Ein Team erwacht: Die bemerkenswerte Serie von Hertha BSC – LC

Hertha BSC erlebt derzeit eine bemerkenswerte Erfolgsphase, die vor allem auf einer außergewöhnlich stabilen Defensive fußt. Nur 10 Gegentore in der bisherigen Saison – darunter eine beeindruckende Serie an Partien ohne Gegentreffer.

Taktische Herangehensweise: Stabilität durch Struktur und klare Rollen

Trotz eines durchschnittlichen Ballbesitzwerts von lediglich 46,5 %, der ligaweit nur für Platz 15 reicht, gelingt es Hertha bemerkenswert gut, die Kontrolle über das Spielgeschehen zu behalten. Die Berliner erlauben zwar die viertmeisten Abschlüsse aller Teams, doch nur 28 % dieser Versuche finden überhaupt den Weg auf das Tor – ein herausragender zweiter Platz in dieser Kategorie. Und selbst die wenigen Schüsse, die durchkommen, stellen kaum eine Gefahr dar: Mit einer parade­starken Save Percentage von 84 % führt Hertha die Liga souverän an und unterstreicht damit eindrucksvoll die Stabilität der letzten Linie.

Herthas Grundordnung der letzten Spiele

Hertha BSC setzt in den vergangenen Wochen konsequent auf ein 4-2-3-1, das gegen den Ball häufig zu einem kompakten 4-4-1-1 wird. Diese klare Grundordnung bildet die Basis für die derzeitige defensive Stabilität. Während in der Offensive nahezu durchgehend dieselben Akteure zum Einsatz kamen, wurde die Defensive je nach Gegner leicht angepasst – ein Zeichen für die flexible, aber dennoch grundstabile Herangehensweise von Trainer und Team.

In der Spielphase gegen den Ball zeigt Hertha eine bemerkenswerte Mischung aus Aggressivität und Effizienz: Die Mannschaft beging 195 Fouls, fing 150 Pässe ab und übertraf ihre defensive Erwartung deutlich. Während die Modelle dem Team eigentlich 19,9 erwartbare Gegentore (xGA) zuschreiben, ließ Hertha tatsächlich rund 9,9 Treffer weniger zu – ein Liga-Bestwert, der die starke Organisation und die Qualität der letzten Linie eindrucksvoll unterstreicht.

Auch die personellen Rollen in diesem System greifen klar ineinander. Die Außenverteidiger Zeefuik, Gechter, Karbownik und Kolbe agieren defensiv orientiert und sichern die Flügel ab. Im Umschaltmoment wartet Schuler als zentraler Stürmer hoch in der Restverteidigung des Gegners, um sofort Tiefenläufe starten und direkte Gefahr erzeugen zu können. Dahinter positioniert sich Cuisance als Verbindungsspieler, der im Zentrum nah am gegnerischen Verteidigerblock agiert und als kreative Option die ersten Kontakte im Konter übernimmt. Auf den Außenbahnen bringen die schnellen Winkler und Reese die nötige Tiefe, um Herthas Konterspiel maximal gefährlich zu machen.

Der Plan ist eindeutig: kompakt stehen, Bälle gewinnen und anschließend schnell in die Tiefe spielen, um den Raum hinter der gegnerischen Kette zu attackieren. Diese taktische Disziplin und Rollenverteilung machen Hertha aktuell so schwer zu bespielen und bilden das Fundament der beeindruckenden Defensivwerte und der jüngsten Erfolgsserie.

 

Spiel mit dem Ball: Flexible Flügelangriffe, Halbraumdynamik und klare Strukturen

Mit Ball agiert Hertha BSC deutlich flexibler als in der Arbeit gegen den Ball. Die Berliner erzeugen ihre gefährlichsten Aktionen vor allem über die Flügel, die meist einfach, aber variabel besetzt sind. Die Außenverteidiger, insbesondere Karbownik oder Zeefuik, schieben regelmäßig hoch oder rücken invers ins Zentrum, um dort zusätzliche Verbindungen zu schaffen. Gleichzeitig geben Reese und Winkler normalerweise die Breite, können jedoch ebenfalls nach innen ziehen, wenn die Außenverteidiger selbst breit agieren. Durch diese Wechselbewegungen entstehen dynamische Angriffssituationen, die Hertha unterschiedliche Wege eröffnen, ins letzte Drittel vorzustoßen.

