Suboptimales 5-4-1 kostet Italien den Gruppensieg – MX
Spanien gewinnt auch das dritte Spiel dieser Europameisterschaft. Gegen ein italienisches Team, das in einem 5-4-1 anlief, setzte sich La Roja mit 3:1 durch. Trotz der Niederlage qualifizieren sich die Italienerinnen für das Viertelfinale.
Im Berner Wankdorf-Stadion rotierte Spanien vor dem Spiel spürbar durch: Sechs neue Spielerinnen rückten in die Startelf. In der 4-3-3-Grundordnung ergab sich folgende Formation: Nanclares im Tor, davor bildeten Paredes und Mendez die Innenverteidigung, flankiert von Fernandez rechts und Ouahabi links. Im Mittelfeld agierte Guijarro zentral auf der Sechs, eingerahmt von Bonmatí und Putellas auf den Achtern. Die Flügelpositionen besetzten Caldentey und Castillo, während Paralluelo die zentrale Spitze übernahm.
Italien unter Andrea Soncin agierte aus einer 5-4-1-Grundordnung heraus: Giuliani hütete das Tor, davor formierten sich Salvai zentral sowie Linari und Lenzini auf den Halbpositionen der Dreierkette. Die Flügel besetzten Boattin links und Oliviero rechts als Schienenspielerinnen. Im Mittelfeld bildeten Caruso und Giugliano die Doppelacht, flankiert von Bonansea und Cantore. An vorderster Front agierte Piemonte als alleinige Spitze.
Italien im 5-4-1-Mittelfeldpressing
Italien blieb auch gegen den Ball der nominellen 5-4-1-Grundordnung treu und formierte sich in der Vertikalanordnung in einem Mittelfeldpressing. Piemonte agierte als alleinige Spitze in der ersten Linie, setzte jedoch kaum aktiven Druck auf die spanische erste Aufbaulinie. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, die Anbindung an Guijarro als aufbauende Sechserin zu unterbinden. Spanien wurde so gezwungen, den Spielaufbau konsequent über die Flügel zu verlagern.
Die Bewegungen Piemontes wirkten dabei häufig inkohärent. Mal schob sie auf Paredes – die zentrale Innenverteidigerin im spanischen Dreieraufbau – heraus, mal verblieb sie in einer passiveren Position. Insbesondere nach Rückpässen auf Paredes zeigte sie eine Tendenz zum vertikalen Herausrücken. Problematisch war dabei, dass Guijarro als spanische Sechserin in diesen Situationen oft ohne direkten Gegenspieler blieb. Die mangelnde Klarheit im Anlaufverhalten Piemontes führte zu einem unsauberen Übergabeprozess. Caruso, die linke Achterin, wäre strukturell am nächsten an Guijarro positioniert gewesen, agierte jedoch – wie auch ihre Pendant Giugliano – zu stark ballorientiert im Halbraum. Dadurch wurde die Distanz in der Übergabe auf Guijarro zu groß.
In diesen Situationen hätte es einer besseren Raumwahrnehmung durch Piemonte bedurft. Vor dem Herausschieben auf Paredes fehlten häufig Scanning- und Schulterblicke, um die Abstände zur zweiten Pressinglinie und damit die Anbindung an Guijarro korrekt einzuschätzen. So blieb die spanische Sechserin in vielen Szenen anspielbar und konnte das Spiel aus einer relativ unbedrängten Position heraus weiterlenken.
Auffällig waren auch die Bewegungsmuster der italienischen Fünferkette. Abkippbewegungen spanischer Offensivspielerinnen in den Zwischenlinienraum wurden eng verfolgt, während gleichzeitig der ballferne Teil der Kette konsequent einrückte, um potenziell entstehende Lücken durch die Herausschiebebewegungen aufzufangen. Dieses Zusammenspiel funktionierte über weite Strecken durchaus stabil und sorgte für eine gewisse Kompaktheit im Zentrum.
