Atletico Madrid – Hannover 96 2:1

Atletico Madrid gewinnt das Europa League Hinspiel gegen Hannover 96 mit 2:1. Kurz vor Schluss erzielte Salvio den durchaus verdienten Siegestreffer, nachdem 96 erst in der zweiten Halbzeit einigermaßen mitspielte.

Grundformationen

96-Fans schweben im europäischen Wettbewerb auf Wolke 7: Tausende begleiten ihr Team zu den Auswärtsspielen, wobei sicher nur die wenigsten mit einem solch langen Verbleib der Norddeutschen im internationalen Wettbewerb rechneten. Nun standen sie im Viertelfinale dem spanischen Tabellenachten gegenüber – und machten dabei in Halbzeit eins keine allzu gute Figur. Die Hannoveraner fanden in ihrem 4-4-1-1-System (Schlaudraff hing etwas hinter Diouf) zu Beginn nicht ins Spiel. Sie hatten große Probleme mit der flexiblen Spielweise der Gegner.

Atletico spielstärker und dominant

Insbesondere im eigenen Drittel schwamm die Elf von Mirko Slomka zu Beginn. Atletico ist bekannt für seine fluide Offensive – Adrian Lopez, Falcao, Koke und Arda Turan waren ständig in Bewegung und tauschten häufig die Positionen. Eine klare Formation konnte man ihnen nur selten zuordnen. So tauchten Koke und Turan abwechselnd auf beiden Flügeln, aber auch oft in der Mitte auf. Adrian Lopez beteiligte sich zurückgezogen stark am Kombinationsspiel, während Falcao im Strafraum eine Präsenz für die hohen Flanken der Gastgeber darstellte. Die 96er kamen nie so recht mit den zahlreichen Positionswechseln des Gegners klar, oft ließen sie sich aus der eigenen Ordnung ziehen. Beispielsweise verteidigten die Außenverteidiger gegen die nach innen ziehenden Außenstürmer zu eng, was auf den Flügeln Freiräume für die vorstoßenden Flügelverteidiger Atleticos schuf.

Arda Turan und Koke nutzten die Lücken in den Halbräumen intelligent aus.

Gerade gegen die eben genannten Angriffe über die Flügel fanden die 96er zu Beginn kein Gegenmittel. Oftmals driftete ein Außenspieler in den Halbraum und bediente von dort aus den aufgerückten Außenverteidiger. Dies war äußerst effektiv, da die Halbräume zwischen Spielfeldmitte und Flanke äußerst offen waren: 96 presste im Mittelfeld in der gewohnten 1-3-Stellung (ein Sechser etwas zurückgezogen hinter den anderen drei Mittelfeldspielern, um im Zentrum keine Lücken zwischen den Reihen aufkommen zu lassen). Turan und Koke liefen klug den Raum neben Pinto an, zogen ihn so raus und schafften Möglichkeiten für Rück- oder Querpässe auf die Außenverteidiger.

Die häufigen Flanken verteidigte 96 zudem alles andere als optimal. Ein guter Indikator hierfür ist die Tatsache, dass die Madrider trotz zweistelliger Anzahl an Flanken und mehrerer Freistoßvorlagen in Halbzeit eins nur eine einzige Ecke gewannen. Dies deutet daraufhin, dass die Außenverteidiger zu selten die Flankenversuche zu Ecken wegspitzelten und dass auch im eigenen Sechszehner zu wenige Kopfballduelle gewonnen wurden. Besonders bei Freistößen wurde die fehlende Zuteilung deutlich. In der 9. Minute orientierten sich drei  96er trotz theoretisch ausgeübter Manndeckung zu einem einzigen Gegenspieler. Der dadurch freigelassene Falcao bedankte sich und machte das 1:0 (9.).

96 findet nicht ins Spiel

Nach dem frühen Treffer stand Atletico ein paar Minuten tiefer und wartete ab, ehe sie Mitte der ersten Halbzeit 96 mit ihrem hohen Pressing erneut vor große Probleme stellten. Turan rückte bei gegnerischem Ballbesitz weit auf, Adrian Lopez ließ sich auf die rechte Flanke fallen. Es entstand auf diese Weise ein 4-3-3-Pressing, mit dessen Hilfe Atletico hohen Druck auf den Ballführenden ausüben konnte. Im Mittelfeld standen sie dabei recht eng, so dass sie auch die zentralen Mittelfeldspieler Pinto und Schmiedebach ausüben konnten. Letzterer postierte sich wie gewohnt etwas höher als sein Pendant, fand aber auf der Achterposition praktisch nie ins Spiel.

