Rezension zu „Turbo-Lernfußball“
In einer unserer seltenen Rezensionen schauen wir uns die besten Bücher zum Thema Trainingslehre an und legen einen Fokus auf Martin Hasenpflugs Buch „Turbo-Lernfußball“.Generell mag ich das Konzept von Rezensionen – der Autor erhält etwas Werbung und Feedback, wir erhalten ein Buch und können dieses durchlesen (bekanntlich ist Wissen ja Macht, vermutlich ist das nirgendwo so korrekt wie im Fußball), uns fortbilden und die Leser erhalten Buchtipps. Zu Trainingslektüre fand ich aber bislang ohnehin wenig.
Fußballtrainingsbücher: Welche gibt es und wie sind sie?
Abgesehen von zahlreichen Studien, einigen Hintergrundberichten von der Trainingsarbeit bestimmter Vereine, mehreren Artikeln zu neuen Trainingsmethoden und ein paar Trainingsbeobachtungen habe ich eigentlich nur drei große Fußballtrainingsbücher gelesen.
Jürgen Buschmann, Hubertus Bussmann und Klaus Pabst sind beispielsweise die Autoren von „Koordination im Fußball“. In diesem Buch geht es, oh Wunder, um Koordination im Fußball. Die grundlegende theoretische Erklärung, was Koordination ist, was sie bewirken kann, etc., ist zwar vergleichsweise oberflächlich, aber sehr treffend und durchaus hilfreich. Die Übungen sind sicherlich auch gut, aber eben reine Koordinationsübungen. Wenig Ballbezug, kein taktischer Bezug. Es geht also vorrangig um das Erlernen von Koordination, ohne wirklich mehrere Trainingsaspekte ineinander zu verknüpften. Sollte der Dortmunder Co-Trainer Zeljko Buvac dies lesen, dann grinst er vermutlich schelmisch.
Das zweite Buch, „Fußball“ von Gero Bisanz und Gunnar Gerisch (nicht zu verwechseln mit Gunnar Gren), ist mit 560 Seiten ein echter Schmöker. Eventuell verdient er sogar eine gesonderte Rezension, immerhin gilt er als das DFB-Nachschlagewerk, allerdings gab es dafür bislang keine Wünsche von Verlags- oder Leserseite.
Kurzum: Mit 560 Seiten sehr komplett, es wird eine historische Entwicklung gezeichnet, danach kommt etwas grundlegende Trainingstheorie, woraufhin die einzelnen Bereiche mitsamt Übungen folgen. Will man einzelne Bereiche trainieren, passt’s. Besonders interessant ist aber der Coachingteil, wo z.B. auch psychologische Aspekte diskutiert werden.
Buch Nummer Drei heißt „Fußball, Erfolgsfaktor Kondition“, geschrieben von Rolf Geese. Mit einem Vorwort von Felix Magath! Zum Buch sage ich aber nichts. Um der Fairness willen: Es ist nicht schlecht. Wer sich über Kondition informieren möchte, wer ein paar Übungen möchte oder eine durchaus interessante Auseinandersetzung mit diesem Thema will, der ist hier durchaus richtig: Viele hochinteressante Zahlen kommen vor, viele wissenschaftliche Erklärungen und theoretische Hintergründe zu Übungen.
Alle diese Bücher machen also das, was sie machen, gut. Aber mir persönlich – und meine Meinung als ahnungslose Internetlabertasche darf man gerne verschmähen – gefällt der Ansatz als solcher schon nicht, was diese Bücher eher zu einem theoretischen Fundament für einzelne Aspekte, als für eine (maximal-)effektive praktische Umsetzung macht.
Neues Konzept, neuer Ansatz und neue Basis als Vorteil
Das Buch von Martin Hasenpflug, „Turbo-Lernfußball“, ist da wiederum etwas ganz anderes. Und um dieses Buch geht es in dieser Rezension. Mitgeliefert wurde übrigens eine Broschüre. Ein paar markige Worte darin schreckten mich fast ab („Selbst Trainerneulinge werden so gute Erfolge erzielen“ oder „So kann unter schlechten Bedingungen das gleiche Niveau wie im Leistungszentrum eines Bundesligisten erreicht werden.“), aber ein bisschen marktschreierisch muss man wohl sein. Immerhin geht es ja auch ums Verkaufen.
