Blick über den Tellerrand – Folge 16

Neben zwei Derbys, einmal aus Ostwestfalen und einmal aus Madrid, werfen wir diesmal noch einen Blick auf einen von Napolis Winterneuzugangängen.

Spiel der Woche: SC Paderborn – Arminia Bielefeld 4:0

Bereits in der vergangenen Ausgabe dieser Serie war die Bielefelder Arminia ein Thema – mit dem 2:2-Remis bei einem äußerst interessant zu beobachtenden Match gegen St. Pauli. Nun gastierten sie beim Lokalrivalen und mittlerweile Aufstiegskandidaten aus Paderborn. Diese Begegnung war von vielen, situativ wechselnden Mannorientierungen geprägt, in denen sich beide Teams ein bisschen zerrieben. Wenn es aus den jeweils recht klar definierten, aber nicht immer balanciert und ergiebig gestalteten Aufbausituationen weiter nach vorne ging, entwickelte sich gerade in der Anfangsphase ein zerfahrenes Match, das wenig Spielfluss aufkommen und sich phasenweise eher von den Diskussionen um die Schiedsrichter-Entscheidungen dominieren ließ.

blick über den tellerrand 16 scp-dscIm Gegensatz zur Vorwoche gegen St. Pauli agierten die Bielefelder diesmal – bis auf wenige situative Ausnahmen – mit beibehaltenden Mannorientierungen auf die hochschiebenden Außenverteidiger des Gegners. So hatte Paderborn in tiefen Zonen viel Kontrolle durch die auffächernden zentralen Defensivspieler, die außerdem vom zurückfallenden Ziegler, der gerne nach rechts herausging, und gelegentlich Vrancic unterstützt wurden. Abgesehen von kleineren Wacklern hatte Bielefeld mit den Mannorientierungen das weitere Vorgehen der Domstädter dann aber im Griff. Ausnahmen waren vor allem die Übergangssituationen, wenn die einrückenden Wemmer oder Meha gerade von den Außenverteidigern der Arminia an deren Mittelfeldakteure übergeben werden sollten, oder Szenen, in denen die Mannorientierungen generell geknackt wurden. So passierte es beim 1:0 mit der ersten Torchance des Spiels – mit etwas Glück kam Bakalorz durch einen Lauf nach rechts in den Freiraum durch, umspielte Feick und flankte auf den stark einlaufenden Wemmer.

Darüber hinaus fiel bei den Hausherren ein Fokus auf die linke Seite auf, wo beide Paderborner Achter tendenziell hinzogen und auch Hartherz mit einigen diagonalen Aktionen unterstützte, während Wemmer immer wieder gut balancierte. In den dortigen Bereichen konnten die Hausherren dann die eine oder andere unübersichtliche Situation provozieren und über diesen Wege einige Freistöße erzwingen. Das vorentscheidende zweite Tor von Meha entstand aus einer etwas chaotischen (Auslöser war ein etwas ungeschickt mannorientiert verfolgtes Herauskippen von Vrancic nach links), stark von den Mannorientierungen geprägten Situation, die sich entscheidend in diesen Zuordnungsbereichen der linken Seite abspielte. Auch beim ersten Treffer hatte sie sich zumindest indirekt bezahlt gemacht, da Wemmers Lauf in Kombination mit Meha am langen Pfosten nach Bakalorz´ Hereingabe viel Präsenz herstellen konnte.

Wie gewohnt wurden auf der anderen Seite die Bielefelder Aufbausituationen vom zurückfallenden Sechser Tom Schütz geprägt, der sich diesmal häufig zentral zwischen die breit auffächernden Innenverteidiger postierte, so dass Feick und vor allem Appiah auf den Seiten enorm weit aufrücken konnten. Allerdings führten die Arminen dieses taktische Mittel in diesem Match wohl etwas zu radikal aus und fanden zu selten die richtige Balance. Häufig kamen sie nur mit Mühe über die Flügel nach vorne, wo sich gerade die rechte Bahn aktiv hervortat, hatten insgesamt aber meistens nur schwierige, teilweise zu klassische und ungestaffelte Situationen. Zu diesem Hauptproblem kamen einige weitere kleinere Schwierigkeiten: Das Ausweichen von Mittelstürmer Klos war vielleicht ein wenig zu viel auf die ineffektive linke Seite gerichtet, wo Lorenz schwach blieb. Im rechten Halbraum initiierten Schönfeld und Ben Sahar wieder einige ordentliche kombinative Ansätze, doch Letzterer musste sich mit der häufigen Mannorientierung durch Ziegler herumschlagen, aus der er sich zwar lösen, dafür aber einige Male recht aufwändig weit ausweichen musste.

