Pressing Impossible: Amorim verliert gegen Hürzeler – MH

1:3

Ruben Amorims Manchester United traf am 22. Spieltag auf Hürzelers Brighton. Während Manchester United Fokus auf ein möglichst schwer zu bespielendes Pressing legte, ließ sich bei Brighton wieder einmal ein wahnsinnig schwer zu verteidigendes Spiel in die Tiefe beobachten. Die Taktikanalyse zum Spiel findet ihr hier.

Manchester United startete aus einer nominellen 3-2-4-1 Formation, welche im Ballbesitz zu einer klassischen 3-2-5 Staffelung und gegen den Ball zu einer 5-4-1 Staffelung überging. Amorim legte zunächst besonders viel Wert auf ein in der Anlaufhöhe variables Pressing.

Währenddessen startete Brighton aus einer nominellen 4-4-2 Formation. In Ballbesitz ließen sich die von Hürzeler bekannten Positionswechsel, Tiefenbewegungen und freiziehende Läufe für ein effektives Spiel in die Tiefe ununterbrochen beobachten. Dementsprechend flexibel agierte Brighton aus unterschiedlichsten Staffelungen, wie 4-2-4, 3-1-4-2, 2-3-2-3, etc. Das Brightoner Ballbesitzspiel ist durch diese Flexibilität kaum noch durch Formationen zu beschreiben. Eine Analyse zu Brightons Spiel in die Tiefe findet ihr hier.

Brightons Dominanz der Anfangsphase

Manchester United agierte zu Beginn in verschiedensten Höhen gegen den Ball aus einem 5-4-1. Das ist für den Gegner schwer zu bespielen, da je nach Spielaufbauhöhe unterschiedliche Abläufe und Verbindungen nötig sind. Uniteds zentrale Spieler der Vierer Mittelfeldkette agierten mannorientiert gegen die Sechser von Brighton, Ayari und Baleba. Das sollte für einen möglichst guten Zugriff auf das Brightoner Zentrum im Spielaufbau sorgen. Ziel war es, bei Brightons Spiel über das Zentrum sofort Druck ausüben zu können.

Die ersten 10 Minuten kontrollierte allerdings Brighton das Spiel. Brightons Sechser positionierten sich nahe an der eigenen Aufbaukette, sodass ein sehr großer Zwischenkettenraum zwischen der Fünfer Abwehrkette und der Vierer Mittelfeldkette von Manchester United entstand. Dieser konnte nun unterschiedlich belaufen werden. Gegen Angriffspressing schob der linke Außenverteidiger Estupinan asymmetrisch in den Halbraum hinter den ersten Pressingblock Uniteds ein. Dabei wurde der Moment des Herausschiebens von Amad auf einen der Innenverteidiger nach Überspielen Zirkzees ausgenutzt. Eine Reaktion im Pressing von United auf diese Spielaufbauvariante fand im Laufe des Spiels nicht statt. Dementsprechend wurde auch das Tor zum 1:3 so eingeleitet.

Estupinan löst das Pressing hinter dem ersten Pressingblock.

Gegen den Mid-Block von Manchester United beliefen die Stürmer Brightons, Welbeck und Joao Pedro abwechselnd den großen Zwischenkettenraum in den Schnittstellen. Immer wieder konnte so die erste Presinglinie Uniteds überspielt werden. Aus dieser Ausgangsposition fiel dann durch eine gegenläufige Bewegung das 1:0. Während Stürmer Welbeck den Zwischenkettenraum belief und Gegenspieler De Ligt wenige Schritte aus der 5er Kette rauszog, startete Außenspieler Mitoma tief in diesen sich öffnenden Raum. De Ligt wurde ins Dilemma zwischen Druck ausüben und Tiefe absichern gebracht. Der lange Ball überspielte das gesamte Pressing.

Stürmer Welbeck setzt sich in den Zwischenkettenraum ab und öffnet den Raum hinter sich.

