AC Mailand pulisiciert sich zum Derbysieg – MX
Derby und Topspiel im San Siro. Inter dominierte die Anfangsphase, dann folgte ein Schlagabtausch, den die Rossonerri mit 1:0 für sich entschieden – nach einem Konter-Tor und einem gehaltenen Elfmeter von Maignan. War es verdienter, als es auf Seiten Inters verlautet wurde?
Nachdem Inter Mailand unter Coach Christian Chivu vier Spiele in Folge ungeschlagen geblieben war, ging es für die Nerazzurri im Derby gegen die Bianconeri weiter. Chivu setzte dabei auf eine 3-5-2-Grundordnung: Sommer agierte wie gewohnt im Tor, davor bildeten Akanji, Acerbi und Bastoni die Dreierkette. Calhanoglu rückte als zentraler Achter ins Mittelfeld, flankiert von Barella und Sucic. Auf den Flügeln fungierten Augusto und Dimarco als Schienenspieler, während im Sturm Thuram neben Martínez auflief. Die Gäste von Massimiliano Allegri waren seit August ungeschlagen und gingen entsprechend als Favorit in das Topspiel. Auch sie formierten sich aus einem 3-5-2 heraus: Maignan – späterer Matchwinner – stand zwischen den Pfosten, davor verteidigten Pavlovic, Gabbia und Tomori. Bartesaghi und Saelemaekers besetzten die Wingback-Positionen, Rabiot und Fofana agierten als Halbraumachter, während Modrić die zentrale Mittelfeldrolle einnahm. Im Angriff begannen Leão und Pulisic.
AC isoliert die letzte Linie
Schon nach wenigen Minuten wurde deutlich, in welche Richtung das Spiel zunächst überwiegend gehen würde. Der AC Milan positionierte sich relativ schnell in einem klaren 5-3-2-Mittelfeldpressing, das sich im Vergleich zur Grundordnung vor allem durch Bartesaghi und Saelemaekers veränderte: Die beiden Schienenspieler wurden zu flachen Flügelverteidigern in der letzten Linie.

AC blockiert das Zentrum
Die Pressingauslösung aus der ersten Linie auf den Dreieraufbau von Inter war dabei schlicht das Anspiel auf den zentralen Innenverteidiger Acerbi. Pulisic lief ihn häufig mit einem diagonalen Pressingwinkel nach innen an, um den Diagonalpass in die linke Breite zu unterbinden bzw. Inter über Bastoni auf der linken Seite zu isolieren. Insgesamt ging es Milan im 5-3-2 vor allem darum, die Passwege in die letzte Linie zu unterbinden. Zum einen geschah dies über das enge Mittelfeld, wenn Bastoni am Ball war; die äußeren Achter isolierten dabei die diagonalen Passwege in die Halbräume auf Çalhanoğlu / Sucic bzw. Lautaro Martínez. Gleichzeitig positionierten sich die Stürmer stets diagonal gerichtet zu Acerbi, um die direkten Verlagerungen auf die Inter-Schienenspieler zu erschweren.
Dadurch wurde in der Anfangsphase häufiger Akanji von Acerbi angespielt. Akanji wurde anschließend diagonal von Leão gepresst. Über diesen diagonalen Anlaufwinkel wurde der Passweg von Akanji in die Tiefe – etwa auf Thuram – isoliert. Tendenziell hatte Leão jedoch aus seiner eher tiefen Grundposition, die er vor allem zur Isolation des Passwegs auf Augusto einnahm, das Problem, dass Akanji durch seine vorbereitende Vororientierung – er ließ sich vor dem Zuspiel leicht vertikal fallen – Leão konnte dadurch nur verzögert Druck ausüben, während Akanji daher ohne größere Probleme – gerade auch durch seine extrem gute Eröffnung in die Breite orientiert mit dem ersten Kontakt – diagonal in die Breite ablegen konnte.
Barella bindet Rabiot
In der rechten Breite zeigte Inter Mailand einige interessante Bewegungsmuster, die häufig von Barella initiiert wurden. Wie in der oben beschriebenen Szene dargestellt, bewegte er sich oft frühzeitig in die rechte Außenbahn. Das hatte den Effekt, dass Rabiot aus seiner halbräumigen Grundposition einen sehr langen Pressingweg nach außen hatte und Barella dadurch viel Zeit und Raum erhielt. Diese Bewegungen wurden häufig mit direkten Abkippbewegungen von Augusto auf der rechten Seite kombiniert. Dadurch zog Augusto immer wieder Bartesaghi mit sich, wodurch für Barella der Vertikalpass in den Raum hinter dem Flügelverteidiger geöffnet wurde. Zwar deuteten Martínez und Thuram solche Tiefenläufe in die Halbräume immer wieder an, doch kamen sie trotz des Zeitvorteils für Barella im Timing meist zu spät. So konnte Rabiot durch sein diagonales Herausrücken die Laufwege letztlich im Durchpressen isolieren.
