angemessene Bewegungen) optimiert werden.[8] Synapsen, Nervenzellen bis hin zu ganzen Hirnarealen passen sich in Abhängigkeit ihrer Verwendung in ihren Eigenschaften an (neuronale Plastizität). Weiterhin werden die Synapsenstärken häufig eingebundener Neuronen gesteigert,[9] während die Verknüpfung mit und Integration von anderen neuronalen Zellverbänden mittels Differenzen in der Bewegungsausführung ermöglicht wird.[10]
Da die Wiederholungen beim Einschleifen hingegen vorhersehbar sind, werden nur stark begrenzte Möglichkeiten der technischen Verbesserung geboten. Denn hierbei ist es besonders schwer, einen unerwarteten Bewegungserfolg und damit „eine dopaminerge Beschleunigung der Kodierungsvorgänge überdauernd aufrechtzuerhalten“.[11]
Durch das ständige Konfrontieren mit unterschiedlichen Aufgaben (Differenzen) wird die Fähigkeit, sich an neue Situationen im Bereich des Lösungsraums schneller adäquat zu reagieren, erlernt.[12] Bei der differenziellen Lernmethode handelt es sich demnach um einen Ansatz, der die Adaptionsfähigkeit auf sämtlichen Ebenen von Technik, aber auch Taktik und Kondition in ganzheitlicher Form ausbildet und fördert.
Werden also ständig neue Situationen erzeugt, die entsprechend spezifische Bewegungslösungen erfordern, wird das Hirn dahingehend geschult. Der Zielbereich der jeweiligen Technik wird bei der differenziellen Lernmethode nicht mehr als eng und stabil betrachtet, sondern als weiter Lösungsraum, innerhalb dessen sich die optimale Lösung in jeder Situation ändert und niemals wiederholt. Dadurch wird auch der Randbereich des Lösungsraums „abgetastet“,[13] was dazu führt, dass mehrere Aspekte von technisch-taktischen Bereichen automatisch (mit)geübt werden. Somit wird nicht die theoretisch optimale und konkrete Lösung (Idealtechnik) geübt und „gegen Lösungen anderer Bewegungsgegenstände stabil gemacht“, sondern ein möglicher Lösungsraum umkreist, der es dann erlaubt, die auf jeden Fall neue und situativ optimale Lösung auszuführen.[14]
Zwar werden gute Bewegungsleistungen mit sämtlichen Lern- und Trainingsansätzen erzielt; signifikante Unterschiede ergeben sich aber in Bezug auf die Dauer, bis das Ziel erreicht wird – die sogenannte Lernrate (Lernfortschritt pro Zeit) – und die Dauer, über die das Gelernte behalten wird. Ausschließliches Wiederholen enthält dabei immerhin ein Mindestmaß an Verbesserungen, dafür jedoch auch auf die Dauer nur eine relativ geringe Lernrate und nur einen stark begrenzten Zeitraum, in dem das Gelernte weiterhin im Gedächtnis bleibt. Sowohl die Verbesserungen als auch die Lernraten nehmen laut bisherigen Studien beim differenziellen Lernen zu.[15]
3. Anwendung
Um sich die differenzielle Lehrmethode im Trainingsbetrieb zu Eigen zu machen, können Schwankungen in spezielle Situationen (Bsp.: Torschuss) integriert oder in freien Spielformen gezielt provoziert werden. Aber auch äußere Umstände (Platz- und Ballqualität) können ursächlich für Schwankungen sein. In Passübungen ohne Gegnerdruck können sichtbehindernde Hilfsmittel (Augenklappe, Scheuklappen) genutzt werden.
3.1 Einzeltechniken
Die gemäß einer Leittechnik optimale Körperhaltung bei Torschüssen erfolgt so, dass das Standbein etwa 2-3 Fußbreiten seitlich vom Ball entfernt steht, während der Oberkörper leicht über den Ball geneigt wird. Der dem Schussbein gegenüberliegende Arm wird seitlich vom Körper weg gestreckt und beim Schuss nach innen durchgeschwungen; der andere Arm wird leicht nach hinten geschwungen. Da die differenzielle Lehrmethode ein solches Leitbild mit Allgemeingültigkeit ablehnt, können hier Schwankungen integriert werden, um technische Fortschritte zu erlangen. Für mögliche Übungsformen zum Torschuss werden sechs Kategorien zur Erzeugung von Schwankungen erfasst:[16]
1. Anlauf:
Sidesteps, Anfersen, Kniehebelauf, Hopserlauf, Zick-Zack, Schlusssprung (mit Koordinations-/Konditionsformen verbinden).
2. Situation:
Ball ruht, Ball rollt oder springt (von vorne entgegen, von der Seite herein), Ball wird gedribbelt; Gegnerdruck (Gegner läuft von der Seite ein, greift frontal an).
3. Standbein:
Vor oder hinter dem Ball, Fußspitze zeigt nach innen oder außen, auf Ballen oder Ferse stehen.
4. Oberkörper:
Armhaltung (nach oben, unten, vorne, hinten, zur Seite gestreckt; kreisend; Kombination), Kopfhaltung (zur Seite geneigt), Oberkörperlage (bei hohen Schüssen Oberkörper nach vorne beugen & umgekehrt).
