Frauen-WM: Brasilien – Norwegen 3:0

Mit einer unorthodoxen Formation zeigt Brasilien vor allem in der zweiten Halbzeit seine Klasse, während  Norwegen sich harmlos im Angriff präsentiert.

Während Brasilien keine Änderungen im Vergleich zum Sieg gegen Australien vornahm, gab es bei Norwegen zwei personelle Veränderungen zu vernehmen: Kaurin und Mienna kamen in die Mannschaft.

Das Spiel begann sehr zerfahren und ohne größere Höhepunkte. Die Norwegerinnerin konnten Brasilien zunächst mit aggressivem Spiel vom eigenen Tor fernhalten. Brasilien hatte seinen Rhythmus noch nicht gefunden, das 3-5-2-System schien nicht ausbalanciert zu sein. Es fehlte an Anspielstationen im Mittelfeld gegen die physisch starken Skandinavierinnen und deshalb mussten die Wing-Backs sich zunächst fallen lassen, wodurch  Brasilien schwer aus der eigenen Hälfte kam.

Dabei waren, wenn man der Spielaufbau einmal gelang, die beiden Wing-Backs zunächst die einzigen brasilianischen Gefahrenquellen und vor allem Fabiana stieß immer wieder dynamisch vor. Doch dies barg auch Risiken für die Brasilianerinnen. Aufgrund der offensiven Ausrichtung der Wing-Backs hatten die beiden norwegischen Flügel sehr viel Platz, gerade auf ihrer linken Seite kamen die Brasilianerinnen ein ums andere Mal in der Anfangsphase ins Wackeln – eine der drei zentralen Verteidigerinnen musste dann rausrücken, was in einer frühen gelben Karte Daianes gegen die auffällige Haavi mündete.

Taktische Anpassungen

Nach einer guten Viertelstunde passten die Brasilianerinnen ihre Ausrichtung an. Eine der drei zentralen Verteidigerinnen, zumeist Erika, folgte nun strikter Norwegens nomineller offensiver Mittelfeldspielerin Giske und spielte auch im Aufbauspiel höher und unterstützte so das Mittelfeld – drei zentrale Verteidigerinnen waren hier eine Verschwendung gewesen.

Damit einher gingen taktische Umwälzungen bei den Brasilianern – nun spielten sie eine Mischvariante aus ihrer Dreierkette und einer Viererkette. Die Wing-Backs wurden defensiver und vorsichtiger und eher zu offensiven Außenverteidigerinnen, während sich Erika vorschob.

Häufig ließ sich Erika auch auf die Linksverteidiger-Position fallen und erlaubte so Maurine auf der linken Seite, wieder eher eine Wing-Back-Rolle einzunehmen – festgelegt auf eine Defensivvariante war Brasilien nicht.

Es ist allerdings nicht ganz sicher, ob diese Idee eine taktisch bewusste Überlegung von Trainer Lima oder nur der Tatsache geschuldet war, dass die früh angeschlagene und später verletzt ausgewechselte Fabiana nicht mehr die Wing-Back-Rolle und die damit verbundene Aufgabenstellung, die ganze Flanke zu beackern, durchhalten konnte.

Ein wenig besser wurden die Brasilianerinnen, aber den durchschlagenden Effekt erzielte die Anpassung noch nicht – das Spiel war ausgeglichen und fahrig. Doch auch Norwegen fiel im Spiel nach vorne nicht viel ein. Die beiden brasilianischen Stürmerinnen orientierten sich geschickt nach außen, Rosana deckte die Passwege ins Mittelfeld ab und die Innenverteidigung schob sich folgerichtig die Bälle zu – bis sie einen langen Ball auf die Außenbahn schlug. Große Wirkung erzielte dies – vor allem nachdem die Brasilianer ihr klassisches reines 3-5-2 aufgegeben hatten – nicht, es fehlte den Norwegerinnen an Unterstützung.

Als sie einmal die Seite auch nur leicht öffneten, geschah gleich ein Ballverlust und es ergab sich die Konterchance für Brasilien, welche Marta – nachdem sie sich allerdings mit unfairen Mitteln gegen Berge durchgesetzt hatte – zur überraschenden Führung nutzte.

