Arminia Bielefeld – Bayer Leverkusen 2:3 n.V.
Ein tolles Pokalspiel mit vielen und vielschichtigen Wechselwirkungen sowie wechselhafter Wirkung der einzelnen Elemente der Partie.
Nach dem Paukenschlag in München stand für Bayer Leverkusen nun im DFB-Pokal ein ganz anderer, aber auf andere Art dennoch unangenehmer Gegner auf dem Programm – Arminia Bielefeld, aktueller Tabellenzweiter in der dritten Liga. Während die Heimmannschaft von Trainer Stefan Krämer in zuletzt üblicher Besetzung und ohne personelle Überraschungen wie bei den Siegen gegen Wehen und Heidenheim auflief, gab es bei Leverkusen einige Änderungen. Verglichen mit der Ligapartie bei den Bayern spielten Michael Rensing, Manuel Friedrich und Jens Hegeler anstelle von Leno (verletzt), Wollscheid und Rolfes.
Abkippende Achter und veränderte Deckungsaufgaben
Ein prägendes Merkmal des Spiels waren die großen Freiräume für die beiden Leverkusener Achter Bender und Hegeler im Spielaufbau, wenn sie in seitliche Bereiche neben Klos und den etwas tieferen Schönfeld, der sich meist auf Reinartz konzentrierte, abkippten, wo sie viel Kontrolle erhielten und den Zugriff seitens der Arminia meist verhindern konnten. Gleichzeitig rückten bei der Werkself beide Außenverteidiger weit mit nach vorne auf, um für offensive Breite zu sorgen und den bespielbaren Platz für die seitlichen Positionsverschiebungen zu öffnen, während Castro und Schürrle sehr zentral agierten.
Darauf reagierten die Bielefelder allerdings geschickt mit einer Veränderung der üblichen Deckungsverantwortlichkeiten: Die offensiven Außenverteidiger der Leverkusener wurden von den eigenen und nicht von den offensiven Außenspielern übernommen, womit die Seiten nicht unnützerweise doppelt verteidigt werden mussten. Weil somit Rahn und Hille in ihren Grundräumen bleiben konnten, wurde mit relativ wenig Aufwand der Effekt der Leverkusener Verschiebungen im Mittelfeld verringert, da die beiden zwar nicht für Druck auf die Achter in den Halbräumen sorgen konnten, aber dennoch eine gewisse Behinderung darstellten. Insgesamt war das Resultat aus all diesem, dass die Leverkusener aus ihrer Kontrolle gar nicht so einfach nach vorne spielen konnten.
Verstärkt wurde dies auch durch die manchmal zu großen Abstände zwischen den eher tiefen Achtern und den hohen Außenverteidigern, so dass es hier ein wenig an konsequenten Verbindungen mangelte. Daher waren direkte Vertikalpässe der Innenverteidiger oder Mittelfeldspieler auf die zwischen den Linien sehr beweglichen Castro und Schürrle eine der Hauptgefahrenquellen der Gäste – letztlich sollte auch genau so eine Szene zum spielentscheiden Tor in der späteren Verlängerung führen.
Bielefelds „semi-mannorientierte Passivität“
Wenn die Leverkusener Angriffe weiter ins letzte Drittel geschritten waren oder nach einem der angesprochenen Vertikalpässe auf die Seiten getragen wurden, gab es ebenso interessante taktische Aspekte auf beiden Seiten zu sehen. Einmal war auffällig, dass die Bielefelder immer wieder in verschiedene Mannorientierungen abdrifteten, deren Zuordnungen sich aber im Spiel veränderten und dabei an die jeweils situative Ausprägung der Leverkusener Offensivformation anpassten. Dadurch wollten die Bielefelder das überladende Kombinationsspiel der Leverkusener auf den Seiten und in den Halbräumen durch den jeweiligen Außenverteidiger, den dann mit aufgerückten Achter sowie weitere Offensivspieler verhindern und das Zurechtlegen von Kombinationswegen für Spielzüge der Gäste erschweren.