Ballfern rückte die Flügelverteidigerin Italiens stets ein, ebenso die ballferne Flügelspielerin, sodass Italien – wie schon in den vorherigen Spielen – oft mit einer 2-gegen-0-Situation in der ballfernen Breite stand. Spanien suchte folglich immer wieder flache Verlagerungen auf diese ballferne Seite, während Italien mit dem Block kontinuierlich in die Breite verschob und dies insgesamt recht gut umsetzte. Direkte, schnelle Diagonalverlagerungen suchte Spanien kaum, was Italien etwas mehr Schwierigkeiten beim Verschieben bereitet hätte. Allgemein wäre es vielleicht sinnvoller gewesen, statt auf doppelte Breite etwas mehr Ballnähe im ballfernen Bereich zu setzen, um kürzere Verbindungen zu schaffen – das war anfangs ein Problem. Zu einem späteren Zeitpunkt versuchte man dem entgegenzuwirken, indem Piemonte ihre Positionierung weitgehend anpasste – dazu später mehr.
Das Kryptonit der Breite
Cantore und Bonansea sollten in der zweiten Pressinglinie halbräumig positioniert agieren, um Passwege in den Zwischenraum zu isolieren und das spanische Aufbauspiel bewusst auf die Flügel zu lenken. Dieses Muster erwies sich jedoch rasch als suboptimal: Die Flügelverteidigerinnen Oliviero und Boattin schoben nicht proaktiv in die Breite durch, sondern verharrten zunächst strukturorientiert in tieferen Zonen. Erst nach dem Pass auf den Flügel rückten sie situativ heraus, was Spanien in den entstehenden Eins-gegen-eins-Duellen einen deutlichen Zeit- und Dynamikvorteil verschaffte. Etwas mehr Direktheit und antizipatives Herausschieben in diesen Momenten hätte hier womöglich für mehr Zugriff sorgen können.
Im Spielverlauf begannen die italienischen Flügelverteidigerinnen zwar nicht, konsequent in die Breite herausszuverfolgen, agierten aber zunehmend „auf Sprung“ und rückten situativ heraus. Das öffnete jedoch verstärkt den Raum hinter ihnen – eine Zone, die Spanien vermehrt ins Visier nahm. Zentral war dabei ein wiederkehrendes Bewegungsmuster: Über diagonale Abkippbewegungen der Flügelspielerinnen Caldentey und Castillo ins Zentrum wurden die Halbverteidigerinnen Linari und Lenzini herausgezogen. Dadurch öffneten sich Laufwege im Halbraum, in die Paralluelo dynamisch einstartete.
Allerdings erkannte Salvai, die zentrale Innenverteidigerin, diese Mechanismen mehrfach frühzeitig und rückte antizipativ ein. So konnte sie etliche lange Zuspiele in den Halbraum verteidigen und Spaniens potenziellen Tiefengewinn einschränken. Insgesamt war ihre Rolle dabei essenziell: Immer wieder stoppte sie Paralluelos diagonale Tiefenläufe mit starker Mitverteidigung diagonal zur Ballseite. Besonders hervorzuheben ist ihr Scanning – Salvai schätzte regelmäßig sauber ab, ob sie Paralluelo aktiv verfolgen musste (etwa bei geöffneten Passfenstern), ob sie in der Fünferlinie Kompaktheit priorisieren konnte oder wie sich Paralluelo in ihrem Laufverhalten anpasste.
Gerade in der Verteidigung von Diagonalläufen zeigen viele Innenverteidigerinnen strukturelle Probleme – etwa, weil sie dabei aus einer zunächst weiter entfernen Position zum Ball reagieren müssen. Salvai hingegen löste diese Situationen mit bemerkenswerter Klarheit. Begünstigt wurde das auch dadurch, dass Spaniens diagonale Tiefenläufe oft erst durch vorherige Abkippbewegungen aus der Breite bzw. dem Halbraum vorbereitet wurden. Das führte nach dem Zuspiel häufig zu isolierten 1-gegen-1-Situationen mit weiten Abständen zur Reststruktur– ein Szenario, das Salvai wiederholt stabil kontrollierte.
Putellas isoliert (sich) bewusst
Grundsätzlich funktionierte der Verfolgungsmechanismus der italienischen Fünferkette, wie bereits erwähnt, gut. Besonders stabil präsentierte sich der linke Teil der Kette, während die rechte Seite gewisse Probleme offenbarte. Putellas agierte im spanischen 3-3-4 / 3-2-5 meist halbräumig neben Sturmspitze Paralluelo und band dadurch Lenzini, die rechte Halbverteidigerin, weitgehend frauorientiert.
