Nigeria – Bosnien-Herzegowina 1:0

Nigeria siegt glücklich gegen Bosnien-Herzegowina mit 1:0 und wirft den WM-Neuling direkt aus dem Turnier.

Grundformationen

Grundformationen in der ersten Halbzeit

Grundformationen in der ersten Halbzeit

Bosniens Trainer Safet Sušić setzte die Bundesligaspieler Ermin Bičakčić und, trotz einer guten Leistung gegen Argentinien, Sead Kolašinac auf die Bank. Für sie kamen der wuchtige Toni Šunjić und der zentrale Mittelfeldspieler Haris Medunjanin in die Startelf. Diese Wechsel bedeuteten einige Umbauten. Senad Lulić wechselte aus dem Mittelfeld, in welchem er gegen Argentinien noch einige Zuordnungsprobleme hatte, auf die Linksverteidigerposition. Medunjanin rückte neben Muhamed Bešić auf die Doppelsechs, so dass Miralem Pjanić die Zehnerposition im 4-2-3-1 übernehmen konnte. Zvezdan Misimović musste auf die linke Außenbahn weichen. Die Umstellungen in der Zentrale sowie die Positionierung Misimovićs auf dem Flügel sollten wohl vor allem die Kompaktheit in den Halbräumen verbessern.

Nigerias Coach Stephen Keshi stellte nach dem 0:0 gegen den Iran auf drei Positionen um. In der Innenverteidigung ersetzte Joseph Yobo den am Knöchel verletzten Godfrey Oboabona. Er bildete zusammen mit Linksverteidiger Juwon Oshaniwa, Kenneth Omeruo und Rechtsverteidiger Efe Ambrose die Viererabwehrkette. Zudem sollten Michel Babatunde und Peter Odemwingie die Offensive beleben. Odemwingie übernahm die offensive Achterposition von Azeez und positionierte sich rechts neben John Obi Mikel und Ogenyi Onazi. Babatunde bildete zusammen mit Ahmed Musa und Emmanuel Emenike den flexiblen Dreiersturm. Aus dieser nicht immer eindeutigen Grundformation entwickelte sich während der Partie tendenziell ein asymmetrisches 4-4-2.

Fußball oder Basketball?

In den ersten Minuten glich das Spiel einer Basketballpartie, in der jede Mannschaft die Angriffe bis vors Tor trug und fast auch immer auch abschloss. Dieser Rhythmus lag in den Kompaktheitsproblemen beider Teams begründet.

Bosnien formierte sich im 4-2-3-1/4-4-2/4-1-3-2 mit Medunjanin vor Bešić und Pjanić seitlich und vertikal gestaffelt hinter Džeko. Diese recht vertikale Aufteilung im Zentrum, ohne klar erkennbare horizontal kompakte Reihen, konnte Nigeria gut über die defensiven Halbräume oder die Außenbahnen bespielen. Entweder spielten die Außenverteidiger direkt die Linie entlang, wo die Außenstürmer die Bälle aufnahmen und inverse Dribblings starteten oder die Doppelsechs aus Mikel und Onazi nutze diese Freiräume, um von der Mittellinie mit meist flachen Diagonalbällen aufzubauen. In diesen Fällen wich entweder Eminike aus, während Babatunde das Zentrum besetzte und Musa und Odemwingie sich für Ablagen positionierten, oder es gab Tiefensprints der Flügelspieler Musa und Odemwingie in die Schnittstellen zwischen Innen- und Außenverteidigung. Dabei rückten sowohl Mikel als auch Onazi weit auf, um den Rückraum zu besetzen.

Nigeria versuchte im frühen Aufbau, Bosnien über ein 4-3-2-1 passiv auf die Außenbahnen zu leiten. Sobald Bosnien vorrückte, fiel Odemwingie diagonal auf die rechte Flügelposition in einem 4-4-1-1 zurück, um auf den Flügeln Zugriff zu bekommen und die Vorstöße von Lulić zu blocken. Diese Spielweise wurde mit einem mannorientierten Aufrücken der drei Spieler aus dem Mittelfeldzentrum kombiniert, so dass situativ auch 4-2-3-1-/4-2-4-artige Anordnungen entstanden. Dieses Vorgehen war taktisch recht interessant, durch den fehlenden Aufbau an Intensität in möglichen Zugriffsituationen jedoch nicht wirklich effektiv.