Im strukturellen Aufbau strebt Hertha eine 2-3-Anordnung an, um die eigene Restverteidigung zu stabilisieren und Anspielpunkte im Zentrum zu sichern. Neben flachem Aufbau nutzt die Mannschaft immer wieder lange Bälle hinter die gegnerische Abwehrkette, insbesondere aus dem zweiten Drittel auf die Flügel, um Tempovorteile auszuspielen und Umschaltmomente gezielt zu verlängern.

Eine entscheidende Rolle kommt dabei den Halbräumen im zweiten Drittel zu, die Hertha bewusst bespielt, sobald die Flügelspieler den Ball in flacherer Position erhalten. Cuisance bietet sich regelmäßig in den Halbräumen an, wo er die Verbindung zwischen Flügel und Zentrum herstellt. Einer der beiden Sechser schiebt ebenfalls in diesen Raum vor und bindet dabei die gegnerische Mittelfeldlinie, sodass Passoptionen entstehen. Diese Bewegungen greifen flüssig ineinander und geben besonders Reese am Flügel mehr Zeit und Raum für seine Aktionen, da die gegnerische Defensive durch die vertikale Dynamik gebunden wird.

Gegenbewegung und Halbraumdynamik gegen Kiel. Karbownik bindet den AV durch seinen Tiefenlauf und Reese fällt breit an die Linie. Gechter überspielt das Pressing in eine 2vs1 Situation.

Erreicht Hertha das letzte Drittel, wird die Strafraumbesetzung deutlich intensiver. Der ballferne Flügelspieler rückt konsequent in die Box ein, wo sich zudem Schuler als Stürmer, Cuisance aus dem Zehnerraum und einer der beiden Sechser positionieren. Diese starke Präsenz im Strafraum bildet die Grundlage für das ausgeprägte Flankenspiel der Berliner. Besonders wenn die gegnerische Abwehrkette tief am eigenen Strafraum steht, setzt Hertha auf Hereingaben, um die verdichtete letzte Linie zu überbrücken. Die Tore gegen Braunschweig und Kiel sind typische Beispiele dieser Herangehensweise: Gegen Braunschweig flankte Reese, der mit 85 Hereingaben ligaweit führend ist, punktgenau auf den eingerückten Winkler. Gegen Kiel resultierte das Tor aus einem Umschaltmoment, in dem Reese auf dem Flügel durchbrach und seine Flanke am zweiten Pfosten Kownacki fand.

Trotz der klaren Strukturen im Ballbesitzspiel offenbart Hertha eine Schwäche im Passspiel im Zentrum. Immer wieder entstehen gefährliche Situationen durch leichtfertige oder technisch unsaubere Zuspiele, die den Gegner zu Großchancen einladen. Ein Beispiel dafür ist die frühe Szene gegen Kiel, als ein unbedrängter Fehlpass beinahe zum Gegentreffer führte. Obwohl diese Fehler zuletzt unbestraft blieben, stellen sie einen Aspekt dar, der im weiteren Entwicklungsprozess verbessert werden muss, um die eigene Spielkontrolle zu stabilisieren.

Das Flankenspiel der Hertha zum 1:0 gegen Braunschweig: Winkler schiebt bei Reese’s Flankenposition in die Box. Cuisance schiebt in den Rückraum und Schuler bindet in dieser Szene 2 Gegenspieler durch seinen Lauf an den ersten Pfosten.

Defensive Spielphase: Kompaktheit, Pressingmechanismen und konsequente Blockverteidigung

In der defensiven Spielphase agiert Hertha BSC überwiegend in einem 4-4-1-1, das durch seine Klarheit und Kompaktheit besticht. Besonders auffällig ist dabei die Rolle des Zehners, der hinter dem Stürmer als zentrale Pressingfigur agiert. Dieser Spieler trägt maßgeblich dazu bei, den Raum vor den beiden Sechsern abzudecken und somit jenes zentrale Areal zu schützen, das in vielen Mannschaften ein neuralgischer Punkt ist. Ob der Zehner selbst oder der Stürmer diesen Raum schließt, die Berliner verhindern konsequent, dass der Gegner dort Überzahlen oder dynamische Anschlussaktionen erzeugen kann.

Die Entstehung des 1:0 im Pokal gegen Kaiserslautern zeigt den Pressingmoment der Herthaner auf den Rückpass.