Ihre Bewegungen waren jedoch weniger dynamisch-abkippend als vielmehr strukturell angelegt: Früh im Aufbauverlauf positionierte sie sich konstant im Zwischenlinienraum. Lenzini reagierte darauf zögerlich, wodurch Putellas zur Bindung für Flügelspielerin Cantore wurde – ein strukturelles Problem für Italiens rechte Defensivseite. Grundsätzlich lässt sich vermuten, dass Putellas sich bewusst halbräumig von Cantore isolieren ließ, um dadurch gruppentaktische Vorteile zu erzeugen.
Das lag vor allem daran, dass Spanien auf der linken Aufbauseite häufig eine doppelte Breitenbesetzung herstellte – mit der nominellen Außenverteidigerin Ouahabi sowie Caldentey auf dem linken Flügel, die häufig als Pärchen agierten. Die durch Putellas‘ Positionierung initiierte Bindung Cantores im Halbraum erschwerte es der Italienerin, rechtzeitig auf Caldentey durchzuschieben. Spanien konnte so situativ ein 2-gegen-1 gegen Oliviero aufbauen. Gleichzeitig bedeutete Cantores Herausschieben in die Breite, dass Putellas im Zwischenlinienraum temporär ohne direkte Gegenspielerin agieren konnte – ein Zustand, den Italien strukturell zu vermeiden suchte. Dies führte zu teils unkontrollierten Herausrückbewegungen Lenzinis, die dadurch aus der Linie gezogen wurde und zusätzliche Instabilität verursachte.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem Guijarros Rolle. Infolge des 3-gegen-3 auf dem linken Flügel – bedingt durch Putellas’ Ausweichen in die Breite – schob die Sechserin konsequent ballnah im Halbraum mit und stellte dort eine wirksame Unterstützung dar. Mehrfach konnte Putellas sie nach Dribblings drucklösend anspielen, woraufhin Guijarro das Spiel mit gezielten Verlagerungen fortsetzte. Auch Paralluelo beteiligte sich an diesen Abläufen, indem sie halbräumig einschob und so Tiefe herstellte – primär mit dem Ziel, Italiens zentrale Abwehrspielerin Salvai herauszuziehen und dadurch Raum für nachstoßende Spielerinnen zu öffnen. Insbesondere Bonmatí nutzte diese Dynamiken wiederholt für vertikale Durchschiebebewegungen ins Zentrum. Italien hatte damit sichtbar Schwierigkeiten, da diese Läufe selten über direkte Gegenspielerinnen verfolgt wurden. Stattdessen versuchte das italienische Mittelfeld meist, die Verantwortung über unklare Übergaben – bzw. ein Auffangen der Verteidigungslinie – weiterzureichen – was jedoch kaum zu stabilem Zugriff führte und Bonmati oft ohne direkte Gegenspielerin in der letzten Linie agierte.
Auf Passivität folgt Tiefe
Wie bereits beschrieben, agierte Piemonte in der ersten Pressinglinie nicht aktiv auf Paredes, die zentrale Innenverteidigerin – und noch weniger auf die Halbverteidigerinnen Mendez und Fernandez. Stattdessen verlagerte sich ihr Fokus zunehmend darauf, Rückpässe auf Paredes zu verhindern – ein prinzipiell stimmiger Gedanke innerhalb der italienischen Pressingstruktur. Gleichzeitig sollte sie aber den Abstand zur Sechserin Guijarro nicht zu groß werden lassen, um zentrale Wege zu schließen.
Das führte zu einem strukturellen Dilemma: Paredes schob immer wieder weit ballnah mit – Wege, die Piemonte nicht konsequent begleiten konnte, ohne die Anbindung an Guijarro zu verlieren. Die gedachte Rückpass-Isolation griff daher nicht sauber, Paredes blieb anspielbar, Spanien behielt Kontrolle.
Damit stellt sich eine grundsätzliche Frage: Ist ein 5-4-1 tatsächlich die passende Reaktion auf einen Dreieraufbau? Spanien reagierte früh auf den Einzelsturm, indem die Halbverteidigerinnen extrem breit agierten. Das erschwerte – fernab vom ohnehin passiven Anlaufen Piemontes – Bogenläufe praktisch vollständig.
Grundsätzlich war der Plan offenbar, dass die Achterinnen Caruso und Giugliano vertikal auf die Halbverteidigerinnen durchschieben. Die enorme Breite des spanischen Aufbaus machte es jedoch schwierig, diese Bewegungen sauber umzusetzen. Giugliano rückte mehrfach sehr unkontrolliert aus dem Zentrum nach außen, um Mendez anzulaufen – eine Bewegung, die zentrale Räume öffnete. Besonders Putellas konnte davon profitieren, indem sie sich wiederholt im Zehnerraum anspielbar machte.
