SV Werder Bremen – Bayer 04 Leverkusen 1:4
Das Spiel der interessanten Mittelfeldbesetzungen endete mit einem etwas überraschenden Ergebnis.
Werder Bremens Defensivspielweise
Thomas Schaaf ließ sich etwas Besonderes einfallen und attackierte in diesem Fall eher das Offensivspiel der Leverkusener, als ihre herausragende Halbraumverteidigung. Dabei formierten sich die Bremer einmal mehr in ihrer 4-1-4-1-Formation, die passend zur Leverkusener Spielweise adjustiert wurde.
Auf den Flügeln orientierten sich die Außenstürmer sehr mannorientiert und ließen sich weit nach hinten fallen, wenn sie den Ball nicht hatten. Dadurch konnte Leverkusen die hohen und breiten Außenverteidiger nicht ideal nutzen, sondern musste stärker über die Mitte kommen. Auch dafür hatte sich Werder etwas überlegt. Nils Petersen an vorderster Front isolierte entweder die Innenverteidiger voneinander, wenn sie sehr tief standen oder positionierte sich kompakt vor dem Mittelfeld.
Dadurch entstand eine Art Raute, in der Petersen vor den zwei Halbspielern Aaron Hunt und Kevin de Bruyne spielte, während dieses Dreieck von Zlatko Junuzovic auf der Sechs abgesichert wurde. Bremen konzentrierte sich auf ein präzises Verschieben und konnte mit den zwei Halbspielern die generischen Halbspieler bei der Ballannahme sofort unter Druck setzten sowie sehr lose Mannorientierungen aufrechterhalten.
Gleichzeitig hatten sie mit Junuzovic einen freien Mann dahinter, der sich gelegentlich vertikal bewegte und den tiefsten Sechser des Gegners übernahm, welcher aber im Normalfall von Petersen in dessen Deckungsschatten genommen wurde. Somit konnte Junuzovic absichernd agieren, obwohl es im Mittelfeld selten freie Gegenspieler gab. Die Viererkette dahinter organisierte sich eng und kümmerte sich im Verbund um die drei Stürmer von Leverkusen, wobei der freie Innenverteidiger bei Bedarf aufrückte und situativ den Raum zwischen den Linien füllte.
Bremen in der Offensive
In der Offensive wollte Schaaf sich ebenfalls nicht lumpen lassen und instruierte seine Doppelacht zu Schlüsselaufgaben im Spiel nach vorne. Bremen griff vorwiegend über die Außen an und die Achter, insbesondere de Bruyne, sollten sich verstärkt auf den Seiten und den Halbräumen bewegen, um die Lücken in der Leverkusener Formation bespielen zu können.
Bereits die Hoffenheimer versuchten diese Lücken schnell zu bespielen und dann diagonal nach innen zu ziehen oder über die Seiten mit Flanken zu kommen. Ein ähnliches Konzept hatte sich auch Schaaf überlegt, obwohl er nicht über die Dribbelstärke seiner Akteure, sondern das Kombinationsspiel kommen wollte.
Dafür waren de Bruyne und Hunt die richtigen Spieler, denn sie sind nicht nur technisch stark und pressingresistent, sondern überzeugen durch ihre ungeheure Laufarbeit. In beiden Mannschaften waren die drei zentralen Mittelfeldspieler die jeweiligen laufstärksten Spieler. Außerdem hatte Schaaf mit Niclas Füllkrug und Eljero Elia sowie zwei vom Potenzial her offensivstarken Außenverteidigern die passende Besetzung auf den Seiten, um situativ durch das Kombinationsspiel oder mit Flanken zu kommen. Desweiteren ging Petersen ebenfalls gelegentlich auf die Seiten und bewegte sich viel, womit er Räume in der Mitte sowie eine zusätzliche Anspielstation auf den Außen in größerer Höhe geben wollte.
Dennoch schienen die Bremer, insbesondere in der Anfangsphase, nur begrenzt gefährlich zu sein, was in gewisser Weise auch in der Leverkusener Spielanlage begründet liegt.
Leverkusen und das Zulassen von qualitativen Chancen
Bremen hatte in der ersten Hälfte mehr als doppelt so viele Abschlüsse in der ersten Hälfte, als die Leverkusener, lagen aber dennoch hinten. Es ist einer der wiederkehrenden Aspekte in diesem Leverkusener Spiel, dass die Gegner zumeist mehr Abschlüsse, aber deutlich weniger aufs Tor haben.
Dies liegt auch in der Taktik begründet. Erstens ist das Bespielen von Lücken enorm schwierig, da diese zwar offen sind, aber enorm schnell geschlossen werden. Junuzovic und Hunt hatten über längere Phasen die meisten Fehlpässe im Spiel der Bremer, weil sie hauptverantwortlich für das Einleiten von Angriffen und den Übergang ins letzte Spielfelddrittel waren.
