Chelsea FC – Liverpool FC 1:1
Chelsea hatte zuletzt national wie international etwas abgebaut und traf nun auf den bisher lediglich im Mittelfeld der Tabelle befindlichen Rivalen aus Liverpool. Während die Blues ohne große Überraschungen antraten und den gut aufspielenden, aber im Abschluss etwas unglücklichen Ex-Reds-Spieler Fernando Torres in vorderster Front aufboten, hatte sich Liverpools Neu-Trainer Brendan Rodgers die Aufstellung einer Dreierkette überlegt, welche für mehr Stabilität auch schon in der zweiten Halbzeit des Merseyside-Derbys bei Everton zum Einsatz gekommen war. Wisdom bildete mit Agger und der seit langem mal wieder von Beginn an spielenden Klublegende Carragher die zentrale Verteidigung, Johnson und Jose Enrique agierten auf den Seiten als Wing-Backs, während Sterling und Suárez ein bewegliches und etwas linksseitiges Sturmduo formierten.
Das Spiel der ungünstigen Offensivstellungen und der Ineffektivität.
Die zwei Möglichkeiten der Betrachtungsweise
Bei gegnerischem Ballbesitz zog sich Liverpool mit ihren beiden Wing-Backs in eine Fünferkette zurück, was wohl zusätzliche Stabilität garantieren und besonders das Zentrum gegen die sich meistens dort ballenden Offensivkräfte der Hausherren zusätzlich absichern sollte. Durch die entstehende Formation – meistens ein 5-3-2, wobei durch Gerrards gelegentliche Rochaden auf eine Art Rechtsaußenposition auch ein 5-2-3 gebildet werden konnte – war allerdings die Mittelfeldlinie, welche aus nur drei bzw. gelegentlich gar nur zwei Spielern bestand, als solche nicht mehr gänzlich kompakt.
Was wie eine für mehr Zentrumsstärke in Kauf genommene Schwäche klingt, hatte letztlich allerdings ambivalente Auswirkungen und kann daher unterschiedlich interpretiert und bewertet werden:
Auf der einen Seite bedeutete diese fehlende Kompaktheit im konkreten Fall, dass sich neben der Mittelfeldlinie im Bereich der Halbräume und der Seiten Freiräume für Chelsea zum Bespielen öffneten. Weil die Angreifer Liverpools weder konstant Druck aufbauen konnten noch die vertikalen Passwege effektiv genug abdeckten, konnte Chelsea häufig mit direkten Zuspielen aus der Abwehrreihe diese Bereiche ansteuerten, wo sich ihre beweglichen Offensivspieler dann tummelten, um miteinander zu interagieren.
Auf der anderen Seite allerdings erreichte Liverpool trotz dieser offen gelassenen Freiräume, dass Chelseas Offensive aus den zentralen Bereichen und dortigen Zwischenräumen heraus gedrängt wurde. Dadurch war gerade der nominell ballferne der drei Offensivspieler von seinen beiden Kollegen isoliert, welche sich gegen den tief stehenden und mit vielen Akteuren verteidigenden Defensivblock der Reds häufig in Unterzahlsituationen festliefen oder bei Kombinationsversuchen in deren Netz verfingen. In dieser Hinsicht kann man also durchaus auch argumentieren, dass die Taktik der Gäste ihren Sinn und Zweck erfüllte.
Zweifelsohne spielte Chelsea die Situationen nicht ideal aus und Liverpool beispielsweise auch mit der Ausrichtung ihrer Außenverteidiger in die Karten – ohne direkten Gegenspieler rückten Azpilicueta und Bertrand, auch aufgrund der horizontalen Rochaden von Sterling und Suárez, nicht konsequent mit auf und fielen bei ihren wenigen Ausflügen ohnehin eher durch schwache Aktionen und Ineffektivität auf.