Doch nicht nur mit dem Pressing der Gegner hatte 96 zu kämpfen, sondern auch mit eigenen Unzulänglichkeiten. Ihre Spielidee war, über schnelle Konter über die Außenpositionen die offensive Rolle der gegnerischen Außenverteidiger auszunutzen. So weit, so klug. Womit Mirko Slomka nicht rechnen konnte, war die hohe Streuung im Spielaufbau: Nicht einmal 65% der Pässe fanden in Halbzeit eins einen Abnehmer, selbst für ein riskant spielendes Konterteam ein schwacher Wert. Die Kugel landete nach einer Balleroberung postwendend wieder beim Gegner. Einen einzigen akzeptablen Angriff fuhren die Niedersachsen – und der landete direkt im Tor. Stindl konnte durch eins der wenigen genauen Zuspiele auf der rechten Flanke freigespielt werden, seine flache Flanke versenkte Diouf (38.). Der Pausenstand war durchaus glücklich, jedoch spielte Atletico in manchen Situationen auch nicht direkt genug Richtung gegnerisches Tor.

Zweite Halbzeit 96 dank Änderung stabiler

Nach der Pause fanden die 96er endlich in die Partie. Nachdem sie in den ersten Minuten noch mit Problemen zu kämpfen hatte, brachte eine kleine Auswechslung eine große Verbesserung: Ya Konan ersetzte Schmiedebach (56.), wodurch Schlaufdraff auf die rechte Flanke und Stindl ins zentrale Mittelfeld ging. Mit dieser Umstellung ging eine taktische Umstellung zugunsten höherer defensiver Stabilität einher: Die Außenstürmer agierten nun wesentlich tiefer. Zusammen mit den Außenverteidigern doppelten sie nun die gegnerischen Außenstürmer und –verteidiger auf den Flügeln. Die Zahl der Flanken der Hausherren sank somit stark, was dem Spielplan der Spanier wiedersprach. Zudem pressten Pinto und Stindl nun aktiver gegen Atleticos Sechser, weshalb die Hausherren ein wenig die Kontrolle im Mittelfeld verloren.

Formationen ab der 70. Minute. Durch die tiefstehenden Außenstürmer neutralisiert Hannover die gegnerischen Angriffe über die Flügel, Stindl und Pinto gehen aggressiv gegen Atleticos Secher vor. Diego nutzt den Raum zwischen den Linien zunehmend stärker aus.

Diese defensivere Ausrichtung sorgte jedoch auch dafür, dass Konter über die Flügel nur noch schwer möglich waren – wer am eigenen Sechszehner verteidigt kann nicht direkt hinter den gegnerischen Außenverteidigern auftauchen. Zwar drifteten Ya Konan und auch Diouf nun auf die Außen, um dort lange Bälle entgegenzunehmen. Nachdem dieses Muster in der 62. Minute einmal gut ging und zu einer großen Chance von Diouf nach Flanke Ya Konan führte,  konnten die Stürmer auf den Außen die Bälle nicht mehr lange genug halten. Zwischen der 65. und 75. Minute neutralisierten sich beide Teams daher weitestgehend.

Atletico-Trainer Simeone wollte mit dem Unentschieden jedoch nicht leben und wechselte offensiv. Diego (61. für Koke) und Salvio (70. für Lopez) kamen. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten belebten die beiden das Spiel: Der ehemalige Bremer respektive Wolfsburger nutzte den zunehmend größer werdenden Raum zwischen den Hannoveraner Linien aus. Salvio lief bei Ballbesitz Diego die Räume zwischen Innen- und Außenverteidiger an und wurde einige Male gut vom Brasilianer freigespielt. Überhaupt attackierte Atletico zum Schluss mit viel Risiko, beide Außenverteidiger rückten sehr weit auf. Am Ende wurden sie dafür belohnt: Mit etwas Glück versenkte Salvio den Ball zwei Minuten vor Schluss im Netz. Nachdem sie in der Mitte der zweiten Halbzeit den Faden verloren, richteten sie ihren Spielaufbau ein wenig zentraler aus und erzielten daher nicht unverdient kurz vor Ende diesen Treffer.

Fazit

Hannover 96 zeigte Schwächen in der Passgenauigkeit und im Defensivverhalten und verlor daher am Ende verdient. Einen passenden Einblick in den Spielverlauf gibt die Schussstatistik: Zur Halbzeit hatte 96 einen einzigen Schuss auf dem Konto, der passenderweise glatt im Tor landete. Nach der Pause zeigt die Statistik ein Torschussplus für 96 an, allerdings waren 6 ihrer 7 Versuche Fernschüsse außerhalb des Strafraumes. Atletico hingegen kam insgesamt 11mal im gegnerischen Sechszehner zum Abschluss.

