Ernst Happel, Grantler & Genie
Ernst Happel war nicht nur ein Mann der großen Taktiken, sondern auch der kauzigen Worte. Dementsprechend gehen seine Errungenschaften noch über die Vielzahl an Titel hinaus, die er sammelte, denn er war schlichtweg eine der großen Persönlichkeiten des Fußballs sowie einer seiner größten Vordenker.
„Ein Tag ohne Fußball ist ein verlorener Tag.“
Der Spieler Happel
Ernst Franz Herrmann Happel war ein hervorragender Spieler: als Stopper (Happel spielte links, rechts war Max Merkel, zumeist noch in einem 2-3-5) begeisterte er bei Rapid Wien die Massen. Bereits mit 17 Jahren erhielt er während der Kriegszeit seinen ersten Einsatz bei der Kampfmannschaft, nach seinem Einsatz als Soldat in Russland wurde er nach dem Krieg zum Stamm- und Führungsspieler.
Obwohl er als Verteidiger spielte, war er zumeist der auffälligste Spieler auf dem Platz, welcher durch seine hervorragendes Ballgefühl, seine Spielintelligenz und seine spektakulären Einlagen beeindruckte.
„Als ich mit 13 in den Verein bin kommen, war ich links wie rechts technisch schon perfekt. Als Bub‘ ist man ins Stadion gegangen, hat sich was abgeschaut, und kaum war man wieder draußen, hat man versucht, es nachzumachen, mit einem Tennisball, einer Konservendose. So ging das. Heute? Die Jugendtrainer üben mit den Buben fünf Viertelstunden, davon eine Stunde ohne Ball. Laufen, laufen, aber keiner zeigt den Jungen, was sie machen sollen mit dem Ball.“
Gelegentlich fing er lange Bälle des Gegners mit dem Hintern ab, spielte locker lässig als letzter Mann auf Abseits oder rückte in die Offensive auf. Rapid Wien war zu jener Zeit eine der taktisch und technisch besten Mannschaften Europas, sie tourten auch öfters durch Südamerika, wo sich Happel einiges abschauen konnte.
„Aber was hab‘ ich von einem Wuttke, der nur mit dem Ball spielt, und ohne Ball kommt nichts.“
1951 wurde Rapid – mit Neuverpflichtung Gerhard Hanappi im Mittelfeld und der brasilianischen Variante des 2-3-5/3-2-2-3 – Meister mit einer unglaublichen Statistik. In 24 Spielen erzielten sie 133 Tore und erhielten 40 Gegentore bei nur einer Niederlage.
„Bei der Manndeckung hast du elf Esel auf dem Platz stehen!“
Auch in der Folgesaison wurden sie Meister und fingen sich die wenigsten Gegentore ein. Dennoch war die Saison 1950/51 etwas Besonderes, weil man auch international Erfolge feiern konnte, nämlich den Gewinn des – nur in diesem Jahr gespielten – Zentropacups, dem geplanten Nachfolger des Mitropacups (Vorläufer des UEFA-Cups). Happel erzielte auch das entscheidende 3:2 im Finale.
„Man muss dem Gegner seinen Stil aufzwingen und darf ihn nicht zur Ruhe kommen lassen.“
Seine Torgefahr bewies er auch auf andere Art und Weise: In der österreichischen Nationalmannschaft erzielte er ein Eigentor beim Stand 14:0, weil ihm das Spiel zu langweilig wurde. Dennoch war er eine der Stützen jener Mannschaft, die 1954 Dritter wurde.
„Was bist du? Der Tiger von Glasgow, der Panther von Budapest? Du bist des Oaschloch von Hütteldorf.“ – Happel zu Torhüter Walter Zeman nach dem Eigentor
Seine größte Stunde dürfte er aber 1956 gefeiert haben. Nach zwei Jahren in Paris kehrte er wieder zu Rapid zurück und traf im Pokal der Landesmeister auf Real Madrid. Im Hinspiel in Madrid verloren sie noch klar, doch in Wien erzielte Happel drei Tore und Rapid gewann 3:1. Wegen des Fehlens der Auswärtstorregel gab es aber ein Entscheidungsspiel in Madrid, welches Rapid verlor.
„Den Gegner in dessen Hälfte zurückdrängen, ihn festnageln, am Aufbau behindern“, und als Krönung: „Zerschlagen, was noch gar nicht entstand; sich dann selber entwickeln.“
Weitere große Triumphe blieben Happel verwehrt, seine Karriere beendete er 1959. Ein Jahr nahm war er noch an der Weltmeisterschaft teil, bei der er vor einem Spiel „fensterlte“.