In den ersten Minuten musste Barella sich dann mehrmals diagonal in den ballfernen Halbraum zu Bastoni lösen. Dieser Passweg wurde immer wieder frei, weil Pulisic im Restpressing stark mannorientiert auf Çalhanoğlu agierte und sich daher oft tiefer fallen ließ. Er tat dies vor allem, um Modrić die Absicherung des Raums vor der Abwehrlinie zu erleichtern und darüber auch immer mal wieder flexibel in Zwischenräume fallen zu können, wenn ein Halbverteidiger mannorientiert herausschieben musste. Dadurch entstanden jedoch Zwischenräume zwischen Leão und Pulisic, die sowohl Barella als auch später Augusto immer wieder für drucklösende Rückpässe nutzen konnten.
Der AC Mailand war auf diese Muster jedoch vorbereitet. So agierte der ballferne Achter Fofana nach solchen Rückpässen in den ballfernen Halbraum immer wieder temporär als dritter Stürmer und schob vertikal auf Bastoni heraus, um dessen Passoption in den Halbraum zu isolieren. Dafür löste er allerdings seine Mannorientierung auf Šučić auf. Das hatte zur Folge, dass Saelemaekers in der rechten Breite zunehmend in 1-gegen-2-Unterzahl gegen Dimarco und Šučić verteidigen musste. Er löste dies jedoch clever: Er schob diagonal zwischen die beiden Inter-Spieler, sodass er einerseits Zugriff auf Šučić vor sich herstellen konnte, gleichzeitig aber auch direkt Druck auf Dimarco im Dribbling ausüben konnte. Durch diese Positionierung konnte Bastoni die potenzielle Überzahl auf der linken Seite kaum bespielen.
Vielmehr suchte Inter in diesen Situationen häufig den Rückweg, denn insgesamt war in der frühen Phase des Derbys eine gewisse Grundvorsicht zu spüren – wohl auch im Bewusstsein der Konterstärke des AC Mailand. Vertikale Zuspiele in die letzte Linie wurden nur selten aktiv forciert, stattdessen suchte Inter diese Wege eher über diagonale Verbindungen. Besonders auf der fokussierten rechten Seite wurde das sichtbar: Barella band Rabiot nach Verlagerungen immer wieder gezielt im Halbraum, wodurch er einen wichtigen Mechanismus des AC aushebelte. Eigentlich sollten die äußeren Mittelfeldspieler der zweiten Pressinglinie – also Rabiot und Fofana – die abkippenden Schienenspieler von Inter aufnehmen und diagonal anpressen, um durch den diagonalen Pressingwinkel deren Zuspiele in die Halbräume zu unterbinden. Gleichzeitig sollte dies dem eigenen Flügelverteidiger ermöglichen, weiterhin stabil die Breite zu sichern.

Augusto sucht das Diagonalspiel
Durch Barellas bewusste Bindung Rabiots war dieses Herausschieben jedoch nicht möglich. Dadurch musste Bartesaghi nun gegen Augusto herausverteidigen. Die kommunikative Logik im Kettenverhalten – „er (der Achter) kann ihn nicht übernehmen, also muss ich raus“ – verschaffte Augusto in der Breite einen dynamischen Vorteil, den er auch gut nutzen konnte: Der Linksfuß spielte aus der Drehung heraus direkt den Diagonalpass (nur durch seinen starken linken Fuß möglich; offenbart auch eine interessante Korrelation zwischen „Falschfuß“ und Diagonalität) in den Zwischenlinienraum auf Thuram. Dieser konnte aufgrund des geöffneten Raums, der durch Bartesaghis Herausschieben entstanden war, anschließend in die Breite immer wieder andribbeln, was gerade für Pavlovic durchaus unangenehm war.
Milans Innenverteidiger brillieren
Später zeigte sich immer wieder „Corta Luz“-Spiel über einen ausschiebenden Martínez und Thuram, wobei Thuram den Ball für ein direktes Diagonalspiel auf Martínez durchließ. In diesen Szenen fiel jedoch auf, dass Martínez im Wandspiel im engen Raum zwischen Gabbia und Pavlović teilweise noch Schwächen zeigte – besonders im Vergleich zu Thuram, der erneut sehr sicher Bälle gegen den direkt herausrückenden Pavlović behaupten konnte.
