Liveanalyse des WM-Finals 1954

Wie lief eigentlich das WM-Finale 1954 ab? Wir waren live dabei und bieten einen taktischen Liveticker. Dazu gibt es ausführliche Statistiken und eine Passmatrix des deutschen Teams.

Passend zum Verkaufsstart unserer WM-Vorschau veröffentlichen wir ein paar Artikel aus unseren alten Ballnah- und Sonderheften, um einen Einblick in unsere Hefte zu geben. Den Anfang der Reihe macht ein Beitrag aus dem kostenlosen Ballnah Nummer 0 zum WM-Finale 1954. Wer sich für Fußballgeschichte interessiert, wird auch in unserer WM-Vorschau fündig. Dort findet sich u.a. ein detaillierter Abriss über die Geschichte der Fußballtaktik bei der WM sowie Retroanalysen zur englischen Mannschaft von 1966, den argentinischen Weltmeistern von 1978 und zum französischen und kroatischen Team von 1998.

Die ungarische Erfolgsmannschaft, die 1953 im legendären Wembley-Spiel England mit 6:3 schlug

Die ungarische Erfolgsmannschaft, die 1953 im legendären Wembley-Spiel England mit 6:3 schlug

Willkommen bei der Live-Analyse von Spielverlagerung.de zum Finale der WM 1954. Ich habe im Wankdorfstadion zu Bern Platz genommen. Gleich neben mir sitzt Herbert Zimmermann, der das Spiel für den Rundfunk kommentieren wird. Über uns öffnet Petrus alle Schleusen – es regnet in Strömen.

Der haushohe Favorit Ungarn trifft auf Deutschland. Es ist das Duell zweier verschiedener Spielphilosophien: Auf der einen Seite stehen die seit 32 Spielen ungeschlagenen Ungarn, die mit schnellen Kombinationen und geballter Offensivpower den Gegner dominieren. Auf der anderen Seite steht eine deutsche Mannschaft, die auf Kampf, schnelles Umschaltspiel und ihre Stärke bei Standards baut.

Es ist bereits das zweite Aufeinandertreffen der beiden Teams in diesem Turnier. In der Vorrunde schonte Sepp Herberger zahlreiche Stammkräfte für das entscheidende Gruppenspiel gegen die Türkei. Er fand jene Partie wichtiger als das Aufeinandertreffen mit den übermächtigen „magischen Magyaren“. Sein Kalkül, eine Elf mit eher defensiv orientierten Spielern aufs Feld zu schicken (Eckel im offensiven Mittelfeld hinter Fritz Walter als Stürmer), ging nicht auf. Vor allem die Idee, Fritz Walter im Sturm spielen zu lassen, war ein Rohrkrepierer. Ungarns Mannschaft entzauberte die deutsche Verteidigung mit schnellem Ein-Kontakt-Fußball, für Gegenstöße fehlte Fritz Walters Präsenz als Ballverteiler im Mittelfeld. Am Ende ging Deutschland mit 3:8 baden.Herberger dürfte seine Lektion gelernt haben – heute lässt er wieder im standardmäßigen WM-System spielen.

Die Ungarn mussten im Viertel- und im Halbfinale mit Brasilien und Uruguay zwei dicke Bretter durchbohren, die beiden 4:2-Siege waren hart erkämpft. Sie konnten sich bei diesen Auftritten vor allem auf ihre großartige Offensive verlassen: Im Sturm traten sie mit einer neumodischen 1-4-Ordnung an. Hidegkuti ließ sich von der Mittelstürmer-Position oft zurückfallen, um das Spiel aus der Tiefe zu machen und sich seinem Manndecker zu entziehen. Wie wird Herberger darauf reagieren? In der Vorrunde hatte er noch kein geeignetes Gegenmittel gefunden.

Deutschland überzeugte besonders im Halbfinale, als Fritz Walter eine Glanzleistung bot. Die größten Stärken der Deutschen sind das Umschaltspiel sowie ihre Standards. Die Frage wird sein, ob Deutschland ähnlich tief und abwartend agiert wie im Viertelfinale gegen Jugoslawien, als sie damit über lange Strecken nicht gut fuhren: Die Jugoslawen schnürten die Deutschen in der eigenen Hälfte ein und erstickten die deutschen Konter im Mittelfeld. Es war hauptsächlich Torwart Toni Turek zu verdanken, dass Deutschland nicht früh ausschied.