Anfänge als Trainer
Nach zwei überaus erfolgreichen Jahren als Sektionsleiter von Rapid Wien, in welchem die Österreicher sogar das Halbfinale des Landesmeisterpokals erreichten, wechselte er als Trainer zu ADO Den Haag nach Holland. Sechs Jahre sollten es werden, in welchen Happel seine ersten Trainererfahrungen sammelte.
„Im Fußball ist er ein Unbelehrbarer, weil ihm keiner mehr was vormachen kann. Einmal kann der Zufall auch dem einfältigsten Trainer zu irgendeinem Siegspott verhelfen. Aber der Happel räumte überall ab. Das ist Können. Mit Ado Den Haag gewann er Hollands Fußballpokal, mit einer Mannschaft, die der Jupp Derwall zum Schweinehüten geschickt hätte.“ – Max Merkel
Aus dieser Zeit stammt die Anekdote der Dose auf der Latte – Happel schoss sie herunter, seine Spieler schafften es nicht. Ob diese Anekdote stimmt, ob die Geschichte erst Jahre später beim HSV passierte (so abgeändert, dass es auch Beckenbauer schaffte) oder ob Happel dies öfter tat, lässt sich nicht nachvollziehen. Diese Legendenbildung ist aber auch eines der Merkmale von Ernst Happel – wo er auch war, gab es unglaubwürdige Geschichten, absurd klingende Mythen und allerlei schwärmende Spieler.
„Das Spieljahr beginnt mit einem Vorbereitungslager, ideal sind sechs Wochen. Zwei Wochen davon finden intern statt, ohne Außenwelteinflüsse. Dreimal am Tag ist Training. Das wird koordiniert mit fünf bis sechs Spielen. In diesen zwei Wochen kommt es auf die Schleiferei an. Später ist dann alles mehr spielerisch.“
Bei ADO entwickelte er seine Mannschaft in diesen sechs Jahren kontinuierlich. Der ehemalige Abstiegskandidat war ein gefürchteter Gegner, welcher durch seine enorme konditionelle Stärke vielen anderen Mannschaften voraus war.
„Am Ende ließen wir nur noch die Köpfe hängen und fragten uns, welchen Fuchs von Trainer haben die?“ – Günter Netzer nach einem Spiel gegen Feyenoord und deren Abseitsfalle
Allerdings implementierten sie auch ein neues 4-3-3-System sowie ein aggressives Pressing, welches somit als eines der ersten bestätigten organisierten Pressing-Systeme Europas (neben Maslovs und Lobanovskiys Mannschaften in der Sowjetunion) in die Taktikgeschichte einging. Es sprang sogar ein Cup-Sieg heraus, welcher letztlich zu Happels Wechsel nach Rotterdam führte.
Erfolge auf internationaler Bühne
Dort heuerte er bei Topteam Feyenoord an. Bereits im ersten Jahr gewannen sie Meistertitel und siegten sogar in Landesmeister- und Weltpokal. In den folgenden Jahren wurden sie noch einmal Erster, mussten sich aber zwei Mal Rinus Michels‘ Ajax geschlagen geben. Happel ging auf eigenen Entschluss nach Spanien.
„Wir haben so viel erlebt, ich muss aufhören. Mit zu viel Siegen geht die Disziplin zurück. Wir werden zu sehr Freunde. Man leidet und weint, man lacht und gewinnt zusammen. Und das darf nicht zu lang dauern.“ – Ernst Happel zu seinem Abgang von Feyenoord
Bei Betis Sevilla schaffte er den Aufstieg in die erste Liga und qualifizierte sich mit seiner Mannschaft im Folgejahr für den UEFA-Pokal, doch auch in Andalusien blieb er nicht lange. Er wechselte nach Belgien zum FC Brügge, wo er in drei Jahren drei Mal Meister wurde, einmal sogar das Double holen konnte, aber zweimal im Finale scheiterte. Das erste Mal noch im UEFA-Cup, zwei Jahre später gegen Liverpools legendäre 78er-Mannschaft, welche bereits zwei Jahre zuvor Brügge besiegten.
