AC Milan – Udinese Calcio 1:1
In einem taktisch interessanten Spiel trennten sich der AC Mailand und Udinese Calcio mit einem Unentschieden. Beide Teams zeigten auffällige Stärken und Schwächen, die aufgrund der verschiedenen Fußballphilosophien komplex aufeinander wirkten. Das Unentschieden war trotz Milans Überlegenheit verdient, da man nicht die nötige Kreativität ins Spiel brachte, um die Feldüberlegenheit effektiv zu machen.
Wechselwirkung der jeweiligen Formationen
Abermals traten die Rossoneri mit ihrem berühmt-berüchtigten 4-4-2-Rautensystem an. Das Sturmduo bildeten wie erwartet Pato und Cassano, zwei Spieler, die beides keine Brecher oder reine Strafraumstürmer sind. Die Wahl zweier solcher Charakter im Sturm soll dem klassischen Flügelproblem der Raute entgegenwirken und dennoch das Spiel in die Tiefe ziehen. Die zwei Stürmer weichen entweder auf den Flügel aus oder ins Mittelfeld, wobei letzteres für Cassano idealer ist, da er der spielmachende Typ und nicht wie Pato der dynamische Stürmer ist. Pato verletzte sich jedoch in der Anfangsphase des Spiels und wurde für El Shaarawy ausgewechselt, dem jungen und talentierten Neuzugang von CFC Genua.
Hier zeigte sich wieder Allegris Idee des spielenden Mittelstürmers, denn El Shaarawy ist gelernter Flügelstürmer bzw. gar hängender Stürmer, kam nun dennoch neben einem Spielmachertyp wie Cassano zum Einsatz. Im Mittelfeld durfte man wieder die Aufteilung von zwei Spielmachern und zwei (möglichst ballstarken) Abräumern beobachten, wobei mit Van Bommel und durchaus auch Nocerino beide Abräumer weder offensiv- noch als technisch schwach anzusehen sind. Die zwei Spielmacher bildeten Aquilani an der Spitze der Raute, während Seedorf links zum Einsatz kam. Im letzten Spiel gab es hier große Probleme, da der Linksverteidiger Bonera wenig Offensivunterstützung leistete – diesem Manko konnte Zambrotta entgegenwirken, welcher statt Bonera begannn. Sein Pendant auf der anderen Seite war wie erwartet Abate, ein offensivorientierter Außenverteidiger, dessen Dynamik bei einer Raute besonders zu bemerken ist. Vor Torhüter Abbiati spielte wie erwartet das Stammduo Thiago Silva und Alessandro Nesta, die versuchten, Udineses Kontersystem aufzuhalten.
Die Gäste spielten mit einem defensivkompakten 3-4-3, in dem der rechte Wingback Basta tief in die eigene Hälfte gezwängt wurde. Dies lag daran, dass man hier mit Zambrotta und Seedorf sehr viel Offensivpower erwartete und dem mit einer etwas tieferen schematischen Position Probleme bereiten wollte. Armero auf der gegenüberliegenden Seite hingegen zeigte sich viel offensiver und attackierte den Raum zwischen Abate und Nocerino, dabei wurde er von Torje und dem defensiven Trio in der Zentrale unterstützt.
Agyemang war der zentrale des Trios und tiefste dieser drei defensiven Mittelfeldspieler, Isla und Asamoah flankierten ihn und hatten Freiheiten in die Offensive, während sie von den drei Innenverteidigern abgesichert wurden. Die Dreierkette agierte minimal breiter, als dies üblich wäre, da man einerseits den tiefen Wingback auf rechts und andererseits das sehr dichte Zentrum hatte, desweiteren versuchte man so die Rochaden der gegnerischen Mittelstürmer zu neutralisieren. Den Stoßstürmer verkörperte Di Natale, der sich vorne aufhielt, das Spiel in die Tiefe zog und auf Fehler der gegnerischen Verteidiger wartete.