Personell gibt es wenige Überraschungen: Deutschland tritt mit derselben Elf wie im Halbfinale an. Im Tor spielt Toni Turek, der bisher ein starkes Turnier gezeigt hat. Die Abwehr bilden Posipal und Kohlmeyer auf den Flügeln und Liebrich in der Mitte. Davor agieren im zentralen Mittelfeld, in den 50ern als Läuferreihe bekannt, Mai und Eckel. Hinter den Spitzen teilen sich Spielmacher Fritz Walter und Box-to-Box-Spieler Morlock die Aufgaben. Auf links greift Schäfer an, auf rechts Rahn. In der Mitte spielt der umtriebige Ottmar Walter, der seine Stürmerposition recht frei interpretiert und oft auf dem Flügel zu finden ist.

Deutschland gegen Ungarn im WM-Finale 1954

Deutschland gegen Ungarn im WM-Finale 1954

Die Ungarn sind auf zwei Positionen verändert: Puskas kehrt zurück in die Startelf, er spielt im Sturm neben Kocsis. Puskas hatte sich im Vorrundenspiel gegen Deutschland verletzt, als Liebrich ihn von den Beinen holte. Toth kommt ebenfalls neu in die Anfangsformation als linker Außen. Trainer Gusztav Sebes erhofft sich, dass die schnellen Außenspieler Toth und Czibor die eher langsamen deutschen Manndecker Posipal und Kohlmeyer vor Probleme stellen können. Die zwei wichtigsten ungarischen Spieler sind jedoch andere: Zum einen Hidegkuti als zurückfallender Spielmacher, zum anderen Boszik. Er baut aus der Läuferreihe heraus das Spiel auf und setzt seine Vordermänner ein. Zakarias neben ihm sichert für ihn ab.

Schiedsrichter Ling aus England pfeift die Partie an.

3. Die erste Chance des Spiels geht überraschenderweise an die Deutschen. Morlock köpft eine Flanke von Fritz Walter über das Tor. Schon hier ist die große Stärke des deutschen Spielmachers zu erkennen: Er geht auf die Flügel, entledigt sich seines Manndeckers und kann so zu seinen starken Flanken kommen. Gleich nach wenigen Minuten ist zu sehen, dass die Deutschen zwar auf eine massive Defensive setzen, aber Schäfer und Rahn sich auch recht hoch positionieren, um für Konter bereit zu stehen. Die Ungarn hingegen spielen einige Fehlpässe in der Anfangsphase. Es fällt auf, dass sie weniger Flachpässe spielen als sonst. Gerade Boszik schickt seine Mitspieler mit hohen und halbhohen Pässen. Diese Spielweise ist dem vollkommen durchnässten Rasen geschuldet, auf dem ein schnelles Kurzpassspiel unmöglich erscheint.

6. TOR FÜR UNGARN! Gleich zweimal darf Boszik knapp hinter der Mittellinie seine Mitspieler hinter die gegnerische Abwehr schicken. Diese laufen frei auf den deutschen Torhüter Turek zu. Beim ersten Mal rettet Turek vor Hidegkuti, direkt darauf kommt Boszik nach einem Fehlpass von Liebrich wieder an den Ball. Er passt in die Gasse auf Kocsis, dessen Abpraller versenkt Puskas.

8. TOR FÜR UNGARN! Uiuiui, da sieht Kohlmeyer nicht gut aus. Kocsic fängt einen Rückpass ab, schnappt sich den Ball zwischen Kohlmeyer und Torhüter Turek. Czibor bekommt das Leder und muss nur noch einschieben. Deutschland wirkt desorientiert in diesen Anfangsminuten. Die Manndecker sind zwar nah bei ihren Gegenspielern, lassen aber die Gasse im Zentrum immer wieder frei. Eckel übernimmt zwar Hidegkuti, wenn dieser zurückfällt, dafür kann Boszik vom Mittelkreis aus nach Belieben schalten und walten.
Bei Ballbesitz fehlt die ordnende Hand, Fritz Walter ist noch überhaupt nicht im Spiel. Bisher hatte er erst fünf Ballkontakte, drei seiner vier Pässe landeten beim Gegner. Der frühe Rückstand scheint dem sensiblen Lauterer zuzusetzen. Er ist bekannt dafür, in schwierigen Situationen sein Selbstvertrauen zu verlieren.