Ein weiterer Grund für die Dominanz Brightons in den ersten 10 Minuten lag im Spiel gegen den Ball. United baute aus einer 3-2-4-1(/-5) Staffelung sehr positionsbezogen auf. Brighton presste dagegen im Angriffspressing aus einem 4-4-2 und im Mid-Block aus einem 5-4-1. Da Minteh gegen Diogo Dalot mannorientiert auf der Außenbahn presste, entstanden je nach Position Dalots die beiden unterschiedlichen Staffelungen. Die beiden Stürmer Brightons pressten auch auf dieser Seite die beiden Innenverteidiger Maguire und Yoro, was zu sehr hohem Druck auf die Ballführenden auf der linken Seite Uniteds führte.

Auf der anderen Seite positionierte sich Außenspieler Mitoma bei Ballbesitz von De Ligt im Zentrum, um den Passweg auf den im Halbraum positionierten Amad zu schließen. Bei Pass auf Außenverteidiger Mazraoui schob Mitoma aus der Mitte raus und erzeugte einen Deckungsschatten ins Zentrum. So konnte United auch über diese Seite keine Torgefahr entwickeln.

Manchester Uniteds Umstellungen

Etwa ab der 10. Minute veränderte sich das Spiel und die Dominanz Brightons ließ nach. Das war auf einige Umstellungen Uniteds zurückzuführen. Um weniger Druck auf den Ballführenden auf der linken Seite zu haben, ließ sich der sehr pressingresistente Bruno Fernandes nun immer wieder fallen, während die Außenverteidiger hoch schoben. Die entstandene 3-3-4 Staffelung war für Brighton schwer zu pressen, da Außenverteidiger bzw. in der 5er Kette Halbraumverteidiger Veltman rausgezogen wurde und dieser Raum in der Tiefe durch Außenverteidiger Dalot oder Stürmer Zirkzee belaufen werden konnte. Es entwickelten sich mehr Ballbesitzphasen von United und somit weniger Druckphasen von Brighton.

Bruno Fernandes lässt sich fallen und nimmt durch seine Pressingresistenz Druck von den Aufbauspielern.

Eine weitere Umstellung nahm United aus dem 5-4-1 Mid-Block vor. Die Halbraumverteidiger de Ligt und Yoro agierten deutlich aggressiver aus der 5er kette herausverteidigend auf die den großen Zwischenkettenraum belaufenden Stürmer. So konnten die Stürmer Brightons nicht mehr aufdrehen nach Überspielen des ersten Pressingblocks. Um lange Bälle auf Mitoma verteidigen zu können, sicherte Mazraoui prioritär den Raum hinter dem rausrückenden De Ligt ab. Brighton schaffte es nicht mehr so gut den Zwischenkettenraum zu bespielen und kam nicht mehr so gut in die Tiefe aus eigenem Ballbesitz.

Außerdem presste Manchester United situativ nicht mehr aus einem 5-4-1 im Angriffspressing, sondern manndeckend mit durchlaufendem Zirkzee auf den Torwart. Dadurch entstand situativ viel mehr Druck auf die Ballführenden Brightons. Schwierigkeiten bekam Brighton auch dadurch, dass das 5-4-1 völlig anders zu bespielen ist, als die Manndeckung im Angriffspressing. Das zeigte sich dann auch in der Szene, welche zum Elfmetertor führte. United presste plötzlich Manndeckend und provozierte den vorangegangenen Ballverlust. United kam zum verdienten Ausgleich.

Brighton auf Lösungssuche gegen den 5-4-1 Mid-Block

Nach dem 1:1 entwickelte sich ein ausgeglichenes Spiel. Brighton versuchte den 5-4-1 Mid-Block zu bespielen, während United sich auf das Spiel gegen den Ball konzentrierte. Ging Man United ins manndeckende Angriffspressing über, hatte Brighton weiterhin große Probleme und verlor häufig den Ball. Fraglich ist, warum United in dieser Phase nicht häufiger mutig, hoch manndeckend presste, um mehr Spielkontrolle zu behalten.

