Borussia M’Gladbach – TSG 1899 Hoffenheim 1:2

Beide Mannschaften standen noch im Zeichen der Münchner Bayern. Die Gastgeber aus Mönchengladbach waren mit dem Rekordmeister der ärgste Verfolger von Tabellenführer Borussia Dortmund und hatten vor ein paar Tagen noch denkbar knapp im DFB-Pokal gegen die Bayern verloren, Hoffenheim hingegen musste vor zwei Wochen eine derbe Klatsche in München hinnehmen. Nun trafen diese beide Mannschaften aufeinander und obwohl die Milchmädchenrechnung ein klares Spiel mit einem souveränen Sieg für die Hausherren versprach, tat man sich zu Beginn sehr schwer. Zum allerersten Mal in dieser Saison konnten die Gladbacher unter Lucien Favre in den ersten zwanzig Minuten nicht einmal einen Torschussversuch abgeben, bei den defensiv eingestellten Hoffenheimern waren es vier Versuche, wovon aber keiner auf das Tor von Marc-André ter Stegen ging. Sehr interessante und gute taktische Umstellungen Favres sowie  eine kleine Änderung bei der TSG 1899 sorgen jedoch dafür, dass das Spiel kippte. Zwischen der 20. und 45. Minute gab es ein komplett umgedrehtes Torversuchsverhältnis, nämlich 7:0 für die Borussen, welche dank Marco Reus gar den Führungstreffer erzielen konnten.

Wechselwirkung der jeweiligen Formationen

Die Formation der Gäste zu beschreiben, fällt einem sehr schwer, wenn man ein allgemeines Zahlenschema benutzen möchte. Die Kombination „4-3-3“ trifft es nicht wirklich, da zwei der drei Offensivspieler in der vordersten Reihe eigentlich wie Spieler in den vertikalen Halbpositionen wirkten. Ein „4-5-1“ ist zwar passend, beschreibt aber nur unzureichend die genaue Verteilung der Spieler auf dem Platz, insbesondere da man mit einer unüblichen Mittelfeldbesetzung im Zentrum agierte.

Grundformationen zu Beginn des Spiels

Hier rückte Rudy sehr oft mit nach vorne, während Weis mit Williams eine Doppelsechs bildete – dennoch kein wirkliches „4-2-3-1“, da Rudy mitnichten auf einer Höhe wie die zwei Spieler auf den Flügelstürmerpositionen agierte. Hinzu kommt, dass Salihovic, welcher links vorne begann, sehr oft in die Mitte driftete, sich fallen ließ oder teilweise sogar einen Zweiersturm mit Babel für ein verbessertes Pressing bildete. Vukcevics Rolle lässt sich bei den Hoffenheimer Offensivspielern wohl am schnellsten beschreiben. Er spielte eine Mischung aus inversem und klassischem Winger, der dem Spiel die nötige Breite geben sollte, wenn Beck sich aufgrund seiner defensiven Verantwortungen nicht mit in die Offensive einschalten konnte. Defensiv half er Beck beim Doppeln und verfolgte den gegnerischen Außenverteidiger bei seinen Offensivläufen.

Auf der gegenüberliegenden Seite spielte mit Salihovic ein ganz anderer Spielertyp. Etwas behäbiger und lethargischer in seinen Aktionen, dafür ungleich eleganter und technisch versierter, insbesondere was die Ruhe am Ball betrifft. Vielfach besetzte nicht er den Flügel und machte das Spiel breit, sondern versuchte aus einer Halbposition den Taktgeber zu spielen, hierfür musste zumeist Williams sehr hoch und offensiv agieren. Das wirklich Interessante war allerdings, wie oft es Rudy war, der aus dem zentralen Mittelfeld heraus Salihovic hinterlief und versuchte, ihm Raum zu geben. Dies war mit ein Hauptgrund dafür, dass Weis sehr tief spielte und Vukcevic bei seinen Offensivaktionen zumeist nur Babel und Beck als Anspielstationen für Kurzpässe besaß. Diese war die Ursache dafür, wieso die Hoffenheimer Offensivbewegungen zwar vorhanden, aber ineffektiv waren.