Chelsea durch Gegenstöße mit Chancenplus
Dass Chelseas Überladungsversuche letztlich doch einige Male durchkamen und zur Überlegenheit der Blues in Sachen Torchancen führte, war nicht durch Produkte der Aufbauarbeit bedingt, sondern lag an zwei Punkten:
Erstens wurden sie vor allem durch Schnell- und Konterangriffe gegen Liverpool gefährlich. Gerade nach Ballverlusten der Reds im Zentrum gegen die eng spielenden Offensivspieler Chelseas waren diese in viel besseren und aussichtsreicheren Positionen in der Spielfeldmitte und konnten gegen die – auch durch die vielen Bewegungen der Spieler nach außen – stärker geöffnete Formation nach vorne brechen. In diesem Zusammenhang konnten auch die geschickten Rückstöße Torres´, seine starke Ballbehauptung, sein horizontales Ausweichen und seine Dribblingstärke besser und effektiver ins Angriffsspiel eingebunden werden. Zweitens war es natürlich auch die Harmlosigkeit auf der anderen Seite, welche die von Chelsea heraus gespielten Chancen besonders betonte.
Liverpools Linkslastigkeit fehlt die Durchschlagskraft
Bei Liverpool war die Dreierkette nicht gänzlich klassisch, sondern etwas asymmetrisch angeordnet – so stand Johnson höher als Jose Enrique und besetzte häufig als einziger Spieler den Strafraum, während Wisdom weiter nach außen tendierte als Agger. Dies schlug sich dann auch in der Struktur des Aufbauspiels der Reds nieder: Während Johnson meistens von Ryan Bertrand verteidigt wurde, ließ sich der jeweils rechte Offensivspieler Chelseas von Jose Enrique weit nach hinten drängen. Dies brach die Ordnung bei den Hausherren auf, sorgte für eine deutliche Balldominanz und eröffnete Liverpool Freiheiten im linken Halbraum, die besonders vom immer wieder aufrückenden Agger sowie vom abkippenden Sahin genutzt wurden, dem wiederum Gerrard mit vielen Horizontalrochaden nach links Raum und Zeit freiblockte. Weil sich auch die beiden beweglichen Stürmer vermehrt auf diese Seite bewegten, entwickelte sich die Dominanz der halblinken Seite im Spielaufbau zu einem größeren Phänomen weiter – letztlich wurden mehr als die Hälfte aller Liverpooler Offensivaktionen über diesen Spielfeldteil gefahren.
Dass die Gäste vom Mersey aus dieser Linkslastigkeit und den theoretischen Vorteilen von nah beieinander liegenden Kombinationsmöglichkeiten allerdings keine zwingenden Tormöglichkeiten erspielen konnten, lag an einem Problem, das sie schon die ganze Saison über begleitet – es fehlt an Durchschlagskraft. Mit einer Dreierkette wurde diese Schwierigkeit, genügend Präsenz in den hohen Zonen zu gewährleisten, noch einmal verschärft. So fehlte es Liverpool an zwingenden Läufen und genügendem Aufrücken, was gegen die wiederum auf Absicherung bedachten und eher tief bleibenden gegnerischen Außenverteidiger und Sechser das Erzeugen von gefährlichen Szenen verhinderte.
Überdies konnte Chelsea bis auf wenige Ausnahmen nach guten Pässen von Sahin in die Tiefe relativ frühzeitig und konsequent den Flügel zuschieben und die Räume für Liverpool dort eng machen. Wenn Liverpool dann aus dieser Enge herausspielen wollte, hatten sie keinerlei Optionen im ballfernen Halbraum, da alle Spieler bereits recht linksseitig agierten, während Johnson weit entfernt und unverbunden in sehr hoher und breiter Position auf dem rechten Flügel stand. Einzig Joe Allen wäre als Zwischenoption in Frage gekommen, doch musste der Waliser dann aus seiner zentralen Stellung diagonal leicht zur Seite hinaus rochieren. So hatte er nur Johnson als unmittelbare Anspieloptionen und einen schlechten Standwinkel zur linken Seite zurück, von wo aus die Chelsea-Spieler ihn bereits anliefen und schneller Zugriff auf die Situation hatten, als Unterstützung nahen konnte – doch bewegten sich die Liverpool-Spieler meistens generell nicht wirklich effektiv, sobald der Angriff ins letzte Drittel gekommen war, was sich hier exemplarisch zeigte. Die Linkslastigkeit war zu radikal und eindimensional und wurde durch die erzeugte ungünstige Offensivstellung von einer Stärke in tiefen zu einer Schwäche in höheren Zonen.