Häufig wurden die Spieler nur gestellt, ohne jedoch wirklich leitend zu agieren. Die drei Mittelfeldspieler agierten in Situationen ohne Herausrücken oft zu breit oder zu eng. Außerdem gab es kein konsequentes Nachschieben des Mannschaftsverbunds auf die Flügel.

Bosnien konnte somit von den Außen einfach wieder diagonal ins Zentrum kommen. Dort zeigte sich Medunjanin sehr dominant. Er rückte weit vor und besetzte den Zehnerraum. Pjanić wechselte zwischen einem Anbieten als Kombinationspartner und Sprints in die Schnittstellen der Abwehrkette. Džeko verhielt sich ähnlich und fiel teilweise weit zurück, um Verbindungen herzustellen, sich in die Kombinationen einzubinden und aus der Tiefe ins Sturmzentrum zu starten. Misimović rückte ein und besetzte den Halbraum. Er unterstützte so die Ballzirkulation, bot sich für Pässe aus dem Mittelfeldzentrum oder von den Außenbahnen an und öffnete seinen Grundraum für Lulić.

Bosnien erhöht die Kompaktheit und die Kontrolle

Als Reaktion auf die gefährlichen Schnittstellenpässe der Nigerianer zog Bosnien die Abwehrkette nach und nach etwas enger zusammen und versuchte horizontal kompakt auf die Seiten zu schieben. Dies bespielten die Super Eagles jedoch gut, indem sie viele Spielverlagerungen einbauten und somit das Öffnen der ballfernen Seite bespielten.

Ingesamt konnte jedoch Bosnien die Dominanz im Mittelfeld mit laufender Zeit in der ersten Halbzeit immer mehr in Spielkontrolle umwandeln. Bešić, Medunjanin, Pjanić und Misimović kombinierten gut zusammen. Durch die Dynamik, die um ihn herum erzeugt wurde, konnte Misimovic sein Talent für Lochpässe einbringen, wie sich beispielsweise beim fälschlich nicht gegebenen Abseitstor von Džeko zeigte.

Nigeria geht in Führung

Misimovićs zentral angelegte Auslegung seiner linken Flügelposition öffnete jedoch zusätzlich Räume auf den Flügeln und offensiven Halbräumen für Nigeria. Lulić musste die linke Seite, wie auch häufig in seinem Verein Lazio Rom, als Flügelläufer allein bearbeiten.

Vor Nigerias Tor zum 1:0 sollte sich dies rächen. Misimović rückte weit ein, um zusammen mit Medunjanin den rechten Halbraum zu überladen. Bei einem Doppelpass kam er jedoch ins Straucheln und verlor den Ball. Lulić rückte weit vor, um die offene linke Seite zuzustellen. Dabei öffnete er jedoch kurz eine Lücke, so dass Nigeria den Ball diagonal Richtung Seitenlinie spielen konnte. Spahić musste herausrücken und wurde vom im Laufe des Spiels immer mehr nach rechts ausweichenden Emenike überlaufen. Odemwingie, der mittlerweile etwas zentraler als halbrechter Achter spielte, hatte keine Probleme, den Ball im Zentrum gegen die verbliebenen zwei Verteidiger im Tor unterzubringen.