Um dies zu verändern, stellte Babbel seine Mannschaft in der ersten Hälfte noch um, indem er Salihovic mit Rudy die Positionen tauschte. Rudys läuferische Überlegenheit und höhere Dynamik im Vergleich mit Salihovic sollte über die linke Außenbahn für Gefahr sorgen, Salihovic das Loch Richtung rechts füllen und damit eine dichtere horizontale Linie ermöglichen. Das sollte für ein besseres Spiel im Ballbesitz sorgen und die Hoffenheimer konnten nun etwas länger den Ball in den eigenen Reihen halten, was allerdings nicht von Erfolg gekrönt war. Ohne die Überzahl auf dem linken Flügel und mit den Umstellungen der Gladbachern konnte man sich selbst die wenigen und ungefährlichen Aktionen der Anfangsphase nicht mehr erarbeiten.

Bei den Gladbachern konnte man bereits zu Spielbeginn die gleiche Formation wie in eigentlich jedem anderen Bundesligaspiel dieser Saison beobachten. Das 4-4-2 mit einem vertikalen und einem horizontalen Stürmer hatte nur leichte gegnerangepasste Veränderungen durchlaufen, welche sich sofort äußerten. Einerseits rückten die Außenverteidiger etwas auf, um die gegnerischen Außenverteidiger und die Außenstürmer davor an einer einfachen Doppelung zu hindern, da Herrmann und Arango richtigfüßig agierten und dadurch nur schwer ins Zentrum ziehen konnten. Dazu gesellte sich die etwas tiefere Position je eines der beiden zentralen Mittelfeldspielers, oft war es Thorben Marx, der sich im Spielaufbau wie auch bei gegnerischen Kontern etwas zur Absicherung fallen ließ. Dieses Mittel sah man in gewisser Weise bereits beim Aufeinandertreffen mit den Münchnern im DFB-Pokal Mitte der Woche.

In der Viererkette spielte man mit Dante und Brouwers, während Daems und Jantschke sich etwas offensiver als üblich präsentierten – dennoch waren sie keineswegs offensiv so präsent wie viele ihrer Kollegen auf der Position. Wie bereits geschildert spielten Marx und Neustädter nicht mehr durchgehend auf einer Linie, wobei dies weiterhin – insbesondere in der Defensive – die gängige Formation war. Dadurch, dass sich einer jedoch hin und wieder zurückfallen ließ, konnten die Innenverteidiger den eigenen Außenverteidiger unterstützen, wenn der gegnerische Flügel bei seinen Vorstößen mit zwei Mann kam. Da in den ersten zwanzig Minuten auch die Mitte der Hoffenheimer eher ruhig war und sich nur selten durch den offensivsten Mann, Rudy, offensiv präsent zeigte, konnte man einen Sechser weniger in der Mitte verschmerzen.

Die Flügelstürmer hatten ihre üblichen Aufgabe in der Defensive wie in der Offensive. Beim Verteidigen verschob man je nach Momentum zwischen einer Viererkette im Mittelfeld mit den beiden Sechsern oder einer Viererkette mit den beiden Mittelstürmern weiter vorne, wobei dazu gesagt werden muss, dass dies nicht nur vom gegnerischen Spielaufbau abhing. Wenn die eigene Viererkette nicht mitzog, dann mussten die beiden Außenstürmer tiefer bleiben, um keine Löcher zu reißen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Teams sind die beiden Sechser nur teilweise Mitorganisatoren, die Befehle gehen zumeist von ganz hinten aus, die Innenverteidiger in Verbund mit den Torhütern entscheiden, ob sie weiter nach vorne rücken. Tun sie das, müssen die Außenverteidiger im Linienspiel ohnehin mitschieben und „drücken“ die Spieler vor ihnen quasi eine Ebene nach vorne. Mit den generell sehr tief agierenden Sechsern, die sich in Sechzehnernähe und auch in dieser Formation nur sehr wenige Meter vor der eigenen Kette befinden, steht man wohl am kompaktesten, denn die beiden Mittelstürmer rücken etwas nach hinten, um möglichst schnell die offensive Viererkette zu bilden. Das heißt letztlich nur, dass die vorderen Zwei etwas zurückgehen, während die restliche Mannschaft gleichermaßen aufrückt, lediglich die beiden Sechser machen hier etwas weniger Meter nach vorne.