„“Hopp hopp, komm‘, komm‘, Bewegung Bewegung!“ hallt es unvermittelt über die Trainingsplätze in Ochsenzoll fordernd. Dann ein langgezogenes, krächzendes „Mach‘ ma‘ Teeempo!“, das der kurz zuvor noch wie schläfrig im jungen Gras herumstochernde Coach in ein Übungsspiel schleudert. Es kickt die Stammelf gegen die Reservisten, und die Reservisten haben den Ball. Für Ernst Happel genau die Situation, nun seine „Erste“ zum Angriff zu peitschen. Und aus dem Stand heraus gerät das ganze Team urplötzlich in Jagdfieber, wird der Partner gehetzt.“ – Hans-Joachim Noack im Spiegel
Im Sommer 1978 übernahm er die niederländische Nationalelf, mit welcher er bis ins Finale der Weltmeisterschaft kam. Rob Rensenbrink traf in der 89. Minute den Pfosten, in der Verlängerung verloren die Niederländer letztlich – und dennoch ist Ernst Happel in seinem Heimatland Österreich bis heute der „Wödmasta“.
„In Utrecht streckten Zuschauer Messer durch das Sperrgitter. Ich sah gleich, daß die meinen Pelz nicht erreichten und blieb sitzen. Ruhe entschärft die größte Totalität.“
Nach der Weltmeisterschaft wechselte er zu Standard Lüttich, wo er in zwei Jahren einmal den Cup holte,und schließlich landete er beim Hamburger SV.
Der Mythos Ernst Happel entsteht
Ließ er beim HSV wieder die Cola- oder womöglich gar eine Bierdose von der Latte schießen? Zumindest laut Manfred Kaltz machte er das. Tut aber auch wenig zur Sache, denn es war die Art und Weise, wie sich Ernst Happel präsentierte und welche Erfolge er holte.
In der Ära nach Schleifer Branko Zebec baute Happel auf dem hervorragenden taktischen Grundgerüst auf, verfeinerte es und baute eine der besten Mannschaften Europas. Gegen IFK Göteborg verloren sie 1981 knapp das UEFA-Cup-Finale, zwei Jahre später bezwangen sie überraschend Juventus Turin – eine ganz eigene Geschichte, die wir noch erläutern werden.
„Er wurde ja immer als knurrender Hund hingestellt, aber er war genau das Gegenteil. Nur ein Beispiel: Wir konnten Sonntagmorgen die Kinder mit zum Training nehmen. Happel liebte Kinder, er war verrückt nach ihnen und die Kinder liebten ihn. Er war ein lebensfroher Mensch, Fußballfachmann, einfach ein guter Typ.“ – Horst Hrubesch über seinen ehemaligen Trainer
Noch heute ist dies der große Erfolg in der Geschichte der Hamburger. Felix Magath traf mit einem wunderbaren Linksschuss, die Anzugmänner der Turiner verloren somit gegen Hamburgs „einfache Kerle“ und ihren immer grantigen Trainer Happel. Bis 1987 blieb er bei den Rothosen, holte noch einen DFB-Pokal und diente auch als Berater von Nationaltrainer Franz Beckenbauer.
„Vor dem Endspiel im Europapokal 1983 gegen Juventus Turin hat er einen Spaziergang auf einem Golfplatz anberaumt. Jakobs, Kaltz, Magath und ich waren dabei. Es sollte geklärt werden: Platini in Manndeckung nehmen, ja oder nein? Wir haben das Für und Wider abgewogen. Wir waren der Meinung, dass es nicht Not tut und Happel sagte: ,Gut, dann bleiben wir dabei, spielen wir keine Manndeckung’. Hat ja ganz gut geklappt.“ – Horst Hrubesch im Interview mit welt.de
Er verschwand nach Österreich, übernahm dort Swarovski Tirol und wurde später sogar Nationaltrainer seines Heimatlands. Seine Erkrankung an Lungenkrebs zeigte sich aber schon deutlich, Kritiker sprachen davon, dass man Ernst Happel beim Sterben auf der Trainerbank zusah. Vier Tage vor einem Länderspiel gegen Deutschland starb er und einer der Größten hörte mit nur 67 Jahren viel zu früh zu existieren auf.
„Nach der letzten Analyse hat mir der Doktor aus Wien einen Brief geschrieben, darin stand, es kann bösartig sein. Von dem Brief habe ich nur eineinhalb Zeilen gelesen, dann habe ich ihn wieder in die Tasch“n reingehaut und mir gedacht: Rutscht mir den Buckel runter. Hab ich an Krebs, na dann hab ich an Krebs. Ich kann’s nicht ändern.“
Was war so besonders an Ernst Happel?