Formationsumstellung im zweiten Durchgang
So entwickelte sich das Spiel über weite Phasen relativ unspektakulär und ohne große Veränderungen: Chelsea führte durch eine Standardsituation nach 20 Minuten und hatte gegen harmlose Gäste anschließend die besseren Chancen in einem wenig berauschenden Match. Erst Mitte der zweiten Halbzeit gab es eine interessante Reaktion von Brendan Rodgers, der in Folge der Einwechslung Susos (für Sahin) auf eine 4-2-3-1-Ordnung umstellte: Johnson gab nun den Linksverteidiger, Jose Enrique spielte vor ihm, Suso in der Offensivzentrale und Sterling auf dem rechten Flügel.
Allerdings wurde Liverpool auch weiterhin wenig gefährlich, da die vordere Offensivreihe durch den hoch positionierten Suso zu flach angeordnet war und sich daher nicht genügend Kombinations-möglichkeiten boten. Hinzu kam, dass der im zentralen Mittelfeld spielende Gerrard überraschend vorsichtig aufrückte und somit auch die Unterstützungsprobleme nicht endgültig behoben wurden. Meistens waren unorthodoxe Einzelaktionen und nach innen ziehende Horizontalläufe des bulligen und gut aufspielenden Jose Enrique oder Situationen, in denen Suso sich besser im Zehnerraum bewegte, die besten Waffen für die Reds. Doch zumindest konnten sie durch den Formationswechsel einfacher über die Flügel nach vorne ins letzte Drittel vorrücken (Enrique) und dort immerhin den Druck auf Chelsea erhöhen, wenn schon nicht zwingende Chancen kreieren. Somit reichte ein Treffer von Suárez nach einer Ecke für den Ausgleich, auf den Chelsea in den folgenden 15 Minuten keinerlei Antwort fand, weil auch sie wenig änderten.
Fazit
Es hat schon bessere und aufschlussreichere Premier-League-Topspiele in dieser Saison gegeben. Diese potentiell durchaus interessante Partie, vor allem in Bezug auf die Auswirkungen von Liverpools Dreierkette, wurde allerdings aufgrund der schwachen Offensivunterstützung bzw. ungünstigen Positionierungen und der meistens höher geschätzten Defensivabsicherung auf beiden Seiten ihrer Klasse und Spannung beraubt.
1 Kommentar Alle anzeigen
BVB3000 12. November 2012 um 23:15
Das Spiel war zähe Kost. Aber Liverpool ist die Saison (uff, die letzten eigentlich auch schon) ne echte Rumpftruppe. Die Ersatzbank/Kader ist dünn besetzt und das Stadion immer noch ne Katastrophe, naja sie ewigen Finanzen. Finde Rodgers macht damit eigentlich noch einen ganz guten Job, aber die Abhängigkeit von Suarez ist schon krass. Hoffentlich verletzt er sich nicht, sonst gehen die Lichter aus. Hazard’s defensives Arbeitspensum in dem Spiel war fast ’ne Frechheit, so gut der Junge nach vorne auch ist, aber CR7 sollte er sich in der Beziehung nicht zum Vorbild nehmen.
Mit der Dreierkette hinten zuviel Ballgeschiebe und pomadig nach vorne, es fehlten aber auch durch das zaghafte 5er Mittelfeld die Anspielstationen vorne, wenigstens konnte man so die Aussen von Chelsea unter Kontrolle halten. Das Spiel kann man abhaken.