Nach der umstrittenen Roten Karte für erwähnten Schönfeld, der sich allerdings sehr ungeschickt anstellte und in jener Situation einfach hätte zurückhalten müssen, deutete sich bereits an, dass die Arminia dann spielerisch zu geschwächt sein würde, um noch einmal groß nach vorne gefährlich werden zu können. Die Offensivpräsenz litt merklich, es gab weniger Verbindungspunkte in den vorderen Bereichen, kniffelige Engen wurden kaum noch aufgelöst und das frühe 2:0 tat sein Übriges zur Vorentscheidung. Anschließend bemühte sich Arminia um Schadensbegrenzung, Stefan Krämer überzeugte bei seiner Personalwahl nicht unbedingt und Paderborn schraubte das Ergebnis – durch einen umstrittenen direkten Freistoß sowie einen unwahrscheinlichen Distanzschuss des sich aber gut vorbewegenden Strohdiek – in nicht mehr angebrachte Höhen.

Interessant zu beobachten: Getafes Defensive gegen Real Madrid

Wieder einmal stand das kleine Madrid-Derby an – gerade vor heimischem Publikum hatte Getafe unter Trainer Luis García das weiße Ballett der Königlichen in der jüngeren Vergangenheit einige Male vor Probleme gestellt. Diesmal gelang Ähnliches bei einer 0:3- Niederlage nur in Ansätzen, wenngleich der Underdog vor der Halbzeit bis auf die beiden Gegentreffer eigentlich kaum etwas zuließ. Die in ihrem mittlerweile üblichen 4-3-3/4-1-4-1 antretenden Gästen waren für Getafe natürlich ein individuell starker, taktisch passender eingestellter und dabei von einigen Besonderheiten geprägter Gegner.

In den tiefen Zonen des Madrider Spiels ging vieles über den zuletzt stark aufspielenden Luka Modric, der häufig hinter Arbeloa herauskippte und von dort die Angriffsbemühungen des Teams einleitete. Über den nach links weichenden Benzema und den auf der Seite oder dem Halbraum unterstützenden Ángel di María als offensiverem Achter entstand in den höheren Bereichen dann aber eine gewisse Dominanz der anderen Flanke, was von Marcelos bekannter Spielweise mit einigen spielstarken Aktionen ergänzt wurde. Auch Gareth Bales Drang an die letzte Linie und das resultierende Verwaisen der rechten Bahn förderten diesen Zustand. Einige Male gelang es den Madrilenen durch diese Linkskonzentration gut, ihr Gegenpressing zu intensivieren und dabei den Stadtrivalen von dessen eigentlich umschaltstarker rechter Seite wegzulenken. Im Laufe des Spiels wurde jene Konzentration dann ein wenig aufgebrochen, indem man Bale – unter anderem durch lange Diagonalbälle und konstantere Unterstützung, wobei auch Modric im offensiven rechten Halbraum verstärkt aktiv wurde – in dessen Position verstärkt fokussierte, doch war dies für die Anfangsphase noch nicht so entscheidend.

Gegen diese Grundausrichtung der in weiß gekleideten Gäste ging Getafe mit einer 4-4-1-1-haften und soliden Verteidigungsarbeit vor, die sich aber immer wieder anpassungsfähig zeigte, indem sie mit einzelnen Mannorientierungen und gelegentlichen 4-5-1- oder 5-4-1-Formationen kombiniert wurde. In dieser Grundstellung verteidigten sie meistens auch gegen das Herauskippen von Modric, mit dem sich entweder der mannorientiert verfolgende Zehner oder – dann etwas passiver – Gavilán befassten. So konnte Arbeloa in einigen Fällen von Vigaray übernommen werden und Bale befand sich in der Kompaktheit der diagonal in Richtung 4-3-3 verschobenen Formation, die zwei zueinander parallele „Wände“ bildete.

blick über den tellerrand 16 getafe-rma1

Szene 1

blick über den tellerrand 16 getafe-rma2

Szene 2: Hier eine flache 4-1-4-1-hafte Stellung mit breiter Abwehrkette und Mannorientierungen auf die beiden Madrilener Achter. Die hintere Reihe mit dem tief zurückgefallenen Xabi Alonso bekommt Zeit am Ball.