Auf der linken Defensivseite gelang es Italien besser, darauf zu reagieren: Bonansea rückte immer wieder sauber auf Fernandez heraus, isolierte deren vertikalen Passweg und zwang Spanien strukturiert in die Breite. Auf rechts hingegen entstand ein wiederkehrendes Problem: Cantore war durch die Einrückbewegungen Putellas oder Caldenteys im Halbraum gebunden und konnte nicht aus der Kette pressen. So musste erneut Giugliano den Weg nach außen übernehmen – mit viel Raum, langem Anlauf und einem ungünstigen Pressingwinkel. Der Zugriff auf Mendez blieb aus, die Spanierin hatte Zeit am Ball, der diagonale Anlaufweg öffnete Passoptionen ins Zentrum, in den Halbraum und in die Breite. Spanien gewann so Flexibilität über die linke Aufbauseite – strukturell, dynamisch und wiederholt.
Auf Schwäche folgt Intuition
Das hatte im weiteren Verlauf auch Auswirkungen auf Piemonte: Mit zunehmender Spielzeit begann sie, sich verstärkt an Mendez zu orientieren – und versuchte so, die gedachte Rückpassisolation doch noch umzusetzen. Der Effekt war jedoch ambivalent: Zwar konnte der Rückweg auf Paredes nun besser kontrolliert werden, doch öffnete sich dadurch erneut das Zentrum. Die Sechserin Guijarro blieb mehrfach anspielbar, da die Abstimmung zwischen der ersten und zweiten Pressinglinie – speziell zwischen Piemonte und den Achterinnen – nicht griff. Die Übergaben wirkten inkohärent, der Pressingweg der Achterinnen war zu weit auf die Sechserin und der Zugriff blieb folglich aus.
Grundsätzlich lässt sich vermuten, dass hinter den ausbleibenden direkten Zugriffsbewegungen der Achterinnen auf Guijarro – neben der fehlenden Kommunikation – auch ein bewusster strukturorientierter Ansatz stand: Die zentrale Positionierung sollte wohl den Passweg von der Halbverteidigerin auf Paralluelo isolieren, den Spanien über deren abkippende Bewegungen gerne ansteuert. Dieser strukturelle Gedanke ist nicht per se verkehrt, zumal in einem flachen 5-4-1. Doch wie so oft geht damit eine gewisse Einschränkung in der Enge frauorientierter Zugriffsmöglichkeiten einher – was sich in diesem Fall als problematisch erwies.
Denn bei aller Berechtigung für eine höher gewichtete strukturorientierte Grundhaltung gegen den Ball der Achterinnen im 5-4-1: Gegen eine derart spielstarke, beidfüßige Sechserin wie Guijarro hätte eine engere Anbindung mehr Wirkung entfalten können. Immer wieder positionierte sich Guijarro mit sehr guter Körperhaltung zwischen den Linien und konnte den Pressingwinkel der ballnahen Gegenspielerin ausnutzen, um diagonal aufzulösen oder direkt in die Breite zu verlagern. Die reaktive Staffelung Italiens ließ ihr dafür regelmäßig zu viel Raum.
Daraus ergab sich häufig ein weiteres strukturelles Problem: Ouahabi oder Caldentey positionierten sich immer wieder tiefer in der Breite, um für mögliche Ablagen Guijarros unmittelbar anspielbar zu sein. Wie zuvor beschrieben, agierten die italienischen Flügelverteidigerinnen auf „Sprung“, wodurch sie in diesen Situationen regelmäßig Nachteile in Raum- und Zeitrelationen im direkten Duell hatten. Das Herausrücken erfolgte meist in diagonaler Linie, was wiederum Passfenster für vertikal einstartende Spanierinnen öffnete – besonders Caldentey konnte mit ihrer Dynamik mehrfach in Tiefe angespielt werden.
