Tottenham Hotspur – Inter 3:0

Die Tottenham Spurs empfingen Inter Mailand im nominellen Spitzenspiel dieses EL-Spieltags. Dabei waren nicht nur einige namhafte Spieler dabei, sondern auch zwei hochinteressante Trainertalente. Sowohl Inter-Coach Andrea Stramaccioni als auch Spurs-Trainer André Villas-Boas wurden bereits mit José Mourinho verglichen. Welcher der beiden würde in dieser Partie seinen Vorschusslorbeeren gerecht werden?

Inters Aufstellung

Die Italiener begannen das Spiel nicht in einer Dreierkette, sondern in einem 4-2-3-1. Defensiv zeigten sie in den Anfangsminuten einen Wechsel zwischen 4-2-3-1 und 4-1-4-1, doch spätestens nach dem Rückstand war es ein 4-4-1-1, in welchem Riesentalent Mateo Kovacic zwischen Sturm und Mittelfeld pendelte. Vorne unterstützte er Antonio Cassano im Pressing, nach dem Überspielen dieser Pressinglinie zog er sich zurück und ließ sich manchmal sogar zu den Mittelfeldspielern fallen.

Grundformationen zu Beginn

Grundformationen zu Beginn

Anfänglich wirkte Inters Defensivspielweise durchaus interessant. Stramaccioni hatte seine Außenverteidiger zu hohen Mannorientierungen auf die gegnerischen Außenstürmer angewiesen und mit Walter Gargano neben Esteban Cambiasso gab es eine defensiv besetzte Doppelsechs. Die Spieler bewegten sich auch viel aus ihren Positionen heraus, gingen immer wieder mit schnellen Sprints in Pressingaktionen, erhielten aber nur wenig Zugriff.

Einerseits standen sie wohl etwas zu tief und konnten Tottenhams Aufbauspiel nicht wirklich stören. Die Londoner konnten ihn gezielt in strategisch günstige Positionen spielen, wo sie allerdings in der Enge standen. Hier agierte aber Inter etwas zu passiv und das anfänglich öftere Herausrücken wurde nicht mit einem dazu passenden Deckungsschattenspiel praktiziert. Dadurch konnte Tottenham die sich öffnenden Räume hinter herausrückenden Spielern bespielen oder den Ball auch gegen mehrere Gegner behaupten.

Dazu muss man allerdings auch das schnelle und meist präzise Passspiel Tottenhams loben, was mit der gegnerischen Passivität Hand in Hand ging und für die Dominanz der Heimmannschaft sorgte. Ein weiterer Faktor, der insbesondere Inters Mannorientierungen neutralisierte, waren die Bewegungen der Tottenham-Spieler.

Tottenhams strukturierte Fluidität

Bei den Hausherren überzeugten die aufeinander abgestimmten Bewegungen in der Offensive besonders. Gareth Bale als hängender Stürmer agierte sehr beweglich und vertikal, half manchmal im Aufbauspiel als pressingresistente Anspielstation oder gar als Nadelspieler in den Halbräumen mit. Im weiteren Angriffsverlauf nutzte er dann seine Schnelligkeit, um aus der Tiefe nach vorne zu stoßen und Räume zu infiltrieren.

Auch Sturmpartner Jermaine Defoe zeigte sich in dieser Beziehung sehr stark. Defoe spielte ähnlich beweglich, aber viel ausweichender und horizontaler. Immer wieder erhielt er den Ball auf der Seite oder kam kurz als Prellbock in den Zwischenlinienraum. Seine größte Stärke war aber das konstante Raumöffnen für seine Mitspieler; folgte Inter ihm, dann öffneten sie Schnittstellen, blieben sie stehen, war Defoe anspielbereit – auch wenn er ihn dann nicht immer ordentlich zurückspielte oder effektiv verwertete, sondern oft mit Ball am Fuß an seiner eigenen Entscheidungsfindung scheiterte.

Diese interessanten Positionsspielchen gingen auch auf den Seiten und im zentralen Mittelfeld weiter. Scott Parker und Moussa Dembele sicherten einander gut ab, stießen manchmal interessant nach vorne und in der Anfangsphase öffneten sie gar Räume für den zurückfallenden Bale. Die Aufteilung in einen horizontalen und vertikalen Sechser in der Offensive war gut ersichtlich und absolut stimmig. Zwar mag es überraschen, dass es oftmals Dembele war, der tiefer blieb, doch dessen defensive Spielintelligenz wusste zu gefallen und vermutlich wurde er deswegen als absichernder Part dem rustikaleren Parker vorgezogen.