10. TOR FÜR DEUTSCHLAND! Rahn kommt auf dem linken Flügel an den Ball, flankt halb, schießt halb. Morlock lenkt den Ball über die Linie.
Dieses Tor zeigt gleich zwei Eigenheiten, welche die deutsche Mannschaft ins Finale geführt haben: Zum einen wäre da Helmut Rahn, der seine Rechtsaußenposition sehr frei interpretiert und auch mal auf dem linken Flügel auftaucht; Schäfer und Walter besetzen uneigennützig die Lücken, die Rahn hinterlässt. Auch war das Wechselspiel im Mittelfeld zu erkennen: Während Walter sich eher horizontal auf die Flügel bewegt, geht der gelernte Stürmer Morlock mit vertikalen Läufen in die Spitze. Hierdurch kann er seine Wucht und Torgefahr aus dem Hinterhalt ausspielen. Gleichzeitig fühlt sich kein ungarischer Manndecker für den Mittelfeldspieler zuständig. Bei seinem Treffer gerade eben war er entsprechend ungedeckt.

13. Beide ungarischen Tore fielen nach individuellen Aussetzern und aufgrund der fehlenden Deckung gegen Boszik. Die deutsche Manndeckung in der Hintermannschaft funktionierte in der ersten Viertelstunde aber eigentlich tadellos. Hidegkuti wird von Eckel aufgenommen, Mai, Posipal, Kohlmeyer und Liebrich sind eng bei Puskas, Kocsis, Toth und Czibor. Nur Boszik ist im Mittelfeld immer wieder frei. Er leitet einen Konter über den rechten Flügel ein, doch Kocsis‘ Flanke landet im Nichts.

15. Czibor vergibt völlig freistehend die Riesenchance zum 3:1 aus halbrechter Position kläglich, der Ball landet neben dem Tor! Hidegkuti bediente ihn zuvor. Eckel, der Manndecker Hidegktuis, war nicht auf der Höhe.

17. TOR FÜR DEUTSCHLAND! Die deutsche Stärke nach Standards hat wieder zugeschlagen. Fritz Walters butterweiche Flanken in den Sechzehner werden von den hoch gewachsenen Morlock, Schäfer und Rahn veredelt. Die erste Fritz-Walter-Ecke kann Buzanski noch klären, bei der zweiten passt die Manndeckung Ungarns nicht auf und Rahn kann einschieben. Aber: Schäfer blockierte zuvor regelwidrig, der Ausgleichstreffer hätte nicht zählen dürfen.

20. Ungarn scheint nicht geschockt und macht weiter wie zuvor. Czibor wird frei durch die Mitte geschickt, scheitert jedoch an Turek im Eins-gegen-Eins – ohnehin die große Stärke des deutschen Torhüters. Es fällt aber auf: Die ungarischen Stürmer versuchen, die deutschen Verteidiger aus der Mitte zu ziehen, die Außen sprinten daraufhin in die zentralen Lücken und befreien sich so.

23. Riesenchance! Flanke auf den Kopf von Kocsis vom bisher zurückhaltenden Lantos. Hidegkuti kommt völlig frei aus 6 Metern zum Schuss, aber Turek mit einer riesigen Reaktion! Herbert Zimmermann neben mir überschlägt sich. Ich habe aber das dumpfe Gefühl, dass er für den Ausdruck „Fußballgott“ noch Ärger bekommen wird.

Passmatrix des deutschen Teams. Die Passmatrix stützt sich, wie die Statistiken, auf die Radioreportage Herbert Zimmermanns. Je dicker der Pfeil, desto mehr Pässe spielte ein Spieler zu seinem Kollegen. Sie zeigt eindeutig die taktische Marschroute der Deutschen auf: Zunächst wurde der Ball zu Walter gespielt, dieser verteilte die Kugel auf die Flügel. Dass die Abwehrspieler keine Querpässe spielten, liegt im Übrigen daran, dass es zu jener Zeit noch kein Pressing in der gegnerischen Hälfte gab. Die deutschen Verteidiger konnten ungestört ihre Vordermänner einsetzen.