Spanien zeigte in diesen Sequenzen ein zunehmend konsequenteres Nachschieben. Besonders hervorzuheben ist dabei die Rolle von Putellas: Ihre abkippende Positionierung im Halbraum wurde von Cantore zunächst – wie beschrieben – passwegorientiert isoliert. Das funktionierte allerdings nur, solange der Ball hinter ihr blieb. Verlagerte Spanien das Spiel jedoch per Tiefenspiel in die vordere Linie, geriet Putellas automatisch aus dem Deckungsschatten Cantores und konnte ohne direkte Gegenspielerin – höchstens von hinten frauorientiert begleitet – in die Breite nachstoßen. Dadurch entstanden wiederholt situative Unterzahlszenen auf dem Flügel, Spanien konnte Dynamik aufbauen. Auch Sechserin Guijarro schob in diesen Momenten wiederholt mit: Sie suchte zentrale Räume um die Box, positionierte sich teils etwas ballseitiger im Halbraum, um aus der Breite drucklösende Rückpässe zentral aufnehmen zu können. Daraus wurde sie mehrfach angespielt und kam zu Fernschüssen – Stürmerin Piemonte verteidigte für etwaige frauorientierte Lösungen zu wenig zurück, die Achterinnen agierten auch im ersten Drittel weitgehend strukturorientiert. Guijarro agierte dadurch rund um die Box häufig ohne direkte Gegenspielerin.
Dynamik entstand auch durch regelmäßige Rotationen zwischen Putellas und Caldentey: Putellas schob beim Ballspiel Ouahabis häufig in die Breite, zog Cantore dabei teils mit – der diagonale Passweg von Ouahabi in den Halbraum öffnete sich dadurch, in den Caldentey mit tieferen, einschiebenden Bewegungen rotierte. Lenzini tat sich mit diesen diagonalen Verfolgungsbewegungen sichtbar schwer, Caldentey war mehrfach anspielbar, konnte sich aufdrehen und mit Tempo auf den italienischen Defensivblock zudribbeln – was eigentlich verhindert werden sollte.
Ein weiteres Muster bestand darin, dass sich Flügelspielerin Caldentey weit und dynamisch in die Breite zurückfallen ließ, um dort anspielbar zu sein. Gleichzeitig schob die eigentliche Breitengeberin im ersten Aufbaudrittel, Ouahabi, in die Tiefe, um Italiens Fünferlinie breit zu binden und Caldentey Raum für Dribblings zu verschaffen. Italien tat sich generell schwer, dieses Muster zu verteidigen, da die Halbverteidigerinnen diese Abkippbewegungen nicht so weit verfolgten. Situativ entstand so eine Unterzahl gegen Cantore beziehungsweise Oliviero auf dem Flügel – zumal auch Putellas wiederholt halbräumig oder breit agierte. Caldentey konnte dadurch mehrfach ohne unmittelbaren Gegnerdruck aufdrehen und ins Dribbling gehen, während Ouahabi wie Putellas Tiefe anzeigten. Spanien respektive Caldentey tat sich in diesen Szenen jedoch teils schwer, das passende Timing für das Abspiel in die Tiefe aus dem Dribbling heraus zu finden – Italien konnte dadurch oft wieder Gleichzahl herstellen und hinter den Ball kommen.
Guijarro erkennt die Freiheit, Roationsmuster erzeugen Dynamik
Gegen Ende der ersten Halbzeit verzeichnete Spanien rund 75 % Ballbesitz – dennoch stand es lange Zeit nur 1:1. Wie so oft in solchen Spielverläufen neigen Mannschaften trotz klarer Spielkontrolle zu strukturellen Anpassungen. Diese Veränderungen waren vor allem ein Produkt der bereits beschriebenen italienischen Schwächen.
So ließ sich Guijarro zunehmend halblinks neben – oder leicht davor ausbrechend – die zentrale Innenverteidigerin Mendez fallen, wodurch situativ ein Viereraufbau bei Spanien entstand. Italien fand auf diese Bewegungen der Sechserin keine direkte, verfolgende Antwort. Das führte vor allem dazu, dass ein 4-gegen-1 gegen Piemonte entstand, während die Halbverteidigerinnen noch breiter agierten und so kürzere Anbindungen an die Flügelspielerinnen Castillo und Caldentey schufen. Gleichzeitig wurde Bonanseas Pressingwinkel gegen Fernandez auf der linken Seite nochmals diagonaler – Fernandez konnte dadurch vermehrt andribbeln und Raum in der Breite gewinnen.
