1. FC Nürnberg – Bayer 04 Leverkusen 1:4
Abstiegskampf gegen Champions-League-Anwärter. Gertjan Verbeek gegen Sascha Lewandowski. Das klingt etwas besser, als die Partie es war oder als Michael Wiesinger gegen Sami Hyypiä. Die beiden Trainer enttäuschten auch in einer taktisch guten, spielerisch aber mittelmäßigen Partie nicht. Die spielerische Dynamik der Akteure in den ersten Minuten dauerte aber nicht lange.
Bayer mit viel Bewegung gegen die Mannorientierungen im 4-2-3-1
In der Anfangsphase zeigten die Leverkusener, wie man gegen solche Manndeckungen vorgeht und für Probleme beim Gegner sorgt. Emre Can rückte immer wieder in den defensiven Halbraum, Bender sicherte die Spielfeldmitte, die Außenverteidiger rückten nach vorne, variierten aber ihre Höhe einige Male und die Flügelstürmer pendelten ebenfalls zwischen einer Position im Halbraum oder an der Seitenauslinie. Dabei nutzte Bayer kein 4-3-3 wie in den letzten Monaten bzw. schon in der Vorsaison, sondern spielten wie in den vergangenen zwei Partien ein 4-2-3-1.
Gonzalo Castro spielte hierbei als der hängende Stürmer hinter Stefan Kießling, Emre Can übernahm den vertikalen Part der Doppelsechs, Lars Bender sicherte neben ihm ab, Riesentalent Julian Brandt und Heung-Min Son bildeten das Flügelstürmerpärchen. Donati und Boenisch agierten neben Toprak und Spahic auf den Außenverteidigerpositionen. Mit dieser „neuen“ Formation spielten sie eigentlich ähnlich wie auch sonst; die Außenverteidiger gingen nach vorne und gaben Breite, im Aufbauspiel nutzte man die defensiven Halbräume. Die Flügelstürmerpositionen und der Zehner sorgten für gewisse Unterschiede, dazu gab es natürlich etwas veränderte Staffelungen.
Interessant war aber die hohe Bewegung innerhalb der Formation bei eigenem Ballbesitz in der Anfangsphase. Das war wohl ein gezielter Versuch die Mannorientierungen des Gegners auszuhebeln. Die Leverkusener probierten die gegnerischen Spieler zu problematischen Übergabemomenten zu zwingen, welche aber wegen der Rigorosität der Manndeckungen kaum gegeben waren.
In einer Szene ging zum Beispiel Castro als hängender Stürmer zurück ins Mittelfeld, Can startete zuvor zuerst in den defensiven Halbraum und schob dann mit einem bogenartigen Lauf nach vorne in den Zehnerraum. Beide Akteure wurden jeweils mannorientiert verfolgt und nicht übergeben, wodurch diese Probleme nicht entstanden. Stattdessen gab es einen anderen problematischen Effekt, der aber von Leverkusen nur vereinzelt gut bespielt werden konnte (und meist in den falschen Räumen).
Nürnberg mit stabiler Instabilität
Der 1. FCN spielte wie erwähnt mit vielen, teilweise auch sehr orthodoxen und starren Manndeckungen, die es fast bei jedem Spieler gab. Die Innenverteidiger übergaben Kießling aneinander, verfolgten ihn dann aber wiederum bei seinen Läufen auf den Flügel. Zentral wurde Castro meistens von Frantz übernommen, Campana orientierte sich an Bender und Balitsch an Can; sehr oft wirkte diese Formation dann wie ein 4-4-1-1, weil Can nach vorne ging und Bender blieb. In einzelnen Situationen, besonders in der ersten Hälfte, wirkt es auch wie ein 4-4-1-1 mit einem freien Mann im Mittelfeld.
Vermutlich war es aber ein 4-1-4-1, welches durch die Mannorientierungen aber durch die gegnerischen Bewegungen zu anderen Formationen umstrukturiert wurde; in einer Szene zum Beispiel stand Balitsch plötzlich hinter der eigenen Abwehr, während Frantz der zweithöchste Spieler war. Dadurch konnte Leverkusen natürlich teilweise enorm große Räume öffnen, was im Normalfall wegen der mangelnden Kompaktheit große Instabilität bedeutet. Doch Nürnberg öffnete diese Räume zwar, gewann aber viele direkte Zweikämpfe im Mittelfeld, stellte die geöffneten Räume zu und war diszipliniert bei den Manndeckungen, wodurch Leverkusen diese Räume nur selten bespielen konnte; eine „stabile Instabilität“ eben.