Passmatrix des deutschen Teams. Die Passmatrix stützt sich, wie die Statistiken, auf die Radioreportage Herbert Zimmermanns. Je dicker der Pfeil, desto mehr Pässe spielte ein Spieler zu seinem Kollegen. Sie zeigt eindeutig die taktische Marschroute der Deutschen auf: Zunächst wurde der Ball zu Walter gespielt, dieser verteilte die Kugel auf die Flügel. Dass die Abwehrspieler keine Querpässe spielten, liegt im Übrigen daran, dass es zu jener Zeit noch kein Pressing in der gegnerischen Hälfte gab. Die deutschen Verteidiger konnten ungestört ihre Vordermänner einsetzen.

24. Ungarn nun mit Druck. Sie stören die Deutschen schon in ihrer Hälfte, deren hektische Befreiungsversuche enden in Fehlpässen. Hidegkuti kommt erneut völlig frei zum Schuss und trifft den Pfosten. Czibor neben ihm hatte bereits gejubelt. Wo ist sein Manndecker Eckel? Die Idee, den zurückfallenden Hidegkuti vom Halbläufer Eckel und nicht vom Verteidiger Liebrich in Manndeckung nehmen zu lassen, hatte bisher Licht wie Schatten. Einerseits ist Eckel stets bei ihm, wenn er sich ins Mittelfeld zurückfallen lässt; bisher konnte Hidegkuti als Spielmacher aus der Tiefe nicht in Erscheinung treten, was seine eigentliche Stärke ist. Allerdings ist Eckel nicht immer zur Stelle, wenn Hidegkuti in der Spitze bleibt, wie die zwei riesigen Chancen eben gerade beweisen.

35. Spielmuster Deutschland: Fast 90% der Angriffe gehen über die Flügel. Spielmacher Fritz Walter verteilt die Bälle auf die Flanken und hilft anschließend dort aus, um eine Überzahl herzustellen. Die Hereingaben sind aber bisher ungenau, erst eine fand den Kopf eines Mitspielers. Ein paar Worte zu Schäfer und Ottmar Walter: Schäfer, bester Deutscher des Turniers, blieb bisher blass und konnte seine Schnelligkeit noch nicht einsetzen. Ottmar Walter, gewohnt flexibel, weicht auf die Flügel aus, spielte bisher aber knapp die Hälfte seiner Pässe zum Gegner.

41. Schäfer und Rahn scheitern am ungarischen Keeper, Fritz Walter hatte die Chance möglich gemacht. Er hat seinen Kampfgeist wiedergefunden und seine Passgenauigkeit endlich auf über 50% gesteigert! Das waren übrigens die ersten deutschen Schüsse seit dem 2:2 in der 17. Minute.

HALBZEIT! Ungarn mit mehr Spielanteilen, aber Deutschland hält gut dagegen. Puskas ist bisher komplett abgemeldet, ebenso die linke ungarische Seite. Gerade einmal fünf Prozent der Angriffe spielten die Ungarn über diese Seite. Die Aufstellung Toths macht sich nicht bezahlt. Dafür sorgt Boszik für einigen Furor.
Bei Deutschland ist es vor allem Helmut Rahn, der immer wieder Offensivaktionen anstößt, allerdings hat er auch die meisten Ballverluste verursacht. Fritz Walter findet immer besser ins Spiel. Defensiv überzeugen Liebrich (100% gewonnene Zweikämpfe!) und Mai, der Puskas aus dem Spiel nimmt. Eckel hat Hidegkuti weitestgehend im Griff, muss allerdings in Halbzeit Zwei darauf achten, im eigenen Sechzehner näher beim Stürmer zu sein.

47. Weiter geht’s mit zwei ungarischen Chancen innerhalb von zwei Minuten, Czibor und Puskas vergeben. Ungarn spielt weiter direkt und halbhoch in die Spitze. Zudem haben Toth und Czibor ihre Positionen getauscht, Toth spielt nun rechts und Czibor links.