Zudem besetzte Inter später immer wieder den Raum hinter Bartesaghi. Besonders Barella lief aus hoher Grundposition im Halbraum horizontal hinter Bartesaghi, wodurch er für Thuram im Rücken des Flügelverteidigers diagonal anspielbar wurde. Zwar bewegte sich Rabiot teilweise mannorientiert mit Barella in die Verteidigungslinie (später kaum noch, da er häufig durch Çalhanoğlu zentral gebunden wurde), dennoch konnte er Barellas Zuspiele kaum unterbinden. Durch das horizontale Hinterlaufen erhielt Barella einen deutlich besseren Winkel für das Diagonalspiel, eine gute Vororientierung zum Lösen vom direkten Gegenspieler, und konnte sich mehrfach aufdrehen. Besonders brenzlig wurde dies, weil Thuram nach seinen Ablagen meist direkt vertikal im Halbraum mittels Spielen&Gehen durchschob, was für Gabbia und Pavlović gefährlich war, da sie im Antritt einen Nachteil gegen den Franzosen hatten. Dadurch konnte Thuram mehrmals tief durchstoßen. Nur durch Pavlovićs enorme Physis, der ihn mehrfach nach außen abdrängte, konnten Abschlüsse verhindert werden.
Nach rund 10 Minuten fiel auf, dass Hakan Çalhanoğlu sich immer wieder halbräumig vor den Pressingwall bzw. das Mittelfeldpressing der Gäste fallen ließ. Dies hatte mehrere Effekte: Einerseits hatte Milan dadurch Probleme in der aktiven Pressingauslösung aus der ersten Pressinglinie heraus, da durch die temporäre Viererkette mit Çalhanoğlu als linker Innenverteidiger Akanji und Bastoni (als äußere Parts) deutlich breiter agieren konnten. Gleichzeitig fächerte damit auch der Inter-Doppelsturm mit Leão und Pulisic auf, um den Zugriff nicht zu verlieren, wobei beim Ballbesitz des Türken die Abwehr in den Block ging, ohne aktiv das Pressing auszulösen. Durch diese Auffächerung entstand jedoch für den eigentlichen Achter im Zentrum ein größerer Passweg. Dies hatte zur Folge, dass die Achter beim AC etwas enger agierten, um die zentralen Passwege auf Thuram und Martínez zu isolieren und gleichzeitig mögliche Abkippbewegungen, insbesondere von Šučić, aufzufangen.
Die Kombination aus auffächernder erster Pressinglinie und engerer zweiter Pressinglinie führte dazu, dass die breiten Halbverteidiger, die Çalhanoğlu immer wieder anspielte, nun leichter in die Halbräume gelangen konnten. Thuram wurde dabei weiterhin diagonal häufiger gesucht, während die oft sehr hohen Achter bewusst aus hohen Grundpositionen abkippten, um Halbverteidiger wie Pavlović und Tomori herauszuziehen. So entstanden Laufwege in die Tiefe für die Stürmer, die Inter vereinzelt auch über lange Bälle nutzte. Problematisch war jedoch, dass die tiefen Laufwege der Stürmer teilweise zu isoliert verliefen und daher leicht von den physisch starken Verteidigern der Bianconeri abgedrängt werden konnten. Die sehr breiten Akanji und Bastoni konnten stellenweise Pulisic und Leão überdribbeln. Durch fehlende Improvisation seitens der Gäste – etwa durch ausschiebende Achter – entstanden gelegentlich Halbfeld-Flanken, die die Stürmer in der Box jedoch nur schwer verwerten konnten. Besonders Tomori und Pavlović, die direkten Gegenspieler von Thuram und Martínez in der Box waren, verloren in dieser Partie jeweils nur ein Kopfballduell. Bei aller Kritik an den Achtern von Milan sei zudem hervorgehoben: Die Sicherung vor der Verteidigungslinie funktionierte sehr gut. Mehrmals konnte Milan damit entscheidend die zweiten Bälle sichern, nachdem die eigenen Innenverteidiger Flanken-Luftduelle gewonnen hatten.
Il Diavolo kämpft sich rein
Die Mannschaft des Arbeitervereins kämpfte sich trotz der anfänglichen Stärkephase von Inter zunehmend in die Partie hinein. Das hing auch indirekt mit der Sicherung der zweiten Bälle vor der Verteidigungslinie zusammen: Durch die ballnahe Bewegung in die Breite oder das bewusste Abkippen seitens Barella halbrechts – oder generell der Inter-Achter – war der direkte Zugriff der Nerazzurri eher gering. Dadurch konnte sich vor allem Rabiot nach Ballgewinnen bei Kopfballduellen von Pavlovic immer wieder mit einem Dribbling in den rechten Halbraum lösen, wo sowohl Schienenspieler Bartesaghi als auch Stürmer Leão sofort in die Breite durchschoben.

