Frauen-WM: Was bleibt?
Drei Wochen Frauenfußball liegen hinter uns. Vor dem Turnier wurde diese Weltmeisterschaft zum Gradmesser für die Zukunft des Frauenfußballs gehyped. Wird das Turnier nun einen Frauenfußballboom auslösen?
Wer eine Antwort auf diese Frage suchte, war in der Welt der Medien bestens aufgehoben. Jeder Lokalreporter fühlte sich ermächtigt, seine Einschätzung zu diesem Event niederschreiben zu dürfen. Die Artikel und Berichte drehten sich dabei um viele Facetten: Wer wollte, konnte am Rande der WM alles über den Zustand der Gleichberechtigung, homosexuelle Fußballerinnen und die Nacktfotos einiger deutscher U-Nationalspielerinnen erfahren. Nur um eine Beschreibung dessen, was am Ende auf dem Platz passierte, manövrierten sich die meisten Medien, besonders ARD und ZDF, geschickt herum.
Nicht falsch verstehen, die Wichtigkeit der oben genannten Punkte im gesellschaftlichem Kontext soll hier nicht geschmälert werden (zumindest der ersten zwei). Allerdings vermischten sich diese Themen zu oft mit der Aussage, der Frauenfußball solle genauso akzeptiert werden wie der Männerfußball. Wenn so etwas wie Normalität einkehren soll in den Ablauf solch eines Turnieres, täte man am besten, es auf das zu reduzieren, was es in erster Linie ist: 16 Mannschaften, bestehend aus den besten Fußballspielerinnen der Welt, kämpfen um den Weltmeisterschaftstitel.
Bei Betrachtung der rein sportlichen Seite des Turniers lässt sich festhalten: Das Niveau der Weltmeisterschaft wusste zu überzeugen. Bereits in der Vorrunde zeigte sich, dass es anders als noch vor vier Jahren keine Mannschaft als Auffüllmaterial angesehen werden muss. Ergebnisse wie das 11:0 der deutschen Mannschaft gegen Argentinien vor vier Jahren gab es nicht mehr. Außenseiter wie Nigeria und Mexiko zeigten sich körperlich und taktisch stark verbessert. Das ist gut für die Akzeptanz eines Sports, der vor wenigen Jahren noch den Ruf eines Freizeitgekickes hatte.
Richtig interessante Spiele gab es allerdings erst ab dem Viertelfinale zu sehen. In vielen Partien standen sich dabei zwei verschiedene Ansätze gegenüber: Das klassische Erfolgsmittel im Frauenfußball, eine körperliche Spielweise mit vielen langen Bällen und Fehler provozierendem Pressing, entpuppte sich dabei in vielen Fällen als unterlegen. Deutschland, England und auch Halbfinalist Schweden konnten auf diese Art nicht um den Titel mitreden. Auch das ist ein gutes Zeichen: Attraktiver Fußball hatte in vielen Spielen die Oberhand gegenüber taktisch und spielerisch einfältigen Spielweisen.
Die Sympathieträger des Turniers
Die Sympathien der Zuschauer lagen ohnehin bei anderen Mannschaften: Nicht wenige fieberten mit den Japanerinnen und den Französinnen. Beide Nationen setzten nicht alleine auf Physis, sondern beeindruckten mit ihrer Technik. Die Französinnen brachten mit ihrem Offensivtrio Schwung in ein ansonsten recht defensives Turnier.
Die Japanerinnen wiederum waren die einzige Mannschaft, denen man zugetraut hätte, im Zweifelsfall auch über die gesamte Spielzeit hinweg den Ball in ihren Reihen zu halten. Auch wenn ihre Spielweise oft als „taktisch“ bezeichnet wurde, war das nicht ihre größte Stärke. Beeindrucken konnten sie mit ihrer technischen Finesse und ihrer Passgenauigkeit (über 80%, ein Spitzenwert im Frauenfußball). Als Vertreter dieses spielerischen Ansatzes kann ihr WM-Sieg auch als Paradigmenwechsel im Frauenfußball angesehen werden, weg von körperlicher Robustheit hin zu spielerischer Leichtigkeit.
Eine weitere Mannschaft, die in der Zuschauergunst sehr weit oben stand, waren die Amerikanerinnen. Diese lieferten eine Symbiose zwischen „altem und neuem“ Frauenfußball: Auf der einen Seite operierten sie viel mit langen Bällen, Pressing und setzten auf ihre konditionelle Überlegenheit. Auf der anderen Seite war ihr Spiel nie ein blindes Kick’n’Rush, wie es die deutsche Mannschaft in ihren schlechten Momenten aufführte. Ihr Konter- und Flügelspiel war eine positive spielerische Facette des Turniers.
