Frauen-WM: Deutschland – Kanada 2:1
Die WM ist eröffnet: Die haushohen deutschen Favoritinnen gewinnen mit 2:1 gegen Kanada. Tore schossen sie in Hälfte eins, überzeugen konnten sie in Halbzeit zwei.
Die Formation der deutschen Mannschaft bot keine Überraschungen: Bundestrainerin Neid stellte ihr Team im 4-2-3-1 System auf. Auch personell gab es wenig Unerwartetes: Einzig die Aufstellung von Okoyino da Mdabi anstelle von Grings war eine kleine Überraschung. Eine große Stärke der deutschen Mannschaft war es schon in den letzten Jahren, dass die Offensivpositionen flexibel interpretiert werden. Auch an diesem Abend verschwammen die Rollen von Okoyino da Mdabi und Prinz. Eine der beiden wanderte in die Sturmspitze, die andere war zwischen den Linien zu finden. Auch die Außenstürmerinnen Garefrekes und Behringer wechselten oft die Seiten.
Kanada wählte ein 4-3-3-System ohne echten Stürmer. Die kanadische Rekordtorschützin Sinclair, die nominell die offensivste Kraft in der Zentrale war, ließ sich oft ein Stück weit zurückfallen, um aus der Tiefe kommend ihre Dribbelstärke ausnutzen zu können. Im Mittelfeld sicherten drei Spielerinnen die Zentrale, wobei Schmidt den Bereich vor der Abwehr absichern sollte. Die Idee war gut: Sie sollte verhindern, dass Birgit Prinz zwischen den Linien zu ihrem gefährlichen Spiel fand. Allerdings ließ sie sich zu oft von ihrer Position „weglocken“, beispielsweise durch die aktiven deutschen Außen.
Erste Hälfte: Kanada gut sortiert.
Deutschland tat sich in der ersten Halbzeit mit der kanadischen Abwehr schwer. In der Mitte hatte Schmidt weitestgehend Kontrolle über Prinz und Okoyino da Mdabi. Auch war Kanada im Mittelfeld recht aggressiv. Das deutsche Direktpassspiel, das in der Vergangenheit oft den Unterschied machte, kam kaum zur Entfaltung.
Die gute Defensivleistung der Kanadier war aber nicht der einzige Grund, warum die deutsche Mannschaft in der ersten Halbzeit so selten gefährlich vor das gegnerische Tor kam. Insgesamt schenkten die deutschen Fußballerinnen zu viele Pässe her. Das liest sich auch in der Statistik: Gerade einmal etwas mehr als 60 Prozent* der Bälle kamen in der ersten Hälfte an. Laudehr (rund 75% Passgenauigkeit über das gesamte Spiel) und Kulig (unter 70%) konnten von der 6er-Position wenig Konstruktives zum deutschem Aufbauspiel beitragen.
Kanada hatte in der ersten Halbzeit mehr Ballbesitz und mehr gefährliche Torszenen. Dennoch überzeugte ihr Spielaufbau nicht: Das Mittelfeld und der Sturm waren zu sehr abgekoppelt von der Abwehr. Die Abstände waren zu groß, so dass an ein Kurzpassspiel nicht zu denken war. Zu selten kamen die Kanadierinnen über Kombinationen, zu oft schlugen die Außenverteidigerinnen den Ball lang nach vorne. Die kanadischen Offensivkräfte, allen voran ihr Star Sinclair, waren daher kaum in das Spiel eingebunden. Sie verstauchten sich darauf, die zweiten Bälle zu gewinnen.
Dass Kanada sich so auf lange Bälle fokussierte, war umso trauriger für sie, als dass sie spielerisch gute Ansätze zeigten. Wenn sie erst einmal im letzten Drittel im Ballbesitz waren, entstand fast immer eine gefährliche Szene oder es sprang wenigstens ein Frei- oder Eckstoß raus. Die deutsche Abwehrreihe sah dabei einige Male nicht gut aus. Hier zeigt sich, dass sie seit der letzten EM kaum Testspiele in dieser Formation absolvieren konnten – etwas, was für eine funktionierende Viererkette unabdingbar ist.