Vorab: Für jemanden, der nicht Spielverlagerung liest oder sich mit Taktik beschäftigt, ist dieses Buch vielleicht nicht die ideale Wahl. Es werden einige individual- und gruppentaktische Aspekte vorgestellt, einige dazugehörige Begriffe wie zum Beispiel „Klatsch & Dreh“ dürften absoluten Theoretikern und Laien vielleicht sogar unbekannt sein. Schaut man aber über diese leichten semantischen Verständnisprobleme hinweg, dann finden sich sehr viele interessante Anregungen und gute Trainingsübungen. Und mit etwas Nachdenken dürften sie auch für absolute Laien keine Verständnisprobleme darstellen.
Auf Seite 8 wird zum Beispiel der hohe Ballfokus (das Buch ist übrigens primär für die D-Jugend bis A-Jugend sowie den Amateurfußball gedacht) erwähnt. Besonders gut finde ich, dass der „Turbo-Lernfußball“ die Gewichtung der Trainingsinhalte mit der des DFB und des US-Soccers vergleicht. So wird beispielsweise 35% des Trainings mit „Taktik“ gewichtet, beim DFB sind es 20%, bei den Amerikanern 30%. Auch die Technik wird stärker gewichtet, während Kondition wegfällt und durch „Schnelligkeit“ (mit Fokus auf den Antritt) ersetzt wird. Die Kondition wird quasi nebenbei in jeder Trainingsübungen mittrainiert – was auch dem aktuellen Stand der Trainingswissenschaft, zumindest in der Praxis, entspricht.
Der folgende Inhalt ist letztlich nicht über jeden Zweifel erhaben, aber das ist wohl nichts und niemand im Fußball; glücklicherweise. Wirklich eindeutige inhaltliche Fehler finden sich aber nicht – und darum geht es ja bekanntlich.
Man kann zwar über den Trainingsaufbau (Gewichtung unterschiedlicher Faktoren in bestimmten Wochenintervallen) oder einzelne Übungen streiten, aber hier ist es ebenfalls Geschmackssache. Die im Buch vorgeschlagene Logik ist nachvollziehbar und in sich stimmig. Auch die meisten Übungen wirken sehr gut gewählt und dürften für die gewünschten Effekte sorgen, wenn die in den jeweiligen Kapiteln erwähnten „Coachingtipps“ eingehalten werden.
Fazit
Gibt es also eine Empfehlung von mir? Ja. 125 Übungen sowie ein hohes Augenmerk auf Technik und Taktik, eine einfache wirtschaftliche und materielle Umsetzbarkeit („ein Trainer reicht“-Konzept, obwohl ich dies aufgrund Kontrolle, Motivation und einigen kleineren Faktoren bei allem suboptimal finde) und der ganzheitliche Ansatz wissen zu überzeugen.
Einziges Manko: Es ist wirklich nur ein Buch für Trainingsübungen. Tiefere Erklärungen, was genau die einzelnen Aspekte der Übung bedeuten, wird man nicht erklärt bekommen. Mit knapp unter 100 Seiten in einem kleinen Format ist es eher ein Nachschlagewerk für Trainingsübungen. Dennoch empfehlenswert.
Ideal wäre übrigens Folgendes: Man liest sich die sportwissenschaftlichen und theoretischen Aspekte der oben kritisierten Bücher durch, lässt sich dann von dem modernen Ansatz Hasenpflugs und seinen Übungen inspirieren, um mit einem möglichst hohen Fachwissen bezüglich Trainingsmethodik (und natürlich Taktik, Technik und Psychologie) zu seiner Mannschaft passende Trainingseinheiten zu konzipieren.
Interessiert jemanden die praktische Umsetzung nicht und er ist eher sportwissenschaftlich an theoretischen Hintergründen fußballbezogener Physiologie interessiert, sind die oben geschilderten Bücher wohl keine schlechte Wahl. Für die Praxis empfehle ich als Fußball-Hipster natürlich das Buch „Turbo-Lernfußball“, um ohne große Planungsarbeit effektive Übungsformen mit hohem Ballfokus und vielen Spielformen praktizieren zu können. Als Ratgeber ist es somit wohl die beste Wahl.
16 Kommentare Alle anzeigen
El Entrenador 19. März 2013 um 10:13
Schön, dass ihr euch auch der Trainingslehre ein wenig zuwendet.