Die Amerikanerinnen waren es auch, die den Zuschauern die wohl dramatischsten Spiele boten. Bei aller Liebe zur Taktik: Viele Spiele der WM wussten taktisch interessierten Zuschauern zu gefallen – das gewisse Etwas, das auch Fußballlaien aufhorchen lässt, gab es nur selten und meist mit Beteiligung der USA. So beispielsweise in ihrem Viertelfinale gegen Brasilien, das spielerisch wohl schwächste Spiel der K.O.-Phase, das dafür durch fragwürdige Schiedsrichterentscheidungen, ein Last-Minute-Tor und viel Kampf neutrale Zuschauer zu begeistern wusste. Auch das Finale war bis zum letzten Moment hochspannend und dramatisch.
Am Ende regten sich die einen Fans auf, andere jubelten – genau das ist der Kern von Fußball. Zum Glück gab es abseits von Schiedsrichterinnendebatten, Diskussionen über das Niveau und Vergleiche mit dem Männerfußball Momente, die vor Augen führten, dass die Faszination des Fußballs stets die Gleiche ist, egal, ob nun im Champions-League-Finale, bei der Frauenfußballweltmeisterschaft oder in der 2. Kreisliga.
Der deutsche Weg
Aus diesem Grund war das Turnier auch für Deutschland ein Erfolg: Fans und Kritiker merkten gleichermaßen, dass es in einem leistungsmäßig sehr dichtem Feld kein deutsches Titelabonnement gibt. Gerade nach dem Viertelfinalaus gab es viele Wortbeiträge, die die Spielweise der deutschen Mannschaft kritisch analysierten. Das Event rückte in diesem Moment zugunsten des Sports in den Hintergrund. Am Ende eines spannenden Viertelfinales musste man akzeptieren, dass auch im Frauenfußball Physis und lange Bälle zum Erfolg nicht mehr ausreichen.
Im Zuge dieser Debatte wird auch immer wieder am Stuhl der Bundestrainerin gerüttelt. Es ist gut, dass es eine solche Debatte gibt, zeigt sie doch die Ernsthaftigkeit, mit der mittlerweile über den Frauenfußball gesprochen wird.
Egal ob mit oder ohne Silvia Neid, die Zukunft sieht trotz des enttäuschenden Aus gut aus für den Frauenfußball in Deutschland. Auch wenn die Bundesliga wohl weiterhin bei den Zuschauerzahlen im dreistelligen Bereich rumdümpeln wird, hat der DFB hinter den Kulissen einige Weichen gestellt.
Bestes Beispiel hierfür ist das Projekt „Team 2011“, in das eine achtstellige Summe hineingesteckt wurde. Mit diesem Projekt versuchte der Verband im Vorfeld der WM, Mädchenfußballteams in Vereinen und an Schulen zu etablieren und so mehr Mädchen an das Fußballspielen heranzuführen. Dazu sponserte der DFB Trikots, Bälle und Materialien und erwartete im Gegenzug den Aufbau einer Mädchenfußballabteilung.
Mit 11.189 teilnehmenden Vereinen und 7.166 Schulen war diese Aktion ein voller Erfolg. Laut der noch nicht veröffentlichten wissenschaftlichen Begleituntersuchung, die Spielverlagerung vorliegt, waren die Hälfte der so für den Fußball gewonnenen Mädchen im Grundschulalter, rund zwei Drittel hatten keine Fußballvorerfahrungen. Es wurde also abseits der WM-Spiele ein großer Nachwuchspool gewonnen, aus dem in Zukunft vielleicht weltmeisterreife Spielerinnen hervorgehen.
Fazit
Ob das WM-Turnier nun ein großer Schritt für die Emanzipation der Frauen im Fußball war, sollen die „Experten“ aus Print und Fernsehen beurteilen. Fakt ist, das Niveau der Frauennationalmannschaften hat sich taktisch wie auch spielerisch gesteigert. Das Turnier bot drei Wochen teilweise dramatischen, teilweise unterhaltsamen und teilweise zutiefst langweiligen Fußball. Und damit unterschied es sich nicht von jedem anderen Fußballturnier auf der Erde.
Auch wenn viele den Frauenfußball immer noch ablehnen, mussten doch auch einige in den letzten zwei Wochen ihre Ressentiments ablegen. Auf Twitter beispielsweise wurde intensiv mitgefiebert, wie sonst nur bei Spielen der deutschen Herrennationalmannschaft. Zum Ende des Finales meldete Twitter sogar einen neuen Beitragsrekord. Wenn Fußballfans auf der ganzen Welt sich mit einem Spiel identifizieren, ist das ein gutes Zeichen für den Sport.
2 Kommentare Alle anzeigen
Uncle Jack 20. Juli 2011 um 02:43
Ich will mich einfach nur noch einmal wirklich für Eure Analysen der jetzt zuende gegangenen WM der Frauen bedanken – gerade auch, weil es ja sonst kaum ernsthafte Berichterstattung von diesem Tunier gab.
Tolle Webseite, im Allgemeinen. Werde, nun da die WM vorbei ist, vermehrt Eure anderen Analysen und Artikel lesen. Mit der Hoffnung, auch bevor der nächsten WM der Frauen, 2015, so hin und wieder mal etwas über die Entwicklungen und Trends im Frauenfußball zu lesen.