Zu guter Letzt gab es auf den Flügeln ebenfalls eine gewisse positionelle Freiheit, Aaron Lennon und Gylfi Sigurdsson tauschten manchmal die Seiten oder zogen einfach frei in die Halbräume. Dies erzeugte Synergien mit den offensivstarken Außenverteidigern, die nicht ununterbrochen aufrückten, aber situativ die Breite gaben. Dank dieser guten Abstimmung zwischen einrückenden oder positionstauschenden Flügelstürmern und gut getimten Hinterlaufen der Außenverteidiger stand Tottenham offensiv sowie in der defensiven Transition stabil, nur selten gab es Angriffsmöglichkeiten für Inter nach Ballgewinnen.

Die meisten Offensivaktionen Inters entstanden nach langen Bällen oder Pässen hinter die hohe Abwehr Tottenhams; es waren aber nicht allzu viele solcher tödlichen Pässe möglich, denn die Mannschaft Villas-Boas‘ bewegte sich im Pressing gut.

Tottenhams Pressing

Der Gastgeber spielte im Pressing zumeist ein 4-4-2, wobei sich gelegentlich einer der Außenspieler höher positionierte. Mit den zwei Stürmern wurden die Passwege der Innenverteidiger in die Mitte versperrt. Die Außenstürmer pressten dann die gegnerischen Außenverteidiger, positionierten sich dabei allerdings nicht immer hoch, sondern ließen ihnen Raum. Ursache dafür war ein interessanter Schachzug Villas-Boas‘.

Tottenhams Keilpressing

Tottenhams Keilpressing

Die Mittelfeldkette bei Tottenham agierte horizontal kompakter, als die Abwehr. Die Verteidiger übernahmen manchmal situative Manndeckungen und öffneten die Schnittstellen, welche aber wegen der engen Mittelfeldreihe nicht bespielt werden konnten. Zusätzlich wurde das Aufbauspiel Inters wie schon erwähnt auf die Seiten geleitet. Dort konnten deren Außenspieler zwar ein paar Meter aufrücken, wurden aber dann von der verschiebenden engen Mittelfeldkette von der Mitte isoliert. Nur 24% der Angriffe Inters gingen durch die Mitte.

Es gab kaum Pässe auf den kreativen Kovacic, während Cassano gegen William Gallas und Jan Vertonghen kaum einen Stich sah. Wegen des Mangels einer hohen kreativen Anspielstation oder einer kopfballstarken Option für Flanken waren potenzielle Überladungen auf der Seite durch Pereira/Jesus oder Alverez/Zanetti kaum möglich.

Das Keilpressing der Spurs funktionierte also sehr gut und war in der Theorie eine starke Idee ihres Trainers. Gleichzeitig wurden auch die individualtaktischen Veränderungen der Spieler unter Villas-Boas sichtbar. Sie antizipierten viel und richtig, konnten einige Pässe abfangen oder leiteten dank ihres richtigen Anlaufens die gegnerischen Pässe in ungefährlichere Zonen. Wenn es möglich war, schlossen sie dadurch auch die wenigen Anspielstationen zu und konnten Bälle erobern, ohne viel Druck entfachen zu müssen.

Anpassungen im Spiel

Ein so taktisch fokussierter Trainer wie Stramaccioni blieb natürlich nicht ohne Veränderung in dieser Partie. Ein Aspekt war natürlich das Pressing, welches in seiner Form immer minimal angepasst wurde. Von 4-1-4-1 zu 4-2-3-1/4-4-1-1 gab es auch eine sehr kurze Phase in einem 4-3-2-1/4-1-4-1, allerdings ohne wirkliche Veränderung. Die auffälligsten Veränderungen Inters gab es somit bei den Spielerwechseln.

Zur Halbzeit wurde Juan Jesus ausgewechselt. Der gelernte Innenverteidiger hatte auf links Vordermann Joao Pereira kaum in der Offensive unterstützen können und kam folgerichtig heraus. Statt ihm sollte Rodrigo Palacio als linker Flügelstürmer für Gefahr sorgen, Pereira kam als offensiverer Spieler auf die Position des linken Außenverteidigers.