Ralf Peter Literatur kann ich ebenfalls empfehlen. In Bezug auf Jugendfußball möchte ich auch Horst Wein erwähnen ( z. B. Die Entwicklung der Spielintelligenz ).
Aber hier liegt das Problem: Zitat „Tiefere Erklärungen, was genau die einzelnen Aspekte der Übung bedeuten, wird man nicht erklärt bekommen.“
In der heutigen Zeit findet man auch sehr viel in dieser Richtung kostenlos im Netz. Allerdings stellt sich sowohl bei vielen Büchern, als auch bei Übungen aus dem Netz sehr häufig das Problem, dass nicht darauf eingegangen wird wie man sie richtig coacht. Also Sinn und Zweck der Übungen/Spielform, Fehlerkorrekturen usw. Viele Trainer übernehmen dann einfach Aufbau und Ablaufbeschreibung und das war es. Da wird dann häufig das eigentliche Lernziel nicht erreicht. Da sehe ich eine Menge Nachholbedarf.
Robson 19. März 2013 um 07:27
Schön, das die beiden Bücher genannt wurden, sie fielen mir beim lesen des Artikels sofort ein!
Meiner Meinung nach das Beste, was man am Buchmarkt finden kann. Zu TW’s Beschreibung gibt es quasi nichts hinzuzufügen. Als interessierter Trainer D-Jugend aufwärts ein „must have“…
„Modernes Verteidigen“ sehr übersichtlich und gut strukturiert mit vielen Übungen und allem Wissenswertem für das taktische Spiel gegen den Ball.
„Erfolgreiches Angreifen“ steht dem im Gro‘ in nichts nach. Es ist mE. aber unübersichtlicher, da taktisches Verhalten im Ballbesitz von wesentlich mehr Freiheitsgraden und Möglichkeiten geprägt ist, und das Buch sie nichtsdestotrotz alle anführt.
@ RM: vermutlich überarbeitest Du den Artikel nach deren Lektüre…
Lukas 19. März 2013 um 04:28
Hallo ihr Lieben,
Als ein ‚Leser der ersten Stundevvon Spielverlagerung.de und Inhaber von von fünf Büchern von Martin Hasenpflug muss ich euch sagen: hiermit fällt zum ersten mal in meinem Leben Weihnachten und Ostern zusammen (-;
Gelungene Rezession über ein wirklich klasse Buch das sehr Praxis orientiert (was die Trainer-und Trainingsarbeit angeht) ist.
Ich spreche alles langjähriger lizenzierter Jugendtrainer aus Erfahrung.
Ich würde euch noch das Buch ‚Evolution der Viererkette‘ ebenfalls von Martin Hasenpflug zur Rezession empfehlen. In diesem Buch werden verschiedene Pressing-Formen erläutert und -ganz Trainingsbuch- wie ich mit meiner Trainingsgruppe dorthin komme.
Vielen dank an eure tolle Arbeit, macht weiter so…
HW 18. März 2013 um 19:14
Das „Problem“ mit Trainingsbüchern ist, dass (egal wie praxisnah) es immer nur Papier ist und jeder Trainer den für sich und sein Team passenden Weg finden muss.
Im Fazit kommt es schon richtig rüber, man braucht ein breites theoretisches Wissen und die praktische Erfahrung. Ob dieses Wissen bewusst oder eher unterbewusst eingesetzt wird, hängt vom Charakter ab. Ob das praktische oder das theoretische Wissen breiter ist, genauso.
Ob Bücher gut sind muss sich am Ende in der praktischen Anwendung zeigen. Da wir aber Menschen sind und mit Menschen umgehen ist ein Buch nur sehr schwer erfolgreich 1 zu 1 auf den Platz zu übertragen.
egghat 18. März 2013 um 19:09
Ah toll. Ein Geschenk für den Trainer des Thronfolgers. Und hilfreiche Kommentare. Bitte mehr davon.
Agr!ppa 18. März 2013 um 18:07
Kann mich TW nur anschließen, was die Bücher von Ralf Peter angeht. Für mich als aktive Spieler und Jugendtrainer waren beide wirklich interessant. Besonders die Neuauflage ist sehr detailliert und greift auch „neuere“ Entwicklungen auf (Stichwort Gegenpressing)
TW 18. März 2013 um 17:47
Ich hätte auch noch zwei Buchempfehlungen, die sich ausschließlich mit dem Erklären und Trainieren taktischer Aspekte auseinandersetzen. Beide Bücher kommen mit DVD zur besseren Visualisierung der Inhalte.