Desweiteren schlossen die Bremer oftmals ihre Angriffe sehr früh ab. Dies ist auch eine der zwei großen Ursachen der hohen Zahl der ineffektiven Abschlüsse. Kommt man diagonal zwischen die Formation hinein, zieht sich die Leverkusener Formation in der Vertikale zusammen, verdichtet den Raum.
Einen Pass nach hinten oder zurück auf die Seite kann man wegen des Sichtfelds fast nicht spielen, gleichzeitig ist der Raum innerhalb der Formation deutlich geringer und Angriffe können nicht sicher zu Ende gespielt werden, wodurch naturgemäß viele frühe Abschlüsse geschehen.
Die zweite große Ursache ist, dass man ansonsten über die Flanken spielen muss, die zwar bei konstanter Praktizierung effektiv, aber nicht effizient sind. Schaffen die Leverkusener hier eine gute Organisation m Strafraum bei gleichzeitiger Bedrängung der Außen aufrechtzuerhalten, sind Tore über Flanken relativ schwierig – bei Ballverluste kann dann Leverkusen schnell kontern und die wegen Pärchenbildung und Überladungsbewegungen offenen Räume bespielen.
Darum ist es gegen die Leverkusener überaus schwierig zu spielen: die Mitte kann man kaum nutzen, weil sie von drei Sechsern versperrt wird, öfters steht Leverkusen auch in einem 4-3-3 (statt 4-5-1, 4-3-2-1 oder einer asymmetrischen Formation) mit engem Sturm da, welches das Aufbauspiel des Gegners ohnehin auf die Seite drückt. Dann muss man über die Außen kommen, wohin das Kollektiv von Bayer aggressiv und gut verschiebt und „lediglich“ Flanken zulässt. Diese führen zwar früher oder später zum Erfolg, doch zumeist ist es „zu spät“, um noch Erfolg zu haben. Beim zweiten Treffer hatte Leverkusen beispielsweise weniger Abschlussversuche, als Bremen an Halbfeldflanken. Bremen hatte sogar doppelt so viele Abschlüsse (12:6), aber Leverkusen hatte dennoch einen Schuss auf das Tor vom Strafraum aus mehr.
Bremen lebt auf
Zu Beginn war es Leverkusen, die optisch – trotz des „Chancen“plus für Bremen – überlegen schienen. Sie holten sich früh die Bälle, konnten den Ball zirkulieren lassen und nutzten die aggressive und vertikale Bremer Ausrichtung für präzise Vorstöße der Sechser und freie Bewegungen der Stürmer. Auch Kießling bewegte sich viel auf die Seiten und man wollte damit den guten Matchplan der Bremer lahmlegen.
Nach dem Tor änderte sich wenig: Leverkusen hatte nun wieder weniger vom Ball, konnte aber wie davor ihr Spiel aufziehen und die Pressingformation und –höhe immer wieder variieren. Zumindest in diesem Aspekt ist Bayer Leverkusen wie ein bekanntes Haargel aus der Werbung: Samstag, 15:30, Ballbesitz? Mittwoch, 20:00, Schlagabtausch? Sonntag, 17:30, Kontern? Das System hält.
Dennoch muss auch ein Lob an die Bremer gehen, die sich partout nicht aufgeben wollten und versuchten, sich im Kollektiv höher zu positionieren. Durch eine bessere Anpassung an die unterschiedlichen Leverkusener Pressingmuster und mehr Stabilität im Ballbesitz wollten sie sich nach vorne arbeiten und die „überhasteten“ Abschlüsse näher ans Tor bringen, um die Wahrscheinlichkeit auf einen Torerfolg zu erhöhen – ähnliches bei den Flanken. Exakt dann, als Schaaf mit Akpala statt Junuzovic der Offensive einen letzten Schuss Brechstange verleihen wollte, traf Rolfes zum 3:1, was das Spiel endgültig entschied.
Fazit
Ein klarer Sieg für Leverkusen, der zuerst knapper auszufallen drohte, letztlich aber womöglich sogar ein bisschen zu hoch ausfiel. Dennoch darf gesagt werden, dass die wenig ins Auge stechenden taktischen Aspekte der Leverkusener Spielweise wie das Verringern der Chancenqualität oder der einfachen Variabilität, die stark vom Spielkontext unabhängig ist, beeindruckend sind und in dieser Partie zum Tragen kamen.
8 Kommentare Alle anzeigen
Häschber 29. November 2012 um 22:12
Finde hier fehlt ein prägenter Punkte. Ich sah eine extreme Mannorientiertheit bei Werder: Elia und Füllkrug folgten den Außenverteitigern komplett, sodass sie immer eine Sechserkette bildeten. Man stand dann in einem 6-1-3, in dem die 4 Vorderen extrem viel Raum füllten, man also garnicht kompakt stand. Leverkusen kam also immer wieder halbwegs durch. Sobald der Raum vor der Abwehrlinie bespielbar war, wurde es nämlich prickelnd.