blick über den tellerrand 16 getafe-rma3

Szene 3: In der Tiefe ein flaches 4-5-1 gegen dien angedeuteten Linksfokus der Madrilenen (mit di María, Jesé und Benzema)

blick über den tellerrand 16 getafe-rma4

Szene 4: Im Gegensatz zur ersten Szene wird Arbeloa hier nicht nach hinten übergeben, sondern von Gavilán tiefer verfolgt, was eine verschobene Mittelfeldreihe ergibt. Die zurückfallenden Modric und Xabi Alonso werden klar mannorientiert verfolgt. Die verbliebene Mittelfeldreihe passt sich an und besetzt nur die nötigen Bereiche, lässt ungefährliche Stellen auch verwaisen.

So brachten die Hausherren im Coliseum Alfonso Pérez eine überzeugende Leistung in diesem Derby auf den Platz und ließen vor der Halbzeit überhaupt nur fünf gegnerische Abschlussversuche zu. Problematisch an ihrer soliden und anpassungsfähigen Defensive war allein, dass sie in ihren Umformungen und Stellungen gelegentlich immer mal wieder ein wenig zu flach wurden, was einige Zwischenräume öffnete. Die mit viel tiefer Präsenz – über die beiden häufig zurückfallenden Modric und Xabi Alonso – agierenden Gäste wussten dies nur teilweise auszunutzen, weil vorne der Zehnerraum nicht immer balanciert genug oder phasenweise überhaupt zu wenig besetzt wurde. Oftmals zogen die Akteure erst recht spät dort hinein, bewegten sich dann in diesem Eindringen etwas zu ruckhaft und fokussierten sich stark auf die letzte Linie.

Dennoch wurden diese kleineren defensiven Staffelungsprobleme und daraus resultierenden Unkompaktheiten der Heimmannschaft bestraft. Es war nach einer etwas glücklichen Ballrückeroberung – wenngleich auch kein echtes Gegenpressing, da die Spieler Getafes sich gegenseitig anschossen und der Abpraller beim Gegner landete, aber eben von der Spiellogik vergleichbar – durch Bale, der in dieser dynamischen Umschaltlücke freikam und den Ball nach links herüber legen konnte. Dort zeigte Jesé dann, wieso RM seinen besonderen Abschluss feiert, und traf zum frühen 0:1. Dies war der erste Abschluss von Ancelottis Mannen überhaupt gewesen – und bis Benzema über 20 Minuten später dann nachlegte, sollte auch nur ein weiterer folgen.

Abschließend noch eine kleine Erwähnung zum Aufbauspiel der Hausherren, das über die beiden Sechser Juan Rodríguez und Borja durchaus ansehnlich aufgezogen wurde. Darüber hinaus schoben die Außenverteidiger konsequent nach vorne – Vigaray auf links war etwas mehr eingebunden, hatte einige interessante diagonale Ansätze, agierte aber auch ein wenig wirr, während Juan Valera auf rechts sehr weit aufrückte. So drückte er Jesé einige Male weit zurück und öffnete im Halbraum Freiheiten für den Akteur vor ihm, der weit einrücken durfte. Neben Pedro León war auch Diego Castro hier einige Male zu finden und kam dann durch gute Positionierungen im Raum hinter di María geschickt frei, wurde mannschaftlich aber etwas zu wenig in diesen Situationen unterstützt.

Eingesetzt wurde er dabei vom insgesamt überzeugenden Nachwuchsmann Lisandro López als halbrechtem Innenverteidiger, wenngleich der Argentinier noch etwas raumnutzender hätte agieren können. Ähnliches galt phasenweise auch für die beiden Sechser, die sich ansonsten aber gut bewegten und auch im Ballbesitzspiel weitgehend zu überzeugen wussten. Zudem muss man sagen, dass sie es gegen di Marías gelegentliche Herausrückbewegungen immer wieder schwer hatten, weil Modric darauf gut reagierte und die offenen Räume im Zentrum nur ziemlich unangenehm zugänglich waren, gerade wenn – wie so häufig – von halbrechts aus eröffnet wurde.

