Schalke 04 – 1. FC Nürnberg 1:0
Arsenal-Bezwinger Schalke 04 zittert sich zum Heimsieg über Nürnberg. Diese hatten mit einem guten Matchplan das Offensivspiel der Gelsenkirchner im letzten Spielfelddrittel trotz hoher Dominanz über weite Flächen lahm gelegt, waren offensiv aber lange Zeit harmlos. Letztendlich mussten sie ihre fünfte Niederlage verbuchen, während Schalke weiter im Höhenflug ist.
Wechselwirkungen der jeweiligen Formationen
Die Gastgeber begannen mit ihrem 4-2-3-1-System, in welchem Benedikt Höwedes mit Joel Matip die Innenverteidigung bildete. Durch Höwedes Aufstellung in der Mitte gab es eine offensivere Spielweise auf dem rechen Flügel, wo Atsudo Uchida auflief. Dieser sollte mit Christian Fuchs nach vorne Betrieb machen und die Flügelstürmer von ihren jeweiligen Gegenspieler befreien, wobei Uchida sich etwas zurückhielt. Sein Vordermann war Jefferson Farfán, der öfters diagonal und vertikal in die Spitze geht und darum schwerer zu hinterlaufen ist, als Ibrahim Afellay auf der gegenüberliegenden Seite.
Der Niederländer hatte beinahe schon eine Freirolle inne, denn er zog vermehrt in die Mitte des Feldes und suchte den Ball. Dies sorgte auch dafür, dass es im Aufbauspiel bei den Schalkern nicht dem oftmals gesehenen 4-3-3 entsprach, in welchem Jermaine Jones nach vorne ging, während sich Lewis Holtby leicht nach hinten fallen ließ. Durch Afellays Rolle schob Holtby entweder auf den Flügel oder auf halbrechts, was ein Aufrücken Jones‘ obsolet machte.
Stattdessen rückte Jermaine Jones gemeinsam mit Roman Neustädter weit nach vorne auf, was an der tiefen Stellung des Gegners lag. Diese war ein weiterer Faktor, wieso es das vertikale Aufrücken Jones im Aufbauspiel nicht in der Form der letzten Wochen gab – der Gegner musste auch nicht partout zurückgedrängt werden.
Nürnberg formierte sich zwar im 4-4-2 mit Hiroshi Kiyotake und Tomas Pekhart als Sturmduo in einem Mittelfeldpressing, doch sie bedrängten die Schalker nur sporadisch. Im Normalfall lauerten sie auf Fehler im Aufbauspiel der Schalker, danach zogen sie sich zurück. Diese Fehler wollten sie durch das Zustellen der Passwege der Innenverteidiger und einer starken Mannorientierung der eigenen Sechser auf die gegnerischen Sechser erzwingen.
Zumeist wurde das so praktiziert, dass sich der zurückfallende gegnerische Sechser von seinem nächsten Gegenspieler verfolgt wurde, während der zweite Sechser der Nürnberger tief vor der Abwehrkette zurückblieb und absicherte.
Auf den offensiven Flügeln halfen Mike Frantz und Timo Gebhardt den Stürmern im Pressing, sie orientierten sich an den gegnerischen Außenverteidigern. Die Außenverteidiger dahinter konzentrierten sich auf eine tiefere Rolle und einer Art Mannfokus auf die Schalker Flügelstürmer – und exakt jener Fokus war Mitgrund für die eher biedere Partie.
Eine genauere Beleuchtung von Nürnbergs interessanter Verteidigungsweise
Eine der großen Stärken der Schalker sind ihre Vorstöße über die Flügel sowie die generelle individuelle Stärke auf diesen Positionen. Doch diese wurden über lange Phasen durch mehrere Aspekte in ihrer Effektivität enorm begrenzt. Hier gab es mehrere taktische Faktoren, die von Nürnberg gut bespielt wurden.