Hinzu kam eine passive und abwartende Verteidigungshaltung in den tieferen Zonen, die nicht auf unbedingte Kompaktheit abzielte, sondern den Leverkusenern durchaus Räume anbot, um deren Bewegungen in diesen freien Bereichen antizipieren, aufnehmen und kontern zu können. Anstelle möglichst wenige Chancen zuzulassen, wollten die Arminen in diesem Zusammenhang eher dafür sorgen, die aus den Räumen entstandenen Gelegenheiten der Leverkusener qualitativ möglichst ungefährlich zu machen. Obwohl die Gäste mit Fluidität und Ruhe in die Zwischenräume hinein zu spielen versuchten, waren die Arminen fast immer in der Nähe und konnten also viele Situationen klären – für den Erfolg dieser passiven Spielweise war die partielle Mannorientierung eine Art Basis, ihr abdrängendes Spiel, die Endverteidigung der Innenverteidiger und ihre gute Improvisation dabei ebenso essentiell.
Diese Stärken machten sich auch gegen die Leverkusener Flanken und Hereingaben, insbesondere von Carvajal, bezahlt. Gegen die spielstarke Bayer-Offensive zog sich die Bielefelder Viererkette trotz bzw. vielleicht gerade wegen der etwas Chaos stiftenden partiellen Mannorientierung eng zusammen und bot damit Raum für Verlagerungen auf die heranstürmenden (und in manchen Situationen ohnehin ungedeckten) Außenverteidiger. Während Schwab (Hosogai agierte nach dessen verletzungsbedingter Auswechslung vorsichtiger) zwar sehr hoch, aber als Rechtsfuß sehr eng stand, traf dies eben besonders auf Carvajal zu. In solchen Szenen ließen die Bielefelder die Hereingaben des Spaniers meistens zu, wichen von ihm weg und konzentrierten sich auf die Entschärfung des Balles und nicht auf dessen Verhinderung – durchaus ähnlich wie die Leverkusener am Wochenende gegen die Bayern. Folglich strahlte Bayer insgesamt viel Gefahr aus und schien immer wieder kurz vor dem Durchbruch – meistens waren es allerdings entweder nicht vollendete Angriffe oder nur Halbchancen. Dass die beiden ersten Tore für die Gäste jeweils komisch unkontrollierte Abpraller nach Standardsituationen waren, passt also ins Bild.
Bielefeld nutzt Bayers Mittelfeldräume…
Auch der erste Treffer der Partie, die frühe Führung für die Bielefelder durch Sebastian Hille, hatte Symbolcharakter, zeigte dieses Tor doch die Leverkusener Anfälligkeit gegen Kontersituationen, die auch von den Hausherren in der einen oder anderen weiteren Szene ausgenutzt werden konnte. Speziell das Problem der weit aufgerückten Leverkusener Außenverteidiger erkennen war hier erkennbar – ganz besonders in Zusammenhang mit der Tatsache, dass sich die Bielefelder Außenspieler davon nicht nach hinten ziehen ließen. Daher mussten bei Gegenstößen meistens die Leverkusener Mittelfeldspieler von den Außenseiten auf die Vorstöße der Bielefelder Außen aufpassen, was beim Gegentor scheiterte: Hegeler kam nicht mit Hille mit, welcher den Freiraum auf der Seite attackierte, wenngleich er bei seinem anschließenden Lauf in die Mitte auch davon profitierte, dass Friedrich vorher bei einem Vorstoß den Fehlpass gespielt hatte und daher in der Abwehrlinie zusätzlich fehlte.
Daneben war das Spielfeldzentrum eine defensive Problemzone für Bayer. Gerade im Raum zwischen den Linien des Mittelfelds, aber auch im Bereich ihrer Achter, welche einen großen Radius bearbeiten mussten, fanden die Bielefelder ein ums andere Mal Freiheiten – beispielsweise konnten sie ihre Befreiungsschläge in diese unkompakte Zone spielen.