5. Schussbein:
Ausholbewegung nach hinten außen, gestrecktes Kniegelenk, nach Schuss sofort abstoppen, nur zur Hälfte ausholen.
6. Zusatz:
Ein Auge schließen, Blinzeln, Trefferzone am Tor vorgeben.
Keine Vorgabe soll wiederholt werden, sondern kommt nur einmal vor.
3.2 äußere Umstände
Auch die Qualität des Spielfeldbelages (Halle, Natur- oder Kunstrasen, Sand-, Asche-, Hartplatz) und/oder die Größe und Qualität der Bälle können verändert werden. Die Gefahr, sich Hautverletzungen zuzuziehen ist auf Sand-, Asche- und Hartplätzen größer als auf Naturrasen. Um derartigen Abschürfungen zu umgehen, müssen die Spieler ihre Bewegungen besser planen und bewusster ausführen. So werden vor allem die koordinativen Fähigkeiten geschult. Auf Rasen- und Kunstrasenplätzen gleitet der Ball schneller als auf Asche oder Sand, wo es mehr Unebenheiten geben kann.
Bälle der Größe 4 oder Futsalbälle sind kleiner und weisen jeweils ein anderes Gewicht und Sprungverhalten auf als gewöhnliche Fußbälle der Größe 5, sodass die Spieler sich bei der Ballführung umstellen müssen. Unterschiedliche Qualitäten von Bällen und Spielfeldern wirken sich auf die Differenzierungsfähigkeit – einem Teilbereich der Koordination – und damit direkt auf das allgemeine Ballgefühl aus.
3.3 Spielformen
Schwankungen können zudem vor allem in Spielformen erzeugt werden. In solchen herrscht stets Gegnerdruck, der dafür sorgt, dass die theoretische Idealtechnik praktisch nicht umgesetzt werden kann. Es werden also spielnahe Schwankungen erzeugt, die zu einer entsprechend spielnahen und -relevanten Technik führen.
Die Begrenzung der Spielfeldgröße kann verändert werden und beeinflusst auf diese Weise die Spielintensität. So kann etwa der Ball in kleinen bzw. engen Feldern schneller unter Druck gesetzt werden. Das hat Auswirkungen auf die Beweglichkeit und Koordination für Zweikampfaktionen zur Folge. Die Begrenzung der Anzahl individueller Ballkontakte zwingt die Spieler zu einer schnellen und effizienten Ballverarbeitung.
Zu diesen beeinflussenden Faktoren gesellt sich eine automatische, zum Teil unbewusste Auseinandersetzung mit den taktischen Gegebenheiten und Erfordernissen des Spiels. Dadurch findet eine simultane Förderung von Technik und Taktik statt. Taktische Erfahrungswerte werden auf diese Weise mittrainiert.
4. Auswirkungen auf das Training, den Sportler, die Sportart
Beim Einschleifen werden an den Übungsleiter hinsichtlich Trainingsplanung und -durchführung keine hohen Anforderungen gestellt. Die potenziellen Übungen zur Technikschulung sind angesichts einer akzeptierten Idealtechnik umfänglich bekannt und weitestgehend ausgeschöpft („Das haben wir schon immer so gemacht.“). Die Folge davon ist, dass das Lernpotential stark beschränkt ist. Wo nicht vom Schema abgewichen wird, kann schließlich nichts Neues – möglicherweise Besseres – entstehen.
Werden Bewegungsregeln jedoch abgelehnt und der Sportler stattdessen in Situationen gebracht, in denen er selbst Bewegungslösungen finden muss, werden auch höhere Anforderungen an den Trainer gestellt. Denn er muss trotzdem wissen, wie eine vermeintliche Idealtechnik ausgestaltet ist, um entsprechende Schwankungen zielgerichtet einsetzen zu können.[17]
Die Folge daraus ist, dass sich die technische Leistungsfähigkeit des Sportlers stark verbessert. Diesen stärkeren und zugleich schnelleren Verbesserungen sind nur dann Grenzen gesetzt, wenn keine zusätzlichen Schwankungen mehr erzeugt werden können. Damit aber weiterhin Schwankungen zum gewünschten Lernerfolg führen, sind die Übungen stetig komplexer auszugestalten. Um dafür passende Situationen zu schaffen, muss der Trainer komplexe Übungsformen selbständig kreieren können, wobei er sich keiner Vorbilder bedienen kann.
Durch die Ablehnung starrer Bewegungsregeln geht automatisch eine Ablehnung starrer Trainingsformen einher. Daraus resultiert ein Zyklus, in dem sich sowohl der Sportler stetig weiterentwickelt, als auch der Trainer: komplexe Übungsform → Schwankungen → Weiterentwicklung technischer Handlungsmöglichkeiten → komplexere Übungsformen → zusätzliche Schwankungen → Weiterentwicklung technischer Handlungsmöglichkeiten → etc.