Norwegische Probleme

Norwegen reagierte geschockt und Brasilien übernahm – mit dem psychologischen Boost und ihrem unorthodoxen Misch-System in der Hinterhand – die Kontrolle. In Zusammenhang mit der Angst vor weiteren Kontern zogen sich die Norwegerinnen nun tiefer zurück – alle Feldspielerinnen hinter dem Ball in einem kompakten 4-5-1, Giske machte die sehr vertikalen Laufwege auch in die andere Richtung, wobei die Norwegerinnen auch vorher schon ihre Offensivspieler weiter zurückgezogen hatten als zu Spielbeginn.

So konnten die Norwegerinnen sich erst einmal sammeln, aber die wenigen Ballgewinne, die man mit dieser Strategie erreichen konnte, passierten logischerweise allesamt in sehr tiefen Zonen und so kam man nur schwer  und auch sehr langsam nach vorne. Brasilien kam gegen diese dichte Defensive zwar selten durch, Marta und Rosana ließen sich zur Unterstützung fallen, womit man vorne aber noch weniger Präsenz hatte.

Mit der Führung im Rücken konnten sich die Brasilianer aber auch damit abfinden, das Spiel nur zu kontrollieren – ein Tor war nicht zwingend notwendig und von den Norwegerinnen drohte sowohl bei eigenem als auch gegnerischem Ballbesitz und Spielaufbau keine große Gefahr.

Zweite Halbzeit

Durchgang zwei hatte gerade erst begonnen, da erhöhte Brasilien seine Führung. Die norwegische Abwehr stand wieder etwas höher – vermutlich als Signal zu Beginn der zweiten Halbzeit, wie es Trainer in solchen Situationen häufig machen, um die Gegner direkt vom Start weg unter Druck zu setzen – was allerdings von Marta genutzt wurde, die davon zog, dribbelte, querlegte – Christiane ließ durch für Rosana und jene schloss ab.

Hier kam Marta nicht über rechts wie beim ersten Tor, sondern über die andere Seite – und genau dies war ein zweiter charakteristischer Punkt der zweiten Halbzeit. Aufgrund der neuen Formation musste die rechte Offensivspielerin auch mit nach hinten eilen, um dort Löcher zu stopfen – Marta hatte dies schleifen lassen und sich manchmal ins Zentrum bewegt, tauschte also nun auch vermehrt die Seite, damit sie weiter so wenig Defensiv-Verantwortung zu tragen hatte wie möglich.

Nur kurze Zeit später machte Marta selbst dann das dritte und entscheidende Tor, welches nach gutem Nachsetzen der Brasilianerinnen und zwei haarsträubenden Fehlern ihrer Gegnerinnen fiel.

Brasilien verwaltete von nun an den Vorsprung, Chancen gab das Spiel weiterhin wenige her, aber die Brasilianerinnen nutzten die nun sehr freie Rolle von Erika, die sich überall auf dem Feld herumtrieb und mit ihrer Flexibilität Überzahlen schaffte, die Gegner mit ihren unberechenbaren Laufwegen verwirrte und mit ihrem sicheren Passspiel Brasilien half, die Kontrolle zu behalten und einige Angriffe und Passstafetten zu initiieren.

In der Schlussphase versuchten es die Norwegerinnen weiterhin mit langen Bällen, sorgten selten für etwas Gefahr, es sprangen nur zwei gute Chancen jeweils nach Standards heraus.

Fazit

Brasilien steigerte sich im Laufe des Spiels sowohl individuell als auch dank taktischer Anpassungen und gewann somit verdient, Norwegen war offensiv erschreckend einfallslos und nahm über weite Strecken eine zu vorsichtige Haltung ein. Zudem hatten die Brasilianer den Vorteil, in den entscheidenden Szenen da zu sein – sie machten die Führung, trafen schnell in Halbzeit zwei, danach konnten sie das Spiel verwalten.

