Juventus Turin – Lazio 0:0
Es fehlten die Schüsse, die auch auf das Tor gingen.
Die Hausherren aus Turin begannen dieses Topspiel der Serie A erneut mit ihrer bekannten 3-5-2-Formation, die nur eine wirkliche Überraschung beinhaltete: Paul Pogba durfte in Abwesenheit Andrea Pirlos nach starken Einwechsel-Leistungen in den vergangenen Wochen und Monaten nun endlich von Beginn spielen. Ansonsten startete Isla wie schon gegen Nordsjaelland und in Pescara als rechter Wing-Back, während Quagliarella in der Spitze den Vorzug gegenüber Matri und Bendtner erhielt. Auf der anderen Seite gab es auch bei den Gästen aus der Hauptstadt keine großen Überraschungen zu verzeichnen: Gegen den Meister und Tabellenführer interpretierte Lazio seine 4-1-4-1-Formation etwas defensiver als gewohnt, was sich personell bereits an zwei Punkten festmachen ließ. Erstens spielte mit Radu die deutlich defensivere Variante auf dem Linksverteidiger-Posten (wobei Lulic ohnehin gelbgesperrt war). Zweitens kam Brocchi für den gesperrten Mauri in die Mannschaft, wodurch Hernanes von der Achterposition in eine Mischrolle auf halblinks-offensiv geschoben wurde.
Juventus dominiert – und tut dies immer stärker
Dies alles spiegelte sich dann auch recht deutlich auf dem Spielfeld wieder, wo die Hausherren die Kontrolle übernahmen, Lazio phasenweise enorm weit nach hinten drückten und sie dort einschnürten – dies gelang besonders durch die weit aufrückenden Wing-Backs.
Nachdem die „Alte Dame“ anfangs noch ein paar Probleme mit dem sehr hoch geschobenen Lazio-Mittelfeld im Pressing gehabt hatte, konnten die im Spielaufbau verantwortlichen Akteure mit der Zeit dann immer häufiger Lösungen finden: Über die angesprochenen Wing-Backs konnten sie dann den Pressingblock der Römer umspielen und deren Mittelfeld zum Rückwärtsgang zwingen.
Wenn dies gelungen war, hatte Lazio mit der sehr engen Viererkette und den nach hinten gedrückten Mittelfeldspielern neun defensive Akteure, weshalb Offensivoptionen nach Ballgewinn fehlten und Befreiungsschläge bei Juventus landeten, die mit ihrer flexibel aufrückenden Dreierkette und dem intelligent postierten Pogba den Rückraum besser sicherten, so die zweiten Bällen gewannen und den Druck aufrecht erhielten. So drückte die Heimmannschaft ihren Gegner mit zunehmender Spieldauer nach hinten und kam zu mehr und mehr zu Chancen, welche meistens auf zwei Art und Weisen entstanden.
Giovinco und der Flügeldruck
Die erste Hauptgefahr war der als hängende Spitze spielende Sebastian Giovinco, der eine hervorragende Leistung zeigte und aus einigen schwierigen Situationen mit starken technischen Aktionen sehr gute Abschlusspositionen für sich selbst erarbeiten konnte. In den Mittelfeldräumen vor der Lazio-Abwehrkette fand der spielstarke und sehr bewegliche Giovinco viele Freiheiten vor – entweder nach direkten Zuspielen aus der Abwehr oder durch geschickte Läufe der beiden Achter Vidal und Marchisio, die ihre Gegenspieler wegzogen. Weil er sich auch individuell stark zeigte und in direkten Duellen sehr gut behaupten konnte, war Giovinco am Ende nicht nur der Spieler mit den meisten Abschlüssen überhaupt, sondern zeichnete auch für viele der besten Juventus-Chancen verantwortlich.
Daneben kam bei den Hausherren sehr viel über die beiden Wing-Backs Isla und Asamoah, die in den äußeren Bereichen zwischen den Lazio-Reihen bzw. neben deren enger Abwehrkette immer wieder mit Pässen entlang der Außenlinie oder mit weiten Diagonalbällen angespielt wurden.
Gerade Asamoah verarbeitete viele dieser anspruchsvollen Zuspiele sehr effektiv, weshalb er eine Reihe von gefährlichen Hereingaben spielte – zwar wurde es immer wieder brenzlig, doch letztlich konnte Lazio praktisch alle dieser Szenen bereinigen.