Womöglich die schwerste Frage, weil ihre Antwort so vielschichtig und schwierig zu ergründen ist. Günther Netzer sprach einst davon, dass Happel der „menschlichste aller Schleifer“ sei. Dabei war Happel weder ein Schleifer noch ein „Grantler“. Im Gegenteil – Happels authoritäres Gehabe war nur Show, für die Medien und für die Spieler.
„Können Sie sich vorstellen, dass er anordnet, Aerobic zu machen? Zwei Frauen hat er engagiert, uns ins Studio beordert und wir mussten das den Damen nachmachen. Das war neu, faszinierend und passte perfekt als Ergänzung zum normalen Training. Happel hat immer über den Tellerrand geguckt, fragen Sie Günter Netzer.“ – Horst Hrubesch
Anders als Felix Magath, welcher die Angst seiner Spielern nutzt, verlangte Happel nur Respekt. Doch diesen Respekt brachte er auch seinen Spielern gegenüber; etwas, was mit der Angst nicht möglich ist. Happel stand somit auf einer Stufe mit seinen Spielern, sah sie als ebenbürtig an und ließ sie auch untereinander diskutieren. Die entstandenen Lösungsansätze nutzte er dann zur eigenen Entscheidungsfindung. Ein Konzept, welches mündige Spieler förderte, ohne sie zu fordern.
„Wenn der Spieler nicht den Ball beherrscht, sondern der Ball beherrscht den Spieler, dann ist es vorbei.“
Es ist zwar kein partizipativer Führungstil oder ein demokratischer, unterscheidet sich aber doch von einer autokratischen Führungsart, welche von Branko Zebec oder heute noch von Felix Magath genutzt wird. Ernst Happel nutzte sein Charisma und seine natürliche Autorität, um seine Spieler von sich zu überzeugen und zu beeindrucken. Seine unbestrittene Kompetenz tat ihr übriges.
„Wenn ich mit ihm als Spieler gesprochen habe, vermittelte er nie den Eindruck, er sei der Boss und ich sein Untergebener. Es war ein Gespräch unter Gleichen. Er hatte immer versucht, seine Idee zu vermitteln. Wer eine bessere hatte, der musste sie belegen, dann wurde die genommen.“ – Horst Hrubesch
Am ehesten könnte man ihn diesbezüglich mit Ottmar Hitzfeld vergleichen, wobei Happel seiner Zeit in puncto Professionalität auf dem Trainingsplatz deutlich voraus war, weswegen das Image des Schleifers entstand – Pünktlichkeit, Disziplin, Teamwork waren seine Schlagwörter, die er prinzipiell durchsetzte.
„Was die Spieler wollen, interessiert mich nicht. Man muss in erster Linie Mensch sein. Man kann hart auftreten, ohne Brutalität, aber menschlich. Die Spieler müssen Respekt haben. Ein Spieler kann nur Respekt haben, wenn er überzeugt ist, dass der Trainer ein Fachmann ist und die Materie beherrscht, sonst lachen die Spieler den Trainer aus.“
Allerdings ist es falsch, wenn man ihn nur auf sein Training, seine konditionsstarken Mannschaften und sein Charisma reduziert. Happel konnte alles. Er spielte mit den Medien, hatte immer die Aufmerksamkeit auf sich und hatte in gewisser Weise die Ausstrahlung eines Mourinho ohne dessen antipathischen Züge in die Öffentlichkeit zu tragen – stattdessen schwieg er oder gab seine legendären Kurzantworten. Desweiteren beschäftigte er sich laut eigener Aussage mit moderner Trainingsmethodik, überlegte sich psychologische Tricks und war taktisch wohl der Beste seines Fachs.
„Man muss alle Voraussetzungen mitbringen, die den Fußball betreffen. Erstens einmal der konditionelle Aufbau von die Spieler, zweitens das taktische Vermögen, man muss immer bei der Zeit sein, es ändert sich innerhalb von drei, vier, fünf Jahren, da kommt meistens ein neues System oder neue Varianten. Es ist natürlich nicht gesagt, dass man das anpassen muss, man muss das Spielermaterial dafür auch haben.“
Die Abseitsfalle, welche Rapid in den Fünfzigern aus Südamerika nach Europa brachte, installierte er in all seinen Mannschaften. Ebenso ließ er schon mit Raumdeckung spielen und wandelte das vereinzelte Pressing oder leichte kollektive Aufrücken in ein organisiertes Pressing um, welches zumeist als Angriffspressing mit einem 4-3-3 gespielt wurde. Dieses 4-3-3 hat sich übrigens Rinus Michels abgeschaut, der bis dahin eher den Weg des 4-4-2 nach Lobanovskiy gegangen war. Dieser hatte nicht nur einen Flügelstürmer des 4-2-4 zurückgezogen, wie Brasilien mit Zagallo 1958, sondern beide.