Als nächstes wurde die strategische Ausrichtung im zentraloffensiven Mittelfeld verändert. Fredy Guarin für Mateo Kovacic bedeutete mehr Dynamik, mehr Vertikalität und eine höhere Athletik. Mit fortschreitender Spieldauer wurde auch Cambiasso höher und vertikaler, Guarin unterstützte Cassano vorne und in der letzten halben Stunde wurde Zanetti als Flügelstürmer aufgeboten; Jonathan kam für Álvarez als Außenverteidiger.

Letztlich waren die Wechsel aber weder spielentscheidend noch sorgten sie für eine wirkliche Verbesserung. Die Spurs zogen sich bewusst etwas tiefer, wollten kontern und spielten die Partie relativ souverän herunter. Ihre Wechsel waren zumeist positionsgetreu und sollten lediglich mehr defensive Stabilität bringen.

Fazit

Es war eine sehr starke erste Halbzeit der Engländer, die sie mit zehn Abschlüssen (davon neun aufs Tor) beendeten. Torhüter Brad Friedel musste in diesen 45 Minuten nicht ein einziges Mal eingreifen. Nach der Halbzeit stellte man sich tiefer, die schwachen Gäste aus Mailand wurden zumindest etwas aggressiver und mutiger, konnten Tottenham aber nur selten vor Probleme stellen. In dieser Form gehört Tottenham sicherlich zu den Favoriten auf den Sieg in der Europa League und die Handschrift ihres Trainers ist bereits erkennbar. Ganz im Gegenteil zu Inter und Stramaccioni, die teilweise lustlos und nicht spritzig wirkten.

sera1 8. März 2013 um 21:31

Endlich etwas mehr zu den Spurs!
Artikel von gewohnt guter Qualität, da brauch man nicht mehr viel sagen.

Ich finde die Entwicklung der einzelnen Spieler unter AVB so unfassbar stark.
Vor allem Dembele und Lennon profitieren da sehr von seinen Feinjustierungen.

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sera1 8. März 2013 um 21:32

Vom stark verbesserten Pressing des gesamten Teams natürlich ganz zu schweigen. 😉

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Leonidas 8. März 2013 um 19:31

Schöne Analyse! Ich dachte PL Teams würden alle nur Kick & Rush spielen und wären taktisch völlig veraltet und sowieso am Ende. Naja, wohl doch nicht. Wie schön.

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yb 8. März 2013 um 18:45

Super Artikel, aber kleine Korrektur: nicht Joao, sondern Alvaro Pereira spielt bei Inter.

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Magic Hand 8. März 2013 um 15:07

Hab das Spiel leider nicht sehen können, aber wenn ich mir die Zusammenfassung durchlese, frage ich mich schon, warum sich nicht einer der Secher in die Abwehr (zwischen die IV oder zwischen IV und AV) hat fallen lassen? Wäre doch eigentlich das naheliegenste gewesen?

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Alexander 8. März 2013 um 14:56

mich würd noch was zum tottenhamer keilpressing interessiern:

wie hat es dann ausgeschaut wenn der ball zum AV gespielt wurde (in der Grafik auf Zanetti)….. rückte sigurdson auf zanetti drauf und stellt defoe die 6er zu um einen Rückpass zu erzwingen?

super Analyse!

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CF 8. März 2013 um 14:48

Holtby wurde für den inversen linken Mittelfeldspieler gekauft,
ähnlich wie Sigurdsson von den Anlagen.

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seils 8. März 2013 um 15:13

„‚He will fill the No10 position, although he can play right or left, which he did for Mainz at the beginning of his career,‘ Villas-Boas said. ‚We have the expectation because of his creativity and we can compare him to Rafa [van der Vaart] to a certain extent because he was a full international coming from a big club.'“
(http://www.guardian.co.uk/football/blog/2013/jan/29/lewis-holtby-tottenham-hotspur)

Links hat doch auch in dieser Saison hauptsächlich Bale gespielt, manchmal auch Dempsey. Halte die zentrale Rolle für Holtby auch für sehr viel geeigneter.

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fluxkompensator 8. März 2013 um 11:58

gegenpressing einer englischen mannschaft? na, wenn das keine besondere erwähnung wert ist! mir gefiel auch parker enorm gut: sehr präsent im spielaufbau, kombinationsstark und beweglich.

