Juventus Turin – AC Milan 2:0
Es war das absolute Topspiel der Serie A – das Duell zwischen dem Rekordmeister und dem Titelverteidiger, der letztes Jahr enttäuschenden, aber nun erneuerten „Alten Dame“ und dem letztes Jahr starken, aber dieses Jahr trägen und von den Herausforderern überflügelten AC Milan.
Während die Gastgeber in der Vorwoche nur ein Remis gegen Catania erreicht hatten, konnte Milan mit einem Heimsieg gegen Viktoria Plzen in diese Partie gehen. Im Vergleich zu diesen beiden Spielen nahmen beide Trainer jeweils drei Wechsel vor – bei Juventus rückten Bonucci, Pepe und Vucinic für Grosso, Elia und Matri in die Mannschaft, Gäste-Trainer Allegri ersetzte Abate, Antonini und Emanuelson durch Bonera, Zambrotta und Kevin Prince-Boateng.
Bis in die zweite Halbzeit hinein war der Ballbesitz-Anteil ausgeglichen, das Spiel allerdings nicht, was auch immer deutlicher wurde, denn die Turiner machten aus ihrem Ballbesitz viel mehr. Vor Torwart Buffon agierten Barzagli und Bonucci in der Innenverteidigung, doch die beiden Außenglieder der Viererkette waren offensiv recht zurückhaltend, was besonders auf Chiellini auf links zutraf, welcher sich primär um eine sichere Defensive kümmerte, während Lichtsteiner offensiver spielen durfte, aber beim Aufrücken immer eine gute Balance zwischen Defensive und Offensive fand.
Juventus´ vertikale Spielfluidität
Im Mittelfeld zog einmal mehr Altmeister Andrea Pirlo – diesmal gegen seinen vormaligen Arbeitgeber – die Fäden im defensiven Mittelfeld, er verschob ballseitig, verteilte die Bälle und sicherte hinten ab (102 Ballkontakte und 89 % Passgenauigkeit suchten ihresgleichen). Sein kongenialer Partner im Mittelfeld war Marchisio, welcher allerdings sehr weit mit aufrückte und dabei von den Bewegungen Vidals profitierte, der sehr viel unterwegs war und somit immer wieder Räume öffnete – alles in allem entstand so ein spielstarkes, kreatives und fluides, aber dennoch äußerst defensivstarkes Mittelfeld.
Auf den Flügelstürmerpositionen bot man mit Krasic und Pepe zwei sehr dribbelstarke Akteure auf, aber meistens kam man durch das Zentrum, wo man über jenes starke Mittelfeld verfügte. Vucinic ließ sich aus dem Sturmzentrum fallen und bewies erneut seine Flexibilität und Spielstärke, so agierte er bei der Roma häufig als Hybrid aus äußerem und zentralem Angreifer.
Entscheidend war, dass die Bewegungen und Laufwege der Offensivspieler sich wunderbar mit den Pässen des Dirigenten Pirlo ergänzten, so dass eine musikalische, synergetische Harmonie kreiert wurde und eine zeitweise eine wahre Ode entstand, welche einen der Hauptunterschiede der beiden Teams darstellte.
Milan nämlich verteidigte meistens nur mit sieben Spielern und verließ sich auf die defensivstarke 4-3-Stellung, doch so konnte man die Vorstellung Pirlos aufgrund der Räume zwischen den sieben defensiven und den drei offensiven Spielern nie ernsthaft stören und ließ außerdem aufgrund fehlender Dynamik beim Verschieben und Positionieren Räume in der Schnittstelle zwischen dem Sechser van Bommel und einem der Halbspieler, vor allem den aufgrund der Asymmetrie höher stehenden und offensiv stärker eingebundenen Seedorf, welcher trotz hoher Spielintelligenz aber auch langsamer und weniger dynamisch ist als sein Äquivalent auf rechts, Antonio Nocerino.
Diesen Platz konnten die Außenstürmer für ein Zuspiel nutzen, doch meistens sorgte die reine 4-3-Stellung viel mehr dafür, dass die Außenverteidiger Juventus´ ebenso Platz und Zeit zum Aufrücken hatten und man so das Spiel sehr leicht in die gegnerische Hälfte oder gar das letzte Drittel verlagern konnte.