5. Fazit
Bedenkt man, dass jede Situation im Laufe eines Fußballspiels ganzheitliche Anforderungen an den bzw. die Spieler stellt, kommt man nicht umhin, diese Zustände auch im Training zu berücksichtigen, um einen angemessen Verbesserungseffekt gewährleisten zu können. Das gilt vor allem für Ballaktionen. So ist u.a. bei jedem Pass die Entfernung zwischen Passgeber und -Empfänger unterschiedlich. In jedem Zweikampf hat man es mit einem Gegenspieler zu tun, der eigenständig entscheidet, wie er Druck gegen den Ball erzeugen will. Nur dann, wenn die Spieler im Training zahlreichen Situationen mit stetig wechselnden Umständen ausgesetzt werden, werden sie überhaupt in die Lage versetzt, sich selbständig entsprechend der gegebenen Situation technisch-taktisch anzupassen. Das bloße Einschleifen von Bewegungen, ohne dabei Schwankungen zu erzeugen und ohne die Bewegung in einen taktischen Kontext zu stellen, kann demgegenüber unmöglich diejenigen Umstände schaffen, die es braucht, um die technischen Fertigkeiten adäquat zu schulen.
Es ist daher unabdingbar, immer wieder neue Differenzen zu erzeugen und Schwankungen zu provozieren. Solange dies gelingt, sind Verbesserungen möglich.
Quellen:
[1] Die Sportwissenschaftler Stefan Künzel und Ernst-Joachim Hossner kritisierten im Jahre 2012 in einem Aufsatz die Methode Schöllhorns. In einem Leserbrief an die Zeitschrift, die den Aufsatz Künzels und Hossners veröffentlichte, äußerten Marcus Schmidt und Markus Henning, dass die Kritik nicht den Standards eines wissenschaftlichen Diskurses entspricht.
[2] Schöllhorn/Sechelmann/Trockel/Westers 2004, S. 13 ff.
[3] Naito/Hirose 2014, S. 6.
[4] Schöllhorn 1999, S. 7 ff.
[5] Schöllhorn 1999, S. 9.
[6] Beck 2008, S. 439.
[7] Beck 2008, S. 436.
[8] Fn. 6.
[9] Beck 2008, S. 437.
[10] Fn. 6.
[11] Beck 2008, S. 438 f.
[12] Beck 2008, S. 439; Schöllhorn/Sechelmann/Trockel/Westers 2004, S. 13.
[13] Schöllhorn 1999, S. 9 f.
[14] Schöllhorn 2005, S. 129.
[15] Schöllhorn 2005, S. 130 ff.; Wewetzer 2008.
[16] Hegen/Schöllhorn 2012, S. 33 f.
[17] Wewetzer 2008, S. 92.
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Literaturverzeichnis:
Beck, Frieder; Sportmotorik und Gehirn – Differenzielles Lernen aus der Perspektive interner Informationsverarbeitungsvorgänge; Sportwissenschaft, 38 (2008) 4; S. 423-450
Hegen, Patrick / Schöllhorn, Wolfgang; Lernen an Unterschieden und nicht durch Wiederholung – Über ‚Umwege’ schneller zur besseren Technik: Differenzielles Lernen im Fußball; Fussballtraining, (2012) 03; S. 30-37
Naito, Eiichi / Hirose, Satoshi; Efficient foot motor control by Neymar’s brain; Frontiers in Human Neuroscience, (2014) 8
Schöllhorn, Wolfgang; Individualität – ein vernachlässigter Parameter?; Leistungssport, 29 (1999) 2; S. 5-12.
Schöllhorn, Wolfgang / Sechelmann, Michael / Trockel, Martin / Westers, Roland; Nie das Richtige trainieren, um richtig zu spielen; Leistungssport, 34 (2004) 5; S. 13-17
Schöllhorn, Wolfgang; Differenzielles Lehren und Lernen von Bewegung – Durch veränderte Annahmen zu neuen Konsequenzen; Schriften der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft; Band 144; 2005; S. 125-135
Wewetzer, Klaus-Joachim; Motorisches Lernen in der Sportart Golf – Eine empirische Studie mit Anfängern; Kiel; 2008
24 Kommentare Alle anzeigen
ME 12. August 2015 um 20:00
http://www.ruhrnachrichten.de/sport/bvb/19-09-Der-schwarzgelbe-Talk-Thomas-Tuchel-Trainerjob-ist-ein-Geschenk;art11635,2786956?tpWidgetId=p0knxawhly7r
ab 1:06 ca.
em es 13. August 2015 um 12:06
Kann man das irgendwo anders auch noch sehen? Ich habe meine kostenlosen Seitenaufrufe bei Rn schon aufgebracht.
Oder was hat Tuchel denn gesagt.
Fabi 19. Juni 2015 um 16:54
Was ist der Unterschied zwischen der differenziellen Lernmethode und dem implizierten Lernen?
Oder habe ich da was falsch verstanden und man kann diese nicht vergleichen?
vanGaalsNase 21. Juni 2015 um 22:17
Das differenzielle Lernen ist zu den impliziten Lehrmethoden zu zählen. Fälschlicherweise, habe ich das bisher nie so dargestellt.
Fabi 22. Juni 2015 um 16:01
Ok! Vielen Dank!