Hier stand man zu 6 ungefähr auf einer Linie. Eine Kette war es (natürlich) nicht. Mit dieser deckte man außerdem nach Fallen lassen von Schürrle und Castro zu 6. 3 Spieler ab. Deshalb verfolgten die Außenverteidiger halbantizipativ ihre Gegenspieler in die Halbräume. Dadruch stand man dann aber plötzlich in einer viel zu breiten Vierer-Linie(!). Eigentlich offensichtlich dass die Zuordnung durcheinander ging.
Beispiel ist für mich das 1:0 Castros. Elia und Ignyovski orientieren sich nach vorne [Elia wegen Mann, Iggy wegen Raum], hinter sie kommt ein hoher Ball und plötzlich steht man im Zentrum in Unterzahl.
RM 29. November 2012 um 22:19
„Auf den Flügeln orientierten sich die Außenstürmer sehr mannorientiert und ließen sich weit nach hinten fallen, wenn sie den Ball nicht hatten.“ = Manndeckung der gegn. AV.
„Dadurch entstand eine Art Raute, in der Petersen vor den zwei Halbspielern Aaron Hunt und Kevin de Bruyne spielte, während dieses Dreieck von Zlatko Junuzovic auf der Sechs abgesichert wurde.“ = 6-1-3.
„Die Viererkette dahinter organisierte sich eng und kümmerte sich im Verbund um die drei Stürmer von Leverkusen, wobei der freie Innenverteidiger bei Bedarf aufrückte und situativ den Raum zwischen den Linien füllte.“ = komplexes Abwehrspiel, was aber hätte auch funktionieren können; du hast dann natürlich die Folgen gut beschrieben, als es nicht funktionierte, was ich indirekt im Absatz zu den qualitativen Chancen schrieb, hätte es aber genauer ansprechen müssen, ja.
Häschber 30. November 2012 um 15:16
Ja, ich weiß, dass es beschrieben wurde. Ich meinte, dass es für mich der entscheidende Punkt im Spiel war, was hier nicht so betont wurde.
Übrigens rechne ich das Schaaf zu, denn mMn konnte es nicht dauerhaft funktionieren.. aber egal
danke für die Antwort 😉
bayeratze 29. November 2012 um 15:54
Habe einen winziger Verbesserungsvorschlag. In diesem Satz scheint mir ein „er-“ oder „auf-“ vor dem „geben“ zu fehlen:
„Dennoch muss auch ein Lob an die Bremer gehen, die sich nicht geben wollten und versuchten, sich im Kollektiv höher zu positionieren.“ 😉
Aber mal wieder ein super Artikel von euch. Macht wirklich Spaß hier zu lesen. Habe das Spiel gesehen und hätte es nicht ansatzweise so gut auf taktischer Ebene zusammenfassen können.
Großes Lob!
Björn 29. November 2012 um 10:19
In den Werder-Foren wird Thomas Schaaf immer wieder taktische Unterbelichtung unterstellt. Was sagt der Taktik-Experte zu dem Vorwurf?
Rainer Zöpel 29. November 2012 um 09:16
Das war wieder eine Demonstration von Willen und Entschlossenheit gepaart mit taktischer Disziplin, hoher individueller Qualität und einem Quäntchen Glück!
MyFuba 29. November 2012 um 00:25
Gute Analyse der Taktik! Aber man muss schon sagen, dass Werder Bremen auch hochprozentige Chancen ausließ im Gegnsatz zu Leverkusen. Alleine Hunt hätte aus zugegeben relativ zufälligen Situation mindesten 2 Tore erzielen können bzw. müssen.
Zu Leverkusen: teilweise rückten mir die Mittelfeldspieler zu stark auf, sodass Werder Platz zum Kontern hatte, diesen aber nicht nutzen konnte (Beginn 2. Halbzeit). Außerdem fand ich die Reaktion auf Bremens Pressing richtig gut, fußballerisch ist das richtig stark. Erstaunlich ist, dass das System dazu führt, dass man nur noch durch Flanken schlagbar ist. Durch das Zenrum geht nix und sobald sich der Gegner auf diesen Umstand eingestellt hat, dann hagelt es Flanken, die einfach abgefangen werden können, aber eine Unaufmerksamkeit hat die Abwehr in jedem Spiel.
Interessant fände ich, wenn man mal den Fokus auf die Rolle von Dani Carvajal legen würde, der wieder die meisten Ballkontakte hatte.
gurkentruppe 28. November 2012 um 22:19
Danke für die Blitzanalyse! Mir wird Angst vor den Leverkusenern 😉