AC schaltet über die Achter breit um
Zwar erzeugte man dort häufig numerische (in der ersten Phase) Überzahlen, doch insbesondere Leão neigte dazu, nicht konsequent (genug) beim Dribbling Bartesaghis in die Tiefe durchzuschieben. Stattdessen nahm er ab einem gewissen Punkt oft das Tempo raus, um sich eher für das Dribbling anbieten, woraufhin Bartesaghi ihn auch suchte. Tendenziell fehlte dem italienischen Schienenspieler insgesamt zudem etwas Tempo im Andribbeln, um die Überzahl direkt auszuspielen. Oft konnte Inter – trotz des schwierigen Zugriffs – mit einem ausschiebenden Achter (hier Calhanoglu) Druck auf den ballführenden Wingback entwickeln, wodurch Bartesaghi unter Druck geriet und keine direktere Pärchenbildung mit Leão entstand. Das Kernproblem lag damit vor allem darin, dass aufgrund des zu frühen Abspiels Bartesaghis der Abstand zu Leão zu groß wurde. Die Grundidee – Leão ins Dribbling bringen, nach innen ziehen lassen und Bartesaghi im Spiel-&-Gehen in der Breite tief durchschieben – ging so kaum einmal auf. Ein weiterer Faktor: Eigentlich sollte Pulisic durch seine zentralere, tiefere Position immer wieder den ballfernen Außenspieler (hier Barella) in der 2-2-Restverteidigung binden, um Raum (zwischen erster Restverteidigungslinie und zweiter) für Leãos inverses Dribbling zu schaffen.
Anfangs bereitete das Inter durchaus noch Probleme, weil Pulisic den Außenspieler zwar nicht konsequent band, die Übergaben jedoch unklar blieben. Mehrmals schob Akanji diagonal nach innen in eine mannorientierte Bewegung auf Pulisic und öffnete damit enorme Räume in seinem rechten Rücken. Insgesamt tat sich Schwarz-Rot in dieser Phase aber schwer, diese hohen Räume sofort und zielgerichtet zu bespielen. Das lag vor allem an der tiefen Positionierung der weiteren Angreifer, deren Fokus stärker auf dem Muster „Pulisic bindet, Leão dribbelt, zieht Gegner und öffnet die Breite“ lag. Mit der Zeit übergab Inter Pulisic dann vermehrt an den ballferner einrückenden Bastoni. Dadurch konnte Akanji tiefer bleiben und Leão mehrfach am inversen Dribbling hindern – teilweise auch durch taktische Fouls. Insgesamt blieben diese Dribblings aber etwas zu isoliert, was – wie beschrieben – vor allem am zu wenig temporreichen Nachschieben Bartesaghis lag und zudem daran, dass Pulisic häufig zu tief agierte.
Dennoch gelang es Milan dadurch immer wieder, sich etwas zu entlasten. Gerade aufgrund der spürbaren Zweiteilung bei Inter nach Ballverlusten sah man bei den Angreifern der Nerazzurri häufig rückwärtige Bewegungen in Richtung eigenes Tor. Zwar kam der AC daraus insgesamt zu wenigen klaren Torchancen, doch zumindest sank die Aufbauhöhe Inters temporär und der Spielryhtmus von Blau-Schwarz wurde dadurch gebrochen, wovon man aktiv profitierte.
Inters Probleme im tiefen Aufbauspiel
Inter baute dabei initial meist aus einem 3-5-2 heraus auf, wobei Acerbi nach einem kurzen Rückpass auf Sommer häufig in den Sechserraum aufrückte. Insgesamt agierte man somit neben Sommer mit zwei sehr breiten Innenverteidigern -Bastoni und Akanji. Das hatte zur Folge, dass die Stürmer des AC in der ersten Pressingphase keinen aktiven Druck auf den Schweizer Torhüter ausübten, sondern eher reaktiv agierten und aus ihren halbräumigen Grundpositionen die Passwege ins Zentrum isolierten.
Erst wenn Sommer breit auf Akanji oder Bastoni spielte, schoben sie diagonal heraus. Damit hatten die beiden Innenverteidiger einige Probleme: Die Bewegungen von Dimarco und Augusto wurden auf den Flügeln sofort eng mitverfolgt, während der Passweg ins Zentrum durch den diagonalen Pressingwinkel blockiert war. So blieb häufig nur der Rückpass zu Sommer – eine Situation, die Milan bewusst provozierte. Denn nun konnte man den Torhüter horizontal anlaufen, eine Seite abkappen und gleichzeitig den ballfernen Schienenspieler – hier Bartesaghi – diagonal in den Halbraum zurückschieben lassen. Dadurch erhielt die Abwehrlinie ein numerisches +2 gegen Inters Doppelsturm, sodass insbesondere der ballnahe Stürmer, in diesem Fall Thuram, gedoppelt werden konnte.
