Probleme im Spielaufbau
Viele Gegner überlassen dem HSV mittlerweile den Ballbesitz – aktuell eine vielversprechende Strategie. Die Hamburger haben im Spielaufbau große Probleme, die immer wieder durch die gleichen Fehler zustande kommen.
Fast alle der letzten HSV-Gegner verzichteten zuletzt darauf, die Hamburger Innenverteidiger im Pressing anzulaufen. Stattdessen fokussierten sie sich darauf, den Passweg zur Hamburger Doppelsechs zu versperren.
Gegner leiten den HSV auf die Seiten
Weil die Hamburger Sechser sich häufig zu wenig im Rücken der gegnerischen Angreifer bewegen, bleiben sie im Deckungsschatten und sind nicht anspielbar. Werden dennoch mal Passwege zwischen den gegnerischen Stürmern frei, spielen die Hamburger Innenverteidiger den leicht riskanten Vertikalpass nur äußerst selten.
Dementsprechend oft sucht der HSV den Weg über die Flügel. Hier gibt es zwei grundsätzliche problematische Ausgangslagen. Zu Beginn der Saison schoben die Außenverteidiger teilweise extrem weit vor, um den Gegner zurückzudrängen. Die hoch stehenden Außenverteidiger sorgten für lange Passwege, die von geschickt pressenden Gegnern einfach vom Spielgeschehen abgekappt werden konnten.
Ein weiterer Nachteil der hohen Außenverteidiger ist, dass Jansen und Diekmeier sich besonders darüber definieren, aus tiefen Räumen heraus Tempo aufzunehmen und dann nach vorne zu stoßen. Bei der höheren Grundposition beraubten sie sich ihrer größten Stärke. Zuweilen stimmte die Abstimmung mit den Vordermännern nicht, sodass Flügelstürmer und -verteidiger sich gegenseitig den Raum nahmen.
Auch defensiv brachten die offensiven Außenverteidiger Probleme. Über großen Räume hinter den aufgerückten Außenverteidigern fing sich der HSV etliche Konter, was dazu führte, dass die Außenverteidiger sich mittlerweile im Spielaufbau tiefer anbieten.
Dies hat zwar den Vorteil, dass sie besser anspielbar sind, jedoch wollen viele Gegner eben genau dies bezwecken. Sie versperren den Innenverteidigern den Passweg zu den Sechsern und lassen sie auf die Außenverteidiger spielen. Dies ist für viele HSV-Gegner das Startsignal zum Pressing. Der ballnahe Stürmer und der Flügelspieler rücken in Richtung des HSV-Außenverteidigers und stellen ihn zu. Hier folgt meistens ein Rückpass auf den Torwart oder ein langer Ball, den Lasogga verarbeiten soll.
Keine Kontrolle im zweiten Drittel – offensiv wie defensiv ein Problem
Die Anbindung vom zweiten ins letzte Drittel fehlt, die Häufigkeit von langen, komplizierten Pässen ist also wenig überraschend. Das gleiche Problem hat der HSV auch in der ersten Phase des Aufbaus. Durch das vermehrte Abkippen und die tiefere Positionierung der Außenverteidiger entsteht eine Zweiteilung des Teams. Besonders im Zentrum steht der HSV alles andere als kompakt – defensiv wie offensiv problematisch.
Dies sorgt dafür, dass der HSV im zweiten Drittel so gut wie nie Dominanz aufbauen kann. Ein weiterer Faktor, der dieses Problem verstärkt, ist der hektische Rhythmus im Mittelfeld. Gelingt es dem HSV einmal, den Ball in den Sechserraum zu bekommen, wird von dort aus zu häufig zu schnell zu weiträumig agiert – sprich: zu früh werden lange Bälle geschlagen, um das Spiel nach vorne zu tragen. Besonders van der Vaart und Bouy fallen durch viele lange Bälle auf. Ein möglicher Grund für die vielen langen Pässe ist das mangelnde Freilaufverhalten der Offensivspieler. Zwar befinden sich immer wieder einige HSV-Spieler im gefährlichen Raum zwischen den Linien des Gegners, allerdings verstecken sie sich im Deckunsschatten und sind somit nicht anspielbar.
Unter Thorsten Fink war das Abkippen noch systematisch, einer der Sechser ließ sich zwischen die Innenverteidiger fallen und bildete im Aufbau eine breite Dreierkette. Mittlerweile wird das Abkippen der zentralen Mittelfeldspieler auf die Spitze getrieben und wirkt sich fast ausschließlich negativ aus. Statt sich in engen Räumen freizulaufen, wird der Weg des geringsten Widerstands gegangen. Dieser Weg führt vor allem Rafael van der Vaart immer wieder in tiefe Räume, wo er unbedrängt Bälle annehmen kann. Aus den tiefen Räumen heraus verzichtet der Niederländer jedoch darauf, das Spiel aufzubauen und langsam nach vorne zu tragen. Vielmehr begibt er sich in die Rolle eines Quarterbacks und verteilt lange Bälle – mit überschaubarem Erfolg.
Durch van der Vaarts Abkippen sind die Abstände in der Vertikalen zu groß, der Zehnerraum bleibt unbesetzt. Sporadisch rückt zwar Calhanoglu von links ein, versteckt sich aber zu oft im Deckungsschatten der gegnerischen Sechser. Egal, von wo die langen Bälle gespielt werden – Innenverteidigung, Sechserraum, Außenverteidiger – die Staffelung für den Kampf um den zweiten Ball ist mangelhaft. Die Flügelspieler sind zu weit von der einzigen Spitze entfernt, der nominelle Zehner meidet den Zehnerraum über weite Strecken der Spiele. Immer wieder kommt es vor, dass die Hamburger im Offensivspiel ganz vorne bis zu sieben Spieler auf einer Linie stehen haben, was dem Gegner die zweiten Bälle schenkt und zu Kontern einlädt.
Das unkompakte Gebilde im Spielaufbau sorgt für große Abstände zwischen den Spielern. Nach Ballverlusten ist es für den Gegner somit ein Leichtes, Tempo aufzunehmen und Schnittstellen zu bespielen. Dass der HSV – und insbesondere seine Verteidiger – immer wieder auf katastrophale Zweikampfwerte kommt, ist so kaum verwunderlich. Es gibt nur wenige Abwehrspieler auf der Welt, die in so großen Räumen, wie der HSV sie aktuell in hoher Regelmäßigkeit anbietet, verteidigen können.
Exemplarisch dazu eine Szene aus dem Hinrundenspiel gegen Leverkusen: