Bayer Leverkusen – Borussia M’Gladbach 1:1
Das Spiel zwischen Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach war eine Partie zwischen zwei großen Fragezeichen. Letzte Saison landeten sie auf den Plätzen vier und fünf, diese Saison konnten sie bislang nur phasenweise überzeugen. Den Gladbachern scheint es an der letztjährigen Dynamik zu fehlen, während in Leverkusen das 4-3-2-1 noch nicht funktioniert. Gegen Dortmund wurde es dann durch ein anderes System ersetzt, allerdings ohne Erfolg. Nun trafen sie auf die Gladbacher, deren Spielweise ebenso nicht die erwünschten Punkte holen konnte – und präsentierten sich von ihrer besten Seite.
Wechselwirkungen der jeweiligen Formationen
Dieses Spiel markierte die Rückkehr zur 4-3-2-1-Formation als Variante des 4-3-3 bei den Gastgebern. Vorne spielten Bellarabi und Schürrle neben Kießling und sollten mit ihrer Dynamik über die Außen Betrieb machen. Unterstützt wurden sie von den enorm hohen und aggressiven Außenverteidigern, welche durch das Dreiermittelfeld abgesichert wurden. Dies schob die Gladbacher in ihrem leicht erhöhten Pressing (in Relation zur vergangenen Saison) auseinander und Leverkusen fand sowohl in der Vertikale als auch in der Horizontale Räume vor.
Gladbach presste trotz Xhakas Aufstellung im Sturm weiterhin im 4-4-2 und hatte selten Zugriff auf die gegnerischen Innenverteidiger beim Aufbauspiel, welche durch die drei Sechser unterstützt wurden. De Jong beispielsweise hatte nicht einen Zweikampf in der ersten Hälfte.
Im Mittelfeld liefen die Leverkusener mit Bender und Castro auf den Halbpositionen auf. Dadurch hatten sie mit Reinartz einen koordinierenden und defensivstarken Mann im Zentrum, welcher die Räume sicherte und zustellte. Allerdings spielte er weder sehr tief noch ließ er sich zwischen die Innenverteidiger fallen, sondern spielte letztlich eine klare und typische Sechs, während Castro und Bender mit ihrer Dynamik Konter unterbinden sowie das eigene Offensivspiel unterstützen sollten.
Bei den Gladbachern spielte Xhaka als Stürmer. Er sollte seine Rolle – ähnlich wie Hanke letzte Saison – tiefer interpretieren, doch im Pressing war er klar erkennbar als zweiter Stürmer eingeteilt und aktiv. Im Ballbesitz schien er dann jedoch seine Rolle nicht wirklich zu kennen; immer wieder bewegte er sich in die falschen Räume, diente nicht als Anspielstation und konnte kaum gute Aktionen zeigen. Darunter litten auch die Sechser, welche es defensiv wie offensiv schwer hatten.
Links zeigte sich Arango in der Defensive bisweilen lethargisch, weswegen die rechte Seite überladen wurde. Hier mussten die Sechser herausrücken, kamen aber meist zu spät. Auch durch die weit auseinandergezogene eigene Formation hatten sie enorme Räume abzudecken und schafften dies kaum. Die konservative Rolle der Außenverteidiger beschränkte sie im Aufbauspiel und die Innenverteidiger konnten sie kaum im Aufbauspiel entlasten. Allerdings traf dies umgekehrt ebenso zu. Die beiden Sechser schienen sich bewusst von den freien Räumen fernzuhalten, um den Spielaufbau nicht übernehmen zu müssen.
Probleme der Gladbacher
Trotz der frühen Führung hatten die Gäste über die restlichen Minuten hinweg keine nennenswerten Aktionen. Offensiv funktionierten ihre Unterzahlkonter nicht, da sie die Räume nur schwach bespielten. Immer wieder scheiterten sie an schnellen Kombinationen oder an der nötigen Dynamik im Umschalten. Bezeichnend war eine Szene in der zweiten Halbzeit, als eine der wenigen Möglichkeiten zum schnellen Umschalten aus dem Mittelfeld heraus durch Zögern des Ballführenden im Keim erstickt wurde. Zu einem riskanten und schnellen Umschaltspiel benötigt man mehrere Faktoren:
Eklatant wichtig ist natürlich eine vorhergehende Gegneranalyse und passende Einstellung, um zu wissen, welche Räume bespielbar sind. Dazu kommt die nötige Eingespieltheit, um die Laufwege der jeweiligen Mitspieler zu kennen, die Kombinationen erfolgreich und effektiv zu gestalten. Ein letzter großer Punkt ist das Selbstbewusstsein und das Wissen um die eigene Stärke, welche Ballbehauptungen, Dribblings und Kreativität protegiert. All dies fehlt den Gladbachern aktuell, denn das Linienspiel war beispielsweise nach wie vor auf hohem Niveau erkennbar. Jedoch gab es auch defensiv viele Löcher, was neben der mangelnden individuellen Adaptierung an das leicht veränderte Pressing auch an der verbesserten Einstellung der Gegner liegt.