Meist ermöglichte es aber ein vertikales Durchspielen und –stoßen des gegnerischen Mittelfeld, Juventus Turin kombinierte sich bis vor die gegnerische Abwehr, ihre letzte Linie und Bastion, etwa am Sechzehn-Meter-Raum. Hier konnte man sich auch auf dem engen Raum zuspielen und den Ball kontrollieren, aber es fehlte das letzte Etwas, man konnte noch nicht schießen und brauchte entweder ein Dribbling oder noch einen Pass – Ersteres verhinderte die erneut individuell sehr starke Milan-Abwehr um die Chefs Thiago Silva und Nesta in der Innenverteidigung, Letzteres scheiterte aufgrund des fehlenden Abnehmers, denn die Abwehr stand schon sehr tief, Vucinic war selbst am Ball (gewesen) bzw. am Kombinieren, während die Außenstürmer, insbesondere eben Pepe, wegen der eher defensiven Außenverteidiger recht bzw. zu breit standen – gerade Pepe wäre allerdings in einer besseren Position gewesen, da man bevorzugt über halblinks spielte, welches die Seite von Vucinic und dem vorstoßenden Marchisio war, und ein diagonaler Lochpass dann einfacher gewesen wäre.
Je länger das Spiel dauerte, umso drückender, häufiger und gefährlicher wurden die Chancen – Vucinic scheiterte mit einem besonders heraus zu hebenden Versuch an der Latte (36.), die beste Chance fiel Marchisio zu, als er nach einem der zahlreichen tollen Vertikalpässen Pirlos und einem sehenswerten Lupfer Vidals durchstartete, den Ball technisch brillant verarbeitete und nur beim Abschluss die nötige Kraft vermissen ließ (41.).
Milans Probleme
Besonders enttäuschend war, dass die in der Defensive träge vorne lauernden Offensivspieler dieses privilegierte Zocken in keinster Weise rechtfertigen konnten – zu langsam und uninspiriert wirkten sie. Allerdings sei dazu gesagt, dass sie vom restlichen Team auch keine große Hilfe erhielten, einzig Seedorf traf dem Offensivtrio bei schnellen Angriffen bei.
Doch an der ebenfalls starken individuellen Abwehrleistung der Gastgeber, der durch Chiellini gebotenen Absicherung und dem Stellungsspiel Pirlos scheiterte man grandios, zudem versuchten die Turnier Offensivspieler bei Ballverlust mit Gegenpressing und Nachsetzen einen Gegenangriff, so gut es ging, zu ver- bzw. behindern, anstatt sich einfach überspielen zu lassen.
Im Verlaufe des ersten Durchgangs bewegte sich Boateng von der zentralen Mittelfeldrolle immer deutlicher auf die rechte Seite, während Cassano weiter halblinks und Ibrahimovic etwas zentraler agierten, so dass ein asymmetrisches 4-3-3-ähnliches System entstand, mit dem man mehr Breite erzielen, welche die eigenen Außenverteidiger Bonera und Zambrotta in keinster Weise liefern konnten, und die gegnerischen Außenverteidiger besser hinten halten bzw. neutralisieren wollte. Allerdings gab es so noch weniger Zugriff auf Pirlo, außerdem standen die einzelnen Spieler zu weit voneinander entfernt, so dass die drei Offensiven nicht nur von Mittelfeld und Abwehr, sondern nun auch von ihren beiden jeweiligen Sturmpartnern isoliert waren.
Dies war auch bei eigenem Ballbesitz das große Problem – Thiago Silva und Nesta sind zwar spielerisch stark, aber sie suchten vergeblich nach Anspielstationen. Dank ihres beeindruckend disziplinierten und fluiden 4-4-1-1/4-5-1/4-1-4-1-Defensivsystems mit wechselndem Abwehrpressing und Mittelfeldpressing konnten die Weiß-Schwarzen ihre Gegner geschickt voneinander isolieren.
Weil die Außenverteidiger nicht aufrückten, war Milan obendrein noch gezwungen, durch das dichte Zentrum zu spielen, was allerdings auch durch die beiden guten Innenverteidiger nicht in einem Erfolg münden konnte – dafür war man zu ausrechenbar, der Gegner zu diszipliniert und dessen Spieler zu intelligent und zu stark im Antizipieren.