49. Boszik, immer wieder Boszik! Zuerst setzt er Toth ein, der viel zu schnell für Kohlmeyer ist. Kurz darauf versucht er es selber aus der Ferne, schießt aber drüber.

54. Ein einstudierter Spielzug bei den Ungarn: Toth passt in die Mitte und Puskas lässt den Ball durch seine Beine laufen. Hidegkuti verpasst knapp. Kurze Zeit später ist erneut ein fast identischer Spielzug zu sehen, diesmal funktioniert er aber: Kocsis passt in die Mitte, Puskas springt über den Ball, doch Toths Schussversuche klärt Kohlmeyer gleich zweimal auf der Linie! Von den Deutschen ist nach vorne noch nichts zu sehen, Ungarn verteidigt die Gegenstöße gut. Sie stehen mit vier Verteidigern auf einer Linie gegen die vier deutschen Angreifer, Zakarias lässt sich hierfür tief fallen. Fritz hat so keine Anspielmöglichkeiten vor sich – und wenn doch, befindet sich meist ein Deutscher im Abseits.

57. Kocsic köpft eine Flanke von Toth an die Latte! Toth zog zuvor nach links, während Czibor in der Mitte ging. Toth fühlt sich auf der rechten Seite wesentlich wohler als in Halbzeit eins auf links. Nun setzt er seine hohe Geschwindigkeit viel besser ein. Seine Aufstellung macht sich endlich bezahlt. Aber nun funktionieren auch die Positionswechsel in der Offensive besser, wie die große Chance eben beweist. Czibor und Toth sprechen sich nun wesentlich besser ab. Die deutschen Manndecker wissen überhaupt nicht, wen sie wann aufnehmen sollen.

60. Gerade war ein typischer ungarischer Angriff zu sehen: Mittelläufer Zakarias fängt einen Pass ab, überlässt ihn Boszik, der schnell durch die Mitte umschaltet und so eine Chance kreiert. Während die Deutschen nur 10% ihrer Angriffe durch die Mitte spielen, sind es bei den Ungarn fast 40%.

63. Mann, Mann, Mann, haben die Deutschen Glück! Sie finden keine Antwort auf die Flügelwechsel von Toth und Czibor, die Manndecker wirken geschockt und desorientiert. 9:1 Schüsse für die Ungarn in den ersten 15 Minuten der zweiten Halbzeit!

67. Riesenchance Puskas! Doch Turek hält seinen Schuss nach Pass Hidegkuti. Dieser hat jetzt mehr Freiheiten beim Zurückfallen als noch in Halbzeit eins, dafür nimmt Eckel ihn im eigenen Sechzehner gewissenhafter auf. Teilweise spielt Deutschland jetzt mit fünf Verteidigern!

72. Erstes gutes Direktspiel Deutschlands nach der Pause. Sie können erstmals ihre Stärke, das schnelle Umkehrspiel mit ihren wendigen Angreifern, ausspielen. Rahn schießt vorbei nach einem Angriff mit zahlreichen Positionswechseln.

73. Tolle Eckballvariante: Rahn passt zu Walter, der spielt sofort zurück zu Rahn, der aus spitzem Winkel auf das Tor schießt. Grocics reißt die Fäuste hoch und pariert blendend. Solche einstudierten Standardvarianten haben die Deutschen ins Finale geführt.

75. Deutschland steuert jetzt mit mehr Zug und Dynamik die Räume auf dem Flügel an. Rahn ist sehr aktiv und bietet sich für schnelle Gegenstöße an, stand aber in den letzten Minuten dreimal im Abseits. Ungarn kommt nicht mehr so gut in die Zweikämpfe im Mittelfeld. Dadurch entstand ein ausgeglichenes Schussverhältnis zwischen der 60. und 75. Minute (3:3).

78. Die Ungarn haben wieder eine Riesenchance. Diese leitete Boszik in bewährter Manier durchs Zentrum ein. Diesmal ist Czibor durch, aber Turek hält. Hidegkutis Nachschuss geht am leeren Tor vorbei.