Happel hingegen pfiff darauf, er zog nicht die Außen zurück, sondern einen der Mittelstürmer und hatte somit zwei Flügelstürmer, drei zentrale Akteure und einen Mittelstürmer – zu jener Zeit eine Revolution, wobei Happel wie Lobanovskiy ja auch mit 4-5-1-ähnlichen Systemen zu experimentieren wusste.
„Happel hat ihn nur ziemlich häufig geflachst. Er sagte zu mir mal: ,Zauberer, ich lass‘ den Netzer nachher mit trainieren. Aber ihr spielt ihn nicht ein Mal an’. Haben wir gemacht. Netzer ging nach 15 Minuten auf mich los: ‚Horst, das ist doch auf deinen Mist gewachsen?!’ Happel hat sich totgelacht.“ – Horst Hrubesch
Außerdem konnte er sich hervorragend an die spezifischen Umstände eines Gegners oder eines Spiels anpassen. Über Juventus sprach er 1983 vor dem Finale von einer „großen Mannschaft mit kleinen Schwächen“, gegen Celtic im Finale 1970 ließ er ein aggressiveres Pressing mit Mannfokus auf Johnstone spielen, welcher außerdem im Abwehrpressing gedoppelt wurde. Moulijn sollte sogar Pässe Hays auf Johnstone versperren, auch andere Spieler wurden zum richtigen Zustellen von Passwegen instruiert – es dürfte wohl die erste dokumentierte organisierte Nutzung der Deckungsschatten sein.
„Ich bin für offensiven Fußball, von hinten raus, daß ist das totale Spiel. Bei einem starken Gegner muß man jedoch auch zunächst defensiv spielen und dann schnelle Konterangriffe führen. Immer muß der Gegner früh angegriffen werden, alles zusammen nenne ich Pressing.“
Happel trainierte übrigens auch so, wie es später Volker Finke „erfinden“ sollte: Entdeckungslernen statt rezeptivem Lernen im Training. Darum waren seine Mannschaftsansprachen auch so kurz (á la „Geh‘ ma raus. Und’s Pressing ned vergess’n“), weil seine Spieler schon vom Training her genau wussten, wie sie sich auf dem Platz zu verhalten hatten. Große Ansprachen waren dabei nicht nötig, denn die Bewegung auf dem Feld war vorherbestimmt und kein Zufallsprodukt. Die wunderbare Arbeit gegen den Ball entstand in den Stunden, Wochen und Monaten auf dem Trainingsplatz, nicht an der Taktiktafel oder dem Reißbrett.
„Happel konnte jedem Spieler erklären, was er von ihm wollte. Nicht mit Worten, gesprochen hat er ja nicht. Seine Übungseinheiten waren so, dass es den Spielern in Fleisch und Blut über ging.“ – Max Merkel
Ob Medien, Psychologie, Trainingslehre, Taktik oder Philosophie – Ernst Happel war ein Visionär, ein Theoretiker und Praktiker, ein Romantiker und ein Pragmatiker. Dazu war er auch so einfach und simpel, dass er für die nach Komplexität schreienden Experten schlichtweg paradox wurde; und er ist es bis heute.
„Wunder gibt es keine, höchstens Merkwürdigkeiten. Bei der letzten Weltmeisterschaft in Argentinien trainierte ich die Holländer. Kurz vor dem Turnier spielten wir gegen Österreich. Da haben wir mit dem verdickten Mittelfeld operiert, wie es die Mannschaft vor meiner Zeit getan hatte. Fünf Mann im Mittelfeld, nur einer in der Sturmspitze. Wir siegten 1:0. Später im WM-Turnier spielten wir wieder gegen die Österreicher, aber nun mit meinem Pressing, drei Sturmspitzen. Die Österreicher dachten noch an Hollands alte Masche und griffen selber an. Wir hatten viel Platz und siegten 5:1.“
Unter diesem Link findet ihr übrigens einen kleinen Nachruf von RM zu Ernst Happel sowie über seine Symbolträchtigkeit für den österreichischen Fußball.