Die taktischen Anpassungen waren die Grundlage, das von Marta angeführte Offensivtrio und die Chancenverwertung letztlich die entscheidenden Faktoren. Norwegen, das nun gegen Australien einen Sieg für das Weiterkommen benötigt, war nicht der große Gegner für Brasilien. Es wird spannend sein, wie jene sich in der nächsten Runde schlagen werden und auch auf welche taktische Weise man diese angehen wird.

firedo 4. Juli 2011 um 13:15

Ich finde man kann, wenn man einen Artikel in deutscher Sprache veröffentlich ruhig „Aussenverteidiger“ schreiben. „Wingback“ klingt doch doof.

Antworten

TR 4. Juli 2011 um 13:20

Wing-Back und Außenverteidiger kann man aber nicht gleichsetzen. Wing-Backs sind Mischungen aus AV und AM – die Außenspieler in den Systemen mit Dreierkette, die als einzige Außenspieler die ganze Seite beackern.
Siehe hier in unserem Lexikon: https://spielverlagerung.de/abwehrspieler-wing-back/

In diesem Fall war es ja so, dass vor allem Fabiana zunächst Wing-Back spielte und danach zur Außenverteidigerin wurde.

Antworten

Uncle Jack 4. Juli 2011 um 03:24

Ich bin immer wieder beeindruckt, wie viel Information/Einsichten sachkundige Beobachter aus den FIFA Fernsehbildern (oftmals mit Zeitlupen und Jubelszenen überlagert und nur ganz selten auch nur annähernd das ganze Feld zeigend) herausholen können.

Tony DiCicco sagte nach dem dem Spiel auf ESPN, daß Brasilien mit „two markers and one sweeper“ gespielt hätte (und meinte, daß dies gegen bessere bzw. mehr auf Ballbesitz angelegte Teams für Brasilien ein Problem werden könnte). Irgendwelche Kommentare?

Zweitens: Bis zu diesem Spiel, habe ich schon lange kein Spiel der norwegischen Frauenmannschaft mehr gesehen. Sind diese langen vertikalen Pässe – vielleicht ein Mangel an Vertrauen in das eigene Kurzpaßspiel? – typisch für die Spielweise unter der gegenwärtigen Trainerin (und vielleicht nicht nur unter ihr) oder waren sie nur für das heutige Spiel kennzeichnend?

Antworten

TR 4. Juli 2011 um 06:23

Ja, „two markers and one sweeper“ bezeichnet diese Art von Dreierkette, die die Brasilianer aber eben nicht konsequent durchgezogen haben. Wenn man das gegen stärkere Teams spielt, kann die Dreierkette zum Problem werden – wie im Lexikon nachzulesen ist.

Außerdem sind solche Systeme vor allem gegen die modernen Systeme mit ein oder drei Stürmern im Nachteil, weil man da entweder zu viele Verteidiger hinten verschwendet oder die enge Dreierkette gegen die drei Stürmer des Gegners entweder außen gar keinen Zugriff hat (–> dann müsste man die Wing-Backs zurückziehen, kommt dann schlecht nach vorne) oder auseinander gezogen wird (–> Problem der engen Dreierkette, viele Schnittstellen). Muss man halt sehen, ob dieser unzweifelhaft „crazy“ Trainer das klassische oder dieses unorthodoxe System spielen wird.

Tja, die zweite Frage kann ich dir auch nicht beantworten, habe vorher einfach nichts von denen gesehen. Aber generell sieht man das recht häufig bei diesem Turnier wie ich finde – jedenfalls in den Spielen, die ich gesehen habe.

Antworten

Uncle Jack 5. Juli 2011 um 02:29

Vielen Dank!

Habe den Artikel über die Dreierkette inzwischen gelesen. (Tolle Webseite, übrigens!) Da jener kurze Artikel hierauf nicht darauf explizit eingeht, noch eine kurze Frage:

Hat eine Dreierkette immer einen „sweeper“/Libero, der normalerweise zuminest ein paar Meter hinter den „markers“ spielt oder ist das nur eine Variante der Dreierkette und gibt es da auch so was wie eine „flat back three“?

Antworten

TR 5. Juli 2011 um 11:29

Dreierketten haben eigentlich sehr häufig den zentralen Verteidiger ein wenig tiefer. Da ist dann eben wieder interessant, ob es ein Libero oder ein Ausputzer ist.

Antworten

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*