Vanye 28. November 2014 um 00:20
Endlich hatte ich mal Zeit mir die Artikel zur Trainingstheorie durchzulesen, was viel Spaß gemacht hat.
Was mich interessieren würde, ist, wie sich das differentielle Lernen zur Coerver-Methode verhält. Letztere scheint ja eher ein Einschleifen oder exaktes Lernen von Bewegungsabläufen zu sein, wird aber anscheinend auch sehr erfolgreich angewendet bzw. soll auch von Straßenfußballern abgeschaut worden sein (was ja ein „Qualitätsmerkmal“ zu sein scheint). Sind beide Methoden gegensätzlich oder kann man sie parallel verwenden?
vanGaalsNase 28. November 2014 um 10:55
Coerver stehe ich eher ablehnend gegenüber. Sehe es nämlich ganz genau so, wie du es schon schreibst: Es entspricht klassischen Methoden. Techniken werden eingeschliffen, wobei der Bezug zum Spiel (sense of play) nicht wirklich besteht bzw. häufig fehlt. Bei Coerver wird außerdem alles aus Sicht von 1-gegen-1-Situationen gedacht. Ein Wettkampfspiel wird bspw. als 11x 1-gegen-1 angesehen.
Das ist eine überholte Sicht, die wahrscheinlich noch aus der Entstehungszeit der Coerver-Methode (späte 1970er Jahre) herrührt, als die flächendeckende Manndeckung vorherrschte, in der jeder Spieler über 90 Minuten sein eigenes Privatduell hatte. Mittlerweile ist es aber so, dass der Pass (mit 400-600 gegenüber 150-200 Zweikämpfen) das häufigste taktische Mittel in einem Spiel ist. Zudem hat sich das Deckungsverhalten total verändert.
Das nächste Problem mit Coerver ist, dass man nicht wirklich eine Einsicht in die Praxis erhält. Es wird immer gesagt, es sei die beste Methode, um Technik zu vermitteln. Der Beweis wurde jedoch nie erbracht. Zunächst fehlt der ganzheitliche Ansatz; die Übungen sind nicht sonderlich komplex und es fehlen Differenzen, die einfach notwendig sind, um technische Verbesserungen – vor allem bei Kindern – zu erreichen. Zum einen haben wir die Studie von Schöllhorn, in welcher er nachweist, dass Kinder beim Einschleifen nichts lernen. Und bei Frieder Beck („Sportmotorik und Gehirn“) heißt es, dass die besten Lernbedingungen dann bestehen, wenn die Trainingssituationen unvorhersehbar sind. Auch dieser Aspekt fehlt bei Coerver.
Coerver hat sicherlich in einer Zeit, in der es hieß, dass Talent angeboren und nicht trainierbar sei, das Gegenteil bewiesen. Dahingehend war es in den 1980ern und 90ern wegweisend. Aber mittlerweile haben die Wissenschaften neue Möglichkeiten aufgezeigt und das Spiel selbst hat sich so entwickelt, dass die Coerver-Methode überdacht werden muss.
Viele Fußballschulen haben die Prinzipien von Coerver übernommen und werben damit, einen großen Ball- und Technikfokus zu verfolgen. Das ist zwar löblich. Aber sie unterscheiden sich kaum voneinander und sie alle verfolgen einen nach wissenschaftl. Maßstäben überholten Ansatz.
Schimanski 28. November 2014 um 15:10
@vanGaalsNase: Ich schätze deine Meinung sehr und es ist ein Genuß deine Berichte und Kommentare zu lesen, aber bei Coerver kann ich die ablehnende Haltung nicht verstehen.
Wir haben Coerver seit diesem Sommer im Verein. Alle zwei Wochen gibt es eine 45-minütige Einheit für meine E-Jugend. Coerver setzt genau an der Stelle an, wo ich als Holzfuß und limitierter Fussballer an meine Ausbildungsgrenzen stoße – Ballbeherschung. Das ist die Basis für jede Taktik, für jedes Zusammenspiel. Nur wer den Ball beherrscht, hat Selbstvertrauen und kann mutig und kreativ spielen.
Coerver schleift auch nicht ein, sondern baut auf. Coerver macht eigentlich genau das, was die differenzielle Lernmethode verlangt. Immer wieder neue Varianten, Bewegungen und Bedingungen. Ich denke Coerver hat sich in den letzten Jahren auch stark entwickelt und nimmt immer wieder neue Aspekte in das Programm auf.
Praktisch alle Japaner der Bundesliga wurden mit Coerver ausgebildet. Alle zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch in Drucksituationen und engen Räumen sehr ballsicher sind und den Überblick bewahren. Das ist genau das, was den deutschen Spielern in der Breite fehlt.
Es wird bei fehlender Spielintelligenz und -kreativität ja immer gerne auf das Austerben der Straßenfussballer hingewiesen. Wir Trainer versuchen das dann mit viel freiem, unbeeinflußtem Spiel und Spielformen, die Teilaspekte des komplexen Spiels isoliert trainieren, zu kompensieren. Coerver macht das Gleiche in Sachen Technik. Auch da hat man auf der Straße durch die vielen Ballkontakte eine hohe Sicherheit bekommen.
vanGaalsNase 28. November 2014 um 15:33
Habe mir schon gedacht, dass ich hierzu gleich Gegenwind bekomme 😉 Ist nicht das erste Mal.