Milans höhere Innenverteidigung
Auffällig war, dass Milan nach den schlechten Erfahrungen gegen Napoli mit einer höheren Innenverteidigung agierte. Zwar kam Udinese trotzdem zu einigen Chancen, auch im Strafraum, aber so gefährlich wie die Neapolitaner waren sie nicht. Da Milan mit einer höheren Innenverteidigung kompakter agiert, ist es schwerer, dynamische Konter zu spielen und muss mehr mit langen Bälle operieren. Dies ist gegen die Rossoneri aber dennoch wirksam, da Nesta und das defensive Mittelfeld nicht mehr die schnellsten sind, allerdings erschwert es das effektive Spielen von Kontern dennoch.
Diesem Problem könnte man mit defensiveren Außenverteidigern und einer breiteren Spielanlage im Mittelfeld entgegenwirken – ein Kompromiss wäre eine Mischung aus einer flachen Vier und der Raute, Spieler wie Nocerino, Gattuso und Flamini wären sicherlich fähig, dies umzusetzen. Mit dieser Mischvariante, quasi einer flachen Raute, könnte man die Vorteile des Systems nutzen und die Nachteile ausgleichen. Die Außenverteidiger agieren balancierter, während das Mittelfeld kompakter spielt. Die Halbpositionen werden nicht auf der vertikalen Höhe der Innenverteidiger definiert, sondern in den Schnittstellen des Defensivverbundes, dafür rückt der Spielmacher nach hinten und der Sechser nach vorne, gleichzeitig kann man die offensiven Außenverteidiger und die Stürmer besser utilisieren. Das einzige Manko wären weiterhin die langsamen Innenverteidiger bzw. hauptsächlich Nesta, was allerdings ein individuelles und kein taktisches Problem ist – wobei man sich hinterfragen muss, ob dessen Routine und pure Klasse dieses Manko nicht ausgleichen.
Von Raumverknappung zu Zeitverschleppung
In den 80er- und 90er-Jahren war der AC Mailand taktisch das Innovativste in ganz Europa. Die Raumverknappung nach Sacchi revolutionierte den Fußball und insbesondere das Spiel ohne Ball – es wirkte sich auf die kollektive Verteidigungsarbeit, das Pressing und die Abseitsfalle aus und war wohl die letzte große Revolution des Fußballs.
Heute allerdings wirkt der AC Mailand nicht mehr so dynamisch, die Mannschaft spielt oftmals sehr gut, aber es fehlt an Dynamik im Spiel nach vorne. Oftmals sorgen Genieblitze einzelner Spieler für die Entscheidung, insbesondere Ibrahimovic in der letzten Saison oder Pirlo in den Jahren zuvor stehen für diese Spielweise. Das größte Problem entsteht, wenn einer der Genies in schlechter Form ist, dann hapert es mit der Kreativität und die Dynamik in den Kombinationen, die einen solchen Mangel ersetzen kann, greift nicht, was zu solchen Spielen wie gegen Udinese führt.
Trotz 70% Ballbesitz und einiger guter Chancen spielte man sich unter dem Strich zu wenig Zwingendes und Explizites heraus, was bereits im Spiel gegen Lazio und Napoli zu bemerken war. Sei es ein neuer Spielmacher, eine neue Taktik oder verbessertes Kombinationsspiel – für die europäische Spitze und die Erfolge nicht allzu ferner Tage muss man an mindestens einem Hebel ansetzen.
Fazit
Kein tolles, wenn auch interessantes Spiel. Milan zeigte sich verändert, aber nicht signifikant besser und wenn man seinen Titel verteidigen will, benötigt man bald bessere Leistungen. Die Synergieeffekte der vergangenen Jahre gibt es kaum mehr, die Mannschaft wirkt etwas träge und ohne die zündenden Ideen im letzten Drittel wird man weitere Punktverluste einstecken. Zwar ist die Qualität der Mannschaft hoch genug, um national weiterhin als einer der Favoriten zu gelten, doch man muss sehen, wo der Anspruch dieses Teams liegt. Berlusconi gab wenig Geld aus und in Anbetracht dessen ist die Kaderqualität auch durchaus gut, doch im taktischen Verhalten gibt es eklatante Mängel. Udine hingegen zeigte eine geschlossen akzeptable Leistung und darf sich über einen Punkt beim Meister freuen.
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