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blub 8. März 2013 um 01:41

Der arme lewis holtby. Kaum ist er da, schon spielt Bale in der mitte. -.-

Aber interessante Analyse.

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seils 8. März 2013 um 00:37

„Zwar mag es überraschen, dass es oftmals Dembele war, der tiefer blieb, doch dessen defensive Spielintelligenz wusste zu gefallen und vermutlich wurde er deswegen als absichernder Part dem rustikaleren Parker vorgezogen“

Seit Sandro draußen ist, kann Dembele leider nicht mehr box to box agieren; auch wenn er defensiv sehr aufmerksam und daher auch die konservativere Rolle gut spielen kann, gefällt er mir als Dynamiker doch besser.

„Seine größte Stärke war aber das konstante Raumöffnen für seine Mitspieler; folgte Inter ihm, dann öffneten sie Schnittstellen, blieben sie stehen, war Defoe anspielbereit – auch wenn er ihn dann nicht immer ordentlich zurückspielte oder effektiv verwertete, sondern oft mit Ball am Fuß an seiner eigenen Entscheidungsfindung scheiterte.“

Fand Defoe (Passquote 53%) eigentlich eher schwach; sehr agil zwar, aber das ist ja systembedingt: Bei der Vertikalität der Dreier-Reihe hinter ihm (insbesondere natürlich Bale) muss er immer wieder ausweichen und schafft dann zwangsläufig Raum für andere. Das kriegt selbst der mittlerweile arg pomadige Adebayor noch gut hin (siehe das Arsenal-Spiel kürzlich). Negativ ist aber doch sehr ins Gewicht gefallen, wie er durch seine Unschlüssigkeit Situationen hin und wieder hat schrumpfen lassen.
Sehr gut fand ich hingegen (wieder mal) Lennon. Der ist immer sehr intelligent gelaufen.

Insgesamt bin ich auch noch nicht von Bales zentraler Rolle überzeugt. Seine überragenden Stärken (Antritt, Geschwinigkeit und die linke Klebe) kommen zwangsläufig auf Außenpositionen besser zur Geltung. Auch Adriano (der Stürmer) und Robben (in seiner Bundesliga-Premierensaison) hatten eine Saison immer wieder mit der selben Masche (in Bales Falle das Freiraum-Anlaufen) Erfolg (auch die beiden waren schnelle und dynamische Spieler); irgendwann stellt man sich darauf ein. Und je dichter der Raum, desto marginaler wirken sich die Geschwindigkeitsvorteile aus. Ich hoffe mal, dass die Verpflichtung von Holtby ein Vorgriff auf eine solche Entwicklung ist.

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1328 7. März 2013 um 23:45

Danke für die schnelle, präzise Analyse. Solang brauchen andere, um das Spiel zu paraphrasieren.
Schaue selten genug PL, dass mich Tottenham unter AVB noch wirklich postiv überraschen kann. Unglaublich gut abgestimmtes Offensivspiel und tolle Balleroberung. In dieser Form und mit diesem Einsatz (im Vergleich zum Vorjahr mit dem klaren Fokus von Redknapp auf die CL-Quali interessiert sich AVB offenbar für die 2. Europäische Liga) tatsächlich Titelfavorit. Würden aber auch im CL-Viertelfinale keinen negativen Ausreißer darstellen.

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seils 8. März 2013 um 00:41

„tatsächlich Titelfavorit“

Ja. Allerdings muss man auch zugeben, dass das Achtel in diesem Jahr rein nominell nicht so arg viel hergibt. (Umso bitterer, dass Leverkusen nicht weiterkam).

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SBeier86 7. März 2013 um 23:38

Schöne knappe, aber alles Wichtige beschreibende Analyse!
In der ersten halben Stunde war Tottenham technisch überragend und teilweise mit 3 Leuten im Gegenpressing unterwegs. Scheinbar haben sie einen neuen Lieblingsgegner gefunden. Defoe hat mir heute sehr gut gefallen, das kam in Deiner Analyse passend hervor. Und Verthongen wird sich in den kommenden Jahren zu einem der weltbesten Verteidiger entwickeln. Extrem ruhig und abgeklärt.

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Enbe 7. März 2013 um 23:33

Klasse. Hab’s gesehen und war beeindruckt! Fand Dembele und – überraschender weise, da ich nie Fan war – Parker bockstark. Vor allem defensiv.

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