Und dies war in gewisser Weise auch ein großes Problem für die Turiner im gesamten Spiel: Durch ihr energisches Spiel über die Flügel kamen sie letztlich zu sehr viel Druck und gefährlich wirkenden Szenen, doch die letzte Chancenqualität ging ihnen ab. Auch bei den guten Szenen von Giovinco waren die jeweiligen Grundsituationen oftmals gar nicht so hochwertig, sondern eher Halbchancen außerhalb des Strafraums, bei denen die letzte Linie noch nicht überspielt und eigentlich Gegnerdruck vorhanden war – erst durch Giovincos individuelle Klasse wurde ihre Qualität erhöht. Untermauert wird dies hervorragend durch die Torschussstatistiken: Von insgesamt 21 Abschlüssen kamen letztlich nur 4 auch wirklich auf das Tor von Marchetti – und dennoch muss sich Lazio glücklich mit dem Punkt schätzen, was insbesondere durch ihre offensive Harmlosigkeit bedingt ist.
Lazios Offensivprobleme
Wie bereits erwähnt konnte Lazio im offensiven Umschaltspiel kaum einen Stich machen und war offensiv daher sehr stark auf eigene Aufbauszenen angewiesen. Dabei spielten sie viele lange Bälle, die insgesamt aber nur wenig bewirken konnten, da sie gegen die drei Innenverteidiger und das Mittelfeldzentrum der Turiner nicht zu gewinnen und auch nur schwer gegenzupressen waren. Einige dieser Pässe kamen immerhin bei Hernanes an, der in seiner eingerückten Position durch gute Hilfsläufe von Alvaro González frei kommen und so einige längere Dominanz-Phasen im zweiten Drittel erzeugen konnte.
Allerdings kam Lazio dann nur selten ins letzte Drittel und von dort noch seltener auch in die wirklich torgefährlichen Räume. Dabei krankte ihr Spiel an einigen nicht unbekannten Problemen, die sich auch in der vergangenen Woche trotz der drei Derby-Treffer weiterhin gezeigt hatten. Vor allem die zu ungestaffelten Offensivstellungen und das zu geringe Auf- und Nachrücken machten sich wieder einmal bemerkbar. In der Folge wurde die Mannschaft um Miroslav Klose häufig auf dem Flügel festgenagelt und kam dort in schwierig zu lösende Unterzahlsituationen – die Konsequenz war letztlich eine neunzigminütige Bilanz ohne jeden Schuss auf das Tor von Gigi Buffon.
Fazit
Leicht glückliches für die harmlosen Gäste, wenngleich Juventus die letzte Chancenqualität abging. Auf beiden Seiten gibt es noch bestimmte Kritikpunkte: Lazio muss sein Offensivspiel noch einmal dringend überprüfen, da dieses zuletzt wieder etwas abgefallen ist. Auch ein frühes Pressing scheint derzeit noch nicht durchführbar. Andererseits konnte die gute Endverteidigung der Mannschaft überzeugen. Bei Juventus Turin ist besonders anzumerken, dass sie derzeit eine Tendenz haben, in der Offensive zu radikal über Flügeldruck und individuelle Aktionen die Dinge entscheiden zu wollen. Hier braucht es wieder etwas mehr Balance. Ansonsten ist der Tabellenführer weiterhin die Konstanz und Sicherheit in Person. Dies geht Lazio noch ab (0:4 in Catania), weshalb ein Remis beim Ersten trotz der sehr harmlosen Offensive zumindest aktuell wohl nur begrüßt werden kann.
3 Kommentare Alle anzeigen
Tank 20. November 2012 um 00:14
Ich schließe mich meinem Vorredner an. Juventus hat keinen Stürmer, der auch nur ansatzweise konstant zur erweiterten Weltklasse gezählt werden kann. Im Artikel wird Giovinco ja mehrfach gelobt, aber ich hab sein Spiel mit eher gemischten Gefühlen gesehen. Seine technische Klasse ist offensichtlich, aber seine Entscheidungen oft unglücklich. Nun ist das aber natürlich ein Feld auf dem Erfahrung Gold wert ist und so kann Juventus hoffen, dass Giovinco sich diesbezüglich noch steigern wird.
An seiner Körpergröße hingegen, wird sich vermutlich nicht mehr so viel ändern. Sie bleibt ein Problem. Ich will nicht sagen, dass er zu klein ist, um auf höchstem Niveau bestehen zu können, aber er sollte doch zumindest noch etwas Muskelmasse zulegen, damit Verteidiger ihn nicht ganz so einfach aus dem Weg drücken können.