Ich sage nicht, dass Coerver nichts bringt. Jede Methode, die viel Ballarbeit vorsieht, wirkt sich positiv auf die technische Entwicklung aus. Und verschiedene Methoden zu kombinieren, wie ihr das in eurem Verein macht, ist eine ausgezeichnete Maßnahme. Aber Coerver für sich allein betrachtet ist in vielen Bereichen überholt.
„Das ist die Basis für jede Taktik, für jedes Zusammenspiel.“ – Genau hier widerspreche ich. Das impliziert die These „keine Taktik ohne Technik“. Das ist das Credo, nach welchem sich traditionelle Methoden richten. Es müsste aber genau umgekehrt sein: Alles muss in einem taktischen Kontext passieren (sense of play). Ansonsten „verpuffen“ die regelmäßig isoliert und fragmentiert erlernten Techniken, wenn sie im Spiel angewendet werden müssen.
„Wir Trainer versuchen das dann mit viel freiem, unbeeinflusstem Spiel und Spielformen, die Teilaspekte des komplexen Spiels isoliert trainieren, zu kompensieren.“ – In Spielformen werden Teilaspekte eben nicht isoliert trainiert.
„Coerver schleift auch nicht ein, sondern baut auf. Coerver macht eigentlich genau das, was die differenzielle Lernmethode verlangt. Immer wieder neue Varianten, Bewegungen und Bedingungen.“ – Das möchte ich gerne glauben. Aber niemand, der meine Ansichten über Coerver kritisiert hat, konnte (oder wollte) mir zeigen, wie es denn nun tatsächlich aussieht. Wo kriegt man Übungen her? Wo wird einem – abgesehen von der Coerver-Pyramide – denn mal veranschaulicht, wie Coerver wirklich funktioniert?
Man findet immer nur eine handvoll Übungen. Und die sind nicht sonderlich überzeugend. Geringe Komplexität, viel 1-gegen-1. Wie sehen aber bspw. Spielformen aus?
Schimanski 28. November 2014 um 16:05
„Alles muss in einem taktischen Kontext passieren (sense of play). Ansonsten „verpuffen“ die regelmäßig isoliert und fragmentiert erlernten Techniken, wenn sie im Spiel angewendet werden müssen.“
Ja, aber anders herum funktioniert auch nicht. Ich bin selbst ein technisch schlechter Fussballer, dazu noch übergewichtig. Ich halte mich aber durch meinen Trainertätigkeit und -ausbildung, durch mein Interesse an Taktik und dem täglichen Studium von spielverlagerung.de 😉 für einen brauchbaren Analytiker. Wenn ich selbst spiele, habe ich gerade im individual- und gruppentaktischem Bereich viele Ideen und Vorstellungen wie das Spiel laufen könnte, scheitere aber immer wieder an der Ausführung. Auch in meiner E-Jugend lernen die ballsicheren Kinder im Taktikbereich am schnellsten.
„In Spielformen werden Teilaspekte eben nicht isoliert trainiert.“
Nein, ich meinte nicht isoliertes Techniktraining, sondern taktisches Aspekte, wie z.B. Vertikalspiel, Seitenverlagerungen, Flügel-, Überzahlspiel, Raum öffnen, Breite geben, etc. Die Spielform wird methodisch so ausgelegt, dass der Spieler mit einem „Problem“ immer wieder konfrontiert wird und gemachte Fehler sofort selbst korrigieren kann und dann schnell neue Erfahrungen sammelt. Erfolgserlebnisse stellen sich sofort ein. Wenn er vergleichbare Spielsituationen im richtigen Spiel dann wiederfindet, kann er die Lösungen, die er in den Spielformen erarbeitet und im Kopf abgespeichert hat, abrufen und anwenden.
„Aber niemand, der meine Ansichten über Coerver kritisiert hat, konnte (oder wollte) mir zeigen, wie es denn nun tatsächlich aussieht. Wo kriegt man Übungen her? Wo wird einem – abgesehen von der Coerver-Pyramide – denn mal veranschaulicht, wie Coerver wirklich funktioniert?“
Mir geht es in erster Linie um die untere Stufe – Ballbeherrschung. Bei den Dingen darüber sehe ich keine großen Unterschiede zu anderen Trainingsmethoden. Das kann ich den Kindern auch bieten. So ist zumindest mein derzeitiger Eindruck. Das „differenzielle“ bei der Ballbeherschung konnte ich aber schon nach drei Einheiten erkennen. Zuerst wurden einige Bewegungen und Tricks im Stand trainiert, später im Lauf. Irgendwann kommen dann weitere Ebenen und Richtungen hinzu.