Der wichtigste waren die zahlreichen zonenorientierten Manndeckungen. Die Außenmittelfeldspieler behielten die gegnerischen Außenverteidiger bereits im Vorfeld deren Vorstöße im Sichtfeld und verfolgten sie weit nach hinten. Dadurch trauten sich die Außenverteidiger oftmals nicht nach vorne, weil sie stark vom Überraschungseffekt beim Hinterlaufen leben, wo sie von hinten in einen bedrängten Raum kommen und diesen vergrößern. Taktikpsychologisch ist dies aber der umgekehrte Fall bei einer so hohen Manndeckung: anstatt dass sie den Raum erweitern, füllen sie ihn noch stärker, wenn sie ihren Gegenspieler mitziehen und gleichzeitig öffnen sie hinten ein Loch, also eine riskante Spielweise.
Eine Ebene dahinter gab es ebenfalls eine Manndeckung. Javier Pinola und Timothy Chandler nahmen sich Jefferson Farfan und Ibrahim Afellay vor, bereits im Aufbauspiel der Schalker orientierten sie sich nahe an den Flügelstürmern und bedrängen sie schon bei der Ballannahme. Diese konnten sich nicht drehen und Geschwindigkeiten aufnehmen, weswegen das Aufbauspiel bei den Schalkern oftmals stockte.
Außerdem gab es weitere Mannorientierungen, nämlich in der Mitte. Im Aufbauspiel wurde wie schon erwähnt der zurückfallende Sechser zumindest ansatzweise verfolgt, doch primär gab es eine zonenorientierte Manndeckung auf Spieler im Raum zwischen den Linien, welche je nach Situation ein Sechser oder ein Innenverteidiger übernahm. Zumeist war Lewis Holtby das Opfer dieser Manndeckung, wodurch er selten Zugriff auf den Raum zwischen den Linien erhielt.
Wenn Schalke noch im Aufbauspiel war, dann übernahm zumeist ein Innenverteidiger Holtby. Dadurch war das Mittelfeld nicht unterbesetzt und lange Bälle in den Raum auf Huntelaar waren aufgrund dessen mangelnder Schnelligkeit keine befreiende Option. Wenn die Schalker die Nürnberger nach hinten drückten, dann übernahmen diese Manndeckungen die Sechser. Der Raum zwischen den Linien war dadurch fast inexistent, da meist ein Sechser dort den jeweiligen Gegenspieler manndeckte und der andere etwas höher zum Ball verschob.
Dies sorgte dafür, dass Nürnberg sehr tief nach hinten gestellt wurde von Schalke, weil die Gelsenkirchner Flügelstürmer die Tiefe suchten und von den Manndeckern verfolgt wurden, was sie nach hinten drängte. Auch war das Mittelfeldpressing etwas passiv, wodurch Schalke dank des Aufrückens von Jones und insbesondere des guten Neustädters Raum gewinnen konnte.
Doch später trauten sich die Nürnberger im offensiven Umschaltspiel mehr zu, schoben auch die Außenverteidiger verstärkt nach vorne und konnten sich oftmals aus der sehr tiefen Anordnung befreien. Zur siebzigsten Minute hatten die Nürnberger damit aus einem 1:8-Chancenverhältnis ein 4:14 gemacht, wobei die Schalker Chancen relativ harmlos waren – die besten Möglichkeiten wurden zumeist schon bei der Ballannahme von selbst zerstört.
Schalker Isolation in der Offensive
Ein weiteres Problem für die Schalker war, dass sie offensiv oftmals keine oder zu langsam Kombinationspartner fanden. Die Kurzpässe waren zwar vorhanden, doch sie gingen zu selten schnell in die Spitze oder waren ungenau, was an mehreren Aspekten lag. Einer war natürlich die gegnerische Tiefe und Mannorientierung, doch letztere wurde bspw. von Schalke nicht heftig genug attackiert.
Mit Überladungsbewegungen und verstärkten Rochaden wäre die Manndeckung der Nürnberger schwerer zu bespielen gewesen sowie schnelle Kombinationen für die Schalker möglich gewesen. Bezeichnend dafür war, dass der Treffer zum 1:0 nach einem Ballgewinn im Gegenpressing war.