Ich habe Juventus diese Saison in vier (nominellen) Topspielen verfolgt und glaube einen ungefähren Überblick über ihre Stärken und Schwächen zu haben. Das Prunkstück dieser Mannschaft ist denke ich die Defensive. Die 3er/5er Kette ist eingespielt und die Automatismen sitzen wie eine Eins. So kann Chiellini zum Beispiel sehr effektiv aus der Kette nach vorne rücken, um Zweikämpfe zu führen, ohne dass er Angst haben muss, ein Loch hinter sich aufzureißen. Dazu kommt dann noch das Dreiermittelfeld. Hier finden sich neben dem genialen Pirlo mit Marchisio und Vidal zwei echte Allrounder, die den Raum vor der Abwehr effektiv und mit viel Aufwand zu machen. Und als ob das nicht schon stabil genug wäre, hat man auch noch Gigi Buffon im Tor.
Pirlo halte ich sowohl für eine Stärke, wie auch für eine Schwäche der Juventus-Mannschaft. Selbstverständlich wird er von seinen Kollegen konstant gesucht, schließlich ist er immer für den klugen Pass, sei es über 5 oder über 50 Meter, zu haben. Hieraus ergiebt sich aber die Gefahr der Abhängigkeit. Schafft der Gegner es Pirlo aus dem Spiel zu nehmen, dann fehlt Juventus eine ihrer stärksten Waffen. Dass es aber gar nicht so einfach ist, einen Andrea Pirlo aus dem Spiel zu nehmen, kann gerne bei Jogi L. aus dem Breisgau erfragt werden.*
Die wing-backs sind gegen ansatzweise mitspielende Gegner die Verkörperung des Umschaltspiels von Juventus und somit eine Stärke. Ob es gegen ultra-defensive Gegner aber auch eine Schwäche sein kann, dass die Außen nicht doppelt besetzt sind, kann ich nicht abschließend beurteilen, würde es aber erwarten.
Die ins Auge stechende Schwäche der qualitativ mittelmäßigen Stürmer wurde bereits von JayM genannt.
Abschließend denke ich, dass Juventus sicher Meister wird. All die Gegner, die ich bisher gesehen habe (Roma, Napoli, Inter, Lazio) hatten nicht die Klasse, um über eine ganze Saison Juve gefaährlich zu werden. Und wer sollte sie sonst abfangen? Milan?? Oder, dieses Mal ernsthaft gefragt, Florenz?
*Falls da draußen jemand Pirlo häufiger zu seinen besten Zeiten beim AC Milan gesehen hat, meine Frage: Ist er jetzt noch besser als damals?
JayM 20. November 2012 um 00:36
Um auf Deine Fragen einzugehen :): Ich glaube auch dass Juve Meister werden wird (leider ;)) weil niemand sonst diese Konstanz aufweist. Allerdings wären sie ohne Hilfe der Schiedsrichter (soll keine Anschuldigung auf Manipulation sein, sondern rein faktisch) derzeit auch nicht unbedingt erster. Siehe das Spiel in Catania.
Pirlo ist meiner Meinung besser geworden als zu Milans Zeiten. Damals hatte man den Eindruck dass er Gattuso als Kettenhund braucht und sonst keinen Zweikampf überleben würde. Er scheint einerseits robuster und zweikampfstärker geworden sein, aber auch schneller in seinen Entscheidungen, was wohl auch seiner erhöhten Erfahrung zu Grunde liegt.
Zudem spielt bei Juve etwas tiefer als bei Milan, das heißt er hat auch mehr Zeit und Platz weil er sein direkter Gegenspieler entweder ein logischerweise defensiv weniger begabter 10er ist oder ein/zwei ZMs die ihre natürlichen Positionen verlassen müssen, um ihn zu attackieren.
JayM 19. November 2012 um 22:33
Ich glaub das Spiel hat sehr gut offenbart, wo Juves Hauptproblem liegt – sie haben keinen einzigen auch nur annährend ernstzunehmenden Stürmer von Format. Da konnte Lazio sich auch relativ gefahrenlos auf das Verteidigen durch die Mitte konzentrieren und die Flanken vernachlässigen – denn Dias/Biava/Ciani sind schon extrem kopfballstark (außer Biava steht wieder mal komplett falsch beim Eckball ;)).
Giovinco ist zwar schnell und wendig aber ansonsten extrem abschluss- und zweikampfschwach. Bendtner is technisch zu schwach und Matri/Quagliarella sind auch nur mittelmäßig. Kein Wunder, dass die meisten Juve-Tore von den Mittelfeldspielern erzielt werden und Conte noch immer keinen Stammsturm gefunden hat.