Der Unterschied zur Halbzeit zwischen den Deutschen und den Kanadierinnen war schlicht und ergreifend, dass die deutsche Mannschaft ihre Chancen nutzte. Während Sinclair eine große Chance vergab (6.), köpfte Garefrekes auf der anderen Seite eine Peter-Flanke ins Tor (10.). Kurz vor der Hälfte setzte Okoyino da Mdabi einen drauf (42.). Bei beiden Toren sah die kanadische Linksverteidigerin Nault nicht gut aus.
Zweite Hälfte: Deutschland stark, aber torlos
Obwohl die deutsche Mannschaft nicht überzeugte, führte sie 2:0. In der zweiten Hälfte sollte sich das Spiel umdrehen: Sie überzeugte über weite Strecken und musste am Ende doch noch zittern. Was war passiert? Nach der Pause war die deutsche Mannschaft im Mittelfeld aggressiver. Kanada baute weiter voll auf lange Bälle, jedoch ging Deutschland jetzt wesentlich besser auf die zweiten Bälle. Kanada kam vorne kaum noch ins Spiel.
Defensiv musste Kanada jetzt mehr riskieren, was der deutschen Mannschaft in die Hände spielte. Die kanadische Offensivreihe presste in der gegnerischen Hälfte. Die deutschen umspielten das Pressing geschickt und hatten im Mittelfeld mehr Platz. Anstatt direkt bei der Ballannahme gestört zu werden, konnten die deutschen Akteurinnen den Ball nun verarbeiten. Das gefürchtete direkte Spiel der Deutschen klappte gegen müde werdende Gegner sehr gut. Auch waren sie befreit von Schmidt, die nicht mehr zwischen den Linien, sondern weiter vorne verteidigte. Das befreite die deutschen Angreiferinnen.
Zudem wechselte Neid ihr Sturmduo: Popp (56. für Prinz) und Grings (65. für Okoyina da Mdabi) sorgten als schnelle, frische Kräfte für Wirbel. Besonders Popp war eine Bereicherung im Spiel, die die blass wirkende Prinz gut ersetzte. Mit frischen Offensivkräften häuften sich die Chancen. Die größte vergab die ansonsten sehr überzeugende Garefrekes kläglich, als sie alleinstehend vorm Tor den Ball in den Himmel von Berlin schob (66.).
Das Spiel wirkte entschieden, das dritte Tor nur eine Frage der Zeit. Gerade als die Kanadierinnen dabei waren, sich aufzugeben, bekamen sie einen Freistoß in guter Position zugesprochen. Sinclair zirkelte diesen in ihrer besten Szene punktgenau in den Torwinkel (82.). Plötzlich war das Spiel wieder offen und frische Kräfte bei den Nordamerikanerinnen geweckt. Die deutsche Mannschaft musste kurz vor Schluss noch einmal zittern, als ein Abstimmungsfehler Zurrer frei im Strafraum zum Schuß kommen ließ (86.). Doch das Ergebnis hielt.
Fazit
Die deutsche Mannschaft überzeugte erst in der zweiten Halbzeit. Die Passgenauigkeit nahm zu und die Aggressivität der Gegnerinnen ab. Im deutschen Spiel hinterließen die Außenstürmerinnen Garefrekes und Behringer einen bleibenden Eindruck. Mit der Leistung der zweiten Hälfte sollte ein Weiterkommen gegen Frankreich und Nigeria möglich sein.
* Die Statistiken stammen von ZDF.de. Allerdings wirken einige der Werte merkwürdig – gerade die Ballkontaktwerte sind niedrig. Deshalb kann an dieser Stelle keine Garantie für ihre Richtigkeit übernommen werden.
2 Kommentare Alle anzeigen
Uncle Jack 27. Juni 2011 um 00:05
Ich bin hier als bisheriger Leser von Taktikguru gelandet. Noch einmal vielen Dank für jene Webseite … und für diese neue (?) sowie für die Tatsache, daß Ihr auch den Frauenfußball analysiert!
TE 27. Juni 2011 um 08:42
In der Tat, Spielverlagerung ist neu. Taktikguru war ein schönes Projekt, an dem ich sehr gerne gearbeitet habe. Umso froher bin ich jetzt, mit anderen sehr guten Autoren zusammenarbeiten zu können.
Die Frauen-WM werden wir so gut es geht kommentieren. In der Vorrunde hauptsächlich die Deutschlandspiele sowie ein bis zwei Partien der anderen Favoritinnen (Brasilien, USA), ab der Hauptrunde dann alle Partien (soweit zeitlich möglich).