Mirko Slomkas Umstellung zur Pause brachte etwas defensive Stabilität, kostete jedoch auch Angriffspower. Trotz insgesamt genaueren Passspiels (am Ende hatten 96 eine Passgenauigkeit von 70%) produzierten sie auch in Halbzeit zwei zu viele ungezwungene Fehler. Atletico Madrid war im Pressing überlegen und auch wesentlich spielstärker. Dennoch ist es kein allzu schlechtes Ergebnis für den Bundesliga-Achten. Durch das Auswärtstor wahren sie sich alle Chance für das Rückspiel.

Niklas 30. März 2012 um 20:01

Super Bericht! Hab schon einige Spiele von Atletico diese Saison gesehen und seitdem Diego Simeone Trainer von den Rojiblancos ist, haben sie vor allem an defensiver Stabilität dazu gewonnen. Grund dafür ist vor allem das starke Angriffspressing. Was zudem auffällig ist, dass sie oft über die rechte Seite ihre Angriffe ausführen. Ein wichtiger Faktor ist dafür ist der Rechtsverteidiger Juanfran, der von hinten gut das Spiel aufbauen kann und einen großen Offensivdrang hat, und bevor Simeone Trainer war mmer als Rechtsaußen gespielt hat. Ich habe nur die ersten 15 Minute gesehen, aber da haben sie viel über rechts gespielt. Wie war das im restlichen Spielverlauf und wie hast du die Rolle von Juanfran gesehen?

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TE 30. März 2012 um 20:09

Ich habe Juanfrados Rolle es ähnlich gesehen wie du. In der ersten Halbzeit ging allgemein ziemlich viel über rechts, wobei beide Außenverteidiger aus meiner Sicht recht offensiv waren. In Halbzeit zwei war es nicht mehr ganz so rechtslastig, das lag aber aus meiner Sicht an der besseren Verteidigung auf den Flügeln – Hannover verhinderte die Angriffe mit ihrer Doppelung auf Außen sehr gut.

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Flo 30. März 2012 um 18:59

Sehr gelungene Analyse. Auch auf das Hauptmanko der Saison für Atlético Madrid wurde aufmerksam gemacht. Sie bringne den Ball bis 20 Meter vor’s Tor und können ihn dort auch meist halten, aber der letzte Ball in den Strafraum kommt so gut wie nie an, bzw. wird zu schlecht herein gebracht.

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Rjonathan 30. März 2012 um 18:01

Schade, hatte auf eine S04-Bilbao-Analyse gehofft. Kommt da noch was?

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Klaas 30. März 2012 um 15:56

Vielen Dank für diese – wieder mal – allzu treffende Analyse.

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getuerkt 30. März 2012 um 15:54

Super Analyse!

Im Großen und Ganzen spiegelt sie auch meinen Eindruck vom Spiel wieder. Nach der ersten halben Stunde hätte Atletico Madrid das Spiel klar machen können, jedoch scheiterten sie an ihrer Unzulänglichkeit/Unfähigkeit.

Was mir jedoch beim Spiel von Atletico nicht so gefallen hat, was du auch ansprichst, ist das teilweise zu lange Haltes des Balles im letzten Drittel. Man konnte gut beobachten, dass die Hannoveraner Abwehr Schwierigkeiten hatte,
wenn Atletico direkt und mit viel Zug zum Tor gespeilt hat, was sie jedoch nicht konsequent genug betrieben.

Ein Anmerkung hab ich jedoch. Du schreibst im letzten Abschnitt überm Fazit: „Mit etwas Glück versenkte Muniain den Ball zwei Minuten vor Schluss im Netz.“
Soweit ich weiß befand sich Muniain zu der Zeit in Deutschland, genauer gesagt in Gelsenkirchen. Es war Salvio der nach seiner Einwechslung (was du auch schreibst) das hinfällige und verdiente 2:1 für Madrid schoss. Wahrscheinlich nur ein Flüchtigkeitsfehler 😉

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Takitkfuchs 30. März 2012 um 15:54

it etwas Glück versenkte Muniain den Ball zwei Minuten vor Schluss im Netz. Nachdem sie in der Mitte der zweiten Halbzeit den Faden verloren, richteten sie ihren Spielaufbau ein wenig zentraler aus und erzielten daher nicht unverdient kurz vor Ende diesen Treffer.

Falsches Spiel: Salvio erzielt das Tor

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TE 30. März 2012 um 15:57

Das kommt davon, wenn man eine Analyse schreibt und gleichzeitig mit dem Kollegen MR das andere Spiel bespricht… Vielen Dank für den Hinweis, habe es geändert.

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