Auch hierfür wurde die Radioreportage von Herbert Zimmermann ausgewertet. Wenn er einen Angriff über rechts sah, wurde dies als Angriff über die rechte Seite gewertet. Auch diese Statistik ist ungenau, allerdings zeigt sich, wie stark die Ungarn durch die Mitte kamen und wie flügelfokussiert das Spiel der Deutschen war.

Die Angriffsseiten der Teams, Ungarn in rot, Deutschland in schwarz. Hierfür wurde die Radioreportage von Herbert Zimmermann ausgewertet. Wenn er einen Angriff über rechts sah, wurde dies als Angriff über die rechte Seite gewertet. Auch diese Statistik ist ungenau, allerdings zeigt sich, wie stark die Ungarn durch die Mitte kamen und wie flügelfokussiert das Spiel der Deutschen war.

82. Liebrich köpft eine Flanke von Puskas weg. Das war der zehnte Pass, den er abfangen konnte, dazu hat er sechs Torschüsse geblockt. Ganz starker Auftritt von Liebrich. Ohne ihn und Torwart Turek läge Deutschland hinten!

84. TOR FÜR DEUTSCHLAND! Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt…
Es hatte sich leicht angedeutet. Ungarn drängt nicht mehr so stark wie zu Beginn der zweiten Halbzeit, Deutschland kam öfter in die gegnerische Hälfte. Der erste schlimme Fehlpass Bosziks leitet das Tor ein, nach einer Flanke von Schäfer verpennt Ungarn den zweiten Ball. Da scheint die Spritzigkeit zum Ende des Spiels zu fehlen. Deutschland hingegen ist in Person von Helmut Rahn hellwach.

85. Ungarn wirft nun alles nach vorne, Verteidiger wie Angreifer. Ein langer Ball in die Spitze von Boszik, aber Puskas steht im Abseits. Kollege Zimmermann hält dies für eine korrekte Entscheidung, ich wäre mir da nicht so sicher. Schade, dass die Zeitlupe erst noch erfunden werden muss.

88. Deutschland wirkt trotz Führung etwas hektisch. Sie schießen jetzt früh auf’s Tor. Wollen sie etwas für das Schussverhältnis tun? Bis zum 2:3 lag Ungarn hier mit 25:11 vorne. Hans Schäfer meckert, sagt: „Haltet doch den Ball!“

91. Deutschland im Doppelglück: Erst kann Turek einen platzierten Schuss von Czibor halten. Bevor Czibor zum Nachschuss ansetzen kann, foult ihn Liebrich, der Pfiff bleibt aber aus.

AUS! AUS! DAS SPIEL IST AUS! DEUTSCHLAND IST WELTMEISTER!

Spielstatistiken, ermittelt mithilfe der Radioreportage von Herbert Zimmermann und dem vorhandenen Livebildern

Spielstatistiken, ermittelt mithilfe der Radioreportage von Herbert Zimmermann und dem vorhandenen Livebildern. Zum Vergrößern klicken

Alle relevanten Statistiken sprechen für Ungarn: Mehr Ballbesitz, 26:15 Schüsse, 16:10 davon auf das Tor, 3:9 Abseitspositionen. Und doch geht Deutschland als Sieger vom Platz. Ihre große Stärke war es, nach den gegnerischen Druckphasen zu Beginn der beiden Halbzeiten nicht aufzugeben. Den Sieg machte ein zentrales Dreieck möglich: Liebrich eroberte in der Abwehr die Bälle, Fritz Walter verteilte sie und Helmut Rahn schoss die Tore.

Spieler des Spiels war eindeutig der Boss, Helmut Rahn. Alle drei deutschen Tore gehen praktisch auf seine Kappe. Mit seiner Umtriebigkeit entzog er sich der gegnerischen Manndeckung. Zudem konnte er mit seiner tollen Schusstechnik ständig Torgefahr ausstrahlen.

Auf ungarischer Seite hätte Boszik der Held des Spiels werden können, seine Leistung war großartig. In Erinnerung wird leider nur der Fehlpass in der 84. Minute bleiben. In der Schlussviertelstunde hatten die Ungarn dann mit den Platzverhältnissen und ihrer eigenen Müdigkeit zu kämpfen.