25 Kommentare Alle anzeigen
Benj 30. März 2015 um 21:04
Hier fehlt leider der letzte taktische Entwicklungszug Happels, den mit der österreichischen Nationalmannschaft gespielt hat:
Seine Idee war es, das traditionelle 3-3-2-2 folgendermaßen zu ergänzen: hinten mit 3 Liberi statt mit einem Libero und 2 Manndeckern, davor mit 4 Spielern auf einer Linie, 2 offensiven Mittelspielern und einem Stürmer.
Das System hat in den wenigen Spielen vor seinem Tod letztendendes nicht funktioniert, zum einen weil den 3 Liberi die Automatismen beim Verteidigen der Stürmer vor dem Tor gefehlt haben (http://bit.ly/1GHiU4K), zum anderen fehlten den Mittelfeldspielern die notwendige Qualität im Defensivspiel, nämlich zu starke Fokussierung auf den Mann wie auch fehlendes Raumgefühl (http://bit.ly/1HXFebM).
Es soll eine irgendwo Sammlung von Happels Aufzeichnungen geben, ich wünschte sie würden irgendwann auftauchen.
RM 31. März 2015 um 12:15
Inwiefern ist ein 3-4-2-1 ein 3-3-2-2? Und 3 Liberi = 3 normale Verteidiger einfach, nicht?
Aber interessant zu wissen, dazu fand ich nichts. Und für die Aufzeichnungen würde ich einen größeren Teil meines Hab und Guts abgeben.
Flo 31. März 2015 um 18:51
„hinten mit 3 Liberi statt mit einem Libero und 2 Manndeckern“
…also Raumdeckung? Fußballhistorisch kenne ich mich nicht so aus, gab es das damals schon oder hat er es damit erfunden?
Benj 31. März 2015 um 21:02
Antwort an beide Vorkommentare:
Von Happel stammte der Satz „Bei der Manndeckung hast du elf Esel auf dem Platz stehen“, also klar wollte er lieber „Raumdecker“ statt Manndecker, seine Idee war zu verstehen als die Weiterentwicklung des damals auch in Österreich sehr beliebten Systems mit Manndeckern. Die Libero/Raumdeckung der 70er spielte Happel ja mit 4 Verteidigern, also war die 3-er-Verteidigung für ihn neu.
In die Tat umgesetzt hat er dies nach dem eigentlich desaströsen 2-4 gg Polen, als mit Pecl und Rotter zwei Manndecker der Schule Jürgen Kohler eine taktisch miserable Leistung erbrachten (alle 4 Gegentore wie http://bit.ly/1DnsOcd). Ich kann mich dunkel an das Happel-Interview nach dem Spiel erinnern, da war er nicht sehr gut aufgelegt.
Und er wollte eben NICHT mit 3 Verteidigern verteidigen, sondern (ähnlich wie mit den Niederländern 1978 auf den Seiten) mit Mittelfeldspielern, die auch fähig waren zu verteidigen, also im Zentrum nicht mit 3 Schwarzenbecks und Buchwalds, sondern mit drei Beckenbauers und Sammers.
Um das zu verdeutlichen: Österreich bestückte die letzten Spiele unter Happel mit dem Trio Michael Streiter, Manfred Zsak und Robert Watzinger die Abwehr, alle drei waren an sich defensive Mittelfeldspieler (anfang der Karriere auf den Seiten), und alle 3 unter 179 cm klein. Gegen die Niederlande im Mai 1992 war die Abwehr komplett überfordert (siehe http://bit.ly/1GJ9MN5), einfach weil erstens gegen Gullit und Co kein einziges Kopfballduell und zweitens gegen van Basten kein einziges Bodenduell gewonnen wurde. Da fehlten die Automatismen (nicht viel anders als bei den Gegentoren der Niederländer gg Argentinien 1978, bei den ersten beiden Toren hatten die Aussenverteidiger gehörige Mitschuld). Dazu wollte er die 4 defensiven Mittelfeldspieler nicht als Kette gespielt haben wissen, sondern mit einem der beiden zentralen leicht versetzt nach vorne, wobei die Aufgabe der 3 vorne es war, den gegnerischen Angriff auf die Seite zu schieben, und der offensivere der beiden zentralen Defensiv-Mittelfeldspieler positionierte bzw. bewegte sich auf eben diese Seite, um gemeinsam mit dem Außenspieler auf den Ballführenden Druck auszuüben. Positionsspezifisch ergab sich damit immer wieder ein 3-3-3-1, und es entstanden 2 eher flache Rauten, eine defensive und eine offensive.