Diese Doppelung war ausgesprochen sinnvoll: Durch das vertikale Ausschieben des ballfernen AC-Stürmers wurde Sommer im Aufbau immer wieder zu Pässen in den Halbraum auf die abkippenden Achter – hier Sucic – gedrängt. Diese konnten sich in vergangenen Partien öfter aufdrehen und anschließend in den Halbraum auf die ebenfalls abkippenden Stürmer weiterspielen. Durch die nun konsequente Doppelung konnte Milan einerseits den Halbraum mit einem Außenverteidiger sichern, während der andere die langen Bälle in den Rücken absicherte. Thuram hatte dadurch massive Probleme und suchte kaum noch aktive Abkippbewegungen; bei langen Bällen tat er sich aufgrund der Unterzahl häufig schwer.

Inter mit Problemen im tiefen Aufbauspiel
Das wiederum isolierte die Achter immer wieder, weil Fofana und Rabiot aus ihren Mannorientierungen heraus direkt und eng mitverteidigten. Dadurch war kaum ein Aufdrehen oder Dribbling möglich, und auch der Passweg in die Breite war aufgrund der engen Orientierung an den Schienenspielern praktisch versperrt. Ein typisches Inter-Muster besteht normalerweise darin, dass ein Innenverteidiger im Rücken des Stürmers diagonal ausschiebt und so als drucklösende Option für Rückpässe anspielbar wird. Das war auch hier grundsätzlich der Fall, doch der AC war vorbereitet: Die Stürmer verfolgten unmittelbar nach der Spieleröffnung die Bewegungen der Innenverteidiger mit und orientierten sich an der jeweiligen Änderung der Spielrichtung. Zwar konnten diese Verteidiger ein paar Mal angespielt werden, doch unter dem sofortigen Druck blieb ihnen meist nur der lange Ball – und dieser führte in der Unterzahl der letzten Linie verbunden mit dem sehr tiefen Mittelfeld, was so kaum zweite Bälle sichern konnte, kaum zu stabilen Anschlussaktionen.
Gerade das fehlende Aufdrehen von Sucic und Barella im Halbraum – bedingt durch das sehr aggressive Herausrücken von Fofana und Rabiot – hatte zur Folge, dass Inter die numerische Überzahl im Zentrum durch Acerbis Ausschieben nicht ausspielen konnte. Zwar bot sich Çalhanoğlu einige Male horizontal an, doch Modrić konnte ihn eng verfolgen, so wurde er kaum von Sucic angespielt. Acerbi blieb zudem häufig zu ballfern, um wirklich unterstützend eingreifen zu können. Folglich glitt Inter die Partie zunehmend aus der Hand; eine gewisse Unkontrolliertheit schlich sich ein.
Ausgeglichenes Ende von Halbzeit 1
So verlor Inter immer wieder den Ball, und der AC suchte nach Ballgewinnen – wie bereits aus dem tiefen Aufbau heraus – häufig direkt den Umschaltmoment. Der Unterschied bestand jedoch darin, dass beide Stürmer im Restangriff nun deutlich enger aus dem Angriffspressing heraus agierten und dadurch nach Ballgewinnen häufiger sofort unter Druck angespielt wurden. Gerade Pulisic hatte damit gewisse Schwierigkeiten: Leão schob im Angriffspressing häufig mit Bastoni in die Breite und stand folglich für Konter oft zu weit weg. Pulisic besetzte stattdessen den linken Halbraum, der sich durch Bastonis Vorschieben regelmäßig öffnete, wurde jedoch von Akanji konsequent mitverfolgt. Da Inters Verteidiger nach Ballverlusten extrem schnell umschalteten und die Bewegungen der Bianconeri-Stürmer direkt und eng mitgingen, gerieten diese Zuspiele oft sofort unter Druck.
Zwar konnte Milan nach dem Abkippen der Stürmer immer wieder zentral über die Achter angespielt werden, die weiterhin eine hohe Anzahl an zweiten Bällen sicherten, doch ein Aufdrehen war daraus kaum möglich. Häufig endeten diese Szenen in Rückpässen auf die eigenen Verteidiger und anschließend auf Keeper Maignan. Aus diesen Sequenzen gelang es den Rossoneri jedoch zunehmend, sich im Ballvortrag in ein strukturierteres Aufbauspiel zu befreien, was bis dahin kaum zu sehen gewesen war: Zur Mitte der ersten Halbzeit formierten sie sich nun häufiger in einem 3-2-5 gegen das 5-3-2-Mittelfeldpressing von Inter. Auffällig war dabei, wie bewusst sich die erste Aufbaulinie oft tiefer fallen ließ, um eine klarere Zweiteilung der Mannschaft herbeizuführen.