So bespielten die Leverkusener ausdrücklich die positionsorientierte Raumdeckung der Gladbacher. Insbesondere Arango verfolgt seinen Mann selten, lässt Räume hinter sich frei – mit Bellarabi, Carvajal und teilweise sogar Bender wurde hier gezielt bespielt und von den Seiten kamen diese Spieler oder zumindest Pässe in die Mitte hinein. Wie Wasser sogen sie sich in die Formation der Gäste und infiltrierten sie. Immer wieder gab es dann für die Sechser das Problem, was sie den tun sollten: die Räume in der Mitte besetzt halten, zur Seite gehen oder sich stärker nach hinten fallen lassen, obwohl das nicht der Philosophie entspricht?
In der vergangenen Spielzeit war es die enge Formation Gladbachs, welche kompakt war und dem Gegner vorne den Ball überließ, um ihn ab der Mitte zu erobern. Dann wurde mit dem spielstarken Dante oder dem dynamischen Reus im Verbund mit Herrmann und Co. entweder das Spiel beruhigt oder blitzschnell gekontert. Zentral sicherte Neustädter weite Räume, wenn diese entstehen sollten – diese Räume kann nun keiner auf diesem Niveau übernehmen. Das Aufbauspiel ist schlampig, die präzisen Querpässe Neustädters erfahren jetzt erst ihre Wichtigkeit. Es ist nicht die Abnahme der individuellen Qualität, welche entscheidend ist, sondern die kollektive Homogenität in der Entscheidungswahl, Positionierung und Abstimmung.
Etwas, was die Leverkusener scheinbar über Nacht in ihrer Mannschaft fanden. Darum beleuchten wir löblich – trotz nur dem einen gewonnen Punkt – das System der Gastgeber in Kurzfassung.
Das 4-3-2-1 im Pressing
In der Arbeit gegen den Ball transformierte sich das Spiel mit zwei Halbstürmern und einem Mittelstürmer zu einer sehr breit angelegten Formation mit nur drei Bändern. Es entstand also ein 4-3-3, in welchem wirklich mit drei Spielern in einer Linie gespielt wurde.
In der Theorie klingt das ganze gut: die Mittelfelddreierkette kann sich vor die Viererkette postieren und den gefährlichen Raum zwischen den Linien inexistent machen. Danach können sie geschlossen nach vorne rücken und aus einer extrem kompakten Formation heraus gegen den Ball arbeiten. Die drei Stürmer sind numerisch ausreichend, um die gegnerische Viererkette mit einem auf den Mannschaftsteil bezogenen Pressing effektiv zu bedrängen.
Durch die Breite im Mittelfeld kann auch lokales Pressing auf beiden Seiten betrieben werden. Der zentrale Stürmer läuft an und schiebt das Aufbauspiel des Gegners auf eine Seite. Von dort wird der Ballführende bedrängt, der Außenverteidiger rückt auf und der ballnahe Halbspieler im Mittelfeld ebenso. Die gesamte Flanke des Gegners wird bedrängt, während sich die ballfernen Spieler tiefer positionieren und absichern können. Beispielsweise sah man bei Schürrle und noch stärker bei Bellarabi, wie sie nach hinten kamen und insbesondere bei Überwinden von Bayers Pressingwall tief standen, um einen zusätzlichen Mann gegen Seitenwechsel sowie für das Verschieben zu geben.
Durch die zwei schnellen Umschaltspieler in der Reihe oder einen davon als weiterhin vorne postiertem Halbstürmer, der zockt, konnten sie dann auch aus dem Mittelfeld- oder Abwehrpressing schnell umschalten. Ziel war es in erster Linie, viel Raum zu überbrücken und in Ballbesitz zu bleiben oder eben durch Kießling im Kombinationsspiel weiter aufzurücken.
Das 4-3-2-1 im Aufbauspiel
Besonders interessant waren die Bewegungen der Leverkusener beim Herausspielen des Balles. Carvajal und Kadlec postierten sich extrem weit vorne und hoch, zentral positionierten sich die Innenverteidiger in einer breiten Stellung. Reinartz, Castro und Bender unterstützten, doch die letzteren beiden bewegten sich auch viel entlang der Seite. Sie halfen Carvajal und Kadlec als Anspielstationen und bewegten sich außerhalb des Feldes der beiden Sechser Gladbachs.