Die Statistiken wurden mithilfe von Herbert Zimmermanns berühmter Radioreportage zusammengestellt. Wenn er beispielsweise von einem Pass von Fritz Walter zu Helmut Rahn spricht, wurde dies als ein Pass gewertet. In einem letzten Schritt wurde seine Radioreportage mit dem vorhandenen Bildmaterial abgeglichen und ergänzt. Dadurch, dass Zimmermann natürlich nicht jedes Ereignis des Spiels wiedergibt, sind die Statistiken ungenau. Allerdings erlauben sie einen etwaigen Einblick in das Spiel. So lassen sich beispielsweise die wichtigen Rollen von Walter als Spielmacher, Rahn als Dribbelkünstler und Liebrich als Fels in der Verteidigung belegen.

Zum Vergrößern klicken. Die Statistiken wurden mithilfe von Herbert Zimmermanns berühmter Radioreportage zusammengestellt. Wenn er beispielsweise von einem Pass von Fritz Walter zu Helmut Rahn spricht, wurde dies als ein Pass gewertet. In einem letzten Schritt wurde seine Radioreportage mit dem vorhandenen Bildmaterial abgeglichen und ergänzt. Dadurch dass Zimmermann natürlich nicht jedes Ereignis des Spiels wiedergibt, sind die Statistiken ungenau. Allerdings erlauben sie einen etwaigen Einblick in das Spiel. So lassen sich beispielsweise die wichtigen Rollen von Walter als Spielmacher, Rahn als Dribbelkünstler und Liebrich als Fels in der Verteidigung belegen.

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Jürgen Krüger 14. Juli 2019 um 01:34

Ich würde mal sagen: Beide Mannschaften hatten am Tag des WM Finals 1954 wohl Substanzen im Blut die da nicht hingehören. (Der letzte Beweis dafür steht allerdings aus, es gibt nur starke Indizien).
Die Ungarn, die am Abend vor dem Finale an der Hotelbar schon auf den WM-Sieg tranken und ziemlich sicher mit Restalkohol in den Finaltag gingen – und eben die Deutschen, die wohl die sogenannte „Panzerknacker-Schokolade“ verabreicht bekamen. Wenn es denn so war, waren die Deutschen einfach etwas cleverer, weil sie sich für die besseren Mittel entschieden hatten – wenn man das denn so sagen darf….

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Ernie Berenbroek 12. Februar 2017 um 12:45

Die Position von Eckel und Mai würde ich umtauschen. Eckel spielte mehr über rechts um Mai links. Auf YouTube gibt es mittlerweile ausführliche Ausschnitte dieses Spiels.

Meine taktische Darstellung steht auf:
voetbalfinales.webklik.nl/page/worldcup-wm-wk

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Henry Kaspar 27. Dezember 2014 um 23:09

Grossartiger Artikel. Einen Punkt zu maekeln habe ich allerdings: Mai deckte meines Wissens nicht Puskas so sondern Kocsis, zumindest hat er das spaeter so erklaert. Liebrich war fuer Puskas zustaendig. Damit hatten beide Lauefer, Eckel und Mai, Defensivaufgaben, Mai noch hinter Eckel quasi als zweiter Innenverteidiger – was gegen ein Team mit zwei Stosstuermern ja Sinn machte. D.h. Deutschland spielte praktisch das gesamte Match mit 5 Verteidigern.

Seltsam nur dass Ungarn Fritz Walter nicht Zacharias auf die Fuesse stellten, zudem Sebes dessen Rolle als zentraler Ballverteiler ja korrekt antizipierte. Sie waren vielleicht doch etwas ueberheblich, die Ungarn.

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HW 11. Juni 2014 um 13:32

Sehr geil gemacht.
Zwei Nachkommastellen bei Statistiken auf Basis von „Hörensagen“ sind aber schon mutig.

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TE 11. Juni 2014 um 15:09

Danke, aber wieso mutig? Die Anzahl der Pässe bzw. Zweikämpfe stehen ja da. Damit kann jeder leicht ausrechnen, wie viele Fehlpässe / verlorene Zweikämpfe es gab.

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oecher 11. Juni 2014 um 15:42

Der Einwand ist aber schon gerechtfertigt. Dadurch wird ja Genauigkeit implizit ausgedrückt. Die ist aber bei der Datengrundlage nicht vorhanden. Herr Zimmermann hat ja nicht mal versucht, alle Pässe oder Zweikämpfe zu schildern.