AC zieht Leao frei
Das lag vor allem daran, dass man bewusst ein weites Abkippen der eigenen Schienenspieler erzeugen wollte, um die Flügelverteidiger Inters nicht unmittelbar mitzuziehen. Dadurch ergaben sich insbesondere für Bartesaghi immer wieder Möglichkeiten, sich in der rechten Breite nach einem Zuspiel von Pavlovic aufzudrehen – aus einem klaren Dynamikvorteil heraus gegen das nur indirekte Herausrücken Augustos. Im Rücken des Brasilianers schob dann meist Pulisic ein, wodurch er Akanji mit sich zog, während Rabiot den Halbraum nachbesetzte und Barella band. Den Raum, der durch Barellas Herausrücken aus dem Halbraum frei wurde, besetzte Leão über diagonale Abkippbewegungen. Acerbi hatte situativ Probleme, diese Bewegungen eng zu verfolgen, sodass Leão immer wieder mit seinem starken ersten Kontakt diagonal in den Halbraum gelangen und anschließend das Dribbling vor der Verteidigungslinie suchen konnte. Tendenziell hing viel davon ab, wie man Leão ins Abkippen brachte. Es gab auch Szenen, in denen er sich nicht von Acerbi löste; aus diesen eher statischen Wandspielsituationen tat sich der Portugiese deutlich schwerer.
Teilweise bewegte sich auch Pulisic – vor allem bei Mustern, in denen Leão als ballferner Stürmer diagonal ins Zentrum abkippte (was aufgrund der zu engen Grundposition der Stürmer möglich war; der Pass war trotz diagonalen Pressings häufig nicht isoliert) – hängend um Leão herum, wodurch eine direkte Ablageoption für den Portugiesen entstand. Vor allem aus den Dribblings heraus, die sich aus dem Ablagespiel von Leão auf Pulisic ergaben, wirkte das Spiel sehr gefährlich vor der Verteidigungslinie, da die beiden aus dieser Situation häufig kreuzten. Insgesamt sorgten diese Dribblings dafür, dass Inter in der Verteidigungslinie zusammenschob, wodurch Räume für die Schienenspieler entstanden. Diese nutzten die Räume häufig für Flanken – problematisch war dabei jedoch, dass die Stürmer aus dem Abkippen heraus tiefer agierten und somit einen längeren Weg zur Box hatten als die Schienenspieler. Dadurch entstanden teilweise Flanken, bei denen kein Stürmer in der Box präsent war. Besonders Bartesaghi zeigte in dieser Phase noch Defizite im Scanning vor den Flanken.
Teilweise legte Leão auch auf Modrić ab, denn der Diagonalpass sorgte häufig dafür, dass sich dessen Gegenspieler Çalhanoğlu intuitiv fallen ließ und dadurch seine Mannorientierung auf Modrić etwas löste. Der Kroate konnte sich so immer wieder in dessen Rücken freilaufen. Mehrmals gelang es Milan über ihn, das Spiel sauber zu verlagern. Besonders effektiv wurde dies, weil sich ballferner Schienenspieler Saelemaekers immer wieder aus seiner Vororientierung von Dimarco vertikal wegbewegte, während Dimarco auf der ballfernen Seite initial leicht einrückte. So konnte Modrić den Belgier gezielt suchen. Ein Beispiel dafür zeigte sich nach 28 Minuten: Modrić verlagert auf Saelemaekers, der das Dribbling in die Breite aufnehmen kann. Aus dem daraus entstehenden Dynamikvorteil gegen den eingerückten Dimarco sucht er die Hereingabe, die tatsächlich sehr gefährlich wird – und wohl nur nicht zum Tor führt, weil Pulisic auf der 5-Meter-Linie ausrutscht.
Es schien zudem so, als wollte Milan zunehmend über einen sehr breit ausschiebenden Fofana die Schienenspieler Dimarco binden, um für Saelemaekers – der nun verstärkt im Halbraum agierte und daraus immer wieder breit durchschob – direkt in die Tiefe zu kommen. So konnte er hinter Bastoni gelangen, der im Tempo einen gewissen Nachteil gegenüber Saelemaekers hatte, der immer wieder gute horizontale Läufe hinter Dimarco zeigte. Später entstanden immer wieder Verlagerungen über Pulisic. Acerbi (Bastoni war nun häufiger durch Saelemaekers gebunden) hatte Probleme, wenn sich Pulisic im letzten Drittel vertikal fallen ließ, da er keinen zentralen Raum vor dem Tor öffnen wollte, und verfolgte ihn kaum. So war Pulisic immer wieder im Zwischenlinienraum für die Schienenspieler anspielbar und konnte darüber das Spiel verlagern. Zwar schob Çalhanoğlu gelegentlich heraus, doch das hatte den Effekt, dass sich Luka Modrić wieder lösen und im Spielaufbau freispielen konnte. Tatsächlich bot das Verbleiben Acerbis im Zentrum einen entscheidenden Vorteil: Er konnte bei flachen Hereingaben den kurzen Pfosten zuverlässig absichern.