BenHasna 18. Juli 2011 um 20:29
Ich bin sehr einverstanden mit den ersten beiden Abschnitten – wahrlich unfassbar, was während den drei Wochen so alles zu lesen war. Das beschränkte sich aber meines Erachtens nicht nur auf die „Event-Themen“, sondern galt genauso für die sportliche Analyse. Ich finde es prinzipiell toll, wenn das Event zugunsten des Sports in den Hintergrund rückt, aber vieles kratzte leider maximal an der Oberfläche. Noch heute erscheinen auf den gängigen Online-Portalen Beiträge, die nicht viel mehr als pauschale Kritik und Schwarz-Weiss-Denken beinhalten.
Beispiel Deutschland: Es wird noch immer die Leistung bewertet mit dem irrsinnigen Gedanken, Deutschland würde über die klar besten Spielerinnen verfügen und so japanische Ballsicherheit, französische Spielstärke, amerikanische Durchschlagskraft und schwedische Schnelligkeit in seinem Team vereinen. In Wahrheit ist das deutsche Team aktuell in keinem dieser Bereiche nur annähernd so gut ausgestattet wie „das Original“.
Wurde das Maximum herausgeholt? Wohl nicht. Aber war (taktisch) alles schlecht? Keinesfalls, sonst wäre man unter diesen Voraussetzungen kaum nur sehr knapp gegen das wohl unangenehmst zu spielende Team gescheitert.
Beispiel Spielstile: Vorab, ich habe Japan und Frankreich ebenfalls sehr gerne zugesehen und halte Japan auch für den würdigen Weltmeister. Aber kann trotzdem nicht verstehen, dass Schweden, Deutschland und den USA so extrem die Gegenposition als Vertreter von „rückständigem Fussball“ zugeschrieben wurde. Jedes Team hat seinen Stil, auch Japan und Frankreich unterscheiden sich gewaltig, so solls auch sein, denn jedes Team hat unterschiedliche Voraussetzungen. Man muss nicht meinen, ein Trainer könne da in der Vorbereitung schnell einen spielerischen Stil herzaubern, wenn die Spielerinnen nicht über die körperlichen und technischen Voraussetzungen verfügen. Die japanischen Qualität als Kombination von Wendigkeit, Lauffreudigkeit, technische Ausbildung wirds in Deutschland oder den USA vielleicht noch 10-20 Jahre nicht geben. Also wäre es auch verfrüht, jedem Trainer dieser Teams zu verordnen, sofort auf japanischen Stil umzustellen, oder zu glauben, einzig die japanische Spielweise würde in den nächsten Jahren zu Erfolg führen.
Nochmals, ich mag technischen Fussball ausserordentlich und fand Japan insgesamt das stärkste Team, aber es gibt andere Wege, um offensiv mindestens so wirkungsvollen Frauenfussball zu spielen, zumal Japan ironischerweise selbst viele Tore nicht anders erzielt hat wie andere Nationen (1x Standard, 1x Ballgewinn-Umschalten hinter die Abwehr gegen Neuseeland; 2x Standard, 1x weiter Ball gefolgt von Solo, 1x Kombination gegen Mexiko; 1x Ball hinter die Abwehr gegen Deutschland; 2x Flanke, 1x Ball hinter die Abwehr gegen Schweden; 1x Flanke/Gewühl, 1x Standard gegen USA). Japan hat für mich viel eher im Stil Spaniens neue Massstäbe für Spielkontrolle gesetzt über möglichst viel Ballbesitz. Offensiv scheinen aber Standards und Bälle hinter die Abwehr effektiv wie eh. Und gut besetzte Teams können so weiterhin Erfolg haben, bei den USA lag die Niederlage gestern jedenfalls nicht am Spiel mit dem Ball. Bei den Deutschen natürlich irgendwie schon, wobei da vor allem die individuelle Klasse schlicht fehlte. Die Ballgewinne und mögliche Umschaltsituationen, der Druck, die Anzahl Standards waren gegen Japan durchaus da und mit Spielerinnen der Klasse Wambach, Morgan, Cheney, Schelin, Öqvist (de Vanna, Delie, usw.) wäre selbst angesichts der spielerischen Probleme hinten raus durchaus ein Tor und so der Sieg möglich gewesen.
Klar, technisch ausgereifteres Spiel ist ceteris paribus immer gut im Fussball. Und ich bin auch überzeugt und finde es toll, dass individuell jede Generation ein bisschen besser ausgebildet sein wird. Aber es gibt (noch?) verschiedene Wege, um so ein Turnier zu gewinnen. Genau wie im Männerfussball, oder im Tennis (Aufschlag- vs. Defensivspezialisten), oder im American Football (lauf-/passlastig, defensiv), usw. Womit wir wieder beim Anfang wären und – wie hier sehr richtig steht – am besten das Turnier doch einfach dafür nehmen, was es ist; 16 Teams kämpfen um den WM-Titel im Frauenfussball.