Spieler der Woche: Jorginho Frello

Nach einem beeindruckenden ersten Halbjahr beim italienischen Überraschungsaufsteiger Hellas Verona hat deren Mittelfeldstar Jorginho – ein gebürtiger Brasilianer, der aber in Italien aufwuchs – den nächsten Schritt gewagt und wechselte zum Tabellendritten, dem von Rafael Benítez trainierten Napoli. Dort duelliert er sich mit den drei Schweizer Nationalspielern Inler, Behrami und Dzemaili um die Plätze auf der Doppelsechs, kam bisher häufig zum Einsatz und überzeugte gerade in den Partien gegen Milan und die Roma – auch mit wirklich entscheidenden, konkreten Aktionen, die viel thematisiert wurden.

Bei Jorginho handelt es sich um einen etwas ungewöhnlichen Spielmacher im zentralen Mittelfeld, den man nicht ganz so einfach in die üblich gerne genutzten Kategorien für diese Feldbereiche einordnen kann. Manche sehen ihn als neuen Andrea Pirlo, doch zeigt er nicht die Aura und die Rhythmuskünste des Juventus-Regisseurs. Andere loben ihn für seine vorstoßenden Aktionen, seine Torgefährlichkeit oder seine Vorlagen, aber zeigt er diese Dinge in einer sehr sachlichen, soliden, unaufgeregten Art und Weise, die nicht zu den gerne gerühmten „box-to-box“-Achtern passt. Jorginhos Aktionen sind intelligent und mannschaftlich gut eingebettet, aber gedämpft sowie pragmatisch ausgeführt. Bei einleitenden Bällen fehlt es ihm gelegentlich etwas an Eindringlichkeit, doch er kann raumerschließende Flachpässe sehr druckvoll anbringen.

Gewisse Ähnlichkeiten weist er vielleicht – und insbesondere in seinen teilweise etwas ungelenk koordinierten Bewegungsabläufen – gar zu einer etwas abgeschwächten Version von Sergio Busquets auf, die stärker als antreibender Motor seines Teams zu agieren versucht. Manchmal ist er dabei sehr zu auf das Spielmachen fokussiert und übertreibt diese Aufgabe dann, was sich in einem seltsamen Fokus auf den letzten entscheidenden Pass äußert, doch kommen diese Phasen eher selten vor. Dass er in Sachen Rhythmusvorgabe und Tempodirigieren trotz einiger guter Ansätze noch wechselhaft agiert und phasenweise etwas unsicher wirkt, stellt sich ebenfalls als gewisse Parallele zum Barca-Sechser dar, der in seiner wichtigsten Funktion eben nicht für den Rhythmus sorgte, sondern ihn als takthaltende Anspiel- und Umschlagstation sicherte, verantwortete und weitergab.

Im Gegensatz zu diesen kleineren Problemen punktet Jorginho dann vor allem mit seinem starken Gespür für Räume und die damit zusammenhängenden Strukturen, was sich immer wieder in einer seiner Spezialdisziplinen äußert – dem Passspiel in die ballfernen Halbräume hinein, die er häufig sehr überzeugend und intelligent bedient. Insgesamt zeichnet sich Jorginho durch die grundlegende und konkrete Effektivität aus, die er häufig in seinem gesamten Tun ausstrahlen kann – er sucht seine Aktionen in erster Linie wirkungsvoll zu gestalten. So ist er in seiner ganzen Spielweise immer wieder extrem viel am Ball, ohne dabei direkt wirklich dominant zu sein – es ist eher eine unterschwellige und indirekte, aber doch irgendwie recht auffällige Präsenz, die ihn charakteristisch auszeichnet. Ein bisschen wirkt es so, als sei Jorginho ein unbesungener Star, der aber gar nicht so unbesungen ist. Mit diesen Eigenschaften und seinem vielseitigen, nicht eindeutig bestimmbaren Spielertyp passt der Neuzugang sehr gut in die Reihe von Napolis bisherigen Allrounder-Sechser/Achtern, hebt sich im Detail aber in seiner stärker spielmachenden Art ab.

Vielen Dank an laola1.tv für das Bildmaterial zum kleinen Madrid-Derby!

ernesto happel 4. März 2014 um 14:52

Ein Blick auf den FC Salzburg lohnt sich – für den besten deutschsprachigen Taktikblog ist er beinahe schon Plicht.

Antworten

TR 4. März 2014 um 18:02

Unser Österreich- und Happel-Experte ist bereits intensiv dabei, einen Artikel zu planen, wie beinahe schon bekannt ist. Es geht aktuell nun vor allem nur noch um die Form und die genaue Anlage des Artikels. 😉

Antworten

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*