Das Pressing wird häufig vom Zehner ausgelöst. Ein prägnantes Muster besteht darin, den Gegner zu Rückpässen zu zwingen und genau diese Momente als Pressingtrigger zu nutzen. Hertha lenkt gegnerische Aufbauversuche gezielt nach außen, indem der ballnahe Stürmer oder Zehner im gebogenen Lauf das Zentrum schließt und den Pass auf den Außenverteidiger provoziert. Sobald dieser erfolgt, wird der Rückpassdruck erhöht: Der äußere Passweg wird zugestellt, der Rückpass erzwungen – und dieser wird sofort aggressiv angelaufen. Die Mannschaft schiebt dabei im Verbund nach vorne, wodurch sich eine abgestimmte horizontale und vertikale Kompaktheit entwickelt.

Die Pressingsequenz gegen Kiel zeigt das lösen der 10 mit Cuisance auf den ballführenden Spieler und das erzwingen des Rückpass durch Reese.

Im tiefen Pressing verändern die Berliner ihre Positionierung leicht: Die ballfernen Flügelspieler schieben höher und nehmen vorbereitende Positionen für mögliche Konter ein. Gleichzeitig bleibt Schuler als Wandspieler in der letzten gegnerischen Linie gebunden und hält deren Innenverteidiger beschäftigt, um direkte Umschaltmomente zu ermöglichen. So entsteht eine Struktur, die defensive Stabilität und offensive Gefährlichkeit verbindet.

Kann Hertha den Gegner situativ nicht höher stören, baut die Mannschaft einen tiefen Defensivblock auf. Hier zeigt sich eines der stärksten Elemente im Berliner Spiel: Die ausgeprägte Fähigkeit, Schüsse zu blocken und Abschlüsse im Strafraum zu neutralisieren. Zeefuik als Außenverteidiger sowie Toni Leistner in der Innenverteidigung gehören ligaweit zu den drei besten Spielern mit den meisten Blocks in der laufenden Saison. Auch in den zusammengefassten „Torverhinderungs“-Werten – bestehend aus Blocks, Klärungen, gewonnenen Zweikämpfen und abgefangenen Pässen – liegen Leistner und Dárdai unter den Top-5 Innenverteidigern der Liga, während Zeefuik diese Statistik unter den Außenverteidigern sogar pro Spiel anführt.

Das tiefe Verteidigen der Box zeigt die Position der Spieler vor dem eigenen Tor. Hier blockt Leistner mit einer Distanz den Torschuss Braunschweigs. Durch jenen Block entsteht eine Großchance für Hertha durch eine Flanke von Reese auf Winkler. Eingeleitet durch ein Dribbling von Cuisance im Zwischenraum.

Die qualitative Analyse ihres Abwehrverhaltens zeigt, dass Hertha in der Nähe der eigenen Box sehr diszipliniert verteidigt. Die Spieler gehen dabei in eine seitliche Stellung, die ihren Deckungsschatten optimal zwischen Gegner und Tor positioniert. Besonders im Spiel gegen Kaiserslautern wurde deutlich, wie die Berliner die Distanz zum Schützen bewusst steuern: In einem Radius von zwei bis drei Metern verharren sie in einer stabilen Position, um in dem Moment, in dem der gegnerische Spieler zum Schuss ansetzt, den Block zu setzen. Dieses Verhalten ist kein Zufall, sondern ein klar erkennbares Muster kollektiver Verteidigungstechnik.

Hinzu kommt eine hohe personelle Dichte in der letzten Linie. Meist sind sowohl die Viererkette als auch die beiden Sechser im tiefen Block vertreten. Nach dem Prinzip „Viele Spieler – viel Deckungsschatten“ versucht Hertha, den in Schussnähe relevanten Raum maximal zu verengen und den gegnerischen Abschluss in genau jene Bereiche zu lenken, die durch Blocks oder enge Staffelungen verteidigt werden können. Dadurch kann Hertha auch im tiefen Block kontrolliert agieren und die hohe Zahl an geblockten Abschlüssen erklären, die einen zentralen Beitrag zur starken Defensivleistung der Mannschaft darstellen.

Umschaltmomente: Vertikale Konsequenz und klare Rollen im Übergangsspiel

Die Umschaltphase gehört zu den prägendsten Elementen im Spiel von Hertha BSC, da sie die Stärken der Mannschaft ideal miteinander verbindet: Spielintelligenz im Zentrum, Geschwindigkeit auf den Außenbahnen und Tiefe in der letzten Linie. Im Umschaltmoment liegt der Fokus besonders auf den drei offensiven Mittelfeldspielern Winkler, Reese und Cuisance, deren Rollen in dieser Phase klar voneinander abgegrenzt, aber dennoch eng miteinander verzahnt sind.