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HW 11. Juni 2014 um 16:54

Jep, genau dieser Punkt ist gemeint.
Da ber auch immer die Datenbasis genannt wird sollte die Ungenauigkeit jedem Leser deutlich werden. Mit Betonung auf „sollte“. Mal sehen wo diese Grafiken als Zitat ohne Kontext auftauchen.
Ich finde es nicht wesentlich für den Artikel aber trotzdem mutig auf die Kommastellen nicht zu verzichten. Es ist auch irgendwie „authentisch“ (Buzz-Word) wenn ein Spiel, zu dem das Videomaterial nicht vollständig vorhanden ist, bei einer Analyse diese „Ungenauigkeiten“ aufweist.

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GD 7. Juni 2014 um 15:40

Es ist Halbzeit. In der Kabine der Deutschen macht ein Röhrchen mit kleinen weissen Pillen die Runde unter den ermüdeten Recken. „Das Zeug kenn ich doch von der Ostfront!“ ruft der, nein unser Fritz. Ja, das funzt mächtig!!!

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Tank 7. Juni 2014 um 17:33

Als Freund der ungarischen Mannschaft habe ich das bei diesem Spiel auch immer im Kopf.

Andererseits kann ich mir auch nicht vorstellen, dass die medizinische Abteilung der Ungarn sich auf’s Durchkneten der müden Beine beschränkt hat.

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DM33 7. Juni 2014 um 14:00

Zunächst Danke für diesen Artikel und die ungarischen Ergänzungen. Witzigerweise sieht diese „erwartete“ deutsche Aufstellung exakt so aus, wie die Aufstellung gestern gegen Armenien in der ersten Hälfte, inclusive häufige Wechsel und Spielverlagerungen der drei Stürmer… hehe, schön zu sehen, wie viel sich in 60 Jahren die Taktik weiterentwickelt… und hoffentlich haben wir dann in Brasilien im Finale „Toni-Kroos-Wetter“ und einen Boss Müller, der aus der zweiten Reihe schießt…

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kontrapresszing 7. Juni 2014 um 10:19

Natürlich, schreibe! (If not a problem, please write in English, it’s much easier for me to pen replies. In German, basically I can just read :))

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JS 7. Juni 2014 um 00:50

Ich bin restlos begeistert. Danke!

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kontrapresszing 6. Juni 2014 um 20:01

(sorry for my poor German)

Noch ein paar Bilder und Infos aus Sebes’s Buch, A magyar labdarúgás ( = Ungarischer Fussball).

Ungarn Scouts beobachteten das deutche Team vor der Finale ins Training. Es war ihre Vorstellung des deutchen Spielsystems:

http://wp.me/a3eTD9-7y

Sie erwartete stark Konterspiel von Deutschland. Posipal und Kohlmayer decken die Flügelstürmern. Mai wird zurückfallen, mit Liebrich gegen Kocsis zu verteidigen. Fritz Walter wird auch zurückfallen den Verteidigern zu hilfen. Er soll die Offensive starten, und als Zentrum der Offensive agieren. Herberger erwartete Czibor auf dem linken Flügel zu spielen, deshalb Rahn soll zurücklaufen mit Czibor. Sebes erwartete drei Stürmern. Die Flügelstürmern wird viele Spielverlagerungen machen.
Nach der Finale, Sebes fand die Vorstellung korrekt, nur die Rollenverteilung zwischen Rahn und Schäfer war vertauscht (Czibor agierte aufs rechts).

Hier ist das ungarische Spielplan von Sebes:

http://wp.me/a3eTD9-7z

Interessant zu beobachten, die Schüsse beiden Teams (die Titeln sind vertauscht):

http://wp.me/a3eTD9-7x

(gyenge = schwach Schuss, félerős = halb-stark, erős = stark, les = Abseits, die Nummern sind die Minuten den Schüssen).

Antworten

Tank 7. Juni 2014 um 01:03

Wow, tolle Ergänzung!

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RM 7. Juni 2014 um 02:19

Toller, toller Beitrag. Riesendank. Darf ich dir mal die Tage ein paar Mails schreiben? 🙂

Antworten

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