Der Grund für diese Leverkusener Schwierigkeiten, lag zu großen Teilen in der engen Stellung von Castro und Schürrle – nicht nur bei eigenen Angriffen und damit im defensiven Umschaltspiel gegen die angesprochenen Bielefelder Konter, sondern auch bei Aufbausituationen für die Ostwestfalen. Aufgrund der engen Offensivspieler wurde das Leverkusener Mittelfeld in der Breite durch die aufrückenden Außenverteidiger Bielefelds (Riemer) auseinandergerissen, was im Zentrum Räume öffnete, die sich eben durch die hohe Stellung der drei Stürmer auch in der Tiefenstaffelung verstärkten. Das übliche Bielefelder Gegenpressing spielte daher nicht die ganz große Rolle, da es bei Leverkusener Unkompaktheit nur wenig benötigt wurde, bei einigen gegenteiligen Szenen dann aber nur teilweise effektiv war.
…kann daraus aber nicht genügend klare Chancen erspielen
Insgesamt konnten die Bielefelder aus dem Bespielen dieser Freiräume allerdings zu wenige klare Chancen erspielen. Sinnbildlich stand dafür der bereits erwähnte Rechtsverteidiger Dennis Riemer, der einige mutige Vorstöße zeigte und die leichten Lücken auf dieser Leverkusener Seite ausnutzte, allerdings nicht produktiv genug spielte. Gerade durch die Tatsache, dass Leverkusen mehr zur rechten Seite tendierte, stand besonders im Umschaltmoment der andere Flügel für Riemer etwas offener – doch er war direkt kaum an gefährlichen Szenen beteiligt.
Die letzte Effektivität fehlte auch dem Bielefelder Mittelstürmer und Torgaranten Fabian Klos, der dafür aber erneut sehr weite Wege ging, immer wieder auf die Seiten auswich und aus schwierigen Lagen anspruchsvolle Bälle behauptete und für seine Kollegen weiterspielte. Für sein mannschaftsdienliches Spiel nutzte auch er die Räume im Mittelfeld, in welche er sich das eine oder andere Mal fallen ließ.
Ganz wichtig für die Arminia war in diesen Zonen übrigens Tim Jerat. Der langjährige und erfahrene Drittliga-Stammspieler zeigte diesmal nicht nur seine Kampfstärke in der Defensive, sondern auch seine organisatorischen und antreibenden Fähigkeiten als Mittelfeld-Allrounder. Immer wieder sorgte er in den Freiräumen für wertvolle Tempo- und Rhythmuswechsel, Verlagerungen und Vertikalpässe, die zu mehreren gefährlichen Szenen führten. In den Freiräumen waren seine „Individual“-Pässe meist effektiver als das kollektive Zusammenspiel, da sich die Leverkusener auf diese Weise nicht schnell genug zusammenziehen konnten. Wenn dies passierte, wussten die Bielefelder zu häufig nach dem Herausspielen aus dem enger gewordenen Raum nicht, wie sie nun weitermachen sollten.
Zweite Halbzeit und Verlängerung
Etwas überraschend mag es vielleicht klingen, doch letztlich war es so, dass sich die Grundmuster des Spiels über seinen insgesamt 120-minütigen Verlauf im Großen und Ganzen eher wenig änderten. Dies lag besonders daran, dass die Bielefelder sowohl in der zweiten Halbzeit als auch in der Verlängerung sehr früh ein Gegentor schlucken mussten und anschließend fast die gesamte Zeit zurücklagen. Weil ihr System aus der passiven und sichernden Stellung allerdings auf die Leverkusener kaum druckvollen Zugriff generieren konnte (nur vereinzelte und spontane Pressing-Ausreißer), fehlten die wirklichen Veränderungen im Spiel – Bielefeld wollte nicht zu früh die bisher bewährte Spielweise für mehr Risiko umstellen, während Leverkusen zunächst nur Kleinigkeiten änderte und beispielsweise die Raumbesetzung etwas variabler gestaltete.