Favres Änderungen

In der zwanzigsten Minute konnte man etwas eigentlich Alltägliches beobachten. Die Viererreihe der Gladbacher tauschte ihre Positionen etwas, absolut nichts unübliches. Doch dass die Positionen danach für sehr lange Zeit, eigentlich bis kurz nach der Halbzeit, nicht wirklich zurückgetauscht wurden, stand für eine Formationsänderung Favers anstatt einer normalen kurzen Rochade unter den Spielern. Herrman wechselte auf die linke Seite und versuchte sich als inverser Winger nach vorne zu drängen, so wie er es sonst auf rechts á la Lukas Podolski und Thomas Müller in der Nationalmannschaft tat. Dies war es, was ihn so auszeichnete: mit Dynamik von außen in den Strafraum kommen und dort entweder selbst zum Abschluss kommen oder indirekt (durch Öffnen des Raumes für Reus z.B.) und direkt (meist ein Doppelpass, der vom Mitspieler ausging) für eine Vorlage zu sorgen. Über links hatte er es etwas einfacher, ebenso wie der verkappte Spielmacher Arango über rechts mehr Einfluss ins Spiel nehmen konnte. Er zog nun nach innen und bildete teilweise im Mittelfeld eine asymmetrische Dreierreihe mit der Doppelsechs, verteilte Bälle und kam von hinten in den Rücken der Abwehr. Ein solcher Lauf brachte ihm sogar eine tolle Torchance ein, ein hervorragender Schuss traf aber nur die Latte und verwehrte ihm das Tor.

so spielte man von der 20. bis ca. 45. Minute, danach wurde noch einmal etwas getauscht - die ersten großen Änderungen gab es allerdings erst wieder nach Firminos Einwechslung

Im Sturmzentrum rückte Reus nun weiter nach vorne und spielte etwas zentraler, während de Camargo öfters auf die Flügel auswich, um die dort entstandenen Löcher in der Offensive zu füllen und das Zentrum zu befreien. Nach dem 1:0 durch Reus sah man diese Anordnung im Spiel der Borussen wieder seltener, nach der Halbzeit versuchte man die klassische und defensiv kompaktere  Aufstellung wieder.

Kurzer Ausflug in die zweite Halbzeit – spielentscheidende Kleinigkeiten?

Mit Herrmann wieder auf rechts und dem Vorsprung im Rücken agierte Gladbach etwas defensiver. Nachdem man mit der veränderten Aufstellung in der zweiten Hälfte der ersten Halbzeit die Hoffenheimer nach hinten gedrückt hatte, ließ man sich nun wieder etwas fallen und gewährte den Gegnern mehr Raum. Diese nützten dies insbesondere dadurch, dass man später mit Firmino und Schipplock für zwei „defensivere“ Spieler (Williams auf der Sechs und Babel, dem Nicht-Mittelstürmer als Mittelstürmer) brachte. Firmino erzielte flugs den Ausgleich, eine Ecke sorgte später dank Nutznießer Vukcevic für die Entscheidung kurz vor Spielende.

Fazit

Wie so oft stellt sich bei solchen Spielen die Frage, wie viel Anteil der Trainer wirklich hatte. Klar ist, dass die Stellungsfehler bei der Ecke natürlich individuelltaktische Mängel waren, nicht aber dem Trainer zuzuschreiben sind. Favre zeigte in der ersten Halbzeit, wenn man dies überhaupt so bewerten kann, eine taktisch sehr gute Leistung und war mitverantwortlich für die Führung. Markus Babbel auf der anderen Seite hatte seine Mannschaft zwar defensiv, allerdings durchaus gut und intelligent eingestellt, was sich über den gesamten Spielverlauf zurückzahlte – jedoch nur deswegen, weil man nach dem Rückstand von dieser Linie abkehrte und die Gladbacher sich etwas unkonzentriert zeigten. Der Ballbesitz der Hausherren ließ ebenso nach wie ihre Bissigkeit und offensive Orientierung, die Hoffenheimer konnten das Spiel letztlich mit etwas Glück und viel Herz für sich drehen.

marc 27. März 2012 um 16:53

Sehr gute Analyse. Gern mehr davon.

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