Ich hatte mir sowieso vorgenommen, unseren Jugendleiter darauf hinzuweisen in den 45 Minuten Coerver möglicht viel Ballbeherrschung zu schulen. Die anderen Ausbildungsaspekte können in der restlichen Trainingszeit von uns abgedeckt werden. Generell sehe ich Coerver nur als Ergänzung, die aber an einer notwendigen Stelle ansetzt.
vanGaalsNase 28. November 2014 um 16:38
„Sense of play“ bedeutet nicht, dass Taktik vor Technik steht. Es gibt keine Rangfolge von Technik, Taktik (oder Kondition). Die Technik ist maßgeblich für die Ausführung einer (taktischen) Entscheidung, was du ja sehr treffend beschreibst. Somit stehen Technik und Taktik nebeneinander. Darum muss man ja auch ganzheitlich trainieren. Aber alles muss von einer spielrelevanten Situation aus gedacht werden. Und das ist der taktische Bezug = sense of play, welchen ich bei Coerver oft vermisse. Wie bereits gefragt: wie sehen Spielformen bei Coerver aus?
Wenn aber eine Methode sagt „erst Technik dann Taktik“ – was typisch für traditionelle Methoden ist – bekommt man zwar eine Finte vermittelt, wann und wie ich die aber im Spiel einsetze (hier ist vor allem die Anpassung an einen Gegenspieler gemeint) und ob vielleicht eine andere Lösung (bspw. ein Pass) besser wäre, erfahre ich dadurch nicht.
Das beschreibst du ja auch alles ganz präzise. Darin stimmen wir also überein.
Aber beim Erlernen der Grundlagen stimme ich nicht zu: „Zuerst wurden einige Bewegungen und Tricks im Stand trainiert, später im Lauf. Irgendwann kommen dann weitere Ebenen und Richtungen hinzu.“ – Vom Stand in den Lauf usw. ist noch keine Differenz. Das mag helfen, um ein wenig Ballgefühl zu vermitteln, geht aber schneller, wenn man die Kinder spielen lässt. Da sind wir wieder beim Straßenfußball. Trainiere auf unterschiedlichen Belägen mit unterschiedlichen Ballqualitäten (DAS sind Differenzen) und der Lerneffekt wird ungleich höher sein. Nicht zuletzt herrscht dabei Gegnerdruck, der ebenfalls eine Art Differenz ist.
Ich sehe dahingehend keine Notwendigkeit für Coerver. Erst recht nicht auf der untersten Stufe „Ballbeherrschung“.
Schimanski 28. November 2014 um 18:31
Generell sehe ich das genauso wie du. Ich habe immer viel Wert auf Spielformen und verschiedene Bälle und Untergründe gelegt, genauso wie auf spielnahe und ganzheitliche Übungsformen. Wenn ich Kompromisse gemacht habe, dann bei der Technikausbildung.
Trotzdem ist deine Ablehnung gegenüber Coerver und der Ballbeherrschung zu verbissen. Natürlich ist vom Stand in den Lauf eine Differenz. Ich kann nicht nachvollziehen, wie du das leugnen kannst?
Gerade bei meinem Sohn, der auf viel auf der „Straße“ und abseits des Vereins spielt und technisch einer der stärksten in der Mannschaft ist, erkenne ich die Notwendigkeit die Ballfertigkeit noch weiter zu verbessern, um auch in engen Drucksituationen seine Spielübersicht beizubehalten. Coerver bietet da ein viel breiteres Repertoire als es die Straße oder irgendwelche Spielformen in der gleichen Zeit vermitteln könnten. Ich bin mir auch ziemlich sicher, schon Fortschritte in der Bewegungsvariabilität und Ballführung zu erkennen. Rene sprach von Pressingresistenz und genauso empfinde ich das auch.
Beispiel: Er führt den Ball, hebt den Kopf, findet keine passende Anspielstation, bekommt Gegnerdruck, ist technisch durch Coerver so selbstbewusst, den Ball zu behaupten um danach dann den Pass zu spielen, der auch ankommt.
Unabhängig von allen Statistiken wie häufig gepasst und gedribbelt wird, machte die Sicherheit in der Ballbehauptung erst möglich, dass er den Pass überhaupt sinnvoll spielen und die Mannschaft in Ballbesitz bleiben konnte.
vanGaalsNase 28. November 2014 um 18:41
Gemessen daran, dass du mich von Coerver überzeugen willst, bist du nicht weniger verbissen als ich.
„Coerver bietet da ein viel breiteres Repertoire als es die Straße oder irgendwelche Spielformen in der gleichen Zeit vermitteln könnten.“ – In wie fern? Das ist nur eine Behauptung. Bislang haben die Studien zur differenziellen LM und andere Aufsätze (bspw. Frieder Beck) das Gegenteil nachgewiesen.
„Ich bin mir auch ziemlich sicher …“ oder „so empfinde ich das auch.“ – Das sind subjektive Eindrücke, für die du keine gesicherten Nachweise hast. Woher willst du wissen, dass die Verbesserungen bei der Technik deines Sohnes von Coerver herrühren und nicht von Spielformen?
Bitte gib mir Beispiele, wie Coerver genau funktioniert. Dahingehend kam noch gar nichts.
Schimanski 28. November 2014 um 19:54
Videos zu Ballbeherrschung findet man bei YouTube zu genüge. Mehr kenne ich auch nicht. Die Spielformen, und Zweikampfübungen von Coerver, die ich bis jetzt gesehen habe, sind nichts anderes, als was ich schon kannte und selbst trainiert habe.