Bis zu diesem Zeitpunkt war Italiens linke Pressingseite aktiver als die rechte, da man dort mit Bonansea auf die Halbverteidigerin herausrücken konnte – im Gegensatz zur rechten Seite, wo Putellas’ Bewegungen ein Herauspressen blockierten. Das war insofern relevant, als Italien grundsätzlich reaktiv auf die Flügelspielerinnen herausverteidigte. Durch Spaniens zunehmende Breite kam der Ball jedoch früher und direkter auf die Außenspielerinnen – Italien tat sich in der Folge schwer, das Tempo der Szenen aufzugreifen. Die daraus resultierenden 1-gegen-1-Situationen in der Breite entwickelten sich zunehmend zu einem Nachteil.
Allgemein waren die veränderten Passwinkel im nun praktizierten Viereraufbau insofern interessant, als dass Bonmatí zentral besser eingebunden werden konnte. Bis dahin blieb sie häufig isoliert, da der Passwinkel oft durch Caruso im Deckungsschatten blockiert wurde. Über die breitere Positionierung von Paredes sowie die weiter außen agierenden Halbverteidigerinnen ergaben sich nun direktere Anspielmöglichkeiten auf Bonmatí. Mehrfach konnte sie – trotz engen Verfolgens durch ihre direkte Gegenspielerin – angespielt werden, sich zum Zentrum hin aufdrehen und das Dribbling aufnehmen oder über Dreiecksbildungen auflösen. Die technisch extrem starke Spielerin eröffnete dadurch wiederholt neue Optionen im letzten Drittel. Vor allem weil Castillo in der Breite sofort in die Tiefe schob, wenn Bonmatí den Ball hielt, konnte so zusätzlich Tiefe generiert werden.
Allgemein profitierte Bonmatí natürlich auch davon, dass man infolge dieser Muster Castillo besser einbinden konnte und sie mehr Raum sowie Zeit in der Breite hatte. Nach dem Spiel in die Breite auf Castillo schob die Zehnerin sofort unterstützend ebenfalls breit. Linari hatte dabei teils Probleme, diese horizontalen Bewegungen konsequent zu verfolgen, wodurch Bonmatí mehrfach von Castillo angespielt werden konnte – besonders hervorzuheben sind hier die sehr temporereich ausgespielten Doppelpassmuster.
Weniger gesucht wurde hingegen der diagonale Passweg ins Zentrum auf Stürmerin Paralluelo. Dieser Raum wurde vor allem dadurch geöffnet, dass sich Guijarro mehrfach halblinks in die Viererkette fallen ließ und dabei Piemonte leicht mit sich zog, die versuchte, die Verlagerung innerhalb der spanischen letzten Linie zu unterbinden. Dadurch entstand ein Zwischenraum gen Zentrum, der prinzipiell bespielbar war – Paralluelo bot sich dort mehrfach mit diagonalen Bewegungen an, insbesondere zwischen Bonansea und Caruso. Paredes fremdelte jedoch sichtbar mit Diagonalpässen in potenziellen Gegendruck hinein, sodass diese Option kaum genutzt wurde. Grundsätzlich ist anzumerken, dass Paralluelo nicht dem Profil einer Wandspielerin entspricht, das für diese Anbindungssituation günstig gewesen wäre. Vielmehr agiert sie als tiefgehende Stoßstürmerin denn als abkippende Anspielstation. Dennoch hätte eine konsequentere Nutzung dieses Passwegs potenziell für zusätzliche Dynamik im spanischen Spiel sorgen können.
Spanien im 4-1-3-2-Angriffspressing
Zu diesem hohen Ballbesitzanteil Spaniens gehört neben der eigenen Progression natürlich auch das Spiel gegen den Ball, gegen das sich Italien im 2-3-Aufbau merklich schwer tat.
Grundsätzlich war man im tiefen Aufbau bemüht, flache Progression zu erzeugen, indem Torhüterin Giuliani meistens den Abstoß zu einer der Innenverteidigerinnen im Spielaufbau – Linari oder Salvai – auslöste. Spanien reagierte jedoch mit der ersten Pressinglinie aus Bonmatí und Paralluelo sehr aggressiv: Beide Stürmerinnen liefen die ballspielende Innenverteidigerin an. Die ballnahe schob vertikal anpressend, um den Vertikalpassweg in den Halbraum auf die Achterinnen zu isolieren, während die ballferne im Bogenlauf durchschob, um den Querpass zu unterbinden. Dadurch wurde die Innenverteidigung direkt unter Druck gesetzt.