Im Umschaltspiel nach vorne wurde der Ball von Timm Klose so lange gehalten, dass drei gegnerische Spieler um ihn herumstanden – der eingewechselte Julian Draxler erhielt schließlich den Ball in der Mitte, Nürnberg war nicht formiert und ein Pass auf Fuchs sorgte für eine Flanke auf Farfan, welcher das erlösende Tor machte.
Bis dahin hatte es kaum solche Fehler bei Nürnberg gegeben und Schalke hatte solche Unordnungen in der gegnerischen Formation nie erzwungen. Doch als sie das erste Mal in dieser Partie auftauchte, waren die Gelsenkirchner zur Stelle und hatten mit Farfan im Strafraum den passenden Abnehmer.
Fazit
Ein biederes Spiel, in welchem die Schalker dominierten, aber der Gegner defensiv lange Zeit sehr sicher stand. Nach dem Seitenwechsel trauten sich die Nürnberger in der Offensive mehr zu und wirkten beinahe ebenbürtig, doch nach einem Ballverlust vor dem Sechzehner bestraften die Schalker diesen Fehler. Heckings Maßnahmen funktionierten nur so lange, wie sie seine Spieler diszipliniert umsetzten – der erste Fehler reichte, dass der Sieger vom Trainerduell nicht der Sieger des Spiels war.
4 Kommentare Alle anzeigen
DK 28. Oktober 2012 um 10:40
Vielen Dank für die schnelle Analyse.Sehe ich es richtig,dass eine Art Manndeckung immer mehr in Mode kommt?
blub 28. Oktober 2012 um 13:44
Ja, wieder.
1. Werden die Spieler in engen Räumen immer besser, sodasss eine Raumverknappung weniger effektiv wird.
2. Mechanismen wie das Überladen von Räumen sind gegen Manndeckung sogar kontraproduktiv.
3. stärkere Mannorrientierung (AV auf Außenstürmer) sind schon etwas länger wieder im Repartoire.
4. Nürnberg arbeitet in dieser Saison viel mit starker Mannorrientierung.
Insgesamt ist halt so das man die gegnerische Mannschaft wieder vor Probleme stellt auf die sie nicht ausreichend Vorbereitet ist. Manndeckung war lange aus dem Fokus, deshalb schlägt es jetzt auch wieder mehr ein.
DK 28. Oktober 2012 um 16:01
Hey,vielen Dank für die Erläuterungen. Hatte vergessen zu schreiben,ob die Manndeckung „wieder“ in Mode kommt.
Felix 28. Oktober 2012 um 21:43
Fußball ist immer wieder ein Katz-und-Maus-Spiel. Für jede Offensivestrategie wird nach einem Gegenmittel gesucht.
Aktuell versucht man es mit Manndeckung, teilweise nur auf Schlüsselspieler, teilweise extremer. Und auch das wird wieder eine Reaktion provozieren. Möglicher Weise geht das dann in eine Richtung wie der falschen 9, dass manngedeckte Spieler ihren Gegenspieler aus bestimmten Räumen ziehen, ihre Position „falsch“ spielen.
An dieser Stelle habe ich aber mal eine Frage zu Schalkes genereller Spielweise. Spielerisch scheint es einen Fortschritt gegeben zu haben, obwohl Stevens ja nicht als großer Taktikexperte gilt. Hinten scheint man häufig stabil zu stehen, das Mittelfeld dominieren zu wollen und vermehrt kombinativ nach vorne kommen zu wollen. Fänd es interessant da mal was zu zu lesen. Vllt auch mit dem Faktor Neustädter, der dem Spiel einiges gibt. Mir sind einige gute lange Bälle auf die Außen in Erinnerung, wie aus dem Derby. Die interessanten Wechselwirkungen mit Holbty und ihm hattet ihr schonmal irgendwo erwähnt. Vllt kommt ihr ja dazu da was zu zu verfassen 😉