Während der ballferne Flügelspieler bereits im defensiven Pressing eine höhere Position einnimmt, um einen möglichen langen Konter vorzubereiten, arbeiten die beiden ballnahen Offensivspieler zunächst nach hinten. Besonders Cuisance nimmt dabei als Zehner eine hybride Rolle ein: Er verteidigt zwar mit an, positioniert sich jedoch stets so, dass er im Übergang sofort anspielbar ist und Konter einleiten kann. Seine Dribbelstärke und sein Gespür für freie Räume bilden dabei den Ausgangspunkt vieler Umschaltsituationen. In mehreren Spielen gelang es Hertha, Konter über genau dieses Muster aufzuziehen: Cuisance gewann oder erhielt den Ball im Zwischenraum, löste sich mit einem kurzen Dribbling aus dem Druck und verlagerte anschließend auf einen der beiden Flügelspieler.

Von dort aus tragen Reese oder Winkler den Angriff mit hohem Tempo weiter. Ihre Dynamik ermöglicht es Hertha, große Räume in kürzester Zeit zu überbrücken und die gegnerische Defensive in Rückwärtsbewegung zu zwingen. Gleichzeitig bietet Schuler als Wandspieler in der letzten Linie eine tiefe Option an. Durch seine Positionierung unmittelbar an den Innenverteidigern kann er direkt angespielt werden, entweder um den Ball prallen zu lassen, oder um selbst den tiefen Lauf fortzuführen. Diese Kombination aus Zentrum, Flügel und Spitze erzeugt ein vertikales Dreieck, das Hertha im Umschalten besonders gefährlich macht.

Wird der Ball im Mittelfeldpressing gewonnen, zeigt sich ein weiteres Einstudiertes Muster: In diesem Moment starten beide Flügelspieler sofort in die Tiefe, um eine direkte, vertikale Passoption zu schaffen. Dadurch kann Hertha den Ball in einem Kontakt hinter die gegnerische Kette spielen und sofort in eine offene Kontersituation gelangen. Dieses Vorgehen verkürzt nicht nur die Entscheidungszeit des Gegners, sondern maximiert gleichzeitig die Geschwindigkeit des eigenen Angriffs.

Durch diese klaren Abläufe im Umschaltspiel gelingt es Hertha, defensive Balleroberungen unmittelbar in Torchancen umzusetzen. Die Mischung aus vorbereitenden Positionen, hoher individueller Qualität und konsequenter Tiefenorientierung macht die Berliner aktuell zu einer der gefährlichsten Kontermannschaften der Liga.

Umschaltmoment der Hertha gegen Kaiserslautern: Eichhorn gewinnt den Ball im Zentrum passt den Ball auf Cuisance der im raumübergreifenden Dribbling Reese und Winkler ermöglicht den Raum in der letzten Linie über die Flügel zu attackieren. In diesem Beispiel kommt nach einem technischen Fehler eines lauterer Verteidigers Schuler zum Abschluss.

Fazit und Ausblick

Hertha BSC präsentiert sich in den vergangenen Wochen als eine Mannschaft, die aus klaren Strukturen, hoher taktischer Disziplin und einer starken kollektiven Mentalität ihre Stabilität gewinnt. Die beeindruckende Defensivarbeit, sowohl im hohen wie auch im tiefen Block, bildet dabei das Fundament des aktuellen Erfolgs. Mit herausragenden Werten im Blocken von Schüssen, einer überperformenden xGA-Bilanz und einer klaren Ordnung im 4-4-1-1 zeigt das Team, dass defensive Organisation und individuelles Abwehrverhalten derzeit auf Spitzenniveau funktionieren. Gleichzeitig verleiht das strukturiert aufgebaute Offensivspiel über die Flügel, die Halbraumdynamik und das konsequente Umschaltverhalten dem Team jene Durchschlagskraft, die in vielen Spielen den Unterschied ausmacht.

Mit Blick auf die kommenden Wochen bleibt entscheidend, ob es Hertha gelingt, die Balance zwischen defensiver Stabilität und offensiver Zielstrebigkeit zu halten. Die klare Rollenverteilung, die starke Strafraumverteidigung und die Gefahr im Umschaltspiel deuten darauf hin, dass die Mannschaft eine stabile Identität gefunden hat. Die bisherigen Leistungen zeigen: Dieses Team hat nicht nur die Basis geschaffen, sondern auch die Werkzeuge, um die positive Entwicklung fortzuführen.

LC ist ein junger Vorzeigestudent, der während der Vorlesung lieber Spiele analysiert und Grafiken erstellt. In seiner Freizeit ist er jede Sekunde auf dem Fußballplatz. Zu finden erst aber auch auf LinkedIn.

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