Hier sei zu erwähnen, dass Paralluelo ihren Bogenlauf auf Linari technisch nicht immer ganz sauber ausführte und der Querpassweg tendenziell durchaus ausführbar gewesen wäre, allerdings fehlte es der ersten Aufbaulinie Italiens allgemein etwas an Mut, diese Lösungen, die wenn auch etwas riskant sind, konsequent auszuspielen.
Ähnlich verhielt es sich bei Sechserin Giugliano, die zwar von Putellas frauorientiert isoliert wurde, sich durch gute ballnahe Bewegungen jedoch teils von Putellas lösen konnte. Grundsätzlich wäre es in diesen Szenen oft möglich gewesen, die Sechserin diagonal anzuspielen, sodass sie sich weg von Putellas aufdrehen konnte. Das blieb aber weitgehend aus.
Vielmehr schlug man dann über die Innenverteidiger lange Bälle ins Zentrum, das man besetzte, indem Piemonte im Abkippen den Raum einnahm, den Guijarro durch das frauorientierte Ausschieben öffnete. Dadurch sollte Piemonte Mendez mitziehen und Cantore im Durchschieben den Raum im Rücken Mendez tief besetzen. Das strukturell gut angelegte Muster war aber in der Ausführung oft zu unsauber, sodass Piemontes Kopfballversuche gegen Cantore häufig technisch unpräzise waren.
Ansonsten war eine flache Auslösung für Italien schwer, da Spanien einerseits die hohe Breite auf den Außenverteidigern direkt mitging, wodurch diese teils isoliert in der Breite agierten und für die Innenverteidiger kaum erreichbar waren, während etwaige Abkippbewegungen im Halbraum über vertikale Pressingwinkel der spanischen Stürmerinnen isoliert wurden. Grundsätzlich wäre es wünschenswert gewesen, dass die Außenverteidiger nicht so extreme Breite annehmen, sondern etwas eingerückt agieren. Zwar wären die spanischen Flügelspielerinnen diesen Wegen gefolgt, aber die Anspielbarkeit wäre gegeben gewesen. Über die vertikalen Pressingwinkel der spanischen Flügelspielerinnen hätte man dann beispielsweise diagonal ins Zentrum zu Bonansea oder Piemonte in die letzte Linie spielen können und über nachrückende Achterinnen oder tiefgehende Flügelspielerinnen zusätzlich Dynamik erzeugen.
Später ließ man Italien auch mal über die Innenverteidiger andribbeln und agierte dann aus einem 4-4-2-Mittelfeldpressing heraus, das weiterhin stark frauorientiert bis fraudeckend geprägt war. Die Problemstellen blieben entsprechend bestehen, einzig die Innenverteidiger gewannen etwas an Höhe. Die erste Pressinglinie der Spanierinnen arbeitete mit diagonalen Pressingwinkeln, um die Innenverteidigerinnen in die Breite zu treiben, während die ballferne Flügelspielerin die Querpasswege schloss. In der Breite wurden die italienischen Außenverteidigerinnen weiterhin direkt frauorientiert zugestellt, sodass kaum Optionen entstanden. Häufig sah man erneut nur lange Bälle in Richtung Piemonte. Mendez zeigte sich hier erneut sehr präsent, zudem schob Sechserin Guijarro nach langen Bällen direkt zentral ein und konnte mehrfach zweite Bälle sichern.
Zweite Halbzeit
Auch in der zweiten Halbzeit war Italien vor allem nach Einwürfen im letzten Drittel gefährlich. Das war insbesondere der Fall, weil man stets ein Trio in der Breite postierte und die kopfballstarke Piemonte bei diesen zielgerichteten Einwürfen – die präziser waren als lange Bälle – profitierte. Eine schnelle Achterin, meist Caruso, schob gleichzeitig zum Zeitpunkt des Einwurfs durch. Die direkte Gegenspielerin Carusos – Guijarro oder teils Bonmatí – agierte in diesen Szenen in der Frauorientierung zu ballfokussiert und konnte die tiefen Bewegungen Carusos nicht in die Tiefe nachverfolgen. Da sich Piemonte über dynamische Bewegungen zum Ball hin bei Einwürfen häufig von Mendez lösen konnte, war es ihr mehrfach möglich, in die Tiefe auf Caruso weiterzuleiten. Die ausführende Boattin zeigte im Spiel mehrfach eine sehr gute Technik bei Einwürfen im mittellangen Bereich, besonders bei diagonalen Einwürfen auf Caruso.
