Tottenham Hotspur – Everton FC 2:0
Ziemlich zerstückelt präsentiert sich der Spieltag der Premier League in diesen ersten Januar-Tagen des neuen Jahres. An diesem Mittwochabend stand – übrigens parallel zum Carling-Cup – das interessante Nachholspiel zwischen den ganz oben mitmischenden Spurs und den Toffes aus Liverpool an.
Harry Redknapps Team startete im 4-4-1-1, welches in den meisten Spielen eingesetzt wird. Dabei agierte Rafael van der Vaart hängend hinter dem neuen Stammstürmer Adebayor. Ohne den verletzten Scott Parker rückte Livermore ins zentrale Mittelfeld, während Michael Dawson etwas überraschend in der Innenverteidigung auflief.
Auf der anderen Seite entschied sich David Moyes für eine personell sehr offensive Ausrichtung, was vor allem durch die aufgebotenen Mittelfeldkräfte bedingt war. Hier spielten Fellaini, Cahill, Donovan und Bilyaletdinov, während mit Anichebe und Louis Saha zwei wuchtige Zentrumsstürmer in vorderster Front aufliefen.
Konterspiel der Gäste
Trotz der offensiven Ausrichtung war die offensive Leistung der Gäste nicht zum ersten Mal eher enttäuschend, da man das gegnerische Tor nicht konsequent genug in Verlegenheit bringen konnte. Von den 13 Schussversuchen ging in dieser Partie kein einziger auf den Kasten von Brad Friedel.
Erneut muss hier die mangelnde Anbindung zwischen den Stürmern und dem Mittelfeld genannt werden, welche durch einen großen Raum getrennt waren, in dem obendrein Tottenhams zentrales Mittelfeld leicht den Ball annehmen und die schnellen Kombination im Auftakt einleiten konnte.
Am besten zeigte man sich noch über die linke Flanke, wo Saha ein wenig Betrieb machte (allerdings extrem unproduktiv ist: 48 Schüsse brachten erst 1 Saisontor) und Baines von hinten in seiner typisch offensiven Weise nachschob – beim Führungstreffer für die Spurs wurde der Linksverteidiger allerdings von Lennon verladen und sah ziemlich alt aus.
Die Rolle von Gareth Bale
Schon seit Wochen zeichnete sich immer mehr ab, dass der walisische Nationalspieler Bale seine Rolle als linker offensiver Flügelspieler durchaus stark uminterpretiert. Wie schon im Bericht zum Spiel gegen Aston Villa angemerkt, verlässt er immer häufiger seine Seite, um mit oder ohne Ball nach innen zu ziehen, wohingegen er in den letzten Saisons sehr breit spielte, die Bälle bekam, das direkte Duell mit dem Verteidiger suchte und dank seiner Explosivität oft gewann und flankte – insbesondere in der letzten CL-Saison war dies in der Gruppenphase in den Spielen gegen Inter oder Bremen in aller Munde.
Aktuell zieht Bale nicht nur stärker nach innen, um seine Rolle um die Komponente des inversen Flügelspielers zu erweitern, sondern nimmt situativ sogar eine gänzlich zentrale Position als hängende Spitze ein. So ist er in die Kombinationen eingebunden und kann zusätzlich seinen Abschluss und seine physische Power in Kombination mit seiner Dynamik noch ein wenig besser entfalten.
Insgesamt kommt dies aber mehr dem Team zugute denn dem Spieler selbst, welches sich seit Redknapps Antritt kontinuierlich in seiner Variabilität verbesserte und immer neue Facetten und Muster in sein Spiel aufnahm, so dass sich die Gegner immer weniger darauf einstellen können, welche Formationen sich auf dem Feld üblicherweise in welcher Situation ungefähr ergeben werden.
Tottenhams Ausrichtung
Die Strukturierung des Angriffsspiels erschien bei den Hausherren sehr flüssig. Livermore gab vor der Abwehr durchgehend den absichernden Ballverteiler, beide Außenverteidiger rückten oft mit auf und sorgten für Breite im Spiel, wobei auf den jeweiligen Seiten auch Lennon bzw. Adebayor in einer Halbposition in vorderster Reihe agierten oder situativ Bale, van der Vaart und Modric die linke Seite besetzten.
In der Spielfeldmitte hatte man aber stets mindestens drei Spieler auf engstem Raum, die mit den nötigen technischen und taktischen Fähigkeiten die angestrebten Kurzpass-Kombinationen aufzuziehen wussten. Zentraler Bestandteil in dieser Fluidität war auch, wie tief sich Adebayor immer wieder fallen ließ, um in einer Falschen-9-ähnlichen Rolle eine Überzahl in der Zentrale, lokal in Ballnähe, zu schaffen und in den Kombinationen mitzuwirken.