1. Ralf Peter: Fußball von morgen 4. Modernes Verteidigen: Stellenwert, Methodik und Strategie des ballorientierten Abwehrspiels (Offizielles Lehrbuch des DFB). Philippka-Verlag; 2., korrigierte Auflage, 2007. ISBN 978-3894171605
2. Dirk Reimöller, Thomas Voggenreiter: Erfolgreiches Angreifen: Moderne Spielsysteme – vom Spielaufbau bis zum Torerfolg. DFV Der Fußballverlag; 2. bearbeitete und ergänzte Auflage, 2006. ISBN 978-3000189050
Von 1. gibt es auch ein aktuelles Update, in das ich allerdings noch reingeschaut habe:
Ralf Peter, Arne Barez: Verteidigen mit System: Von der Spielanalyse bis zur Trainingsform. Philippka-Verlag; 1. Auflage, 2012. ISBN 978-3894172183
RM 18. März 2013 um 18:05
Danke. Werde sie mir wohl mal ansehen. Gute Lektüre?
TW 18. März 2013 um 20:45
Ich kann die Bücher sehr empfehlen. Gut strukturiert (Individualtaktik, Gruppentaktik, Mannschaftstaktik) mit den von hier gewohnten Taktiktafeln und Trainingsformen für jede Übung. In Kombination vermitteln die Bücher umfangreich die taktischen Grundlagen des raumdeckenden Spiels mit ballorientiertem Verschieben.
Ich freu mich schon auf die 2012 Variante. Vor allem wenn jetzt sogar (Gegen-)Pressing stärker fokussiert wird. Das kam in den beiden Büchern von 2006/07 noch etwas kurz.
Kalle Grabowski 18. März 2013 um 20:48
moin,
habe „Erfolgreiches Angreifen: Moderne Spielsysteme – vom Spielaufbau bis zum Torerfolg“ letzten herbst und
„Verteidigen mit System: Von der Spielanalyse bis zur Trainingsform“ vor 4wochen jeweils förmlich eingeatmet.
letzteres kommt zwar ohne dvd daher, is jedoch sehr aufschlussreich bebildert.
EFF 19. März 2013 um 10:49
Ich kann die zwei Bücher auch nur empfehlen. Sie gehören eigentlich zu den Standardbüchern. in dem Buch Modernes Verteidigen wird fast jede Verteidigungssituation erklärt also 1gegen1 oder 2gegen1.
Leser 18. März 2013 um 17:33
Ich vermute einen Vertipper: „…ist mit 560 Wörtern ein echter Schmöker.“ Da dachte ich schon, dass sei eher eine Kurzgeschichte, aber danach kommt ja die Auflösung: Seiten sind gemeint.
mrb 18. März 2013 um 17:21
Werter RM,
könntest Du vielleicht den Artikel durch Zwischenüberschriften in fetten Lettern „teilen“, oder bzw. zugänglicher gliedern?
freundliche Grüße.
RM 18. März 2013 um 17:33
So besser?
EvS 18. März 2013 um 17:40
finde nicht dass es bei so einem relativ kurzen text unbedingt nötig ist.
allgemein noch würde mich aber trainingsmethodik bei sv.de auch mal interessieren…ist es geplant in der richtung mal einen artikel zu bringen oder habt ihr in eurem team jemanden der sich damit auskennt?
RM 18. März 2013 um 18:07
Hmm. Wirklich „Auskennen“ tun sich wohl „nur“ zwei bis vier von uns, aber wir diskutieren auch Trainingsmethodik und -übungen intern eigentlich sehr oft. Artikel ist geplant, aktuell hapert es an der graphischen Umsetzung bei Übungen und am (wissenschaftlichen) Material für Methodik. In unserem bald (= irgendwann) kommenden Ebook wird entweder in dieser oder in der nächsten Ausgabe (vermutlich in der nächsten) ein von mir geschriebenes Pamphlet enthalten sein, wo ich mich in circa 10 Seiten allgemein über die Vorteile von Komplextraining/Spielformen/Ballfokus äußere.