Möglich war das Durchschieben Carusos vor allem, weil ballfern die Flügelspielerin bei Einwürfen stets zentral eingerückt war und so die ballferne Außenverteidigerin bzw. teils auch die ballferne Innenverteidigerin zentral band. Durch Piemontes ballnahe Bewegungen wurde der Zwischenraum ballfern dadurch sehr zugänglich für Caruso.
Spanien wurde allgemein im letzten Drittel etwas griffiger – ein Bereich, in dem man in der ersten Halbzeit noch Schwächen gezeigt hatte. Das lag vor allem daran, dass nun immer wieder Halbverteidigerin Fernandez (während auf der linken Seite Ouahabi im asymmetrischen 3-2 die Breite hielt) auf der rechten Seite durchschob, wodurch die italienische Sechserin Giugliano mitgezogen wurde und so Räume für Putellas in inversen Dribblings entstanden. Diese inversen Dribblings hatten in der ersten Halbzeit weitgehend gefehlt – aus genau einer solchen Aktion resultierte beispielsweise das 2:1 in Minute 49. Allgemein rotierte Spanien nun auch vermehrt: So wich Putellas für ihre inversen Dribblings zeitweise auf die rechte Seite aus, während Bonmatí phasenweise auf die linke Seite rückte.
Nach dem 2:1 – in einer ansonsten eher zerfahrenen Spielphase – gewann Spanien wieder zunehmend an Spielkontrolle. Hervorzuheben ist hier vor allem Sechserin Guijarro, die weiterhin nicht effektiv von Italien isoliert werden konnte und so immer wieder diagonal im Zwischenraum zwischen Piemonte und Caruso angespielt wurde – meist ließ sie zwar nur „klatschen“, aber damit konnte man regelmäßig die Struktur von Italien bearbeiten. Auch Bonmatí ließ sich nun vermehrt in die Breite herausziehen, um damit Achterin Caruso mitzuziehen. Dadurch sollten im Zentrum Räume für Paralluelo entstehen, um diagonalen Druck ins Abkippen hinein zu erzeugen. Allerdings tat sich Spanien schwer damit, aus diesen diagonalen Aktionen nachhaltige Bindung herzustellen – Paralluelo wurde in diesen Situationen häufig gedoppelt, und durch Bonmatís Ausschieben wurden die Abstände zu den Mitspielerinnen mitunter zu groß. Denkbar wäre gewesen, dass Castillo in solchen Szenen – wenn Bonmatí ebenfalls in der Breite agierte – ins Zentrum einrückt, um dort zusätzliche Unterstützung für die Stürmerin zu schaffen.
Fazit
Ansonsten blieb es dabei, dass Italien mit Ball kaum flache Lösungen gegen das intensive Angriffspressing Spaniens – vor allem über den Doppelsturm – fand. Grundsätzlich ließ nach dem spanischen Führungstreffer auch die Intensität im italienischen Spiel gegen den Ball merklich nach, wodurch Spanien zunehmend an Aufbauhöhe und Spielkontrolle gewann.
Teilweise versuchte Italien, über lange Bälle auf Piemonte sowie eine durchschiebende Cantore für Entlastung zu sorgen – daraus resultierten auch die besten Torchancen, etwa in der 60. Minute.
Der Fokus auf lange Bälle führte jedoch eher dazu, dass sich Italien immer wieder in spanischen Ballbesitzphasen wiederfand, anstatt selbst Spielkontrolle zu erlangen – etwas, das man in Rückstand liegend unbedingt hätte vermeiden müssen. Insofern geht die 1:3-Niederlage aus italienischer Sicht auch vollkommen in Ordnung.
Spanien kann mit dem Ergebnis zufrieden sein, zumal man nach dem Rückstand eine derart komfortable Partie noch für sich entscheiden konnte. Gegen das suboptimale 5-4-1 der Italienerinnen fand man insgesamt gute Lösungen – auch wenn das Spiel im letzten Drittel phasenweise etwas zerfahren blieb.
MX machte sich in Regensburg mit seiner Vorliebe für die Verübersachlichung des Spiels einen Namen. Dabei flirtete er mit der RB-Schule, blieb aber heimlich immer ein Romantiker für Guardiolas Fußballkunst.
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