Aus Brightons Sicht wäre eine im Moment des Übergangs ins Angriffspressing, situative, extremere Überladung, beispielsweise des zentralen Raumes unmittelbar hinter dem ersten Pressingblock, eine mögliche Lösung gewesen, um die Manndeckung vor das Dilemma zwischen Druck ausüben und 1gg1 auf den Flügeln zu stellen.

In Ballbesitz veränderten Brightons Spieler durch kleinere Bewegungen sehr häufig die Staffelung. So wurde immer wieder ein anderes Verbindungsspiel kreiert: neue Passfenster wurden geöffnet, Passwinkel verändert und Räume neu besetzt, die den Gegner zu einer Reaktion des Pressings zwingen. Beispielhaft habe ich im Folgenden die Hauptvorteile von drei der gegen United am häufigsten genutzten Staffelungen sowie nötige Reaktionen des Gegners genannt.

4-2-4:

  • Doppelte Außenbesetzung sorgt für Angriffsbreite
  • Gegner wird auseinander gezogen
  • Raum im Zentrum, in den Stürmer abkippen können
  • Verteidigung muss Kompaktheit im Zentrum herstellen

2-3-2-3:

  • Zentrumskontrolle durch Überzahl im Zentrum
  • Engere Passabstände ermöglichen schnelleres Kombinationsspiel
  • Effektiveres Gegenpressing möglich
  • Verteidigung muss auf Unterzahl im Zentrum reagieren

3-1-2-4:

  • Besetzung Halbraum und letzter Linie lockt Halbraumverteidiger
  • Überzahl vor der gegnerischen Abwehrkette
  • Äußere Verteidiger 3er Aufbaukette können im Halbraum andribbeln
  • Verteidigung muss auf Halbraumdominanz vor der Abwehrkette reagieren
  • Verteidigung muss ggf. auf Andribbeln der Aufbauspieler reagieren

Ein weiterer Faktor, der das Brightoner Spiel in die Tiefe schwer zu verteidigen macht, sind die andauernden unterschiedlichsten Raum aufziehenden oder auch gegenläufigen Bewegungen in die Tiefe. Diese sorgen immer wieder für Dilemmata und Zuordnungsproblemen bei den Gegenspielern. Im Folgenden habe ich ein paar ausgewählte gegen United genutzte Läufe grafisch dargestellt:

Stürmer Joao Pedro und Achter Ayari bewegen sich gegenläufig in die Tiefe bzw. aus der Tiefe.
Stürmer Joao Pedro kommt entgegen, während Flügel Minteh in die Mitte zieht, um von dort tief zu starten. Gleichzeitig wird Veltman an der Außenlinie tief anspielbar.
Außenspieler Mitoma, Achter Ayari und Joao Pedro bewegen sich in den Zwischenkettenraum. Von dort werden gegenläufige Bewegungen gestartet.
Außenverteidiger Estupinan stellt seinen Gegenspieler ins Dilemma zwischen Passweg zustellen und Zentrum sichern.

Gegen das Brightoner Ballbesitzspiel konnte Manchester United dennoch erstmal größere Torchancen verhindern. Aus der 5-4-1 Struktur verteidigten die Halbverteidiger immer wieder aggressiv rausschiebend. Zusätzlich ließ sich nach Überspielen der 4er Mittelfeldkette diese immer wieder zurückfallen. Diese „Rückverteidigung“ machte es für Brighton schwer, ein gutes Ablagespiel zu entwickeln und aufgezogene Räume zu bespielen. Außerdem waren die Spieler Uniteds auf mögliche Tiefenbälle gut eingestellt. Insbesondere die Außenverteidiger liefen immer wieder Bälle hinter die Kette ab.

Brightons wiederkehrende Dominanz

Gegen Ende der ersten Halbzeit und in der zweiten Halbzeit schlichen sich dann kleinere (erzwungen?) Fehler in Uniteds Pressing ein. Während das fehlende Rausschieben Ugartes im manndeckenden Angriffspressing in der 39. Minute und das fehlende Rausverteidigen De Ligts im Zwischenkettenraum in der 38. Minute noch unbestraft blieben, folgte auf das zu späte Rausverteidigen von Yoro das zu dem Zeitpunkt verdiente 1:2 für Brighton.

