Liverpool FC – Tottenham Hotspur 0:0
Am Montagabend wurde der Spieltag in England mit einer interessanten Paarung abgeschlossen, welche die Erwartungen am Ende aber nicht ganz erfüllen konnte.
Eine richtungsweisende Partie war es sicherlich für beide Seiten – Liverpool wollte zurück in die EL-Ränge und den heimischen Fans endlich wieder einen Sieg mit Toren schenken, während Tottenham den Vorsprung auf Rang vier ausbauen und United unter Druck setzen wollte.
Beide Teams, wobei die Gäste aus London auf die Anwesenheit ihres Trainers Harry Redknapp verzichten mussten, wählten ein 4-3-3/4-5-1-System in jeweils durchaus ähnlicher Ausrichtung und mit einigen kleineren personellen Neuheiten.
Mittelfeld-Kampf
Auffällig waren die Ausrichtungen der beiden Mittelfeld-Trios, welche relativ tief standen und vorsichtig sowie langsam agierten. Während Tottenham innerhalb ihrer 1-2-Aufteilung durchaus fluid rochierte, wechselte Liverpool zwischen einem 1-2 und einem 2-1, was meistens zu einer asymmetrischen Mischformation führte.
So funktionierten auf beiden Seiten die Mechanismen im Zentrum gut, doch aus den immer zwischen den Mannschaften wechselnden Ballbesitzphasen konnte man kein Kapital schlagen. Zwar waren Beweglichkeit und Passsicherheit in der Ballzirkulation auf beiden Seiten vorhanden, doch es fehlte der Durchbruch im letzten Drittel, denn man spielte jeweils nur vor dem gegnerischen hart arbeitenden Defensivblock und konnte aufgrund der tiefen schematischen Stellung eben kaum in ihn eindringen.
Vor allem die erste halbe Stunde war eher von einem tristen Gefühl geprägt und brachte kaum Action oder Chancen. Zu diesem Zeitpunkt zeigte die Schussstatistik eine Bilanz von 1:2 an, wobei zwei dieser Schüsse geblockte Versuche waren.
Spearing ist ein guter Ballverteiler für den letzten Pass, Bellamy brachte in der Offensive ebenso wie Kuyt keine großen Impulse, Carroll machte sich gut, aber war ziemlich auf sich alleine gestellt, ebenso Gerrard, der sich zwar sehr beweglich zeigte, sich zur Hilfe nach hinten fallen ließ, über das gesamte Feld rochierte, den Raum zwischen den Linien zu besetzen oder Gegenspieler zu ziehen versuchte und auch Gefahr durch Vorstöße einleiten wollte, aber kaum Unterstützung erhielt.
Auf der anderen Seite mussten sich Modric und Livermore gegen drei Gegner im Zentrum abkämpfen, Kranjcar spielte als Flügel relativ tief und zentral und fühlte sich als nomineller Außenspieler sichtlich unwohl, Adebayor kam nicht annähernd an die hervorragenden Leistungen voriger Spiele heran und ebenso wie Gerrard bei den Hausherren konnte auch Bale alleine die gegnerische Abwehrmauer nicht einreißen.
Noch nicht einmal erwähnt wurden in dieser Aufzählung zwei Mittelfeldspieler (Charlie Adam und Scott Parker), deren Positionsinterpretation maßgeblich zur fehlenden Präsenz der Teams im letzten Drittel beitrug, doch hingen diese Interpretationen ganz entscheidend mit dem folgenden Aspekt zusammen:
Die Rolle Glen Johnsons
Dadurch, dass der etatmäßige Linksverteidiger José Enrique nicht zur Verfügung stand und Glen Johnson diese Position übernahm, ergab sich eine komplett andere Situation für die Reds. Der englische Nationalspieler agierte als Rechtsfuß als inverser Linksverteidiger, was große Auswirkungen auf das Spiel haben sollte.