Die vereinzelt praktizierten einrückenden Läufe der Flügelstürmer bis hin zu Überladungen in der Mitte kamen zu selten, um ordentlich genutzt werden und teilweise wurde sogar hier einfach weit verfolgt. Die in der Mitte mehrmals geöffneten Räume konnten darum nicht wirklich ausgenutzt werden, desweiteren ist Kießling schlichtweg nicht der passende zurückfallende Stürmer für das Bespielen dieser Mannorientierungen und Räume.
Jedoch ging diese Spielweise Nürnbergs mit einer Ausrichtung aufs Konterspiel einher. In der Anfangsphase hatten die Nürnberger vor eigenem Publikum und unter dem niederländischen Trainer Gertan Verbeek überraschend nur 40% Ballbesitz gegen die „Umschaltmannschaft“ Bayer Leverkusen. Die Gäste bauten stabil auf, nutzten die Mannorientierungen mit einem Innenverteidiger als freiem Spieler und zirkulierten viel in der eigenen Hälfte, wenn es erforderlich war.
Lediglich im Übergang nach vorne hatten sie Probleme und konnten nur gelegentlich zu guten Abschlüssen kommen, da sie sich wie erwähnt selten durch die offenen Räume kombinieren konnten. Von 15 Abschlüssen kamen nur fünf aus dem Aufbauspiel heraus zustande. Allerdings waren die Nürnberger hierbei nur marginal besser beziehungsweise über weite Strecken sogar klar schwächer.
Nürnbergs Aufbaumechanismen scheitern
Die Hausherren praktizierten einmal mehr ihre Spielweise mit asymmetrischer Viererkette im Spielaufbau. Dieses Mal war es allerdings nichts Rechtsverteidiger Angha, der tiefer blieb und die beiden Innenverteidiger im Aufbauspiel unterstützte, sondern sein Gegenüber Javier Pinola, der dieses Mal nicht als Innen-, sondern eben als Außenverteidiger spielte. Mit Pogatetz und Stark baute er in einer Dreierreihe das Spiel auf, Angha rückte extrem weit nach vorne und gab rechts die Breite, wodurch Hiroshi Kiyotake vom rechten Flügel weit in die Mitte einrücken konnte.
Auf dem linken Flügel spielte Marvin Plattenhardt in eigenem Ballbesitz wie ein Flügelläufer vor einer regulären Dreierkette, gab dem Spiel die Breite, rückte situativ nach vorne und kombinierte dort mit Campana und dem eben einrückenden Kiyotake. Ziel dieser Spielweise war das Überladen der linken Seite, wodurch ein enormer Linksfokus entstand. 50% der Angriffe gingen über den linken Flügel, wo man mit Kurzpassverlagerungen auf Kiyotake, dessen Dynamik, der lokalen Kompaktheit und Pässen in die Spitze auf den horizontal laufenden Drmic durchbrechen wollte.
Sehr oft wurde man aber auf der Seite isoliert und scheiterte an den Verlagerungen in die Spielfeldmitte. Darum gab es zahlreiche Flanken (17, eine mehr als Leverkusen, trotz schlechterem Spielermaterial dafür und weniger Ballbesitz), die aber weitgehend im Nichts mündeten. In der besten Phase der Nürnberger nach der Anfangsphase war es die mangelnde Kompaktheit der Leverkusener, gepaart mit einigen guten raumgreifenden Pässe und Drmics Klasse, welche ansatzweise für Gefahr sorgten.
Spätestens nach dem Seitenwechsel stand Bayer wieder geschlossener, organisierte sich nach der neuerlichen Führung direkt nach Wiederanpfiff auch etwas tiefer und spielte teilweise in einer Art 4-4-2-0 gegen den Ball. Nürnberg hatte nun mehr vom Ball, war aber trotz Dreierabsicherung anfällig bei Kontern, hatte zwischen Dreierkette und dem tiefen Sechser kaum Verbindung nach vorne und lebte in der Offensive von der Ballzirkulation. Nach der 70. Minute wurde ihnen diese ebenfalls genommen.