Wenn du die Ballbeherrschung mit der Ausbildung zum Schlosser vergleichst: Gib einem jungen Mann einen Feile und einen unebenen Metallklotz. Wie im Straßenfussball mit dem Ball und dem Tor. Er wird den Klotz irgendwann glatt bekommen, genauso wie den Ball ins Tor. Die Frage ist aber wie lange er braucht und ob den Weg, den er anwendet, der einfachste ist. Und was ist, wenn das Material ein anderes ist? Wahrscheinlich wird er aus der Erfahrung des ersten Versuchs wieder die gleiche Feile nehmen, auch wenn eine andere idealer wäre.
Coerver ist da wie ein Ausbilder, der den Kindern zeigt, in wievielen Varianten man den Ball behandeln und führen kann. Ich habe selber übrigens eine Trainingseinheit mitgemacht. War eine beeindruckende Erfahrung.
Umgekehrt spiele ich jede Woche mit Straßenfussballern in einer Hobbymannschaft, teilweise beneidenswerte Athleten mit toller Ballbehandlung. Aber sowohl in Sachen Spielintelligenz und Technik haben sie ihre festen Abläufe, ziemlich eindimensional und vorhersehbar. Das gleiche habe ich bei meinem Sohn und vielen Kinder meiner Mannschaft festgestellt. Die beherrschen gewisse Techniken, die sie immer anwenden und die sich bewährt haben, aber ihr Repertoire an Bewegungen und Tricks erweitern sie nur durch externen Einfluß, also durch Vorbilder aus Fernsehen/YouTube, gegenseitiges Abgucken und Nachmachen oder halt durch Coerver, wohingegen in Spielformen und ganzheitlichem Training immer auf die bewährten Abläufe zurückgegriffen wird.
Das sind natürlich alles subjektive Eindrücke, aber ich habe sie nun mal 😉
vanGaalsNase 28. November 2014 um 20:44
In den Artikeln zum Jugendfußball und die taktische Periodisierung habe ich ausgeführt, wie Fußballer/Kinder trainiert werden sollten. Dazu habe ich auch Literatur angegeben. Ich habe mir das nicht ausgedacht, sondern wissenschaftliche Erkenntnisse zu Grunde gelegt.
Coerver hingegen stammt aus einer Zeit, als ebensolche Erkenntnisse noch nicht vorlagen. Bis heute bringt Coerver weder Nachweise noch genügend Einsicht in die Methode. Die Videos kenne ich selbst. Und damit gibt man Spielern bestimmt keine Hilfen an die Hand (oder an den Fuß), mittels derer Situationen kreativ gelöst werden können. Das sind klassische Übungsformen, die sich auf die reine Technik auswirken.
In Spielformen werden nur dann die immerselben Handlungen durchgeführt, wenn man keine Sonderregeln einbaut, die das (technisch-taktische) Lernen in diverse Richtungen lenkt. Man kann viele unterschiedliche Situationen erzeugen, sodass die Lösung derselben immer anders ausfällt, gar ausfallen muss. Dazu muss sich das Gehirn immer neu justieren und anpassen, wodurch gegenüber klassischen Methoden eine deutlich höhere Lernrate entsteht.
Wenn die Hobbystraßenkicker taktisch schwach sind, liegt das daran, dass sie wirklich nur frei gespielt haben, ohne dass es in ihren Spielformen Sonderregeln gab. Unabhängig davon haben sie nach deiner Aussage eine starke Technik. Also offensichtlich ohne Coerver.
Im Kindesalter sind freie Spielformen (deliberate play) am sinnvollsten. Diese Art des Trainierens führt in diesem Alter zur nachweislich höchsten Kreativität. Kinder können in diesem Alter noch nicht alles umfassend verarbeiten und müssen die Eindrücke nach und nach erfahren, ohne dass man ihre Wahrnehmung durch Instruktionen einschränkt. In wie fern könnte Coerver hier mithalten? Erst ab einem Alter von 11-12 Jahren werden vermehrt gezielte Übungen genutzt. Frühestens dann kann man Coerver hinzufügen; und das allenfalls ergänzend.
Ich verstehe nicht, warum Methoden, deren Wirksamkeit empirisch nachgewiesen wurde, stärker in Frage gestellt werden, als solche, bei denen das nicht der Fall ist. Sorry, aber Coerver schult bestenfalls die Technik, nicht jedoch die Spielintelligenz. Und nur weil jemand Finten beherrscht, ist er nicht automatisch kreativ.
Wenn man als Trainer in der Lage ist, die Umstände in einer Spielform zu ändern, wird man den Spielern implizit und mittels spielnaher Differenzen Spielintelligenz und adaptierbare Techniken beibringen.
Finten und dergleichen können abgeguckt oder vorgemacht werden. Die letztendliche Umsetzung derselben kann aber nur unter spielnahen Bedingungen so vermittelt werden, dass die Spieler sie auch im Wettkampf nutzen können. Andernfalls, so formulieren es die Sportwissenschaftler seit 1982 „brechen die Techniken im Spiel zusammen“.