Die beiden hängenden Stürmer passten sich dessen an. Sie waren im Normalfall vor den aufgerückten Flügelverteidigern platziert, befanden sich dann meist etwas eingerückt nach innen. Aus diesem Punkt gab es einen diagonalen Raum schräg nach hinten, welcher ihnen gehörte und in welchen sie sich fallen ließen. Dort konnten sie beispielsweise mit den Halbspielern des Mittelfelds kombinieren oder diese übernahmen gar die hohe Position und Schürrle beziehungsweise Bellarabi bewegten sich dann verstärkt in der Mitte, von wo sie mehr Zugriff auf das gegnerische Tor hatten.
Außerdem konnten sie mit ihren diagonalen Bewegungen und dem gleichzeitigen Ausweichen der Mittelfeldspieler den Spielaufbau unterstützen, da sie dann meist als Anspielstation freigelaufen wurden und angespielt werden konnten. Dies war auch der Grund, wieso es eigentlich nie eine Dreierkettenbildung im Aufbauspiel gab. Die breiten Innenverteidiger, die hohen Außenverteidiger und die anpassungsfähigen Spieler auf den Halbpositionen bedeuteten hohe Flexibilität im Übergang vom ersten bis zum letzten Spielfelddrittel.
Fazit
Ein starkes Spiel der Leverkusener, welche an ihrer mangelnden Chancenverwertung und Torhüter ter Stegen scheiterten. Gladbach hingegen hatte einige Probleme in sämtlichen Aspekten des Spiels und darf sich über diesen Punkt in der Fremde mehr als glücklich schätzen. Dennoch muss angemerkt werden, dass diese Mannschaft zweifelsohne über einen tollen Trainer und hohes Potenzial verfügt, allerdings nicht nur im Entwicklungs-, sondern auch im Findungsprozess steckt. Leverkusen hingegen sollte auf dieser Leistung aufbauen, um eben diesen Prozessen zu entgehen und den nächsten Schritt zu machen.
14 Kommentare Alle anzeigen
ode 25. September 2012 um 17:01
Vielen Dank für den Artikel. Freue mich immer wieder, wenn ihr etwas über Bayer schreibt.
Mich hat das Spiel gegen Freiburg (das viel zu positiv betrachtet wurde – aus Bayer-Sicht) etwas beunruhigt, weil dort das Aufbauspiel überhaupt nicht geklappt hat. Auch, weil die Freiburger gar nicht so schlecht waren und sehr passend gepresst haben.
Gladbach kam deshalb vielleicht auch nicht so richtig zum Zug, weil Bayer ein interessantes, sehr hohes Pressing spielt. Ohne die Spieler, die diese Situationen lösen können, wird zukünftig jede Mannschaft ein Problem gegen Bayer haben.
Alex 24. September 2012 um 23:51
ok die spielverlagerung.de fachbegriffe wie triggersitzen bei mir noch nicht so. kann man sich da irgendwo schlau machen?Ich meinte nur das Verhalteen gegen den Ball. Hab aber grade nochmal reingeschaut. Es war doch eher ein 4-3-3 Pressing, da die 3 offensiven auf einer Höhe attackierten.
RM 24. September 2012 um 23:56
Hmm, wir übersetzen einfach nur passende Worte oder klauben Begriffe von anderen auf. Das kommt mit der Zeit. Ein Trigger ist in dem Fall der Auslöser für ein bestimmtes taktisches Verhalten, ein Beispiel vom FC Barcelona: Fabregas rückt nach vorne und Messi nach hinten, sobald Xavi den Ball erhält. Xavis Ballannahme dient somit als Trigger für das taktische Verhalten.
Pep 25. September 2012 um 10:07
Warum man heutzutage Fremdworte aus anderen Bereichen klauen muss versteht auch keiner. Vielleicht weil es im IT Umfeld so viele davon gibt und der Bereich nunmal boomt.
Wenn man statt Trigger Auslöser schreibt, versteht es jeder, warum macht man es nicht? Ist der Schein wichtiger als die Verständlichkeit? Sollen Fachbegriffe mehr Kompetenz ausstrahlen?
Ich versteh es nicht und finde es in allen belangen negativ. Aber die Jugend steht ja eh darauf ihre eigene Sprache zu entwickeln.
„Baba ma friendz“
RM 25. September 2012 um 11:09
Wenn du einen einzigen Artikel findest, wo Trigger statt Auslöser steht, dann hätte ich den Link dazu gerne.
ode 25. September 2012 um 16:56
Also, „Trigger“ kritisieren und es damit begründen, dass diese Unart im IT-Bereich oft vorkommt und dieser „boomt“?