Nun entwickelte sich allerdings ein teils etwas wildes Spiel, geprägt von sehr vielen langen Bällen aus Abstößen, die beide Teams kaum sichern konnten. Milan war weiterhin sehr präsent mit den Achtern zur Sicherung der zweiten Bälle und konnte daraus mehrfach Ping-Pong-Situationen über die Schienenspieler ins letzte Drittel entwickeln, doch die Boxbesetzung blieb bislang eher mäßig. Inter hingegen fand in der ersten Halbzeit durch den mutigen Aufbau von Yann Sommer teilweise Überzahlsituationen im Zentrum, doch Milan war darauf vorbereitet und ließ sich kollektiv sofort fallen, ohne große Zwischenräume zu öffnen. Dadurch entstanden zwar immer wieder Situationen für Inter im höheren Aufbauspiel gegen Milans Mittelfeldpressing, doch der AC fuhr weiterhin zuverlässig Umschaltsituationen. Insbesondere im Wandspiel mit Thuram und Martínez agierte Inter dabei weiterhin sehr unglücklich. Bis auf viele Fouls und zwei gefährliche Szenen passierte wenig Zählbares: Eine große Chance von Martínez aus dem Rückraum nach einem langen Einwurf von Augusto (37.), in der er mit Thuram kreuzte und Tomori sowie Gabbia ihre Zuordnung auf die Stürmer verloren, konnte Maignan stark parieren. Kurz vor der Halbzeit (44.) folgte ein Fernschuss von Pulisic, nachdem Acerbi nicht herausverteidigte und Çalhanoğlu von hinten keinen Zugriff bekam.
Zweite Halbzeit

Inter passt sich an und zieht diagonal die Tiefe frei
In den ersten Minuten der zweiten Hälfte änderte sich grundsätzlich wenig am Spielgeschehen. Inter fand jedoch aus dem tiefen Aufbau über die zunehmend in der Breite agierenden Barella und Sucic sowie den horizontal sich anbietenden Çalhanoğlu die diagonal durchschiebenden Stürmer. Durch die diagonal durchbrechenden Läufe von Inter rückten die Flügelverteidiger von AC vertikal heraus, während die Schienenspieler von Inter an die eigenen Achter, die initial halbräumig agierten, übergeben wurden. Durch diesen diagonalen Winkel, in dem Rabiot auf Augusto herausrückte, konnte er kaum den Raum in seinem Rücken verteidigen, den Inter über Çalhanoğlu und den diagonal durchtreibenden Martínez bespielte – der Diagonalpass war nur möglich, weil Rabiot aus dem Halbraum herausschob.
Das hatte den Effekt, dass Modrić nun immer wieder intuitiv etwas tiefer agierte, um sich lose in den Halbraum zu bewegen. Dadurch wurde die Problematik jedoch verstärkt, da sein Gegenspieler aus dieser Losheit deutlich mehr Raum und Zeit am Ball erhielt. Einerseits ergab sich durch das Herausrücken der AC-Achter das Problem, dass sie nur noch bedingt die Räume vor der Verteidigungslinie für zweite Bälle im Zwischenlinienraum sichern konnten. Andererseits hatte aber gerade Martínez weiterhin große Probleme gegen Pavlovic und wurde immer wieder in die Breite abgedrängt, kaum konnte er Bälle in der Tiefe festmachen.
Dennoch gab Inter nach rund 50 Minuten zunehmend den Ton an, gerade weil man nun aus dem tiefen Aufbau heraus Lösungen fand. Da die AC-Halbverteidiger nun die Stürmer verfolgen mussten, hatten diese aufgrund ihres Antrittsvorteils häufig die Option, sich aus dem Abkippen heraus aufzudrehen und anschließend das Dribbling oder das Diagonalspiel zu suchen. Besonders, weil AC auf der ballfernen Seite weit einrückte und den ballfernen Schienenspieler von Inter freiließ, konnte Inter diesen zunehmend bespielen. Tendenziell verschob der eingerückte Bartesaghi nach diesen Verlagerungen oft frühzeitig auf Augusto, der beispielsweise in der 50. Minute nach einer solchen Verlagerung diagonal-ballfern gefunden wurde, durch dieses frühzeitge Ausschieben konnte das direkte Tiefenspiel in die Box unterbunden werden. Es fehlte Inter teilweise das Tempo aus diesen Verlagerungen.