Ich glaube dir ja, dass deine Spieler Fortschritte machen. Aber nicht durch Coerver, sondern durch eure Spielformen. Mit Coerver zeigt ihr ihnen nur Finten auf. Die Finten anzuwenden, lernen sie aber durch das Spielen.
Leon 21. November 2014 um 10:33
Super spannender Artikel! Vielen Dank dafür.
Ich habe mir auch die Studie zu Kugelstoßen angeschaut, weil sich mir der Sinn bei
geschlossenen Bewegungen nicht unmittelbar erschloss. Interessant war, dass die Testgruppe
sich nicht nur stärker steigerte nach einer Trainingsphase, sondern auch nach einer trainings-
freien Zeit sich weiter verbesserte, während die Kontrollgruppe auf den Anfangsstand zurückfiel
ohne Training.
Zum Fußball: So wie ich es verstehe, ist differenzierte Lernen eine Art systematischer Straßenfußball.
Im Straßenfußball macht man das beste aus dem, was man hat, aber man spielt auch nur.
Schwächen werden häufig vernachlässigt und Stärken fokussiert. Man denke an den Dribbler, der
den Ball nicht mehr abgeben mag. Von daher wäre es natürlich notwendig, wenn ein Trainer
den Spieler verbessert, getreu dem Motto „work on your weaknesses but compete with your strengths“.
vanGaalsNase 28. November 2014 um 10:27
„Systematischer Straßenfußball“ trifft es ziemlich genau. Aber in Verbindung mit dem impliziten Lernen.
Peda 14. November 2014 um 11:25
Marco, auch wenn ich inhaltlich zu diesem Thema nichts beizutragen habe, muss ich dir einfach ein großes Lob für deine beiden Beiträge aussprechen.
Sie sind argumentativ gut formuliert und übersichtlich strukturiert, wirken aber aufgrund der enthaltenen Anwendungsbeispiele* nicht verkopft und es fällt dadurch auch um ein Vielfaches leichter die Inhalte im Gedächtnis zu behalten, da man sich Bilder von variierten Abschlüssen einfach besser merkt als den nackten Begriff der provozierten Differenzen.
*) gut, da gebührt das Lob dann eigentlich Schöllhorn 😉
Julian 14. November 2014 um 06:35
Insgesamt sehr gelungene Serie! Passend wäre sicher noch eine Erörterung des KAR-Modells (Koordination-Anforderungs-Regler) von Mechling & Neumaier, da es auf der einen Seite eine Steuerung erlaub und auf der anderen Seite die individuellen Stärken und Schwächen in den Fokus nimmt.
vanGaalsNase 13. November 2014 um 14:36
Sehr zielführend. 50% der Trainingszeit mit Bällen unterschiedlicher Qualität zu spielen, ist sogar sehr viel. Vor allem wird es dazu führen, dass die Spieler sich von alleine zu fragen beginnen, was das soll. Wenn sie dann den Trainer fragen und er es entsprechend beantwortet, setzen sie sich viel bewusster mit solchen Dingen auseinander.
Lenn 13. November 2014 um 15:08
Okay, vielen Dank. Dass es grundsätzlich sehr viel bringt war mir bewusst, nur habe ich dann bei meiner U11 zwischenzeitlich so viel mit anderen Bällen gespielt, dass ich mir nicht sicher war, ob es nicht zu viel ist; wobei, wenn man den Ansatz beim diffenziellen Lernen versteht, es Sinn hat, dass man eigentlich kaum zu viel verändern kann – es sei denn, man überfordert die Spieler oder spielt gar nicht mehr mit richtigen Fußbällen.
vanGaalsNase 13. November 2014 um 15:16
Man kann es eigentlich nicht wirklich übertreiben. Es sei denn, man misst solchen Schwankungen derart viel Bedeutung bei, dass das eigentliche Spiel aus den Augen verloren wird. So sollte man nun nicht unbedingt mit Golfbällen spielen. Bälle der Größe 4 und Futsalbälle reichen aus.
HW 13. November 2014 um 15:39
Interessant finde ich, dass vieles von dem hier vorgestellten eine Rückkehr oder Besinnung auf den Straßenfußball ist.
Straßenfußballer spielen einfach und machen keine Torschussübungen oder Torwarttraining. Sie haben auch nicht immer den besten Ball zur Verfügung (Fußball, Gummi-Pille, alter Basketball, Tennisbälle oder sogar Getränkedosen) und das Spielfeld ist auch nie optimal. Wenn man Profis befragt, die noch hauptsächlich auf der Straße ausgebildet wurden, dann erfährt man oft, dass der „Platz“ breiter als lang war, oder dass man nur auf Beton spielen konnte. Das erkennt man dann in ihrem Stil bis ins Erwachsenenalter. Außerdem haben diese Spieler diese Straßenschläue, die man nicht durch Wiederholung der gleichen Übung bekommt sondern durch eine schnelle Auffassungsgabe und Anpassungsfähigkeit.
Lenn 13. November 2014 um 14:07
Wie zielführend ist es deiner Meinung nach, die Bälle bei Spielformen ständig zu wechseln und irgendwann nur noch ca. 50% der Zeit mit dem „richtigen“ Ball zu spielen?