…und reagiert auf Bosniens Dominanz im Zentrum

In der Folge konnte Nigeria das Mittelfeld wieder etwas zurückgewinnen. Sie formierten sich im Pressing zuerst im 4-2-4 und zogen somit ein enges Band vor dem Zentrum auf. Konnte Bosnien durch gute Pässe des abkippenden Medunjanin oder Dribblings von Spahić und Bešić diese Reihe durchbrechen, so ließen sich die ballnahen Spieler zurückfallen, so dass je nach Anzahl der zurückfallenden Spieler 4-3-3-, 4-4-2- oder 4-5-1-artige Formationen entstanden. Der ballferne Flügelspieler blieb dabei jedoch stets hoch und zockte auf Konter. Das war auch der Grund, warum Emenike und Babatunde in dieser Phase als Flügelspieler agierten, während Musa und Odemwingie das offensive Zentrum besetzen.

Sušić brachte wie im Spiel gegen Argentinien bei Rückstand den Stuttgarter Vedad Ibišević in die Partien, nahm dafür Rechtsaußen Izet Hajrović vom Platz. Dadurch entstand mehr Präsenz im offensiven Zentrum. Allerdings wurde in diesem asymmetrischen 4-4-2 die rechte Außenbahn von Bosnien nur noch unzureichend bespielt. Nachdem Sušić auch noch seinen Neffen Tino-Sven Sušić für Medunjajin einwechselte, war man in der Spitze mit drei Spielern besetzt. Allerdings fehlte es nun an Breite im Mittelfeld, um die nigerianische Defensive auszuspielen beziehungsweise Durchbrüche zu erzielen. Erst als Bosnien in den letzten Minuten die Außenverteidiger weit vorzog, konnten sie noch zwei Abschlüsse generieren, die allerdings keinen Ertrag brachten. Nigeria stand derweil tief und konnte sich auf Kontergelegenheiten über die infolge der aufrückenden Außenverteidiger entstandenen Lücken auf den Flügeln konzentrieren.

Fazit

Es war ein ausgeglichenes Spiel mit viel hin und her. Am Ende gab es 20-18 Schüsse für Nigeria. Trotzdem fiel nur ein Tor, so dass der WM-Neuling Bosnien-Herzegowina nach Hause fahren muss, während die Nigerianer sich berechtigte Hoffnungen auf das Achtelfinale machen dürfen. Bis dahin sollten sie jedoch ihrem Pressing in Zugriffssituationen etwas mehr Intensität verleihen. Strategisch klug bespielten sie den rechten Flügel und das Herausrücken von Lulić, wodurch man Spahić zu weiteren Wegen zwang.

Bosnien-Herzegowina versuchte sehr progressiv vorzugehen, rückte auch mit der Abwehrkette weit auf. Trotz des Versuches von Nigeria kompakt zu stehen, gelang es Sušićs Mannschaft immer wieder durch technisch hochwertige Passkombinationen zu Chancen zu gelangen. Die mangelnde Intensität des nigerianischen Pressings tat ihr Übriges dazu. Der hohe Grad an individueller Klasse im bosnischen Mittelfeld machte sich des Öfteren bemerkbar. Eine erfolgreiche Angriffsaktion wurde dann aber zu unrecht zurückgepfiffen.

DRD 25. Juni 2014 um 11:24

Rein interessehalber und unabhängig von diesem Artikel: kommt noch ein Artikel zum Iran-Argentinien Spiel? Finde ich persönlich taktisch deutlich spannender; Argentinien ist da letztlich gegen fast gescheitert (und das wäre wirklich das Wunder dieses Turniers gewesen), weil die Iraner sehr diszipliniert gespielt haben und nicht unbedingt, weil sie zu elft hinten drin standen (denn darauf konnte man sich ohnehin einstellen).

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mh 23. Juni 2014 um 18:56

Es wäre interessant gewesen, die Reaktion von Nigeria auf die eigentlich korrekt erzielte Führung von Bosnien zu sehen. So konnten sie sich auf Konter verlegen, das machen sie ordentlich – aber auch nicht so konsequent, dass sie damit im Achtelfinale ein echter Angstgegner wären.
Und Bosnien? Aus meiner Sicht mannschafts- und gruppentaktisch enttäuschend, wirkten zuweilen eher wie eine Ansammlung ganz talentierter Einzelspieler.

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