Auf diese Weise kontrollierte man zwar Ball(besitz), Gegner und Spiel und konnte sich auch aufgrund einiger Lücken relativ schnell weit nach vorne kombinieren, doch fand man sehr selten den Abschluss und noch seltener den gefährlichen Abschluss.
Wie die Ineffektivität behoben wurde
Erst im letzten Teil des ersten Durchgangs verbesserte sich dies, als das Spiel Tottenhams mehr Tiefe erfuhr. Bereits vorher hatte man Adebayor mit kurzen Vertikalpässen als Wandspieler benutzt und insbesondere Modric oder auch van der Vaart in der vorstoßenden Bewegung in die Lücke zwischen den Innen- und den (eher offensiv ausgerichteten) aufgerückten Außenverteidigern angespielt, doch hier kam man dann nicht weiter, weil im letzten Drittel die Staffelung fehlte – dies sah beispielsweise so aus, dass niemand im Strafraum postiert stand, aber gleich drei Spieler etwa auf einer Höhe etwa 18 Meter vor dem Tor – man übertrieb das Überladen.
Nach einer guten halben Stunde probierte man es auch über die etwas „einfacheren“ taktischen Mittel wie Flanken, Hereingaben, Einzelaktionen oder Distanzschüsse. Sofort stieg die Gefahr für Tim Howards Tor merklich an, in welchem der Ball nach 35 Minuten schließlich versenkt werden konnte – Lennon setzte sich nach einem weiten Ball von van der Vaart durch.
Außerdem gelang es, für mehr Tiefe in der eigenen Formation zu schaffen, was man obendrein Everton noch voraus hatte. In einigen Szenen konnte man herausragend erkennen, wie Adebayor die gegnerische Abwehrreihe nach hinten drückte und sich als Wandspieler gleichzeitig noch spielerisch beteiligen konnte – dies hatte mustergültigen Vorbildcharakter für viele Mittelstürmer.
Bereits vorher hatte man durch das Überladen und die Fluidität stets eine Überzahl in Ballnähe erzeugt, aber diese aufgrund der fehlenden Tiefe nicht gefährlich ausspielen können. Mit mehr Staffelung und mehr Balance ergaben sich mehr Räume – z.B. für Doppelpässe oder Dreiecksspiel zwischen den Linien – und man hatte nun die totale Kontrolle. In der Phase nach der Pause erreichte dieser Druck seinen Höhepunkt und entwich schließlich mit dem 2:0 durch Assou-Ekotto (63.).
Modric und van der Vaart waren die Strippenzieher der Angriffe und sehr variabel:
Es mag ein Distanzschuss gewesen sein, doch eine Körpertäuschung gegen einen Gegner reichte, um die gesamte Schussbahn zu öffnen – weil die Kollegen u.a. mit ihrer Ballung des Spiels ins Zentrum die Gegenspieler banden.
Younes Kaboul
Früher spielte der Franzose in Portsmouth, Nationalspieler ist er auch nicht – und deswegen wohl ein extrem unbekannter und unterbewerteter Spieler, der aber defensiv sicher seine Aufgaben macht und dabei nicht nur mit Zuverlässigkeit, sondern auch der nötigen Härte glänzt.
Ebenso lobenswert sind seine Vorstöße, die er immer wieder einbaut, wenn er weit mit dem Ball nach vorne marschiert und die Räume im Mittelfeld auf diese Weise aufreißen kann. Auch hier kommt ihm seine Physis entgegen. In der Innenverteidigung ergänzt er sich hervorragend mit seinem Partner Ledley King – defensiv sind beide robust und kantig, offensiv spielen sie gleichwertige Parts, wobei der eine (King) mehr spielmachender agiert, während der andere mehr über Offensivdrang kommt (Kaboul).
Fazit
Spätestens nach diesem Erfolg ist Tottenham neben den beiden Teams aus Manchester absoluter Titelfavorit. Man liegt nur drei Punkte hinter City und hat allemal auch in der Breit die Qualität und die Mentalität, um den ganz großen Überraschungswurf möglich zu machen.
Everton wird viel mehr als das gesicherte Mittelfeld nicht erreichen können und sollte die Augen noch nach unten gerichtet halten. Unverändert müssen große Verbesserungen in Sachen Torgefahr in die Wege geleitet werden, will man wieder bessere Ergebnisse erzielen – die Harmlosigkeit ist das klare Hauptproblem der Toffees.
1 Kommentar Alle anzeigen
daniel 13. Januar 2012 um 12:38
Servus,
vielen Dank für diesen wiedermal richtig guten Artikel. Schade nur, dass die Tofees so wenig „schriftliches“ abbekommen. Was man aber angesichts Totenhams momentanen Spiels nachvollziehen kann. Ihnen, der Premiere und Champions League würde ich’s ja schon sehr gönnen.