Auch aufgrund der natürlichen Entwicklung eines Spiels, gerade einer solchen Begegnung, hinsichtlich Kräfteverschleiß, nachlassender Disziplin sowie Konzentration und dem Zunehmen von Fehlern und Räumen kamen die verschiedenen Elemente der Partie mal mehr und mal weniger deutlich zum Tragen, traten demgegenüber mal hervor und verwischten mal. In ihrer Wirkung waren die verschiedenen Aspekte der Partie also von Zeit zu Zeit wechselhaft.
So gab es natürlich immer wieder – beispielsweise in den ersten fünf Minuten oder aber im weiteren Verlauf der Begegnung – Phasen, in denen die Arminia ihre defensive Verteidigungsweise nicht so stark auf den Platz brachte, was gegen die insgesamt bewegliche und spielstarke Leverkusener Offensive sofort gefährlich werden konnte. Mit zunehmender Spieldauer konnte der Gastgeber seine Spielweise nur noch schwer aufrechthalten und brauchte deshalb auch in einigen Szenen die glückliche Hilfe des Zufalls, um Leverkusener Aktionen doch noch irgendwie aus der Gefahrenzone zu bugsieren.
Beeindruckend war allerdings der Bielefelder Versuch, auch in der Schlussphase konstruktiv nach vorne zu spielen. Gerade in den letzten zehn Minuten der Verlängerung wählten sie immer wieder das Kombinationsspiel durch die Mitte, wo Klos, der eingewechselte Agyemang und gar der als weiterer Stürmer vorne spielende Hornig einige ungewohnt spielstarke, kollektive Aktionen erzeugten. Allerdings fehlte gegen die gute Leverkusener Verteidigung meistens die Konzentration und Ruhe, um diese Aktionen auch mit der nötigen Geradlinigkeit und im richtigen Moment abzuschließen. So wurde für die Nachspielzeit doch noch die Brechstange ausgepackt, welche aber nichts mehr half.
Fazit
Ein tolles Spiel mit großem Unterhaltungswert und vielen verschiedenen Elementen. Lange Zeit konnten die Bielefelder mit ihrer guten Reaktion auf die Leverkusener Positionsverschiebungen, geschickt ausgespielter Passivität (im Wortsinne also eigentlich alles andere als der viel zitierte „Pokal-Fight“) und einigen guten Schnellangriffen durch das offene Mittelfeld dagegen halten und die Partie durchaus ausgeglichen halten. Allerdings muss man natürlich auch sagen, dass mit der Zeit gerade die defensive Spielweise schwerer zu spielen war und die Hausherren daher einige Male Glück gegen die gefährlichen Bayer-Konter und ihre schwache Chancenverwertung. So setzte sich über 120 Minuten dann in der Verlängerung die individuelle Überlegenheit und die bewegliche Spielanlage der Gäste äußerst knapp, aber dennoch knapp verdient gegen den tapferen Drittligisten durch.
1 Kommentar Alle anzeigen
Rasengrün 1. November 2012 um 16:23
Schöne Zusammenfassung, allerdings war das Spiel und sein Verlauf für mich auch keine Überraschung. Auch wenn Arminia in der Drittligatabelle vorne gut mitmischt sieht man doch immer wieder große Probleme im eigenen Aufbau, während die Defensive meist solide und vor allem anpassungsfähig erscheint. (Ausnahme, die hier aber die Regel bestätigt, natürlich das Derby) Insofern war es absehbar, dass die Pokalkonstellation der klaren Außenseiterrolle gegen einen spielerisch überlegenen Gegner der Mannschaft durchaus in die Karten spielen würde. Interessantester Aspekt für mich war Krämers Schachzug bezüglich der Zuordnungen in der partiellen Manndeckung, die natürlich auch darauf beruhte, dass die Leverkusener Zentrale in dieser Konstellation nicht ansatzweise das kreative Potential der Offensivreihen davor besitzt.