Insbesondere in der zweiten Halbzeit reagierte Brighton auf das manndeckende Angriffspressing bei Anlaufen des Torwarts durch nach innen schiebende, aus dem deckungsschatten lösende, Innenverteidiger. So konnte im Aufbau der freie Spieler gefunden werden und Brighton verlor weniger häufig den Ball.

Anstatt sich über Außen freizulaufen, orientiert sich ein Innenverteidiger ungewöhnlicherweise nach Innen und kann das Pressing lösen.

Längere Verteidigungsphasen im Mid-Block für Manchester United waren die Folge. Um diesen zu bespielen, wurde das Ballbesitzspiel Brightons weniger Positionsgebunden. Viel häufiger wurden bestimmte Zonen überladen. Vor allem der Zwischenkettenraum und die Halbräume wurden wiederholt durch mehrere Spieler besetzt, um dort Überzahl zu schaffen und in den Druck spielen zu können.

United wiederum kam kaum noch zu Torchancen. Das Angriffspressing hätte durch eine kurze Orientierung des den Torwart anlaufenden Spielers effektiver gestaltet werden können, um den nach innen abkippenden Innenverteidiger in einen Deckungsschatten zu stellen. Aus dem 5-4-1 Mid-Block wurden zu wenige gefährliche Ballgewinne und Umschaltsituationen provoziert.

Auch aus eigenem Ballbesitz wurden zu selten Torchancen kreiert. Wenn Amorims Team zu Torchancen kam, dann durch einen Ball hinter die Außenspieler der 5er Kette: Im Moment des Presisngauslösens (bei Brightons Herausschieben auf den äußeren Innnenverteidiger) kam der vordere Halbraumspieler entgegen und der Außenspieler ging tief.  Zu wenige andere Möglichkeiten das Pressing zu bespielen sorgten allerdings für eine zu große Vorhersehbarkeit des Ballbesitzspiels.

Demenstprechend entwickelte sich ein eher einseitiges Spiel in Halbzeit 2, in dem Brighton immer wieder anrannte und versuchte das Pressing von United vor Probleme zu stellen. Das gelang auch schlussendlich und führte zu einem verdienten 3:1 Erfolg für Hürzelers Team.

Fazit

Das durchaus schwer zu bespielende Pressing Amorims wurde am Ende durch Hürzeler geknackt. Fraglich ist, ob häufigeres Abwehrpressing in Abwechslung mit situativ manndeckendem Angriffspressing nicht eine bessere Wahl gegen Brighton gewesen wäre, um den Zwischenkettenraum und den Raum im Rücken der Abwehr besser verengen zu können und das Spiel in die Tiefe schwieriger zu gestalten. Trotz höherem Mid-Block kam Manchester United jedenfalls kaum zu gefährlichen Umschaltsituationen. Daran gilt es zu arbeiten.

Hürzelers Team hingegen spielt einmal mehr äußerst sehenswerten Ballbesitzfußball. Häufige Positionsrochaden, Wechsel der Staffelungen, Überladungen und Raum aufziehende Läufe machen das Ballbesitzspiel Brightons sehr attraktiv anzuschauen. Für den Gegner sind diese andauernden Zonenwechsel über einen längeren Zeitraum kaum zu verteidigen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir zukünftig mehr Teams mit ähnlichen Prinzipien in Ballbesitz sehen werden.

Autor: MH ist Fußball-Aficionado von Herzen. Seine Wohnung gleicht einer Fußball-Bibliothek in deren Regalen Bücher über die großen Taktiker von Rinus Michels bis Pep Guardiola stehen. Das Buch von Spielverlagerung.de fehlt hier natürlich nicht. Für MH ist Fußball nicht nur ein Spiel. Es ist ein Lebensgefühl.Auf X ist er unter Mh_sv5 zu finden.

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