In der Offensive bedeutete es, dass Bellamy meistens für die Breite sorgen musste und damit auch durch Johnsons Vorstöße selbst vom Tor und den Kollegen isoliert wurde. Außerdem konnte so Johnsons Gegenspieler Kranjcar weiter innen verteidigen, was diesem passte, da er lieber ins Zentrum einrückte. Positiv wirkte sich für die Hausherren aber besonders die Verwirrung, die Johnson bei seinen Angriffsaktionen hervorrief, aus, welche in mehreren Situationen um ein Haar zu guten Torchancen geführt hätte – oftmals war man allerdings zu konfus beim Hinterlaufen Johnsons, was sogar von Agger sporadisch versucht wurde.
Am deutlichsten waren allerdings die Einflüsse auf die benannten zentralen Mittelfeldspieler Adam und Parker. Bereits mehrfach wurden die defensiven Risiken eines inversen Außenverteidigers beleuchtet und auch in der Praxis aufgedeckt – er lässt hinter sich durch seine hohe und zentrale Stellung einen besonders großen Raum und Schnittstellen für den Gegner.
Um diesem vorzubeugen, musste Charlie Adam von halblinks sowohl bei eigenem als auch gegnerischem Ballbesitz auf die Seite rücken, um hinter Johnson abzusichern. Gerade bei Ballbesitz fehlte er damit jedoch in der Zentrale und verlor sich einige Male in seinen bzgl. ihrer Effektivität umstrittenen hohen Spielverlagerungen, so dass seine Mannschaft effektiv im Mittelfeld in der Unterzahl war.
Weil durch die „vertauschte“ Anordnung der linken Liverpool-Seite und die dadurch breitere Defensivstellung Walkers die Viererkette der Spurs etwas geöffnet wurde, musste sich Parker gelegentlich mit in die Abwehr fallen lassen. Eine wirkliche Wirkung entfaltete dies aber im eigenen Angriffsspiel, denn Tottenham wollte Johnson und seine potentiellen Defensivschwächen natürlich attackieren, weshalb Walker seine typische offensive Rolle auslebte. Dafür musste allerdings Parker absichern, was auch bei Tottenham dazu führte, dass man bei Ballbesitz dem Gegner numerisch unterlegen und damit im letzten Drittel wirkungslos war.
In der Theorie würden beide Mannschaften dadurch zwar einen sehr offensiven und mit Freiheiten ausgestatten Flügelverteidiger „gewinnen“, doch da beide auf derselben Flanke spielten, ergab sich folgende Situation: In ihren Offensivläufen zeigten beide Spieler einige lichte Momente sowie dynamische und gefährliche Aktionen und lieferten sich einige rassige Duelle, doch neutralisierten sich – auch aufgrund des guten Verhaltens der Flügelspieler Kranjcar und Bellamy, die entweder defensiv mithalfen oder ihre Gegner zum Vernachlässigen der Defensivarbeit zwangen – weitgehend gegenseitig, so dass sie ihre besonderen Rollen samt der Auswirkungen auf das Mittelfeld aufgrund zu geringer Effektivität eigentlich nicht mehr gerechtfertigten. Anpassungen wurden darauf aber nicht vorgenommen.
Hier erkennt man noch einmal das Duell zwischen Johnson und Walker, die oftmals direkt aufeinander trafen (Bellamy blieb dann vorne stehen und wurde von Parker oder Kranjcar gedeckt): Walker konnte keines seiner 5 Dribblings gewinnnen, da Johnson die defensiven Duelle alle für sich entschied, doch in die andere Richtung konnte Johnson zwar Gefahr verströmen, wurde aber weitestgehend von Walker in Schach gehalten (4 erfolgreiche Tacklings gegenüber 2 verlorenen Dribblings von Johnson) – eine Neutralisation.
Weitere Entwicklungen
Das Spiel war ausgeglichen – Tottenham agierte etwas dynamischer, fluider und sicherer wie effektiver in der Ballzirkulation, Liverpool wirkte dagegen etwas gefährlicher und kraftvoller, da Gerrard und auch Kuyt, der zwar ebenso einrückte, aber entscheidend höher stand als Kranjcar, gelegentlich Gefahr zwischen den Linien verströmten.