Nachdem man in der 54. Minute erstmals einen Abstoß direkt lang ausführte und das Kollektiv eng zusammenschob, verlor man bei einem Ping-Pong-Duell den zweiten Ball an ACs Achter Fofana, der Leão auf Höhe fand und im Spiel gegen den Ball sofort wieder angespielt wurde. Das 3‑gegen‑3 mit Pulisic, Leão und Fofana gegen die Dreierkette von Inter sorgte für eine sehr enge Ballung im Zentrum. Dadurch hatte der durchschiebende Saelemaekers nach einem Tempoduell gegen Dimarco viel Freiraum und konnte den Schuss halbrechts suchen. Den Abpraller sicherte sich Pulisic im Durchschieben und verwertete zum Führungstreffer. Insgesamt ist es fraglich, warum Inter bewusst das Kollektiv so eng bei diesem Abstoß vom Tor weg zusammenschob, obwohl man eine der Hauptstärken des AC kannte: die ballsichernden Achter. Gerade über das gezielte Herausziehen im tiefen Aufbau konnte man diese zuvor über rund zehn Minuten sehr gut aus dem Spiel nehmen. Durch das enge Zusammenschieben schenkte man sich praktisch selbst das Gegentor ein.
In den letzten 30 Minuten entwickelte sich zunehmend ein Spiel, das Inter bestimmte. Einerseits schoben die Halbverteidiger verstärkt im Halbraum durch, wodurch der Rückraum rund um die Box von AC immer besser besetzt wurde. AC verteidigte damit nun tiefer mit klarem Blockfokus, während die Achter deutlich fokussierter darauf agierten, den Raum vor der Verteidigungslinie abzusichern und Passwege auf Thuram/Martinez zu isolieren – dadurch Inter in die Breite zu lenken. Durch Inters aufschiebende Halbverteidiger und die ballsichernden Achter konnte Inter einige Entlastungsangriffe mit Leão fahren, der erneut viele Dribblings im linken Halbraum zeigte. Aufgrund der hohen Personalbindung im tiefen Block blieben diese Entlastungsangriffe jedoch etwas isoliert, sodass Akanji meist das Duell gegen Leão gewann. Insgesamt war der Kraftverlust nun deutlich spürbar. Auf beiden Seiten zeigten sich zudem vermehrt Probleme bei den Flügelverteidigern, die Abkippbewegungen in der Breite zu verfolgen. Besonders Saelemaekers konnte sich mehrmals gegen Dimarco lösen, in den Halbraum eindribbeln und den Raum vor der Inter-Defensive diagonal auf Leão oder Pulisic bespielen – oder auf durchschiebende Halbraumachter wie Fofana, der in der 67. Minute am Außennetz damit scheiterte.
Weiterhin fand auch Inter im Halbraum die Stürmer. Bei ACs Pavlovic war der Kraftverlust im Antritt spürbar, sodass er in der 70. Minute etwas zu spät gegen Thuram kam und diesen stoppte – es gab Elfmeter für Inter, den Maignan jedoch glänzend parierte. In den letzten 15 Minuten entwickelte sich ein extrem fahriges Spiel mit vielen langen Bällen, vor allem von AC. Zieliński brachte für Inter nochmals viel Ballsicherung, insbesondere bei zweiten Bällen. Dennoch hatte man weiterhin Probleme in der Breite durch Dimarco und Augusto, um die Box sauber zu bespielen. Die Stürmer blieben weitgehend in der Box, da die Halbverteidiger immer wieder im Halbraum durchschoben. Mit Bonny wurde zudem ein weiterer Zielspieler gebracht, während Keeper Maignan aber eine exzellente Boxsicherung zeigte und einige Flanken herunterholte.
Fazit
Am Ende siegte daher AC, nachdem sich ein interessanter Schlagabtausch entwickelt hatte. Es gab viele Wechselwirkungen, und gerade in den ersten 20 Minuten war Inter durchaus dominant. AC entlastete sich zunächst über Umschaltsituationen, suchte im Angriffspressing Momentum und fand dann auch im eigenen Aufbau durchaus interessante Lösungen gegen die Nerazzurri. Es mag eine Floskel sein, doch es waren Nuancen, die dieses Topspiel entschieden.
MX machte sich in Regensburg mit seiner Vorliebe für die Verübersachlichung des Spiels einen Namen. Dabei flirtete er mit der RB-Schule, blieb aber heimlich immer ein Romantiker für Guardiolas Fußballkunst.





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