Die logische Folge waren zwei Halbchancen in 45 Minuten, ansonsten viel Stückwerk und einige ärgerliche Fehlpässe und Ballverluste (nur 74 % Passgenauigkeit insgesamt).
Zweite Halbzeit
Dadurch, dass Boateng nun im Zentrum vor den drei defensiv-zentralen Mittelfeldspielern einen zusätzlichen Mann hinter dem Ball in die Defensive brachte, wurde der Meister gleich spürbar stabiler. Auch offensiv war man etwas besser, da Cassano nun zentraler agierte und sich mit dem nach links tendierenden Seedorf nicht mehr gegenseitig auf den Füßen stand und die Räume klaute.
Dennoch fehlte es der recht alten Mannschaft weiterhin an Dynamik, und auch an der mannschaftlichen Einheit im Offensivspiel und Aufrücken, im Defensivspiel und Zurücklaufen wie im Umschalten.Wenn man über Außen spielen wollte, musste häufig z.B. Seedorf sich diagonal dorthin freilaufen, der Außenverteidiger spielte die Linie entlang, doch dann war Seedorf zu leicht zu isolieren, da er von ein bis zwei Gegnern verfolgt war und gleichzeitig von hinten eingekesselt wurde.
Grundsätzlich blieb der Geist des Spiels also gleich, das Team vom Max Allegri kam aufgrund der leichten Verbesserung zu leicht mehr Chancen, doch wesentlich aktiver und gefährlicher – nun auch im Ballbesitz dominanter – waren die Mannen von Antonio Conte. Wie zufrieden dieser mit der Leistung seines Teams war, belegt die Tatsache, dass er bis zu 88. Minute nur einmal wechselte – und das positionsbezogen und nur mit dem Ziel, frische Kräfte für den Flügel zu bringen und die so gut funktionierenden Tandems vom Spiel gegen Parma auf Außen wieder zu reanimieren, um für die letzte halbe Stunde noch stärker zu sein, Chiellini wurde offensiver, weil Boateng mehr im Zentrum spielte.
In der Tat gab dies neuen Schwung und man hatte am Ende mehr Chancen als in Durchgang eins, bei einer gesamten Schussstatistik von 20:4 musste der Durchbruch irgendwann kommen – vier Minuten vor dem Ende war es dann soweit. Wie bereits abzusehen, war es ein Marchisio-Vorstoß über halblinks, der Italiener spielte einen Doppelpass mit dem beweglichen und supportenden Vidal und anschließend einen weiteren mit dem sich fallen lassenden und als kurze (Wand-)Anspielstationen dienenden Vucinic, brach dann auch bis zum Tor durch und mit etwas Glück gelang ihm der Führungstreffer.
Für die Fans war es so wichtig, dass man dieses prestigeträchtige Duell zu gewinnen schien und einige Dinge gerade rücken würde, nun konnte Conte noch zweimal wechseln, in der Nachspielzeit durfte er über ein weiteres Tor von Marchisio nach einem selten gewordenen Abbiati-Patzer jubeln.
Fazit
Juventus war das klar bessere Team und der Sieg mehr als verdient. Hinten stand man sicher, Pirlo spielte im Gesamtpaket erneut überragend, das Team wirkte abgestimmt, herausragend war die vertikale Fluidität im zweiten und vor allem im letzten Drittel. Gegen eine derartige Dynamik, Zusammenhalt der Mannschaft und zusammenwirkende und harmonierende Spieler sah Milan alt aus und wirkte zeitweise wie eine Karikatur.
2 Kommentare Alle anzeigen
StolzerWestfale 4. Oktober 2011 um 00:21
Spielt Vidal da Mittelstürmer oder sieht das nur so aus?!
stolzerberliner 4. Oktober 2011 um 00:58
Das sieht tatsächlich nur so aus.Er fungiert eher als Allrounder bzw. Bindeglied zwischen Mittelfeld und Angriff.Seine Schussversuche waren in diesem Spiel nicht von Erfolg gegrönt,weil er oft aus schlechten Positionen in Rücklage abschloss.Juves Mittelfeld ist mit diesem Pirlo,den starken Außen plus Vidal und Marchiso wirklich bärenstark.