Offensiv war die Taktik eindeutig: wie zu sehen bei den Treffern gegen die Niederlande (http://bit.ly/1CIEXpV), CSFR (http://bit.ly/1FexOgX und http://bit.ly/1DnqJwV) und Israel (http://bit.ly/1HhAXwp und http://bit.ly/1EyoQxf) spielte Toni Polster oder Heimo Pfeiffenberger Solostürmer, dahinter die beweglichen Andreas Herzog und Peter Stöger, die Solospitze bewegte sich ausschließlich horizontal während die beiden dahinter die Wege kreuzten. Durch ein schnelles Umschaltspiel von der Mitte durch den wurden die Bälle semi-diagonal nach vorne gespielt. Waren vorne die Seiten frei, bewegte sich der Stürmer hinaus, bekam den Ball unn legte ihn auf die nach nachrückenden Offensivspieler auf, waren die gegnerischen Aussenverteidiger hinten geblieben, so war dann Platz für Stöger/Herzog, sich im Halbraum anspielen zu lassen und auf das Tor zu ziehen.
Dieses 3-4-2-1 ist vielleicht aus heutiger Sicht nicht aussergewöhnlich, nur damals spielte keine Mannschaft dieses System. Angeblich hat dieses Konzept Hitzfeld zu seinem Dortmunder 3-4-x-x inspiriert (insbesondere das zentrale, sich versetztende Element mit Lambert/Sousa oder Jeremis/Effenberg), aber wer weiß das schon.
PS: Dietmal Constantini, der letzte Co unter Happel (und späterer Teamchef), und Heinz Peischl, ehemaliger Tirol-Spieler unter Happel, haben vor rund 10 Jahren in Interviews behauptet, umfangreiche Aufzeichnungen zu besitzen.
RM 31. März 2015 um 23:01
Gab es schon, @Flo.
jk 25. März 2013 um 20:25
Eine Doku über Ernst Happel.
http://www.youtube.com/watch?v=AtNiuKNntL4
ND 21. März 2013 um 17:07
Da hat sich wohl wieder jemand was abgeschaut..
http://www.spox.com/de/sport/fussball/bundesliga/50-jahre/Artikel/ernst-happel-im-portraet-das-grantige-genie-hamburger-sv-niederlande-fc-barcelona-wien-oesterreich.html
JayM 16. November 2012 um 00:20
Super Artikel über den wohl besten/erfolgreichsten Trainer aller Zeiten! Auch die Idee, die zahlreichen Zitate so einzuarbeiten. 🙂
Allerdings gibt es einen Fehler bei den Zitaten: Die Sache mit dem Oaschloch von Hütteldorf (so heißt der Stadtteil Wiens in dem Rapid zu Hause ist) hat Happel zu Zeman gesagt, also umgekehrt als es im Artikel steht. Zeman hatte die Spitznamen Tiger von Budapest und Panther von Glasgow. Happel war mit Zeman eng befreundet und wenn Happel bei Rapids zahlreichen fulminanten Siegen zu der Zeit langweilig wurde, hat er Zeman zum Spaß Eigentore geschossen und ihn nachher auch noch auf gut Wienerisch „gehäkelt“, also „geärgert/beschimpft“.
Peter 15. November 2012 um 23:05
Sehr schöner Artikel!
Ich möchte Euch vor allen Dingen anspornen, die taktische Analyse von Happel-Mannschaften tatsächlich umzusetzen!!!
Weiter so.
Tank 15. November 2012 um 22:46
Danke für das tolle Portrait! Bei jedem anderen Trainer wäre es wohl das ein oder andere Zitat zu viel gewesen, aber im Falle von Happel… genau richtig.
Tery Whenett 15. November 2012 um 14:49
Sehr schönes Portrait eines Mannes, der leider vor meiner Zeit verstorben ist. Danke dafür!
Rupi 15. November 2012 um 11:46
Total toller Bericht! Mit den Zitaten perfekt abgerundet!
Wirklich gut gelungen! Sowas will man lesen!
Stadtneurotiker 14. November 2012 um 17:28
Sehr schöne Darstellung!