Dies änderte sich erst mit der Einwechslung Suárez´ – der Uruguayer war nach überstandener Verletzung zunächst noch auf der Bank gelassen worden – für Kuyt (66.). Nun spielte Suárez zwischen den Linien, wo er auch für einige gute individuelle Aktionen sorgte und den Defensivverbund Tottenhams aufzureißen wusste, doch etwas enttäuschend war die komplette Mannschafsstruktur.
Es war kaum das interessante 4-3-3/4-4-2-Mischsystem, welches in dieser Saison bereits so oft gespielt wurde – vielmehr ein recht klares 4-4-2/4-4-1-1 mit Gerrard auf der rechten Seite. Ein ebenfalls im Zentrum agierender Gerrard, allerdings, hätte wohl deutlich mehr Gefahr bedeutet, da er in Zusammenarbeit mit Suárez Tottenham hätte überladen können oder man sich durch die guten off-the-ball-runs der beiden gegenseitig hätte Räume öffnen können.
Ohne Redknapp auf der Bank waren die Reaktionen von der Gegenseite allerdings auch nicht wirklich kreativ. Kranjcar und Bale wechselten nun phasenweise die Seiten, während die Auswechslungen allesamt positionsbezogen waren und kaum Änderungen brachten. Einzig nennenswert war nur die Rolle von Gareth Bale im Umschalt- und Konterspiel, als er oftmals sehr zentral agierte und fast schon wie ein Mittelstürmer seine Schnelligkeit für Bälle hinter die aufgerückte einsetzen sollte, was auch fast geklappt hätte, doch der Waliser scheiterte mit der wohl besten Chance vor Reina.
Fazit
Dieses Spiel war ganz anders als das unterhaltsame Topspiel vom Sonntag – etwas träge, ausgeglichen und wenig hochklassig, aber in manchen Punkten doch interessant. Ein 0:0 war letztlich ein korrektes Ergebnis, aus dem man allerdings nur sehr wenig herauslesen konnte.
Zum einen zeigten sich einmal mehr die Vor- und Nachteile eines inversen Außenverteidigers und die Tatsache, wie wichtig und einflussreich der Außenverteidiger generell als solcher für eine moderne Profimannschaft ist, zum anderen wurde der Heimkomplex Liverpools erneut offenbart – man findet zu wenig spielerische Lösungen, da es an der spielmachenden Klasse im letzten Pass, der Tempoerhöhung und dem fluiden Zusammenspiel im letzten Drittel mangelt – genau umgekehrt der Diagnose nach dem Sonntagsspiel, als das kontrollierende Element fehlte, welches es heute im Überfluss gab.
Die Botschaft des Spieltages lautet wohl: In vielen Fällen fehlt der Premier League noch die richtige Balance und die endgültige Anleitung zum Zusammensetzen der vielversprechenden Puzzleteile.
2 Kommentare Alle anzeigen
YNWA 7. Februar 2012 um 23:22
Herzlichen Dank für die umfassende Analyse! Letztlich ein enttäuschendes Spiel ;-(
YNWA!!!
piedra.montana 7. Februar 2012 um 16:25
In diesem Spiel ist mir wieder einmal Scotty Parker aufgefallen, der die klassische Rolle eines holding midfielders wirklich überzeugend dargeboten hat. Er hat zwar kaum die Mittellinie übertreten, dafür aber doch erheblich hart im Defensivverbund mitgearbeitet, viele Zweikämpfe geführt und Bälle erkämpft. In den letzten Minuten der Partie hat er glaube ich fünf- oder sechs Mal in Folge die Bälle mit Befreiuungsschlägen klären können.
Ansonsten guter Artikel, Tottenham wollte Liverpool nur auf Distanz halten und infolge der Ausfälle von Lennon, Defoe und insbesondere van der Vaart ging ihnen doch einiges ihrer gewohnten Offensivstärke ab. Auch Gareth Bale hatte nicht seinen besten Abend, hätte jedoch zum Helden werden können.
Wie immer guter Artikel!