Lewandowskis Systemumstellung besiegelt das Spiel
Zumindest drei Schüsse hatten die Nürnberger von Minute 46 bis Minute 70; keine berauschende Anzahl, doch es wirkte so, als würden die Hausherren wieder etwas besser ins Spiel kommen und Leverkusen langsam den Zugriff verlieren. Die Einwechslung von Antonio-Mirko Colak für Kiyotake war wohl auch auf das bezogen, Colak rückte von rechts ebenfalls ein, orientierte sich aber stärker in die Spitze. Er sollte vermutlich für mehr Präsenz im Strafraum sorgen und Räume für Drmic öffnen. Wirklich zum Tragen kam dies nicht, denn nur zwei Minuten nach diesem Wechsel reagierte Sascha Lewandowski.
Für Brandt und Castro wechselte er Hilbert und Rolfes ein. Vom 4-2-3-1 wurde nun auf ein 4-1-4-1 umgestellt, in welchem Nürnbergs kollektive Ballzirkulation und Passverteilung aus dem Sechserraum stärker nach hinten und wieder extremer auf die Flügel gedrückt wurden. Dort konnte man sie dann mit dem Dreieck enorm gut isolieren, sicherte gleichzeitig den Zwischenlinienraum für mögliche diagonale Pässe nach vorne und nahm ihnen nun sämtliche Angriffsmöglichkeiten. Von Minute 70 bis zur Schlussminute kamen die Gastgeber auf keinen einzigen Abschluss, Leverkusen hingegen auf fünf, wovon zwei nach Kontern zu Toren verwertet wurden.
Fazit
Ein standesgemäßer Sieg für die Leverkusener, welche keine berauschende Leistung zeigten, aber letztlich das Spiel mit einer sehr starken Endphase souverän für sich entscheiden konnten. Auf die strategisch wichtigsten Räume erhielt Nürnberg nie Zugriff. Leverkusen hatte mit einzelnen guten Kontern, Angriffsspielzügen oder Sololäufen (Brandt, Can, Son) sehr gute Abschlüsse und war letztlich schlicht die bessere Mannschaft, von zwei taktisch guten, aber spielerisch nur passablen Teams.
4 Kommentare Alle anzeigen
Martin1 23. April 2014 um 10:20
So, der 1. FC Nürnberg hat sich von Verbeek getrennt. Ich hatte eigentlich den Eindruck, dass er vieles richtig gemacht hat, unter ihm hat der Glubb einige gute Spiele gezeigt (und sie dennoch verloren).
Ist hier denn die Taktik nicht aufgegangen? Oder waren die Spieler zu schlecht? Oder zu unmotiviert?
Und noch eine Grundsatzfrage: Wieviel hat Verbeek falsch gemacht?
blub 23. April 2014 um 11:37
Most stupid Idea ever.
chicago_bastard 23. April 2014 um 12:42
Die Trennung soll neben den schlechten Ergebnissen wohl auch zwischenmenschliche Gründe haben. Verbeek erinnert mich an van Gaal, fachlich ungemein kompetent, aber ein schwieriger Charakter. Medienberichten zufolge soll er mit seinem Umgangsstil weite Teile der Mannschaft gegen sich aufgebracht haben, so dass es wohl zwangsläufig so kommen musste. Das große Verletzungspech der Nürnberger tat dann sein Übriges.
Ich finde es schade, ich mochte Verbeeks Ansatz, das war mal was Anderes in der ansonsten fast nur von Kontermannschaften geprägten Bundesliga. Und ohne die vielen Verletzten hätte er wohl auch geklappt, der Einbruch der Nürnberger kam erst nach dem Bayernspiel, in dem sich mit Ginczek und Chandler ja zwei wichtige Spieler Verletzungen zugezogen hatten. Bis dahin lief es ja wirklich gut.
blub 21. April 2014 um 00:52
Wie hat sich die doppel sechs Bender/Can gemacht und wie war Castro auf der 10 angelegt, der kann ja beide flügel also auch 8er spielen, das sieht sehr cool aus .