Da musste ich schon ein wenig schmunzeln…
Nichtsoernstgemeinte Grüße…ode.
Wolfsmond 24. September 2012 um 18:22
Vielen Dank für den Artikel.
Dass die Gladbacher erst noch einen für sie passenden Spielstil finden müssen war mir ja vorher schon klar. Aber so detailliert aufgedröselt nachzulesen warum Leverkusen sie so „an die Wand spielen“ konnten finde ich gerade als Fan recht hilfreich. Zu sagen „die haben einfach schlecht gespielt“ oder „ohne Reuss taugt die ganze Mannschaft nix“ ist mir persönlich doch zu flach.
Zumal ich mich der Meinung Neustädter fehlt der Mannschaft mindestens genauso wie Reuss anschließen kann (Dante war als passsicherer IV auch echt old wert..). Klar ist er kein ganz Großer, aber eben doch ein sehr wertvoller Mitspieler. Gerade das: Zitat: „Masse an Pässen, welche nur geringen Raumgewinn bedeuten, aber das Team in Ballbesitz halten und sie langsam nach vorne schieben“ fehlt imo derzeit massiv. Die Mannschaft bekommt kaum Ruhe rein bei eigenem Ballbesitz und verliert zu oft etwas die Übersicht was zu unnötig hektischen Aktion und Ballverlust führt.
Saunaclubeisbär 24. September 2012 um 17:11
Hehe, da muss eher ich mich entschuldigen, was ich hiermit tue. Es kam in den Kommentarspalten zur Sprache. Grösstes Manko der Gladbacher sei demnach die fehlende Ballsicherheit der beiden 6er. War mir falsch im Gedächtnis geblieben.
RM 24. September 2012 um 17:39
Ah ok, verstehe schon. Meiner Meinung nach war Neustädter kein kreativer, aber ein sehr wertvoller Akteur, durch seine Spielintelligenz, seine vielen Bewegungen und natürlich die Vielzahl an präzisen Pässen. Ich würde ihn auch ballsicher und einigermaßen pressingresistent einschätzen, jedoch müsste er – um zur oberen internationalen Klasse zu gehören – kreativer sein. Sein Wert für die Mannschaft in der Offensive kommt über die Masse an Pässen, welche nur geringen Raumgewinn bedeuten, aber das Team in Ballbesitz halten und sie langsam nach vorne schieben.
P.S.: Haben wir hier Baseballexperten? Ist nicht auch eine grundlegende Eigenschaft des On-Base-Percentage, dass die Spieler konstant Runs machen, anstatt auf der dringlichen Suche nach Homeruns sind?
Taktikfreak 24. September 2012 um 15:27
Mich wundert es ohenhin, dass das Tannenbaumsystem (4-3-2-1) gerade von personell schwächeren, auf Konter lauernden Teams nicht häufiger gespielt wird. Ich stimme vollkommen zu, dass die zwei Halbstürmer für den Gegner das große Problem sind, weil sie sich meist zwischen den Linien bewegen und so nur schwer zu „greifen“ sind. Natürlich braucht man für diese Positionen auch passendes Spielermaterial…
Saunaclubeisbär 24. September 2012 um 15:22
Ja, Neustätter wurde vermutlich wirklich unterschätzt. Nur daß auch SV in der letzen Saison den Gladbacher 6ern mehr als einmal fehlende Ballsicherheit vorwarf. Will sagen, RN wird offenbar gerne unterschätzt.
RM 24. September 2012 um 15:24
Taten wir das? Wo denn und wer? Ich kann mir das maximal so vorstellen, dass sie als nicht pressingresistent und in diesem Sinne ballstark bezeichnet wurden, anstatt schwach im Passspiel. Näheres dazu würde ich dennoch gerne sehen, um mich ggf. zu entschuldigen.
Alex 24. September 2012 um 14:47
Habe das Spiel auch zur Probe für spielverlagerung.de analysiert.
Sehr interessant deine Beobachtungen zum Pressing.
Ich selbst habe es als 4-1-4-1 interpretiert und der Pass auf Nordveit war Pressingauslöser. Wie siehst du es?
RM 24. September 2012 um 14:54
Gut, habe die Mail gerade gesehen.
Nun, wie genau meinst du das? Empfandest du es als gelegentliche Grundformation im 4-1-4-1 und dann das Umschalten auf ein 4-3-3-Pressing oder eine durchgehende Bewegung in diesem System mit kollektivem Aufrücken oder einen Wechsel zwischen 4-3-2-1/4-3-3 und 4-1-4-1/4-3-3 mit gleichem oder unterschiedlichem Trigger?