Es fällt mir schwer vorzustellen, daß Happel als Trainer kaum geredet haben soll. Ein noch so brillanter Taktiker wird auch in den früheren Zeiten des Fußballs auf Dauer keinen Erfolg gehabt haben, wenn er keinen Zugang zu seinen Spielern fand. Deshalb finde ich gerade Hrubeschs Ausführungen sehr plausibel.
blub 14. November 2012 um 15:54
Nice. hat mir gut gefallen.
hast du ne dopplung in der bildunterschrift von Niederlande ’78?
RM 14. November 2012 um 15:58
wie meinst du „Dopplung“? stehe gerade auf dem Schlauch 🙂
blub 14. November 2012 um 19:08
Ich zitiere mal wörtlich:
„zwei zentrale Mittelfeldspieler als Außenverteidiger, Außenverteidiger (und zentraler Mittelfeldspieler, wie wohl alle damals)…“
ist wohl einmal zu viel. oder ich verstehe nicht was du sagen willst.
RM 14. November 2012 um 19:28
Habe es jetzt verständlicher gemacht, hoffe ich.
Wolfsmond 14. November 2012 um 15:42
Super Artikel 🙂
Aufbau, Struktur und Inhalt sind einfach nur toll.
Und dem Nachruf kann ich auch nur vollumfänglich anschließen.
RM 14. November 2012 um 15:58
Danke! Persönlich finde ich ja, dass mir der Nachruf besser gelungen ist.
Wolfsmond 14. November 2012 um 16:39
Der Nachruf ist halt allgemeiner gehalten (was ihn nicht schlecht macht) als der Artikel hier der mehr auf Happels Lebenslauf und Trainerkarriere eingeht.
Toll finde ich den Nachruf halt vor allem, weil beim letzten Spiel Leverkusen gegen Rapid die Sprache darauf kam warum eure Vereine international derzeit nichts reißen.Österreich hat zwar durchaus gute Talente, die versuchen aber schnellstmöglich nach Deutschland zu kommen um dort zu spielen.
Das kritisiere ich zwar nicht prinzipiell finde es aber einfach Schade dass nichtmal Salzburg oder Wien noch ausreichend Strahlkraft entwickeln können um z.B. einen Arnautovic im Land zu halten.
Deinen Ansatz der verkrusteten Verbandsstrukturen und wenig innovativen Trainern scheint mir hier schlüssiger als die des TV-Kommentators dass es am Geld liege (grade RedBull hätte das Geld und ist nicht die einzige finanzkräftige Firma in Österreich die ähnliche Summen lockermachen könnten wie etwa VW oder Bayer)
Ehrlich gesagt hab ich solche Artikel wie deinen Nachruf gesucht wie blöde aber ausgerechnet DEN halt nicht gefunden.
Daniel 14. November 2012 um 14:09
Sehr geiler Artikel. Ich persönlich liebe es, wenn ausführliche Darstellungen mit Zitaten garniert werden, da dadurch ein wenig der Einblick ins Tatsächliche möglich ist, und nicht nur (obwohl sehr gut gemacht) Darstellungen gegeben sind.
crs 14. November 2012 um 15:33
Kann ich unterschreiben.
Bin begeistert.
@RM:
Buchtipps?
RM 14. November 2012 um 16:08
Tut mir Leid, ich lese eigentlich keine klassischen Bücher zu Fußball, eher sammle ich alte Interviews betreffender Personen, Ebooks, Recherchen, Zeitzeugenberichte in Foren, Nachrufen, Interviews, usw. usf.
Habe gerade aber recherchiert und herausgefunden, dass der Autor Klaus Dermutz eine Biografie über Happel geschrieben hat, die – Achtung! – „Genie und Grantler“ (wie zum Teufel soll ich auf die Idee kommen, die Überschrift meines unveröffentlichen Artikels zu googlen?) heißt und im Oktober veröffentlicht wurde. Von Heinz Prüller gibt es „Happel“ und „Das große Happel-Fußballbuch“ aus den 90ern.
P.S.: MR und ich haben uns überlegt, 4-5 Spiele von Happel-Mannschaften zu analysieren. Falls wir Zeit finden, erfährt man mehr.
Tom 14. November 2012 um 14:02
Interessanter Artikel!
Eine Kleinigkeit, die aber eigentlich egal ist: Der Verein hieß damals Swarovski Tirol und nicht sMarovski 😉
RM 14. November 2012 um 16:08
geändert, danke! 🙂